Differentia

Findet Kommunikation statt? Über soziale und parasoziale Beobachtung 2

zurück / Forsetzung: Man kann ein hübsches scholastisches Problem aus der Frage machen, ob ein Geldautomat intelligent ist oder nicht. Weniger interessant werden diese Überlegungen, wenn man zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz unterscheiden wollte, denn eine natürliche Intelligenz hat noch keiner gemessen. Dass dennoch gern von künstlicher Intelligenz die Rede ist, hängt, möchte ich vermuten, damit zusammen, dass die Bürokratisierung, das heißt die Einfädelung einer Technikwissenschaft in die Entscheidungsregulatorien staatlich sanktionierter Wissensproduktion, erst im Laufe des 20. Jahrhunderts gelungen war, während eine Intelligenzforschung als Problem bereits Ende des 19. Jahrhunderts in der Wissenschaftsbürokratie verankert wurde, was – so vermute ich – selbst eine Reaktion auf die Bürokratisierung der Wissenschaft gewesen ist. Denn sobald Bürokratie mit ihren Sachzwängen Entscheidungen herstellt, kommt für eine Wissenschaft aufgrund der Zumutungen, die damit verbunden sind, relativ schnell die Frage nach der Intelligenz solcher Entscheidungen auf, weshalb es nicht lange dauern kann, bis eine Wissenschaft aufgrund ihrer Selbstreferenzialität anfängt danach zu fragen, wie man Intelligenz beobachten und messen kann. Eine solche Frage wäre im 18. Jahrhundert, in der Zeit des sehr produktiven Geniekults als soziale Quelle dieser Vermeidungssstruktur noch nicht möglich gewesen. Der Geniekult konnte mit einen naiven Begriff von Intelligenz auskommen.
So kam mit einer Technikwissenschaft als spätere Komponente im Kanon wissenschaftlicher Fächer das Intelligenzproblem unter Berücksichtigung einer anderen Semantik noch einmal zu Sprache. Diese Doppelerfindung des Intelligenzproblems lässt sich vermutlich nicht so einfach integrieren, weshalb nicht einmal eine scholastische Diskussion übermäßige intelligente Ergebnisse erbringen könnte.
Die Nichtintegrierbarkeit scheint damit zusammenzuhängen, dass die Intelligenzforschung in der Psychologie von Anfang an als Humanproblem behandelt wurde, dessen kontingente Behandlung wieder nur in Strukturen eines als anthropologisch fundierten Entscheidungskonzepts, das wiederum mit der Wissbarkeit von Realität verknüpft ist, verankert war und sich gegen Handlung naiv zeigen konnte. Handlungsfolgen erschienen immer nur als Ergebnis von Intentionalität, die wiederum durch Intelligenz bedingt war. Daraus folgte eine Entnaivisierung des Intelligenzbegriffes. Eine Technikwissenschaft kann dagegen Intelligenz naiv behandeln und die Kontingenz der Handlungsfolgen betrachten, um so danach zu fragen, ob an Handlung Intelligenz ablesbar ist oder nicht. So erscheint im Rahmen der KI-Forschung ein Handlungsbegriff entnaivisiert zu werden. Daher wohl die Nichtintegrierbarkeit der Intelligenz- und Handlungskonzepte von Psychlogie und KI-Forschung.

Aber das nur nebenbei.

Ein Geldautomat mag intelligent sein, kommunizieren kann er nicht. Die Frage, um die es mir im folgenden gehen soll ist darum auch nicht Frage, was Kommunikation ist und wie sie möglich wird, sondern: findet Kommunikation statt? Die Frage scheint mir in dem Maße wichtig zu werden, wie die Beteiligung von Computern an der Kommunikation immer mehr zunimmt.

Fortsetzung

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Findet Kommunikation statt? Über soziale und parasoziale Beobachtung 1

Wenn du bei einem Bankautomaten Geld abhebst, dann findet zwischen dir und dem Automaten keine Kommunikation statt. Es handelt sich um Interaktion, die durch kein soziales System beobachtet wird. Es sind nur Interaktionen, die ein Hin und Her von Mitteilungen herstellen, vermittellt durch elektronische Signalverarbeitung. Dass es sich dabei um kein soziales System handelt kannst du feststellen, indem du versuchst, ob eine Änderungen der Bedingungen des Fortgangs kommunikabel ist. Das geht, indem du den Automaten anschreist, eine Pizza bestelltst oder ihn zum Tanzen aufforderst oder irgendetwas anderes versuchst. In allen Fällen kann das Schema der Fortgangs nicht unterbrochen oder gewechselt werden: Karte eingeben, Geheimzahl eingeben, Geldbetrag eingeben, Karte herausnehmen, Geldbetrag entnehmen, Ende – nur so und nicht anders geht es.
Soziale Systeme erfordern immer die Möglichkeit, dass es auch anders geht, dass Systeme auf Unversehbarkeiten, auf Überraschungen, auf irgendwelche Störungen reagieren können, ohne ihre Integrität zu verlieren. In jedem einfachen Gespräch kannst du so ewas beobachten und überprüfen: Ihr sitzt zu zweit in einer Kneipe. Im Laufe des Gesprächs sagst du: „Wollen wir woanders hingegen? Mir gefällt es hier nicht.“ Wie auch immer die Antwort lautet, wie auch immer das Gespräch weiter gehen mag, ob kompliziert oder nicht, ob zu deiner Zufriedenheit oder nicht, du wirst mindestens festellen, dass durch deine Frage eine Änderung der Fortsetzungsbedingungen kommunikabel wird, weil du bemerken wirst, dass zwischen der von dir erwarteten und der gegebenen Antwort immer eine Differenz bemerkbar ist, schon deshalb, weil deine Frage auf offene Möglichkeiten einer Antwort verweist, darunter auch die Möglichkeit, dass die Antwort lautet: „Nein, ich will hier bleiben.“ Diese Antwort hat, genau wie jede andere, keine ausschließliche Notwendigkeit und ist eine Reaktion der Kommunikation auf deinen Versuch, die Änderung der Fortsetzungsbedingungen zu kommunizieren. Auch mit der Ablehnung deines Wunsches wurde diese Änderung kommuniziert.
Denn mit der Kommunikation der Veränderung der Kommunikationssituation ist eine veränderte Kommunikationsituation entstanden. Vorher war für die Kommunikation die Lokalität kein Gesprächsthema, jetzt ist sie eins geworden und die Frage ist nun, von welcher Relevanz diese Veränderung ist. Um diese Relevanz zu testen, könntest du nun versuchen, das Thema komplizierter zu behandeln. Wie auch immer das geschehen mag: du kennst viele solcher Situationen und bist sehr gut darauf trainiert, mit solchen Situation klar zu kommen. Intelligenz ist zwar auch eine Bedingung dafür, dass du und wie du das lernen kannst und wie du lernen kannst, dass anderes aus solchen Situationen etwas lernen. Aber Intelligenz ist nicht die entscheidende Bedingung für die Kommunikablität von Veränderungsversuchen. Auch das läßt sich relativ einfach beobachten, wenn man mit Kindern zu tun hat. Ein erwachsener Menschen mag intelligenter sein als ein Kind, aber das heißt keineswegs, dass Erwachsene den sozialen Situationen besser gewachsen sind als Kinder, ein Beobachtung, die man an einem Sonntagvormittag auf jedem Kinderspielplatz beobachten kann. Das gilt auch für den Fall, dass man es mit intelligenten Automaten zu tun bekommt und hat Konsequenzen für die Frage, was man von intelligenten Automaten erwarten kann.

Fortsetzung

 

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