Wir kochen Hagebuttenmarmelade, Vortrag Teil II #gpn15 #cryptocon15
von Kusanowsky
Hier der Vortrag “Wir kochen Hagebuttenmarmelade” Teil II, gehalten bei der #gpn15 in Karlruhe am 4. Juni 2015
Zusammenfassung: Aus der Symbiose von Journalismus und Fachexperten entsteht eine massendenmediale Inflation von Gefährdungshinweisen, die die Funktion hat, die Fragwürdigkeit des Expertenwissens und die Fragwürdigkeit der Unrteilsgewissheit zu verdecken. Auch Datenschützer beteiligen sich an dieser Art der Gefährdungskommunikation. Der Grund dafür besteht in einer Verweigerung von Sachlichkeit hinsichtlich der Beurteilbarkeit von personenbezogenen Daten. Denn diese Daten sind nur in Ausnahmefällen als rechtliche Angelegenheit interessant. In den meisten Fällen haben sie eine ganz andere Bedeutung. Das Internet als der größte bekannte „Datenschutzskandal“ wurde durch eine gesetzlich geregelten Datenschutz niemals verhindert. Aber auf eine solche Verhinderungsleistung ist der Expertendiskurs spezialisiert. Diese Sichtweise hat Folgen für die Frage, wie eine Versachlung zur Notwendigkeit wird, weil die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Internets nicht auf Rechtfragen reduzierbar ist.
Das Redemanuskript gibt es hier: Wir kochen Hagebuttenmarmelade II.
Den ersten Teil dieses Vortrags bei der #cryptocon15 in Leipzig am 9. Mai 2015 findet man hier.
Den 3. Teil findet man hier.
Der Vortrag im letzten Jahr bei der #gpn14 lautete: „Wie das Internet unsere Paranoia verändert“. Das Video dazu findet man hier.
Massenüberwachung: „Wir müssen Empörung organisieren“
Zwei Jahre nach den Snowden-Enthüllungen monieren Abgeordnete, Datenschützer und Whistleblower, dass das Ausmaß des Skandals öffentlich noch kaum wahrgenommen werde. Die Demokratie sei konkret gefährdet.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Massenueberwachung-Wir-muessen-Empoerung-organisieren-2681148.html
„Wir haben die Infrastruktur eines Polizeistaates geschaffen“
Daniel Ellsberg veröffentlichte 1971 die Pentagon Papers. Der Whistleblower fordert Asyl für Snowden und warnt vor geheimer Massenüberwachung, die alle rechtlos mache
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-06/whistleblower-daniel-ellsberg-interview
„Alternativlos im Kreis“
Seit zwei Jahren wissen wir dank Edward Snowden um die weltweiten Überwachungspraxen der NSA. Seit zwei Jahren bekämpfen wir deren Symptome, nicht deren Ursache. Denn: Die gesamte gegenwärtige Machtpolitik fußt auf der Überwachung. Wir brauchen die große Alternative!
http://www.theeuropean.de/wolfgang-michal/10236-zwei-jahre-nsa-skandal
„Sie haben die Zukunft verbockt“ von Sascha Lobo
Die deutsche Digitalpolitik ist eine Katastrophe. Und Sie sind schuld daran. Sie lassen sich alles bieten und wählen weiter die gleiche Partei. Als Bürger haben Sie versagt.
Deutschland ist noch weniger als ein digitales Entwicklungsland, Deutschland ist ein Digitally Failed State. Und Sie tragen die Schuld. Sie, der Durchschnittsbürger. Eigentlich sind die Bürger, die Wählerschaft, das Publikum der Mittelpunkt der Medienlandschaft wie auch der der Demokratie. Leute also, die man nicht beschimpfen sollte. Aber ich halte es für notwendig, dass Sie Ihr fundamentales Versagen durch Nichtstun begreifen.
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-gescheiterte-deutsche-netzpolitik-a-1038117.html
Dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie der Experte durch Stimmungsmache versucht, sich aus seinen Aporien zu befreien. Da er, der Experte – hier: Experte für Selbstdarstellung – kann auch nichts anders machen als Empörung zu äußern, äußert er seine Empörung über ein Publikum, das sich weigert, Empörung zu äußern. Damit ist sein Kommunikabilitätsproblem gelöst: Er schreibst auf, es wird verbreitet, kommentiert – und das war’s. Anschließend werden noch Daten erhoben und ausgewertet: Klickzahlen, Seiten-Aufrufe, Verweildauer, Verlinkung und Umsatz.
Dann ist der Job erledigt und damit sind zugleich die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wieder keiner über die Sache des zu behandelnden Problems informiert ist. Also geht es in der nächsten Runde so weiter.
So gibt es keinen Ausweg, es gibt keine Veränderung, es gibt nichts zu lernen, keinen Grund sich über irgendwas zu wundern.
Die Komplettüberwachung der Geheimdienste würde ich mit der Freisetzung von Radioaktivität vergleichen.
Die Freisetzung von Radioaktivität gelang überraschend, war keine Absicht, sondern das Ergebnis einer Forschung, die Radioaktivität zunächst nicht kannte und die deshalb zuerst nicht wusste, womit sie es zu tun hat. Die Forschung erbracht die Einsicht, dass:
1. Kernspaltung möglich, dass
2. dabei größe Menge an Energie freigesetzt wird und dass man
3. eine nukleare Kettenreaktion kontrolliert ablaufen lassen kann, aber man muss dies nicht tun.
Daraus ergaben sich ganz schnell alle entscheidenden Konsequenzen, die – wie auch immer man sie sonst noch gewichten und einordnen mag, mindestens die Einsicht ergaben, dass der Gebrauch der Kerntechnologie nicht zu vermeiden ist, dies einschließlich der Konsequenz, dass Radioaktivität, sobald sie freigesetzt ist, nicht mehr zu neutralisieren ist. Das gilt auch für diese Komplettüberwachung. Sobald das Gerücht, dass sowas geschieht, freigesetzt ist, lässt es sich nicht mehr dementieren.
Damit hat sich die Gesellschaft durch den Gebrauch der Nukleartechnologie einer Selbstgefährdung ausgesetzt, durch die ganz andere Ausgangsbedingungen für die Politik von Staaten geschaffen wurden. Man denke etwa daran, dass die Entsorgung von Atommüll bis heute nicht gelingt und trotzdem kann man das Problem nicht ignorieren. Wie auch immer das Problem gelöst werden kann – es muss behandelt werden.
Etwas Ähnliches scheint mir auch für diese Kompelltüberwachung zu gelten. Wenn es technisch, organisatorisch und finanziell möglich, so etwas zu machen, dann muss man es machen, denn sonst machen es die anderen. Auch diese Komplettüberwachung lässt sich wie eine Rüstungsspirale beschreiben und auch sie lässt sich als eine Selbstgefährdung der Gesellschaft beschreiben. Und vielleicht hat sie sogar – ähnlich wie die Androhung eines Atomkrieges – auch noch eine weitere Ähnlichkeit.
Eine atomare Rüstungsspirale funktioniert nur, wenn ein Rüstungsgegner mitmacht. Das hängt damit zusammen, dass eine Atombombe keine militärische Waffe ist, sondern eine rein ideologisch. Die Ideologie besagt: dass die atomarer Drohung nur dann überzeugend ist, wenn damit zugleich die Selbstzerstörung mitkalkuliert wird. Andernfalls wäre der Einsatz der Atomwaffe nur ein Massenmord, der zwar den Gegner niederringt, aber dem Angreifer keine Vorteile schafft. (Für den Atomwaffeneinsatz gegen Japan gilt das nicht, weil die Atomwaffe zu diesem Zeitpunkt 1945 selbst nur ein Ergebnis der militärischen Forschung gewesen ist.)
Die atmore Drohung lautet: mit einem Atomkrieg wird nicht nur jeder Krieg beendet, sondern auch die Voraussetzungen dafür, mit dem Krieg wieder anzufangen – das bedeutet: Komplettzerstörung, auch Zerstörung der Voraussetzungen für die Kriegsführung.
Mir scheint, mit dieser Komplettüberwachung geschieht etwas Ähnliches. Wenn Komplettüberwachung möglich ist, dann ist sie auch woanders möglich, ob in Russland, China oder sonst wo. Und wahrscheinlich wird sie auch dort geschehen, wenn das nicht schon längst passiert. Denn das Knowhow, das dafür gebraucht wird, lässt sich auch dort akquieren. Und mir scheint, dass auch mit dieser Spirale möglich wird, die Voraussetzungen einzuschränken, die in Anspruch genommen werden müssten, um diese Komplettüberwachung durchzuführen. Das heißt, dass eine solche Spirale dafür sorgt, dass die zuständigen Hacker in allen Staaten hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind.
Experten im Journalismus von Daniel Nölleke
Systemtheoretischer Entwurf und empirische Bestandsaufnahme
http://www.nomos-shop.de/N%C3%B6lleke-Experten-Journalismus/productview.aspx?product=20285
Im „Institut für vermeidbare Zusammenhänge“ in der Grindelalle 147, 20146 Hamburg findet eine Veranstaltung statt, in der ich den dritten Teil des Vortragszyklus „Wir kochen Hagebuttenmarmelade“ halten werde. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr.
Eine Eintrittsgebühr wird nicht erhoben.
In diesem Vortrag geht es darum, wie das Verprechen auf Sachlichkeit zuallererst von Experten und ihren Diskursen selbst verhindert wird. Also nicht Laien, Uninformierte, Fachfremde oder Trolle verhindern Sachlichkeit, sondern der Expertendiskurs selbst.
Peter Sloterdijk schreibt über das Idealbild des aufgeklärten Gesprächs:
„Der Aufklärungsvorgang hat demnach zwei Seiten: den Beitritt zur besseren Position und den Abschied von der Vormeinung. Eine Ambivalenz der Gefühle ist hiermit gegeben: ein Gewinn und ein Schmerz. Die Utopie des liebevollen kritischen Dialogs sieht diese Schwierigkeit voraus. Der Schmerz wird erträglich im Bewusstsein, dass er kollegial und freiwillig hingenommen werden kann als Preis der Gemeinsamkeit. Der ‚Verlierer‘ darf sich als den eigentlichen Gewinner sehen. So ist das aufklärerische Gespräch im Wesen nichts anderes als ein Arbeitsringen der Meinungen und ein forschender Dialog zwischen Personen, die sich unter eine Friedensregel a priori stellen, weil sie nur als Gewinner, als Erkenntnis- und Solidaritätsgewinner aus der Begegnung hervorgehen können.“
In: Kritik der zynischen Vernunft. Band 1. Frankfurt/M. 1983, S. 49. [SB 164]
Dieses Idealbild dient der transzendentalen Selbstbeeindruckung und nicht etwa der Lösung von Problemen. Es macht Probleme, weil es ständig scheitert und das Scheitern kann dann auf die Unaufgeklärtheiten einer defizitären Welt zugerechnet werden.
Der folgende Text ist ein Vorschlag für einen Vortrag bei den #datenspuren in Dresden
http://datenspuren.de/2015/cfp.html
und bei den MetaRheinMainChaosDays in Darmstadt
http://www.metarheinmain.de/
Wir kochen Hagebuttenmarmelade – Woran scheitert der Datenschutz?
Datenschutz wird in der Gesellschaft als juristisches und politisches Problem erkannt und ausschließlich als solches behandelt. Eine andere Betrachtungsweise wird durch die Konzentration auf die juristisch-politische Dimension beinahe ausgeschlossen. Datenschutz als politisch-juristisches Problem zu behandeln bedeutet, dass für alle Beurteilungen die Unterscheidung von „Erlaubt und Verboten“ maßgeblich ist. Das bedeutet praktisch, dass zur Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung spezielle Experten zuständig sind, welche die Funktion haben als Anwälte für Bürger gegenüber dem Staat Rechte einzufordern und die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen zu thematisieren.
Die neuere Entwicklung des Internets zeigt, dass alle Maßnahmen zur Sicherstellung eines Datenschutzes gescheitert sind.
In einem Vortrag möchte ich versuchen zu erklären, wie dieses Scheitern möglich ist und warum sich daran auch in nächster Zeit nichts ändern wird. Der zu erläuternde Grund dafür lautet, dass die Information über Daten nur in Ausnahmefällen von rechtlicher Relevanz ist und darum nur in Ausnahmefällen politisch und rechtlich geregelt werden kann. Tatsächlich hat aber der Informationsgehalt von Daten in den meisten Fällen kaum eine spezifische Bedeutung, es sei denn es finden sich Experten, die ein exklusives Recht auf den Informationsgehalt von Daten geltend machen können. Solche Exklusivpositionen, die durch ein Expertentum garantiert werden sollen, sind spätestens in Zeiten des Internets nur noch wenig überzeugend.
Ich bin gerade zufällig auf diesen Vortrag gestoßen, den ich vor einiger Zeit auf Youtube kommentiert habe;
https://plus.google.com/115680572119865888041/posts/KQS2Cw8n8Mj
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[1.]
0:21 “ Plato’s Problem… formulated by Bertrand Russel: ‚How comes it that human beings, whose contacts with the world are brief and personal and are limited, are able to know, as much as they do know?‘ …“
[2.]
0:47 “ Orwell’s … Problem: How comes it that so many people, with ample and reliable information at their hands, nevertheless know and understand so little? …“
[3]
1:06 “ Descarte’s Problem had to do with freedom of choice and action, unique to humans…
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Noam Chomsky versucht etwas Licht auf die sozialen Zusammenhänge zu werfen, die als ausschlaggebend für das (oben genannte) „Orwellsche Problem“ zu verstehen sein könnten:
— http://www.youtube.com/watch?v=UKeUwRgftDY&t=47m32s