Hier ist der Vortrag „Wir kochen Hagebuttenmarmelade“ 3. Teil, gehalten am 26. Juni 2015 beim Trialog in Hamburg. Es geht in diesem Vortrag um die These, dass Sachlichkeit zuerst von Expertendiskursen verhindert wird und nicht etwa von Laien, Fachfremden oder Störern.
Als Zugabe empfehle ich noch diese sehr kurze Einführung in die Wiedergewinnung von Sachlichkeit in Zeiten des Internets von Gerald Fricke
„Menschen unterhalten sich über Belanglosigkeiten, über Nebensächlichkeiten. (Sie neigen zur Unsachlichkeit – [Hinzufügung von mir]). Wer das nicht will, der will im Kern keine Gesellschaft.“
In diesem Vortrag von Claus Kleber geht es um die Zukunft des Journalismus. Ich habe die Stelle ab Min. 51.41 sek. markiert. An dieser Stelle geht es darum, dass mit dem Internet eine Situation geschaffen sei, die es zunächst fraglich werden lässt, ob Journalisten als „Kommunikationsprofis“ noch gebraucht würden, weil sich nun jeder Mensch eigenständig an massenmedialer Kommunikation beteiligen kann und nicht zuerst auf Journalisten angewiesen ist, die das Publikum mit Informationen versorgen.
Im weiteren Verlauf versucht Kleber nun zu begründen, warum die Arbeit von Journalisten auch in Zukunft unverzichtbar bleiben wird. Begründet wird das mit den Bedürfnissen von Menschen, da Bedürfnisse die Antriebe für die Entwicklung seien. Kleber will nicht der zitierten Überlegung von Stefan Schulz folgen, die besagt, dass durch social media der Journalismus in eine Leidenszeit eintrete, die mit seinem Tod endet. Tatsächlich – so Kleber – gäbe es sehr viele, sehr verschiedene, sehr gegensätzliche Bedürfnisse, die dafür sorgen würden, dass Journalisten als Experten der Sortierung und Einordnung von Information auch für die Zukunft professionell tätig bleiben werden.
Es wird also weiterhin – so die Aussage des Fachmanns – ein Bedürfnis nach Klarheit, Übersicht und Ordnung geben und nur der Journalist als Experte und professioneller Dienstleister kann garantieren, was alle anderen, die täglich mit ganz anderen Dingen befasst sind, nicht zustande bringen können.
Wo kommt eigentlich das Informationschaos her, das Journalisten so großzügig und selbstlos zu vermeiden suchen? Durch das Bedürfnis der Menschen nach Unordnung, Chaos und Irrtum? Welche Dienstleister, welche Experten, welche Profis sind dafür zuständig, das Bedürfnis nach Informationsdefiziten zu befriedigen? Wo werden diese Leute ausgebildet? Wer investiert in die Unübersichtlichkeit der Gesellschaft und wer profitiert davon? Mit welchen Methoden, Verfahren und Regeln wird das Durcheinander geplant und organisiert? Wer liefert das Angebot so vieler Irrtümer und Irritationen, die bei den Menschen auf eine große Nachfrage treffen? Das Bedürfnis nach Unklarheit, Unordnung, Durcheinander, Dauerirrtum dürfte nach Auskunft entsprechender Experten wahrscheinlich die natürlichste Ur-Eigenschaft von Menschen sein; und selbstverständlich wird auch dieses Bedürfnis von Profis bedient. Aber was sind das für seltsame Phantome? Wer sind die Lieferanten des Informationschaos? Journalisten sind es nicht. Oder doch? ….
Nun, der Journalist, der seine Profession als unverzichtbares Expertentum verkauft, kann diese Einsicht nicht akzeptieren und es steht auch nicht zu erwarten, dass er diese Überlegung mit sachlicher Gründlichkeit überprüfen wird. Der Experte ist gewiss an Sachlichkeit interessiert, aber das Maß an Gründlichkeit ist eine Sache des professionellen Experten, nicht des Laien, der über ein Maß an Gründlichkeit nicht sachgerecht urteilen kann.
Das rhetorische Verfahren, dessen sich der Redner in dem Vortrag bedient, nennt man im Internet-Jargon „derailing.“ Derailing meint, dass man einem neuen Argument, einer neuen oder anderen Sichtweise dadurch aus dem Wege geht, indem eine alte Einsicht, eine alte Betrachtungsweise einfach wiederholt mit der Maxime: „Und dennoch bleibt es so … Und trotzdem ist es so … Und deshalb wiederhole ich … Und dennoch gilt …“ Dieses derailing ist das erwartbare Manöver eines Beobachters, der sich davor scheut, sich auf etwas Neues einzulassen und dem man auf diese Weise beim Lernen zuschauen kann, indem man bemerkt, dass sein Vermeidungsveruch scheitert. Denn das Derailing ist ein Abwimmeln, ein Beiseiteschieben, ist der Versuch, zu ignorieren, zu unterdrücken, zu leugnen, ist der Versuch, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, was sich dem Beobachter ganz ungeniert offenbart: er hat sich gerade auf etwas Neues eingelassen und verweigert die Seduktion, indem er die Schutzmauer persuasiven Verhaltens wählt.
Dass es sich dabei um ein Manöver innerhalb eines Lernprozesses handelt, kann man daran erkennen, dass eben diese Lernbereitschaft verweigert wird. Denn die Verweigerung, Blockade, Ignoranz behindert den Lernprozess gar nicht, sondern ist nur das unvermeidliche Gegenstück zur Lernbereitschaft.
Ein Lernprozess ist nämlich immer auf beides angewiesen, was damit zusammenhängt, dass auch das Zulernende erst noch in Erfahrung gebracht werden muss, weil man, wenn etwas Neues entsteht, nicht einfach bei einem Experten oder Lehrer um Rat fragen kann. Denn gibt ein Experte Auskunft darüber, dann kann der Fragende nur lernen, was schon gelernt wurde. Aber dann hat man es nicht mit etwas Neuem zu tun.
Über etwas Neues kann man nicht so leicht sehr viel sagen, weshalb, wenn die Kommunikation ihre Fortsetzung verlangt, es immer noch einigermaßen plausibel erscheinen kann, vom Alten noch nicht zu lassen.
So bleibt es also dabei: Das Bedürfnis des Publikums nach Informationsdefiziten, Verwirrung und Durcheinander wird auch in Zukunft nicht von Journalisten befriedigt.