Ist Wissenschaft ohne Bürokratie möglich?
von Kusanowsky
Eine ernst gemeinte Frage: Wer braucht noch Professoren? Ist der Professor ein antiquiertes Konzept? Professoren sind hauptsächlich damit beschäftigt Verwaltungsarbeiten zu erledigen; und ein wichtiger Teil der Verwaltungsarbeit besteht in Routinen der Lehre, die zu einem großen Teil schon von Nachwuchswissenschaftlern in prekären Arbeitsverhältnissen geleistet wird. Auch sinken die Erwartungen ab, die sich an den Wert von akademischen Abschlüssen richten. Das Wort von den „Jodel-Diplomen“ macht die Runde. Gemeint ist mit dieser Anspielung auf einen Sketch von Loriot die Einsicht, dass akademische Abschlüsse schon lange nicht mehr sehr gute Dokumente sind, die über Qualifikation Auskunft geben. Außerdem dürfte es niemanden überraschen, dass sich der Kostendruck auf die öffentlichen Haushalte auch in der Wissenschaft unvermindert bemerkbar macht.
Wenn nun sich abzeichnet, dass das Internet für Beruf und Alltag unverzichtbar ist, dann dürfte sich dies auch auswirken auf die Frage, wie Wissenschaft noch möglich ist, wenn ein bürokratischer Hindernislauf nicht mehr ausreicht, um von Qualifikationen überzeugen zu können. Will man diesen Gedanken ernst nehmen, so stellt sich die Frage, wie sich das auf die Organisation von Wissenschaft und auf die Bewertung von Ergebnissen auswirken kann. Gibt es Auswege und Alternativen für eine Wissenschaft, die auf einen gigantischen bürokratischen Apparat angewiesen ist? Dieser Frage möchte ich in einem Vortrag nachgehen.
Dieser Vorschlag für einen Vortrag wurde von der #rp15 abgelehnt. Die Gründe dafür spielen keine Rolle. Auswahlverfahren dieser Art funktionieren ob ihrer Opazität wie black boxes – die inneren Vorgänge sind komplett intransparent und man kann aufgrund der Ablehnung nichts darüber heraus finden, wie es dazu gekommen ist. Das gilt übrigens auch für den Fall der Annahme. Auch dann sind die Gründe nur schwer nachvollziehbar, aber in dem Fall will niemand gründerlicher über Gründe nachdenken, wofür es selbst wiederum keinen überzeugenden Grund gibt. Diese Opazität ist eine notwendige Folge von komplexen Organisationszusammenhängen, die ihre eigenen Zwänge erzeugen ohne erklären zu können und zu müssen, wie sie zustande kommen. So kommt man, wenn man dennoch nach irgendwelchen zuverlässigen Gründen fragen wollte, schnell zu der Vermutung, dass es sich um Ausreden handelt, weil sie ob der Spreizung ihrer Kontingenz nicht überzeugen können.
Das gilt nicht nur für Unternehmen und Konzerne, sondern auch für die Organisation der Wissenschaftsbürokratie. Auch die Wissenschaftsbürokratie produziert eigentlich nur noch Zufallsergebnisse. Dass der Nachwuchs diesem Zufallsgeschehen ausgesetzt ist, kann man daran erkennen, dass die Wissenschaft kein knowhow mehr produziert, um Erwartungen in Regelmäßigkeiten zu überführen. Erkennbar ist dies am Protestverhalten des Nachwuchses. Er protestiert, stattt zu erforschen wie Wissenschaft gelingen kann, wenn ihre Organisationsangelegenheiten immer undurchschaubarer werden.
Wissenschaft hat keine beliebige Normalität, ist keineswegs eine abgeschlossene Schöpfung, sondern entsteht unter bestimmten Bedingungen auf eine bestimme Weise und ist auf solche Bedingungen angewiesen, die ihre Selbstanpassung garantieren. Dass alles auch ganz anders gehen könnte, wird niemand bestreiten, aber das versteht sich nicht von selbst. Man müsste etwas anderes machen können. Aber wie sollte das gehen?
Ganz andere Bedingungen, wie sie durch das Internet geliefert werden, müssen selbst wiederum erforscht werden, auch dann, wenn die Erfolge solcher Forschungen sehr fraglich sind. Die Wissenschaft beurteilt nicht nur ihre Ergebnisse, sondern muss immer auch die Bedingung ihrer Möglichkeit mit erforschen. Und das ist keineswegs einfach, weshalb es einleuchtet, sich die Sache etwas einfacher zu machen und den Weg des Protestes zu gehen. Alles, was komplizierter ist als Protestieren, ist nicht so leicht attraktiv zu machen, weil man schon vorher wissen wollte, wofür es sich lohnt, sich auf Komplikationen einzulassen. Da dies aber selbst erst erforscht werden müsste ist es allemal besser, sich auf Naivitäten zu verlassen.
Wenn nun dieser Vorschlag von der rp abgelehnt wurde und es dennoch Leute geben sollte, die daran Interesse haben, dann bitte ich um eine kurze Nachricht, entweder als Kommentar hier oder bei Twitter. In dem Fall überlege ich mir, ob ich diesen Vortrag trotzdem vorbereiten sollte, um ihn dann als live-stream zu senden.
Sollte es keine Interessenten geben, dann heißt das, dass sich auf diese Weise ein überzeugender Grund für die Ablehnung findet. Eine andere Möglicheit kann aber auch sein, dass das Thema sehr wohl von Interesse ist, aber von jemand anders vorgetragen werden sollte. Damit wäre ich sehr einverstanden, aber fürchte, dass sich kaum jemand finden wird, der sich damit befassen wollte. Folglich hieße das, dass das Thema tatsächlich gänzlich gegenstandslos ist. Oder es dauert noch ein wenig, bis es an Relevanz gewinnt.
Mich würde der Vortrag interessieren.Danke für das Angebot
Uwe Schimank: Reputation statt Wahrheit: Verdrängt der Nebencode den Code?
http://www.soziale-systeme.ch/hefte/2010_2_zus.htm#schim
Wenn, wie aus dem oben verlinkten Artikel hervorgeht, die Wissenschaft sich selbst damit bedroht, dass Reputation – was immer man darunter versteht und wie immer man sie messen möchte (falls so etwas überhaupt geht) – die Wahrheitsfindung ersetzen könnte, dann würde ich es als eine wissenschaftliche Leistung auffassen, wenn es gelingt, aufgrund von Sabotage der eigenen Reputation Reputation für sich zu vermehren. Die wissenschaftliche Leistung bestünde darin zu zeigen, dass Reputation ein soziales Produkt ist, das nicht ursächlich mit besonderem Menschenvermögen verknüpft ist: Intelligenz, Genalität, Kreativität oder ein sonstiges Leistungsvermögen, das man Menschen zurechnen kann, ergibt sich nicht durch Menschen selbst, sondern muss sozial ermittelt und vermittelt werden. Dazu werden bestimmte Selektionsroutinen gebraucht, die es wahrscheinlich machen, dass bestimmte Erkenntnisse, Handlungen oder auch Habitualisierungen gewählt und andere nicht gewählt werden. Die Bedingungen, unter denen dies geschieht, können sich durch die Wissenschaft selbst ändern, das heißt: das soziale System verändert auf der Basis seiner Differenzierung die Grundlagen, bzw. die Voraussetzungen für seine Selbstorganisation von Erfahrung und Bewertung dieser Erfahrung (oder auch: Wissen und Bewertung von Wissen, Wahrheit oder Erkenntnis und Bewertung derselben)
Demzufolge ist Wissenschaft keine abgeschlossene Schöpfung, kein für alle Zeiten fertiges Produkt, das nichts anderes tut, als seine Natur zu verwirklichen und auf Dauer zu stellen. Wissenschaft verändert durch ihre Operationen ihre Erfahrungsgrundlage und kann, aber muss nicht, die Form der Erfahrung verändern, wenn die Veränderung von Erfahrung, die Verschiebung eines Beobachtungsschemas in der ganzen Gesellschaft gelingt.
Gegenwärtig hat die Wissenschaft, die alle ihre Möglichkeiten in ihrer Kontingenz entfaltet hat (Welche Behauptung könnte nicht wissenschaftlich bewiesen werden?) und sich in ihrem Zugriff auf Ressourcen an die Staatsgewalt gekoppelt hat, keine größeren Probleme mehr damit, Wahrheit zu behaupten oder zu rechtfertigen. Auch dürfte es nur noch wenige Professoren in allen Fächern geben, die eine Ressourcenbesatzung mit ihrem besonderen genialen Leistungsvermögen rechtfertigen würden. Wer würde noch behaupten, die eigene Genialität, Kreativität, Intelligenz oder sonstige Tüchtigkeit, allesamt Eigenschaften, die sich vom ganzen Rest der Mehrheit unterscheiden, seien die Ursache für eine privilegierte berufliche Position? Mag man vielleicht noch einen Geniekult betreiben, man stellt jedoch fest, dass dieser Kult seine Gebrechlichkeit zu erkennen gibt. Wenn etwa bei Verleihung von Nobelpreisen die Empfänger sich im Namen eines ganzen Teams bedanken. Man erkennt dann: die individuelle Zurechnung von Leistung wird selbst von den Geehrten nicht mehr akzeptiert, weil die Differenzierung der Wissensproduktion soweit entwickelt ist, dass das Zutun eines jeden einzelnen Menschen keine besondere Bedeutung mehr hat.
Das faustische Genie der Wissenschaft ist ausgestorben, aber die sozialen Strukturen, die sich durch Erwartungen auf Genalität entwickelt und differenziert haben, sind noch nicht abgeschafft. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Erbschaft, von der kaum noch bekannt ist, woher sie kommt.
Das vorläufige Ergebnis ist: mit dem Entstehen faustischer Genialität im 17. und 18. Jahrhundert waren die Inklusionschancen gemäß der Empirieform der modernen Wissenschaft deshalb sehr groß, weil die Partizipationschancen gering waren. Viele konnten zugelassen werden, weil nur wenige mitmachen, weil nur wenige Reputation erwerben konnten. Das hat sich seit der Industrialisierung, der Normierung und Standardisierung von Abläufen geändert. Nunmehr sind die Partizipationschancen größer als die Inklusionschancen. Viele können mitmachen, immer mehr können Reputation erwerben, aber nur wenige werden zugelassen. Spätestens die Massenuniversität lässt nicht mehr die Annahme gelten, dass die meisten, die exkludiert werden, aufgrund eigenen Versagens oder Untauglichkeit aussortiert werden. Stattdessen spricht sich herum: egal wie talentiert, fleißig und intelligent und egal wie gut die Beziehungen sind, die man haben müsste, um befördert zu werden: Die Selektion von Karrieren folgt dem Zufall und nicht irgeneiner nomlogischen Erwartung. Es ist ein Glückspiel. Der Beweis ist der Versuch, etwas dagegen zu unternehmen. Man müsse Karrieplanung sicher stellen! Aber für wen, wenn man nicht einfach sagen kann, dass die Mehrheit der Absolventen unfähig, untalentiert oder mangelhaft intelligent ist.
Daraus ergibt sich: Reputation wird nicht die Wahrheitsfindung ersetzen. Denn Reputation ist genauso wie die besondere Bedeutung von Wahrheit durch die Massenuniversität erfolgreich trivialisiert worden. Repuation hat jeder, der das Würfelspiel gewinnt. Es geht in der Wissenschaft nicht um Wahrheit und auch nicht um Reputation, weil alles Entscheidende zur Herstellung von beidem immer schon entschieden ist. Nach erfolgter Selektion ist immer auch schon Zurechnung erfolgt und alle anschließenden Meinungsverschiedenheiten ändern daran nichts.
Das Risiko der Partizipation ergibt sich nicht mehr aus der Erkenntnisnot des 18. Jahrhunderts, sondern aus der Zeitnot einer Gesellschaft, die die Vermehrung ihrer Kapaziäten bis an eine Grenze geschoben hat, in der Verteilungsprobleme angestrengter produziert werden als das Zuverteilende. So geht es in der Wissenschaft hauptsächlich um Inklusionschancen, die immer geringer werden je wahrscheinlicher die Partizipationschancen sind. Und wenn man in Rechung stellt, dass mit immer weitergehender Automatisierung, insbesondere auch von Dienstleistungen, ein Überhang an vergeblichen Inklusionbemühungen entsteht, dann fällt es mir schwer zu glauben, dass die exkludierte Intelligenz dauerhaft die Bereitschaft hat, sich von Dummheit, Ignoranz, Indifferenz und Weltfremdheit kommandieren zu lassen. Sie müsste vielmehr anfangen, die Bedingungen für andere Formen der Vergesellschaftung zu erforschen. Dass das gegenwärtig nicht geschieht, hängt damit zusammen, dass noch genügend Zeitnot für alle etwa gleichermaßen vorhanden ist. Und ich kann mir vorstellen, dass sich diese Zeitnot mit dem Internet und der Erfahrung seiner gesellschaftlichen Wirksamkeit mit der Unterscheidung von erreichbar/unerreichbar relativieren kann.
Klaus Kusanowsky: „… ich kann mir vorstellen, dass sich diese Zeitnot mit dem Internet und der Erfahrung seiner gesellschaftlichen Wirksamkeit mit der Unterscheidung von erreichbar/unerreichbar relativieren kann.“
Maren Lehmann, ab Min. 4:15: „Vielleicht ist in der nächsten Gesellschaft, gerade weil es die nächste Gesellschaft ist, Distance das Desiderat schlechthin, das das Individuum zu erreichen versucht; ein bißchen Reserve, ein bißchen Abstand, ein bißchen Zeit.“
Ich würde den Vortrag gerne hören, lesen, sehen..