Vortrag mit Diskussion: Die Kinderzimmer-Peepshow bei Younow
von Kusanowsky
Heute Abend, Sonntag, den 8. Februar um 19 Uhr, möchte ich als Selbstdarsteller bei Younow einen Vortrag mit Diskussion halten zum Thema: „Die Kinderzimmer-Peepshow bei Younow“ . Es geht dabei um die Frage wie man den Peep-Show-Charakter dieses live-streamings erklären kann, was das mit Pädagogik und Pädophilie zu tun hat, und warum Pädagogen immer erst Alarmstimmung verbreiten bevor sie anfangen, ihre eigene Inkompetenz dadurch zu verringern, dass sie schließlich etwas tun, wogegen sie sich zunächst wehren, nämlich: sich auf die Angelegenheiten von Kindern einzulassen.
Aspekte des Vortrags werden sein: Erziehung zu Konsumenten, Produktion von Langeweile durch professionelle Pädagogik, die Zwecklosigkeit von Medieninnovationen und die dämonische Wirkung von Medien und Technik auf die Gesellschaft.
Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich per Chat bei Younow zu beteiligen. Wer das nicht möchte, kann gern unter dem Hashtag #kidpeep Beiträge bei Twitter schicken. Ich werde unter dem selben Hashtag aber auch eine Etherpad-Datei verbreiten, bei der man sich anonym und ohne sich anzumelden mit Fragen und Einwänden beteiligen kann. Ich denke, dass eine bis eineinhalb Stunden für Vortrag und Diskussion ausreichen werden.
Eine Überlegung, die ich in dem kurzen Vortrag angedeutet hatte, möchte ich noch einmal zusammenfassen, weil ich glaube, dass sie auch für andere Fälle und in anderer Hinsicht relevant werden könnte, nämlich die Überlegung, dass mit Younow die Langweile selbst zur Unterhaltungsform wird.
Der Gang der Überlegung sei kurz skizziert:
Wie kann es eigentlich sein, so die Ausgangsfrage, dass bei Younow tausende von Kindern und Jugendlichen ihr eigenes Fernsehprogramm veranstalten, aber überall nur Langweile inszeniert wird? Tausende von neuen Fernsehkanälen, aber überall das selbe Programm: Langweile. Gibt es denn nicht genügend Unterhaltungsformen? Bücher, Spiele, Musik? Wie kann es sein, dass Kinder Langweile haben, wenn es einen Überfluss von Unterhaltungsmöglichkeiten gibt?
Meine Überlegung ist, dass die Entwicklung massenmedialer Unterhaltungsmöglichkeiten ein fortgesetzter Steigerungsprozess ist, der sich selbst übertreibt. Mit jeder Medieninnovation wird die zurückliegende Innovation ergänzt und das Angebot von Unterhaltungsmöglichkeiten erweitert: Zeitungen, Romane, Tageszeitungen, Comics, Kino, Radio, Brettspiele, Schallplatten, Videofilme, Computerspiele und schließlich Internet.
Das Internet liefert nun alle Formen der Unterhaltung durch ein Gerät. Dieser Erweiterungsprozess zeichnet sich aus durch eine beständige Steigerung und Überbietung: sobald das Romanelesen gelernt wurde, schlägt sich das nieder in der komplexeren Gestaltung von Romanen und zugleich gibt es immer mehr davon. Das selbe gilt für alle anderen Formen auch: der evolutionäre Erfolg einer Unterhaltungsform besteht nicht nur in der quantitativen Vermehrung eines Angebots, sondern in der immer differenzierten Ausgestaltung dieses Angebot. Und da das alles durch Märkt funktioniert, die auf Konkurrenz angewiesen sind, werden ständige Aufmerksamkeitsdefizite durch Überbietung hergestellt: das Angebot wird immer unüberschaubarer, schriller, schneller, lauter, fantastischer, spektakulärer, idiotischer bis zu dem Punkt, an dem diese Übertreibung selbst übertrieben wird. Die Übertreibung der Übertreibung (Hyperbolisierung) schlägt sich, sobald das Internet in Gebrauch kommt, das alle Angebote integrieren kann, nieder in einem letzten Überschrittsschritt, nämlich die Zerstörung, Blockierung und Abschaffung dieses Übertreibungsprozess und das heißt: Langweile wird selbst als Unterhaltungsform interessant.
Was man bei Younow beobachten kann ist also nicht eine Langweile, die ihre Abwendung vergeblich sucht, sondern eine Unterhaltung, die sich in Langweile niederschlägt. Die inszenierte Langweile ist eine Unterhaltungsform. Und damit wäre dieser Überbietungsprozess gleichsam beendet.
Wie entsteht der „Peep-Show-Charakter“ dieser Sendungen bei Younow? Die Frage ist deshalb berechtigt, weil Younow nur eine Plattform ist, die eine audiovisuelle live-Übertragung ermöglicht, also etwas, das hinreichend bekannt ist, nämlich als Fernsehen. Zusätzlich gibt es dort für den Anbieter einer Übertragung die Kommunikation mit Abwesenden und Unbekannten durch einen parallelen Chat. Aber auch dadurch ergibt sich der Peep-Show-Charakter nicht von selbst. Wie entsteht er, wenn man es eigentlich nur mit einer Art „Fernsehen-von-allen“ zu tun hat?
Diese Frage bezieht sich also nicht allein auf das, was man sehen kann, denn das wäre mit dem Begriff „Fernsehen“ hinreichend beschrieben. Stattdessen geht es um die Frage, wie man das, was man sehen kann, zu sehen bekommt und zwar hinsichtlich der Differenzen der Bedingungen. Denn die sind tatsächlich sehr auffällig und lassen es zu, dieses „live-streaming“ als Peep-Show zu beobachten.
Psychologen und Pädagogen würden an dieser Stelle gern auf die Bedürfnisse von Kindern zu sprechen kommen und würden eine Art „Bedürfnis zur Selbstdarstellung“ eine entscheidende Bedingung für das Zustandekommen dieser Peep-Shows anführen. Diese Betrachtungsweise lehne ich ab, weil sie den sozialen Zusammenhang der Bedingung der Möglichkeit des Geschehens ignoriert.
Schaut man aber auf den sozialen Kontext wird sehr schnell klar, wie dieser Peep-Show-Charakter entsteht und wie er sehr leicht verhindert oder zerstört werden könnte.
Der Beobachtung des Peep-Show-Charakters dieser Übertragungen entsteht durch folgende Bedingungen:
1. Die Kinder haben nichts, bzw. nicht viel zu sagen. Das, was sie sagen, lässt sich auf wenige Routinen des Sprechens reduzieren. Sie besprechen keine Themen, keine Angelegenheiten, nichts, was einen Anfang oder ein Ende hätte. Es ist nur eine endlos Produktion von Langweile.
2. Es gibt keine oder nur sehr selten Gruppen von Beteiligten, die sich untereinander kennen und sich persönlich als Bekannte für einander ansprechen. Zwar sind sehr häufig zwei oder auch drei Kinder an einer Übertragung beteiligt, aber: der Chat geschieht fast ausschließlich mit Abwesenden und Unbekannten.
3. Die minimalistische Nutzung dieser Übertragung lässt nur ein Kamerbild zu, dass im spannendesten Fall das Gesicht oder den Körper der Kinder zeigt. Es können keine Bilder, Filme oder dergleichen eingespielt werden.
4. Dieser Art der live-Übertragung können nur Nutzer machen, die viel Zeit haben und
5. die keine kommerziellen Absichten haben, weil ein Geldverdienen damit nicht möglich ist.
Der Zusammenfall dieser Bedingungen erzeugt auf diese Weise eine Selektion von Information, die den Eindruck des Voyeurismus enorm verstärkt. Der Voyeuer, der Spanner ist unter diesen Bedingungen derjeninge, der mit seinem Anspracheverhalten im Chat als bevorzugter Beobachter auffällt.
Schon die Änderung der ersten drei Bedinungen würde den Peep-Show-Charakter dieser Sendungen sofort zerstören.
[…] ich habe den Vortrag von Klaus verpasst. Gut möglich aber, dass das obige fünfminütige Video auf alle dort gestellten und […]
http://www.spiegel.de/schulspiegel/besorgte-eltern-und-ihr-seltsamer-protest-gegen-sexualkundeunterricht-a-1017578.html
Der verlinkte Artikel berichtet über Protestveranstaltungen von Eltern, die sich über Entwicklungen im Bereich der Sexualpädagogik empören.
Eine Schwachstelle, aber nicht die einzige der modernen Gesellschaft, ist die kindliche Sexualität. Kaum jemand, der sich daran erinnert, ein Kind gewesen zu sein, kann bestreiten, dass es eine kindliche Sexualität gibt, aber jeder – besser gesagt: fast jeder – wird bestreiten müssen, dass es eine pädagogische Zuständigkeit für kindliche Sexualität gibt. Das heißt mit anderen Worten: die moderne Gesellschaft kennt keine Sexualpädagogik. Was jedoch unter diesem Namen firmiert, hat nichts mit Sex zu tun, sondern hat etwas zu tun mit dem Reden über Sex. Und das ist gewiss nicht das selbe.
Musikpädagogik ist musizieren mit Kindern und nicht das Reden über Musik, Sportpädagogik ist Bewegung mit Kindern und nicht das Reden über Bewegung, Medienpädagogik ist die Beschäftigung mit Medien und nicht das Reden darüber, Spracherziehung ist das Sprechen mit Kindern und nicht das Reden darüber und so weiter. Nur Sexualpädagogik ist eine Pädagogik, die die Unfähigkeit der Gesellschaft, eine pädagogische Zuständigkeit für Sex mit Kindern zu finden, ersetzt durch das Reden über Sex mit Kindern. Wie sollte es auch anders gehen? Wer wäre zuständig für Sex mit Kindern?
Der Grund dafür ist, dass eine entsprechende Pädagogik auf keine gesellschaftlichen Voraussetzungen trifft, was allerdings in jeder andernen pädagogigschen Hinsicht der Fall ist. Nehmen wir Musikpädagogik. Die Voraussetzungen dafür, dass Musikpädagogik (musizieren mit Kindern) überhaupt gelingen kann, liegen darin, dass überall und jederzeit in der Gesellschaft Differenzen darüber zirkulieren, dass Muszieren und wie Musizieren mit Kindern möglich ist. Es gibt Schulen, Musik- und Gesangsvereine, Musikverantstaltungen, Musikliteratur, Musik in Massenmedien, Musik in Familien, Nachbarschaften, Verlage, die Musikunterricht vermitteln, Musikwissenschaft und Forschung und, und, und … All diese Voraussetzungen lassen es normal erscheinen, mit Kindern zu musizieren. All diese Voraussetzungen ermöglich Musikpädagogik. Das gilt für Sport, für Verkehr, für Sprache, für Geographie und was immer in gleicher Weise. Aus diesem Grund ist das alles sehr normal: weil die Gesellschaft diese Normalität voraussetzungsreich erzeugt. Nur für kindliche Sexualität gibt es diese Voraussetzungen nicht. Entsprechend gibt es keine Zuständigkeit, weil jeder, der sich unter der Voraussetzung des sonstigen Voraussetzungsmangels zum Sexualpädagogen ernennt, nur als selbsternannter Sexualpädagoge erscheint und darum problematisch ist, also als „nicht normal“. Diese Leute fallen entsprechend als pädophil auf und werden entweder pathologisiert oder kriminalisiert – übrigens zurecht, weil nämlich die vielen Voraussetzungen für eine gelingende Pädagogik von keinem Pädagogen, auch nicht von einem, der Kinder liebt, hergestellt werden können.
Aus diesem Grund habe ich, was den oben verlinkten Artikel angeht, eine Meinung: es geht in diesem Artikel um angebliche Sexualpädagogik. Tatsächlich geht es nur darum, eine Sexualpädgogoik zu verhindern, zu blockieren, zu vermeiden, also dafür zu sorgen, dass der notwendige Voraussetzungsreichtum für das Gelingen einer Sexualpädagogik immer noch nicht erarbeitet werden kann.
Was wäre, ernsthaft überlegt, wenn schließlich die Kindern selber anfangen, diese Voraussetzungsreichtum zu erarbeiten? Sie müssten dafür ein geeignetes Kommunikationsmedium haben. Haben sie es schon?