Abwesenheit und Immersion
von Kusanowsky
zurück / Fortsetzung: Jeder hat schon mal beim Surfen solche oder ähnliche Formulierungen gelesen oder selbst schon einmal geäußert: „Menschen sind im Internet / halten sich im Internet auf / bewegen sich durch das Internet / leben, wohnen im Internet“ und dergleichen mehr. Wenn ich auch zugeben muss, über so etwas zu lachen, so reicht es nicht aus, anderen nur mangelnde Aufmerksamkeit, mangelnde Beobachtungsfähigkeit oder irgendein schrilles und schräges Realitätsverständnis zu unterstellen. Denn man wird sehr wohl von der Annahme ausgehen können, dass Kommentatoren sehr wohl wissen, dass man nicht „im Internet sein“ kann und trotzdem werden solche Formulierungen gewählt und hinterlassen. Wie ist das möglich? Wie kommt das zustande? Und warum ist es so schwer, die Verwicklungen, die aus solcher Art der Irrtumskommunikation entstehen, zu analysieren und zu erklären?
Aber damit nicht genug. Auch ist es sehr schwer zu erklären, dass Internetkommunikation im Ganzen betrachtet ständig die Informationssituation verschlechtert statt verbessert. Internetnutzer sind schlecht, unzureichend, sehr unvollständig informiert und nicht gut und zuverlässig. Warum ist es so schwer, dass akzetabel zu machen? Die Antwort lautet gewiss: das liegt an dieser Art der Kommunikation selbst. Denn wo Irrtum und Chaos wahrscheinlicher ist als alles andere, findet Aufklärung nicht so leicht Akzeptanz.
Ein Grund dafür ist, dass in der Regel alle Beteiligten für einander gleichzeitig abwesend sind und trotzdem kann sich Interaktion ergeben. Interaktion zwischen Abwesenden wäre etwas, das keine vergleichbare Qualität des Erlebens und Erfahrens kennt. Das Telefongespräch ist deshalb kein Vorbild, weil die soziale Bündelung von Wahrnehmungsgehalten zwar zwischen Abwesenden gelingt, aber keine Gleichzeitigkeit anderer Wahrnehmungsgehalte für andere ermöglicht. In der Regel sind nur zwei Beteiligte für einander hörbar, während all das, was man sonst noch wahrnehmen kann, sofern es für ein ablaufendes Gespräch nicht von Bedeutung ist, auch nicht kommunizierbar ist, was einfach daran liegt, dass sonst kein anderer beteiligt ist oder sich jederzeit beteiligen könnte. Das gilt für Chats schon nicht mehr und schon gar nicht für Google-Hangout. Aber schon beim Tweetwechsel zeigt sich, dass Interaktion zwischen Abweseden eine ganze andere Qualität des Erlebens erzeugt.
Es handelt sich dabei um eine paranoische Beobachtungssituation, die unter dem Begriff der „Immersion“ bekannt ist. Immersion bezeichnet die wahrnehmbare und erlebbare Erfahrung, dass für das Bewusstsein ein weiterer Wahrnehmungsunterschied entsteht, der für die Kommunikation die Zuordnung von Information und Mitteilung beinahe blockiert. So etwas erzeugt parasoziale Beobachtungsverhältnisse. Das sei kurz erklärt:
Mit Immersion wird die Erfahrung bezeichnet, dass man zwischen dem eigenen Ort des Aufenthaltes und einem anderen, abwesenden Ort unterscheidet, an dem man sich zwar nicht aufhält, aber als jemand wahrgenommen wird, und sei es durch Selbstwahrnehmung, der sich dort aufhalten könnte. Eine andere Formulierung dafür ist: sich woanders anwesend zu wähnen. Damit entsteht deshalb ein weiterer Unterschied für das Bewusstsein, weil die Information über den tatsächlichen, besser gesagt: einen gleichzeitig anderen Aufenthaltsortes nicht verschwindet, sondern immer mitberücksichtigt wird, auch, dann wenn dies nicht expliziert wird. Das heißt: die Unterscheidung zwischen einen tatsächlichen und einem virtuellen Aufenthaltsort ist fraglich, weil man im Prinzip gleichzeitig an zwei verschiedenen Ort sein kann und dies allein deshalb, weil eine solche Beobachtung möglich ist. Das ist wichtig: Die Tatsächlichkeit eines Aufenthaltes ist nicht einfach nur da, ist nicht einfach nur gegeben, wenn zwar auch normal, so doch nicht ohne eine Beobachtung dieser Tatsächlichkeit, die gerade deshalb, weil es sich um Beobachtung handelt, ihre Kontingenz und damit ihre „Anders-Möglichkeit“ einschließt. Wer Tatsächlichkeit feststellt, gibt immer auch eine weitere, andere Möglichkeit der Beobachtung frei.
Das Wichtige ist nun, dass solche Erfahrungen über eine abwesende Anwesenheit vor der Internetnutzung zwar bekannt waren, aber in der Regel nur in Differenzen psycho-pathologischer Diagnosen behandelt wurden. Die Erfahrung abwesender Anwesenheit kennt man aus Krankheitsbildern der Schizophrenie oder von Symptomen des Drogengebrauchs. Entsprechend wurden solche Erlebnisse pathologisiert, medikalisiert oder auf irgendeine andere Weise rationalistischer Verfahrensweisen unterzogen. Die Immersionserfahrung der Interaktion zwischen Abwesen lässt so etwas nicht mehr zu, schon deshalb nicht, weil sowas auch gar nicht pathologisch ist. Aber die Gesellschaft kennt keine geeigneten Verfahrensweisen, weil das Erleben dieser Differenz noch weitgehend folgenlos ist oder, wenn doch Folgen entstehen, diese individualisiert werden. Das heißt: Alle Folgen können noch nicht als gesellschaftliche Folgen erkannt werden, weshalb es leichter fällt, wenn unvorhersehbare Folgen entstehen, anderen defizitäre Charaktermerkmale oder mangelnde Verstandesfähigkeit zu unterstellen, weil eben dies eine bekannte und gewohnte rationalistische Verfahrensweise ist, die hinlänglich geübt wurde und erprobt ist.
Tatsächlich ist die Interaktion zwischen Abwesenden und die Erfahrung der Immersion ein wichtiger Faktor um diese Trollerei zu erklären. Und auch dies gehört zu der Einsicht, dass das Medium das Problem ist und nicht die Wertschätzungen, Verstandesfähigkeiten und Charaktermerkmale von abwesenden und unerreichbaren Menschen.
Der Zugang zur Welt und die Auswirkung von Menschen, ist immer vom (Kommunikations-Medium abhängig. Gibt es auch positive Beispiele für diese Darstellung? Wie spielt Selbstorganisation und Emergenz mit rein? Ich kenne methophorische Beispiele, die Ordnung in das Leben von Menschen brachte. Dogmatik ist nicht mehr zeitgemäß. Der Grad der losen Kopplungen mag interpretiert werden als Chaos oder einfach eine höhere Stufe der Organisation. Für eine zwei dimensionale Sichtweise bleibt die dritte Dimension freilich chaotisch. Das Internet und die Medien sind Chance und Risiko zugleich. Wer versucht zu behaupten was ist, unterliegt den Einschränkungen paradoxer Denkweisen. Ist das anschlussfähig?
Hat dies auf ReBlog! Hier findet sich alles was mir gefällt. Über "Kategorie" wirds dann übersichtlich 🙂 rebloggt.
Ergänzung: Internetkommunikation gibt es in unterschiedlichen Varianten: Email, Video Konferenz, Chat, Blog etc. Physikalisch mag der Mensch abwesend sein. Und ein Face-to-Face Meeting im Business Kontext, wird wohl auch in naher Zukunft notwendig und ein Outsourcing Team nur über Emails und Online-Sessions schwer zu steuern sein. Auch dürfte unbestritten sein, dass zwischen Menschen bei der Kommunikation über das Internet vieles verloren geht – in einer Email ist wahrlich nur schwer der Ton einer Nachricht erkennbar. Die Gestik, Mimik und Körperhaltung ist selbst bei einer Video Konferenz nur schwer zu erkennen. Doch ist eine gelungene Kommunikation über das Internet durchaus wahrscheinlich. Und in Zukunft immer wahrscheinlicher! Es brauch Erfahrung mit den neuen Medien und ein Verständnis was bei der Kommunikation evtl. verloren gehen kann. Ein Risiko das Irrtümer und Missverständnisse bei der Kommunikation über das Internet entstehen kann ist genau so denkbar, wie in der täglichen Kommunikation bei Menschen in Situmgen an einem gemeinsamen Ort. Die Wahrscheinlichkeit das Mann und Frau sich nicht verstehen, mag sogar ungleich höher liegen. Der Möglichkeitsraum Informationen im Internet zu wählen ist sehr hoch. Das muss gelernt sein und wahrscheinlich üben sich noch die Meisten daran. Hier möchte ich unterstreichen, dass Informationen ein Verfallsdatum haben und der Lebenszyklus von Informationen, nur sehr selten Berücksichtigung findet. Nun, auch dies ist nichts was dem Internet vorbehalten ist. Wissensmanagement und der Umgang mit vielen Informationen ist die Herausforderung des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Informationszeitalter verstärkt das Internet mit der damit verbundene Menge an Informationen, den Bedarf an Komplexitätsreduktion. Das passiert durch Simplifizierung, ignorieren oder einfachem Vertrauen wie z.B. generalisierte Annahmen das die Nutzung zweckgebunden ist und das Medium genutzt wird um sich zu verständigen. Was also an der Perpektive der Wahrscheinlichkeit von Irrtum in der Kommunikation über das Internet ist besonders? Und wofür dient die Konstruktion einer Wahrscheinlichkeit von Chaos im Internet? Viel lässt erschliesst sich mir hoerbei nicht. Vermutlich weil ich das Problem mit dem Problem nicht lösen kann – nutze ich ja hier die Internetkommunikation. Beobachtet man das Zusammenleben moderner Organisationen, wird man feststellen, können dass die Wenigsten gut informiert sind und Kommunikation gut funktioniert. Vielleicht sind ja Irrtümer und Chaos im täglichen Leben normal. Wer das nicht erkennen kann, hat eine gut funktionierende Kognition oder ist Fischer an der Nordsee. Es mag vielleicht verrückt klingen, doch ist die Kommunikation üner das Internet eine Revolution und die Chance Menschen aus aller Welt zusammen zu bringen. Distanz wird überwunden und die Möglichkeit sich zu verständigen erhöht. Zum Beispiel bin ich im Kontakt mit einem Kommilitone aus Shanghai, der mit mir in Kaiserslautern studiert. Das geht, ganz ohne Irrtum und Chaos. Kurz noch etwas zum Thema Immersion: Nun, beim Telefonieren aber auch über das Internet, kann über die Stimme (Skype), einem Video (Facetime) und sogar über das geschriebene Wort Emotionen transportiert und für Menschen an unterschiedlichen Orten erlebbar werden. Das würde ich nun nicht mit Verrücktheit in Verbindung bringen, sondern mit dem Vertrauen auf das was wahrgenommen wird. Der Mensch als geschlossenes System ist zwar offen, jedoch kann er die Welt nur über Sinnlichkeiten wahrnehmen und durch Erfahrung verstehen. Soziale Systeme mit Menschen sind egal wie darin kommuniziert wird, Emergent und potenziell lernfähig. Vielleicht am Rande eines Chaos, dies muss es auch sein, sonst bildet sich vermutlich keine neue Ordnung durch Selbstorganisation, doch in der Lage sich an die Umwelt anzupassen. Verstehbar?
Die „Gleichzeitigkeit aller Wahrnehmungsgehalte für andere“ ist nur eine potentielle. Auch wenn es mehr Aufwand ist, eine andere Nummer zu wählen als den nächsten Link zu klicken, bleibt das im Prinzip dasselbe. Damit wäre natürlich auch ein Telefonbuch ein Paranoiawerkzeug. Insofern würden die Gründe für Paranoiaeskes weniger dem Medium und mehr dem Umgang mit dem Medium zugeschrieben werden. Oder man findet unterschiedliche Grade der Potentialität, die die Unterschiede der Auswirkungen bei den versch. Medien erklären.