Vortrag: Digitale Gewalt – ist Vertrauen in Kommunikation zwischen Unbekannten möglich? #trollcon14
von Kusanowsky
Bei der Trollcon 2014 in Mannheim am 29.11.2014 werde ich einen Vortrag über diesen seltsamen Begriff der „digitalen Gewalt“ halten. Hier die Vorschau:
Trolling ist ein Phänomen der Kommunikation durch Nutzung digitaler Datennetze. Digitale Datennetze ermöglichen es, dass Unbekannte mit Unbekannten sehr einfach in Kontakt kommen können, ohne dass Gründe für das Entstehen von Kommunikation bekannt sein müssen. Dies hat zur Folge, dass sich Informationen sehr schnell verbreiten können.
Das Phänomen der sogenannten „digitalen Gewalt“ macht darauf aufmerksam, dass strafbare Handlungen wie die Verbreitung von bestimmten Bildern, das Abgreifen von Passwörtern oder Schwarmattacken zur Stilllegung von Webseiten ein Misstrauen in die Kommunikation zwischen Unbekannten fördern. Interessanterweise führt ein berechtigtes Misstrauen nicht dazu, dass Kommunikation durch Nutzung digitaler Datennetze unterbleibt. Vielmehr kann man feststellen, dass trotz eines Misstrauens die Kommunikation zustande kommt.
Entgegen der häufig zu findenden Auffassung, dass dies an einem mangelnden kritischen Bewusstsein von Menschen liegt, möchte ich in einem Vortrag versuchen zu erklären, dass das Phänomen digitaler Gewalt gerade andersherum dazu geeignet ist, ein Vertrauen in die Kommunikation zwischen Unbekannten zu stärken. Dies betrifft vor allen Dingen auch eine andere Auffassung dessen, was gemeinhin unter Internettrolling verstanden wird.
Die zurückliegenden Vorträge der beiden letzten Jahre findet man hier und hier.
Taxifahrer kennen solche Situationen: ein Fahrgast steigt ins Taxi und während einer 20 Minuten dauernden Fahrt erzählt der Fahrgast dem Taxifahrer die persönlichsten und intimsten Dinge, die er seiner eigenen Auskunft nach seinen besten Freunden niemals erzählen würde. Nach Ende der Fahrt weiß der Taxifahrer Dinge über diesen Fahrgast, die sonst kaum einer wissen dürfte. Danach verschwindet der Fahrgast auf Nimmerwiedersehen.
Wie entsteht hier eine Struktur, die Vertrauen gerade dadurch herstellt, dass Anonymität garantiert bleibt? Das entsteht dadurch, dass der Fahrgast während seiner Erzählung immer die Bereitschaft haben muss, die Diensteistung zu bezahlen und der Taxifahrer kann das glauben. Denn erst durch die garantierte Bezahlung sorgt der Fahrgast dafür, dass er, weil er dem Taxifahrer nichts schudlig bleibt, für den Taxifahrer keine Adresse hinterlässt. Denn würde der Fahrgast nicht bezahlen, muss er damit rechnen, dass eine Personenfeststellung vorgenommen wird, die umso besser vorgenommen werden könnte, da der Taxifahrer etwas über ihn weiß und damit auch eine Art „Erpressungsmöglichkeit“ hat. Denn der Taxifahrer weiß etwas über den Fahrgast, von dem er weiß, dass der Fahrgast nicht will, dass es andere wissen.
Die Struktur garantiert Anonymität, gerade weil sich die Beteigten gegenseitig nichts schuldig bleiben und weil sie durch die „Abwicklung der Beziehung“ (Dienstleistung gegen Geld) alle Gründe für die Fortsetzung der Kommunikation abschaffen.
Das führt dazu, dass der Taxifahrer zwar die Erlebnisse dieses Fahrgastes weiter erzählen kann, da er aber keine Adresse hat und keine Notwendigkeit, eine Adresse zu ermitteln, verbleibt die Erzählung, wenn sie auch wahr sein mag, in der Struktur der Anonymität gesichert.
Es handelt sich dabei um eine gesellschaftliche Marginalerfahrung bestimmter Berufsgruppen: Taxifahrer, Frisöre, Kneipenwirte und dergleichen. Was gegenwärtig nur schwer vorstellbar ist, ist der Gedanke, dass sich solche Erfahrungen entmarginalisieren, also normal werden könnten.
Es gibt gegenwärtig kaum eine Möglichkeit begründen zu können, wie ein Vertrauen in eine Struktur der Anonymität zustande kommen könnte, die diese Anonymität garantiert und nicht etwa beendet. Denn Vertrauen heißt hier, sich auf Verbindlichkeiten einzulassen, die aufgrund der Anonymität nicht sanktionierbar sind.
Entscheidend ist der Hinweis, dass die gegenseitge Abschaffung von Gründen der Fortsetzung von Kommunikation die Anonymität garantiert.
„Ist Vertrauen in Kommunikation zwischen Unbekannten möglich?“
Eine rhetorische Frage, ich hab´s durchschaut. Die Antwort steht im Vorhinein fest und lautet: jein.
Hallo André, wie geht es dir? Was macht die Langweile?
Das hier löst bei mir Nachfragen aus: „Wie entsteht hier eine Struktur, die Vertrauen gerade dadurch herstellt, dass Anonymität garantiert bleibt? Das entsteht dadurch, dass der Fahrgast während seiner Erzählung immer die Bereitschaft haben muss, die Diensteistung zu bezahlen und der Taxifahrer kann das glauben.“
Wieso denn das? Die Vorgänge haben nichts miteinander zu tun, zumal die Zechprellerei eher selten ist. Vertrauensseligkeit und Vertrauen sind ohnehin zwei verschiedene paar Schuhe. Wohl wahr: Anonymität ermöglicht Vertrauensseligkeit, weil der andere mich nicht kennt und er auch kein besonderes Interesse hat, sich mit meiner Bekanntschaft weiter zu belasten. Dem Taxifahrer kann ich zudem viel erzählen und ob der Taxifahrer jeden Müll glaubt, steht auch auf einem anderen Blatt. Am meisten Vertrauen hat man da eigentlich darin, dass er kaum zuhört und nachher sowieso alles wieder vergisst.
Wie unwesentlich die Verfolgungsdrohung wegen Prellerei ist, erkennt man schon beim Vergleich mit der Fahrt im Zug. Dort treffen ja auch Unbekannte mit dem gleichen Status („Reisende“) aufeinander und kommen je nach Leutseligkeit und Vertrauensseligkeit ins Reden, ganz ohne irgendeine „Garantie“. Die Anonymität selbst ist der Schutz und sie zu wahren liegt grundsätzlich bei den Teilnehmern selbst. Jeder kann aussprechen oder verschweigen, was er will, ganz entsprechend der Grenzen seiner Vertrauensseligkeit. So weit, so klar.
Vertrauen ist aber nur etwas ganz anderes als Vertrauensseligkeit/Freimütigkeit und konstituiert sich auch etwas anders. Es hat mit Anonymität nichts zu tun, das heißt es kann in anonymen Situationen genauso entstehen wie in nicht anonymen Situationen. Vertrauen baut sich im und durch den Dialog selbst auf, hat sehr viel mit Wahrnehmung von Details außerhalb der offenkundigen Kommunikation zu tun. Weder für Misstrauen noch für Vertrauen gibt es „Schutz-Garantien“ (es sei denn die der Gesetze), beides kann bekanntlich enttäuscht werden und es geschieht ja auch nicht selten, dass „zwei so Vertraute wieder einander ganz fremd werden“. Beim Verständnis für den Prozess der Vertrauensbildung kommt man um Psychologie nicht umhin.
Interessant scheint mir allerdings eine Notwendigkeit, die im Netz nur unzureichend bzw. gar nicht wahrgenommen werden kann: Vertrauen benötigt Konsistenz, das heißt Glauben daran, dass die andere Person sich so zeigt, wie seine „!ahren“ Persönlichkeitsmerkmale sind. Jemandem, der mal so und mal so spricht, ständig wie ein anderer wirkt, sich mir gegenüber mal nett und mal böse verhält, das eine sagt und dann etwas anderes tut, solche inkonsistenten Personen/Institutionen erwecken Misstrauen. Vertrauen ist das Resultat von erfahrenem Verhalten, ist Vetrauen in die Konsistenz (so wie man z.B. auch Gesetzen insofern „vertraut“, als sie konsistent angewendet werden). Deshalb bedarf der Aufbau von Vertrauen im Gegensatz zu Vertrauensseligkeit immer eine gewisse Zeit, optimistische Menschen vertrauen schneller, pessimistische Menschen sehr langsam oder nie.
Eine andere Bedingung für die Vertrauensbildung ist Ähnlichkeit. Gleiche Sprache ist besser als fremde Sprache, gleiches Alter hilft, gleiches Geschlecht, gleiche soziale Schicht, gleicher Geburtsort, gleiche Schule, gleiche Vorlieben, gleicher Kleidungsstil etc etc etc. Je mehr Ähnlichkeiten Unbekannte bei sich entdecken, desto eher werden sie Vertrauen zueinander entwickeln und besonders schnell werden sie auch vertrauensselig miteinander umgehen. Das ist übrigens auch der Grund, warum Verkäufer den Zielgruppen eines Ladens ähneln sollten.
@Kusanowsky
„… dass das Phänomen digitaler Gewalt gerade andersherum dazu geeignet ist, ein Vertrauen in die Kommunikation zwischen Unbekannten zu stärken. Dies betrifft vor allen Dingen auch eine andere Auffassung dessen, was gemeinhin unter Internettrolling verstanden wird.“
Ja, ja schon. Nur bist du dir sicher, daß du hier den Begriff „digitale Gewalt“ für das von dir ausgeführte Geschehen sinnvoll ausgewählt hast?
Was du beshreibst, hat weder mit Gewalt noch mit Digitalität zu tun, ist eher eine Grundfrage der Kommunikation zwischen Menschen, und es erschließt sich mir nicht so ohne weiteres, wieso sich das ändern sollte, wenn ein Postweg, eine Telefonleitung oder ein digitale Nretzwerkstruktur dazwischen geschaltet wird – es bleibt doch Kommunikation zwischen Menschen – oder sehe ich das unsinnig?
Ich vermisse in deinen mir sehr sympatischen Ausführungen schlicht die Gewalt, bitte schön: die digitale Gewalt.
Eventuell sollte ich das so sehen, daß diese erst auf hiesige Ausführungen aufsetzende weitere Erläuterung noch kommt?
Klicke, um auf digitale-gewalt.pdf zuzugreifen
Hier ist das Redemanuskript des Vortrags. Die Aufzeichnung wird bald online gestellt. Ich gebe Bescheid, wenn es soweit ist.