Differentia

Monat: Februar, 2014

Logik, Kritik und Paranoik – ein Beispiel @neurosophie @latent_de

Nehmen wir mal diese Mitteilung als ein Beispiel dafür, wie man Internetkommunikation intelligent nutzen könnte.
Zunächst sind wir es auf der Ebene der Analyse einer symbolischen Ordnung gewohnt, die Mitteilung dieses Tweets für irre zu halten. Und zwar deshalb, weil innerhalb einer zweiwertigen Logik ein Entsprechungsverhältnis behauptet wird, dass sich nicht mit einer Entweder-Oder-Alternative analysieren und darin auflösen lässt. Denn wollte man es versuchen, landet man bei Quatsch.

Begründung: „Ich verfüge über zwei Gehirnhälften“ – also 2 mal 1  : 2, auf diese verteilen sich „eine für Denken und Twitter, eine für Fußball und youtube und eine für Frikadelle mit Bier“, also 3 x 2 Möglichkeiten. Ersetzen wir das durch Variablen, um es zu abstrahieren: A und B sind zwei Gehirnhälften. Auf diese beiden Möglichkeiten verteilen sich diese drei: a + b („Denken und Twitter“) und c + d („Fußball und youtube“) und e/ f („Frikadelle mit Bier“), dann ergibt sich, dass man drei Hälften bräuchte, wenn man eindeutige Zuordnungen vornehmen würde. Entsprechend wäre keine eindeutige Aufteilung möglich, weil ja nur A und B als gegeben behauptet werden.
Da man auf der symbolischen Ebene nun keine Konsistenz von Sinnselektionen findet, lacht man darüber, wodurch es auf diese Weise normalisert wird. Man sucht nach eindeutiger Konsistenz, findet aber keine. Ein anderer Fall wäre, wenn diese Inkonsistenz mit einer Wahrheitsreferenz versehen wäre dann. Dann würde der Irrsinn durch Kritik normalisiert.

Ob nun Kritik oder Gelächter, in beiden Fällen unterliegt einer Reaktion die Unterstellung, ein Beobachter habe sich vollständig mitgeteilt, gestützt durch eine, mit keinem empirischen Sachverhalt zu beständigenden Annahme, dass er dies könnte. Erst so entsteht dieser Irrsinn, indem etwas kontra-Empirisches als beobachtbarer Normalfall behandelt wird.
Der empirische Normalfall ist aber die Unvollständigkeit jeder Selektion, auch die dieses Tweets. Unterstellt man also Unvollständigkeit der Mitteilung, dann ergibt sich für eine Zuordnung von drei Operationen auf zwei Möglichkeiten keinerlei Verstehenschwierigkeiten, weil man im Anschluss einfach ergänzt: A wird für a + b in Anspruch genommen, B braucht er für c +d und für e/f braucht er A + B, weil ja auch innerhalb des Gehirns eine Vermengung von Möglichkeiten der Zuordnung von Einheiten vorgenommen werden kann, heißt: A, B und A+B sind drei Einheiten und damit drei Möglichkeiten, zwei Gehirnhäften zu nutzen, A+B wäre entsprechend eine dritte Hälfte von zwei Hälften.

Ganz einfach. Natürlich hat dieser Ordnungsversuch keine Notwendigkeit und ist genauso paranoisch wie der Mitteilungsvorschlag. Aber das ist kein Problem, weil Unvollständigkeit auch in diesem Fall unterstellbar ist, weshalb nichts dagegen spricht, einen anderen, erweiterten, variierten Ordnungsvorschlag zu posten. Kritik und Gelächter sind nur ein typisches Vermeidungsverhalten, um sich mit den Schwierigkeiten der Internetkommunikation nicht zu befassen. Sie macht es nämlich möglich, dass der Irr- und Widersinn für die Ordnungsfindung gar kein Hindernis ist.

Der größere Hindernis ist die nicht weiter reflektierte Akzeptanz einer symbolische Ordnung infolge eines Wissenskonzepts der Gesellschaft, das sich durch eine zweiwertige Logik differenziert und nun keine Ausschließlichkeit mehr hat, aka Normalität des Lebens. Es muss nun aber gar nicht die symbolische Ordnung verteidigt werden. Dafür besteht keine Notwendigkeit.

Eine symbolische Ordnung durcheinander zu bringen wäre darum nicht das dümmste Geschäft von Internettrollen. Viel dümmer ist es, sich solcher Unordnungsfindung mit Kritik zu widersetzen.

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Der Normativ ist der Ab-Fall der Gesellschaft

Der Aufreger um den Fall Matussek könnte kaum langweiliger sein, weil die Debatte sich um den schwächsten Punkt dreht, den sie möglich macht: Normative Festlegungen über Sexualität. Beiderseits der Konfliktlinie werden normative Ansprüche zum Zweck des Angriffs erhoben und zum Zweck der Verteidigung zurecht gebogen. Es geht – nicht nur bei Matussek, der oben verlinkte TAZ-Artikel zeigt das überdeutlich – auf der Ebene der Argumentation um die Frage nach der Natürlichkeit von Sexualität, die beiderseits der Front mit der Feststellung beantwortet wird, dass mindestens Sexualität etwas sehr Natürliches sei. Aber mit dieser Antwort kommt niemand sehr weit, weil damit kein Aufreger verknüpft werden kann.

Wenn man nun vorschnell meinen wollte, der Aufreger ergebe sich aus der Feststellung, dass Homosexulaität nichts Natürliches sei, dann könnte man das genauso gut beiseite lassen, weil der Normalfall körperlicher Angelegenheiten nur sehr wenig Natürliches an sich hat: ständiges Sitzen, wenig Bewegung, übermäßige Nahrungsaufnahme, Medikamentierung von gesunden Menschen, permanentes Glotzen auf Bildschirme um nur Weniges zu nennen, das alltäglich verrichtet wird und über dessen Unnatürlichkeit sich niemand erregt. Und dass ein Erregungsvorschlag zum Thema unnatürlicher Sexualität selbstverständlicherweise bessere Aussichten auf kommunikativen Erfolg hätte, kann man angesichts der Vielzahl höchst unterschiedlicher erfolgreicher Errregungsthemen (Steuerhinterziehung, Doping u.a.) kaum behaupten. Es ergibt sich: in der Sache ist kein Lernfortschritt zu erwarten, zumal man leicht feststellen kann, dass alles, was dazu gesagt wird, seit 150 Jahren schon gesagt wird, wenn auch noch nicht von allen.

Also, was soll’s?

Achtet man stattdessen darauf, von welcher Funktion diese Art der Argumentation (gemeint sind die Argumente beiderseits der Differenz) ist, stellt man etwas ganz anderes fest. Um eine Machtfrage geht es nicht, weil nicht erkennbar ist, welche Argumente innerhalb der beobachtbaren Machtverhältnisse einen Vorzug erhalten. Auch geht es nicht um eine „Deutungshoheit“ im Meinungskampf, weil es kaum eine Undeutlichkeit gibt. Jede Meinung ist sehr deutlich erkennbar, Grauzonen des Gemeinten sind schon aufgrund des virulenten Verdächtigungsgeschehens gar nicht erkennbar. Nirgendwo geht es um ein „Vielleicht“, und schon gar nicht geht es um Stimmungsmache zur Beförderung von Entscheidungen, weil ja (auf der Basis der gewählten Differenz) angeblich Natürlichkeit vorliegt, weshalb Entscheidungen ohnehin keine Rolle spielen können. Und dass Homosexuelle diesen Aufreger nutzen könnten, um ihre gesellschaftliche Marginalitätserfahrung zum x-ten Male zu verbreiten, reicht nicht aus, um diesen „fall out“ von Irrsinn zu erklären. Denn: was sich als marginal behauptet fällt selten als normal auf. Marginalität ist Randerscheinung, ist Ausnahme, nicht Regel.

Interessanterweise kann man mit der Einsicht, dass Homsexualität keineswegs normal sein kann, weil Sexualität allgemein keine Normalitäten, sondern nur Differenzen zulässt, nirgendwo eine Stich machen, weil dann der Aufreger wegfällt, dessentwegen die Debatte abläuft. So kommt man zu der Einsicht, dass das alles nur wenig mit Sexualität zu tun hat.
Es geht um was anderes.
Es geht nicht um Wissensvermehrung hinsichtlich einer Differenz, es geht nicht um Macht, es geht nicht um Recht oder um Wahrheit, und auch geht es nicht einfach darum, irgendwelche Vorurteile zu kultivieren, weil die genauso alt sind wie die Versuche, sie durch Aufklärung aus der Welt zu schaffen.

Es geht vielmehr darum, die Barrierelosigkeit der Argumentation einzuüben, damit die Gesellschaft lernen kann, ihren Normativ (also: den Ab-Fall der Gesellschaft) in Erfahrung zu bringen um ihn in der Folge besser vergessen zu können.

Die Integrationsfähigkeit sozialer Strukturen, wie sie durch die Industriegesellschaft erschaffen wurden, kann normativ nicht mehr durchgesetzt werden. Denn die Beobachtung von Sexualität, wie sie gegenwärtig betrieben wird, unterliegt den Strukturen einer Industriegesellschaft: Zuverlässigkeit hinsichtlich einer Produktivität, einer Leistungsfähigkeit und Leistungssteigerung, Zeugungsfähigkeit, Integrativität in Rechtsnormen und Lebensführung, soziale Kontrolle durch Organisationen, einer Akzeptanz sozialer Inkommunkabilitäten, die als Selbstverständlichkeiten auftreten – all das funktioniert nicht mehr auf bekannte Weise. Da aber eine Alternative nicht einfach gewählt werden kann (denn woher sollte sie kommen?), muss zunächst auf symbolischer Ebene der Argumentation der soziale Ab-Fall erarbeitet und ermöglicht werden. Das geht am besten, indem innerhalb der bekannten symbolischen Ordnung eine vollständige „all-out“-Kritik ( inkl. Gegenkritik) zugelassen wird, damit in der Folge neue Ordnungsmuster attraktiv werden, die etwas besseres zulassen als ermüdende und besinnungslose Diskussionen.

Aber solange noch Ressourcen ausgenutzt und Kapazitäten belastet werden können, die auf diese Art der Diskussion regenerativ wirken können, solange geht der Zirkus weiter. Aber wenigstens zeigt schon der Artikel von Matussek bei The Euorpean, dass die Diskussion sich entgrenzt, dass sie sich dumm läuft.

Noch bevor etwas Besseres als diese Debatte gefunden werden kann, muss ihre Dämlichkeit zu einer echten Hirnbelastung werden. Anders geht es nicht.

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