Datenunsicherheit entsteht nicht erst dadurch, dass im Datenverkehr, bzw. beim Datentransfer irgendwer irgendwelche Regeln verletzt. Das ist ähnlich wie im Straßenverkehr. Die Unsicherheit entsteht schon, sobald man am Straßenverkehr teilnimmt, nicht erst, wenn man Verkehrsregeln ignoriert. Bereits die Teilnahme am Straßenverkehr stellt hinreichende Bedingungen her, die dafür sorgen, dass Unsicherheit entsteht. Wobei sich die Unsicherheit im Straßenverkehr vornehmlich durch die physikalischen Einwirkungen auf den leicht verletzbaren Körper ergibt, insbesondere dann, wenn die Wucht von Zusammenstößen durch den Körper nicht mehr aufgefangen werden kann.
Beim Datenverkehr kommt die Unsicherheit dadurch zustande, dass die Weiterverwendung von Daten oder Datensätzen nicht exklusiv funktioniert, gar nicht exklusiv gewährleistet ist und nicht gewährleistet werden kann. Solange das operative Substrat eines Datenverkehrs aber im Warentausch bestanden hatte, kann die Verfügung über bestimmte Objekte Exklusivität, bzw. die Information über Exklusivität, hinreichend sicher stellen. Damit wird zwar nicht die Exklusivität von Information generell sichergestellt, aber darauf kommt es unter dieser Bedingung auch gar nicht an. Es kommt unter Bedingungen eines Warenverkehrs nur darauf an, Haftbarmachung und Sanktionsrechte zu garantieren, wodurch sich normative Verfahrensregelungen ergeben.
Wer Waren unrechtmäßig produziert, bewegt oder darüber verfügt, kann nicht dauerhaft anonym bleiben, sondern macht sich ab einer bestimmten Schwelle der Wahrscheinlichkeit für andere auf einem Markt erreichbar und kann sich nicht der Haftbarmachung und Sanktion entziehen. Exkludierend wirkt nicht die Verbreitung von Information, sondern die Verfügung über das Warensubstrat der Information, das selbst nur eine Information ist. Und mit dieser spezifischen Exklusionsleistung wird zugleich ein theoretisches Verständnis, ein soziales Wissen exkludiert, das plausibel machen könnte, dass Unsicherheiten nicht durch Handlung, bzw. Handlungsintention entsteht. So kommt eine Weltsicht zustande, die besagt, dass Waren Informationen enthalten oder speichern, dass mit einem Warentransfer Informationen transferiert würden. Tatsächlich werden auf diese Weise nur bestimmte Informationen kommuniziert und zwar nur solche, die die Plausibilität der Auffassung garantieren, dass Informationen transferiert oder transportiert würden. So kommt schließlich auch die Auffassung zustande, man könne mit Waren zugleich Wissen weiter geben, man könne Wissen haben, senden, empfangen, speichern, abrufen, löschen – all dies verplausiblisiert sich allein durch Strukturen der Verfügung über Waren und durch ihre rechtlich flankierte Exkludierungsfunktion zuzüglich aller sich daran anhängenden Verkomplizierungen, Ausnahmen und dergleichen. Tatsächlich erhärtet sich auf diese Weise nur ein Ausnahemfall zur strukturbildenden Regel. Weil und solange Warentausch als Regelbildungskonvention gelingt, gelingt es auch, einen Ausnahmefall zur Regel zu erheben.
Solange die Verwendung eines Warensubstrates diese Exklusionsleistung und damit zugleich Vermeidungsstrukturen anders gearteter Empirie garantiert (und sich diese Garantie funktional ausdifferenziert entwickelte) verhärtete sich eine bestimmte, nur auf diese Struktur angepasste soziale Organisation von Fremdreferenz, die ich als Dokumentform bezeichne, welche zugleich ein Schema für die Behandlung von Empirie liefert, das dafür sorgt, dass alle abweichende Erfahrung schwer oder gar nicht kommuniziert werden kann.
Was wäre nun aber, wenn das Warensubstrat für die Kommunikation von Information nicht mehr die Regel ist, sondern die Ausnahme? Was wäre, wenn nun offenbar, wenn aufgedeckt wird, was durch die funktional garantierte Vermeidungsstruktur des Warenverkehrs immer exkludiert wurde: Dass Information generell nicht exklusiv behandelt, nicht exklusiv kommuniziert werden kann? Dass Information jede Exklusivität unterläuft, weil Information nicht übergeben, abgerufen, gesendet, empfangen, gespeichert oder vernichtet werden kann. Information kann nicht exklusiv kommuniziert werden. In dem Augenblick, wo Kommunikation von Information nicht mehr notwendig ein Warensubstrat zur Regel hat, zeigt sich die entropiesteigernde Wirkung. Jetzt wird erkennbar, dass man über Information gar nicht verfügen kann. Jetzt wird erkennbar, was ehedem schon immer die Kommunikation angetrieben, was aber nicht in gleichem Maße theoretisch gefasst werden konnte, dass nämlich Verwirrung nicht der zu vermeidende Fall, sondern der unvermeidliche Normalfall ist. Solange das Regelschema sich aus der Behandlung der Dokumentform ergab, ergaben sich immer Differenzen der Rechtfertigungsfähigkeit von Verfügungsmöglichkeiten über diese Dokumente und ihrer Interpretation. Was aber, wenn durch Transaktionskosteneinsparung auf digitaler Operationsbasis keine Dokumente mehr gebraucht werden?
Jetzt dämmert ganz langsam der Normalfall, aber nur ganz langsam kann gelernt werden, auf den Normalfall normal zu reagieren, nämlich indem gelernt wird, dass die Verwirrung für die Kommunikation gar kein Problem, sondern eine Lösung ist. Gleichwohl können damit die funktional garantierten Vermeidungsstrukturen der Gesellschaft nicht mehr mit Ausschließlichkeit garantiert werden.
Aber dass muss ja auch nicht sein, es kann ja auch anders gehen. Da aber niemand so einfach sagen kann wie es geht – woher sollte jemand dies wissen? – bildet die Steigerung von Verwirrung, die Kontrolle der Urteilsbildung durch Verwirrung statt durch Zweifel, die provokative Form ordnender Differenzierung.
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