Selbstreferenz – Eine kleine Apokalyptik des Medienskandals
von Kusanowsky
In einem kleinen, nicht einmal mehr wichtigen, aber dennoch instruktiven Blogbeitrag von leitmedium findet sich eine Kurzuntersuchung über die Tracking-Gewohnheiten bekannter Tageszeitungen, die gern und ausführlich über die obszönen Gewohnheiten der Datensammelwut berichten, aber mit keinem Wort erwähnen, dass sie in dieser Hinsicht auch nicht sehr faul sind. In dem Artikel wird berichtet wie man mit einfachen Methoden heraus finden kann, dass auch auch die Verlage dieser Tageszeitungen sehr gern Daten sammeln und dieses Begehren zugleich, ob schamhaft oder nicht, ihren Leser verschweigen. Sie müssen schon von selbst darauf kommen.
Hat nun ein journalistischer Detektiv so etwas heraus gefunden, dann wird normalerweise der Weg der Skandalisierung beschritten. Die Skandalisierung besteht in diesem Fall im Vorwurf einer Doppelmoral. Man predigt Wasser und trinkt selber Wein. Man kennt das. Und je obszöner diese Doppelmoral ins Auge springt, um so besser läuft der Skandal an, der sich allerdings niemals einstellen würde, könnte der Verkünder solcher Schändlichkeiten damit nicht selbst auch sein Geld verdienen. Denn für was sollte es sich sonst lohnen, wenn nicht für Umsatz? Eben dies ist die Devise, mit der alle Tageszeitungen ihr Geschäft betreiben und welche sie gleichfalls ihren Leser nicht mit übertriebenen Anstrengungen unter die Nase reiben. Auch in diesem Fall gilt: sie müssen von selbst drauf kommen. Und wenn heraus gefunden wird, dass die Dinge sich so verhalten wie sie sind, was schlechterdings niemand leugnen kann, dann ist es auch egal.
Das Geschäft kann trotzdem weiter gehen, was um so besser gelingt, wenn die Vermeidung von Selbstreferenz an jeder Stelle des Systems mit gleicher oder ähnlicher Wertschätzung bedacht wird. Damit stellt jeder Fortsetzungsversuch jedem anderen eine Falle zur Verfügung, in die man hinein tappen kann, weil alles unter der Voraussetzung steht, die Verantwortlichkeit dafür nicht selbst zuzurechnen. Es wird alle Verantworlichkeit allein fremd referenziert.
Das bedeutet, dass gerade der Versuch der Vermeidung von Selbstreferenzialität ideal geeignet ist, Selbstreferenz als Schließoperation des Systems zu verwenden, weil auf diese Weise verschiedene Elemente über den selben blinden Fleck verknüpft werden. Sie teilen gleichsam eine gemeinsame Ignoranz (ignorantia: Nichtwissen) hinsichtlich der Differenzen, mit denen sich sich auf der Basis ihrer referenzierbaren Beiträge befassen. Die selbstreferenzielle Schließung des Systems geschieht durch Fremdreferenzierung; und das System kann darin sogar seine letzte Wahrheit finden, weil ja das, worüber nicht berichtet wurde, an der gleichen Stelle nicht anschlussfähig ist. Wird aber an anderer Stelle die andere Seite der Unterscheidung, nämlich Nichtreferenziertes bezeichnet, dann geht das nur wieder auf der Basis einer eigenen Vermeidung von Selbstreferenz, wodurch sich System autopoietisch reproduziert. In diesem System ist also durch das System kein Ausweg möglich.
Es sei denn, es passiert etwas anderes, was im Programm der Selbstrepoduktion gar nicht vor gesehen ist. Was wäre, wenn die Aufdeckung, die Offenbarung, die Enthüllung, die Apokalypse nicht am positiven Wert der Unterscheidung anschließt, sondern am negativen Wert? Wenn also die Fortsetzung der Kommunikation nicht durch den selben Versuch der Vermeidung von Selbstreferenz vor sich geht, sondern wenn im Gegenteil der Vermeidungsversuch gar nicht skandalisiert und damit auch nicht sanktioniert wird? Eben dies geschieht im Artikel bei Leitmedium.
Der Berichterstatter deckt mit seinem Artikel diese sogenannten Doppelmoral auf, weist darauf hin, ohne sie als „Erregungsvorschlag“ (Peter Sloterdijk) zu kennzeichnen und belässt es dabei. Er betreibt gleichsam Versachlichung.
Eine Skandalisierung kann gar nicht funktionieren, was auch daran liegt, dass spätestens mit der ausschließlichen Verbreitung dieses Artikel via Internet der festgestelle Vermeidungsversuch von Selbstferenz nicht noch einmal unternommen werden kann. Denn spätestens jetzt muss ja mitberücksichtigt werden, dass auch der Betreiber von „Leitmedium“ Daten sammelt, weshalb eine Weiterskandalisierung keinen obszönen Gehalt vorweisen kann.
Das Ergebnis ist das einer Apokalyptik, die nicht darin besteht, dass selbstreferenzielle System der Massenmedien an seiner Funktionsweise zu hindern. Sie macht nur darauf aufmerksam, dass jetzt mit dem Internet als Massemedium für Massenmedien diese Selbstreferenzvermeidungsversuche nicht mehr geeignet sind die funktionsstabilisierende Anschlussfindung des Systems der Massenmedien durch Internet fortzusetzen. Die Selbstreferenzialität des Funktionssystems Massenmedien ist darauf angewiesen, Fremdreferenz erwartbar ansteuern zu können. Was statt dessen aber geschieht ist, dass diese Erwartbarkeit unterlaufen wird, ohne gleichwohl schon etwas anderes manifestierbar zu machen. Die Anschlussoperation vollzieht also kein re-enttry, sondern ein re-exit.
Kommunikation via Internet kann auf diese Weise keine selbstreferenziellen Systeme konstruieren.
Ergänzung zum Problempunkt „Selbstreferenz“:
Es liegt in der Eigentlichkeit (Heidegger) des Systems begründet, sich von der Umwelt – dem da „draußen“ im Gegensatz „drinnen“ – abzugrenzen. Dies ist die allererste Unterscheidung, die ein System bei einer Beobachtung trifft. Sie ist die Leitdifferenz, die es differenziert, aber niemals überwinden kann. Das liegt daran, dass das System als letzte Referenz immer sich selbst nehmen kann [vgl. Kauffman S.74f], ob es nun nach “Außen“ oder nach “Innen“ schaut [vgl. auch Berghaus S.39ff und S.49ff]. Der Zweifler Descartes hätte wohl in diesem Zusammenhang gesagt: „Ich denke, also bin ich“ mit der Betonung auf „Ich“, statt auf „denke“.
(Berghaus, Margot Luhmann leicht gemacht – Eine Einführung in die Systemtheorie, 2. Auflage, 2004, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien)
Dieser fundamentale Bezug auf ein Selbst schwingt somit bei jeder Beobachtung, die ein Beobachter trifft, mit. Er bestimmt nicht nur das Was seiner Beobachtung, sondern geht weit darüber hinaus. Die Selbstreferenz bestimmt das Wie der Beobachtung. Es ist diese Eigenart, die die „Form“ der (beobachteten) Welt bestimmt und begrenzt. Man spricht deshalb auch von der Eigenform der Textur in der beobachtet wird [Kauffman S.74].
[Kauffman, Louis H. Laws of Form – An exploration in Mathematics and Foundations, Rough Draft, http://www.math.uic.edu/~kauffman/Laws.pdf, (22.10.09)]
Es handelt sich in dieser Deutung um eine Transzendenz der Beobachtung jeder Ordnung. Denn dies, worauf so hingewiesen wird, ist nicht direkt bezeichenbar, in keiner Weise mehr der Beobachtung zugänglich. Es wird aber durch das negierte Tetralemma implizit darauf hingewiesen, nämlich im Modus des Zeigens höchster Ordnung, das auch das Zeigen aufhebt. Das negierte Tetralemma ist also kein Hinweis auf einen (irgendwie nichtdualen) Zustand. Sondern, indem man das negierte Tetralemma im Denken nachvollzieht, gelangt man auf dieser Nicht-Matrix [Nicht-Textur], die als unendlich im Sinne des Fehlens jeglicher Eingrenzung verstanden werden muss.
„Kommunikation via Internet kann auf diese Weise keine selbstreferenziellen Systeme konstruieren.“
Das sehe ich grundsätzlich genauso. Das Internet bietet nur die technische Infrastruktur zur Verbreitung von Informationen und ist kein System, dass die Differenz von System und Umwelt prozessiert. Die Selbstorganisation findet dann über Themen z. B. Diskussionsforen oder Online Games und Adressen statt. Weitere Regularien zur Begrenzung der Teilnahme sind denkbar. Man müsste dann aber fallweise analysieren was das Ausgangsproblem war, dessen Lösung nur darin liegen konnte den Zugang einzuschränken.
Wenn das Internet kein System ist, wird auch keine Selbstreferenz entfaltet. Die Frage nach der Selbstreferenz verweist ja auf das Kommunikationsmedium des Internets. Was wäre das denn im Falle des Internets? In einer Bestimmung von ‚virtueller Realität‘ als eine Form, die zugleich auf Potenzialität und Aktualität verweist, könnte man den entscheidenden Hinweis finden. Es wird Sinn prozessiert. Die basalen Einschränkungen der Anschlussfähigkeit werden dann durch das Thema und/oder die soziale Beziehung der beteiligten Personen eingezogen.
Aus dieser kurz skizzierten Perspektive könnte dann der Begriff der Simulation irritiativ eingeführt werden, da er die Lösung für ein Problem darstellen kann, das sich dann stellt, sofern das Internet keine Selbstreferenz entfaltet.
„sofern das Internet keine Selbstreferenz entfaltet.“
Das stimmt. Das Internet entfaltet keine Selbstreferenz, aber Kommunikation immer. Auch wenn sie ihre operative Basis in der Digitalisierung findet. Der Kommentar von @Martin H. hat eine wichtige Ergänzung gebracht: „Die Selbstreferenz bestimmt das Wie der Beobachtung.“ Damit ist gemeint, dass alle Selbstreferenz immer die Typisierung einer bestimmten Art von Kommunikation erzeugt, die erkennen lässt, dass eine Anschlussoperation des selben Typs erfolgt, die den gleichen Vermeidungsversuch zeigt, ohne gleichwohl irgendetwas zu vermeiden, schon gar nicht Kommunkation. Denn darauf kommt es an. Der Vermeidungsversuch bezieht sich nur darauf, dass etwas anderes als Kommunikation für die Kommunikation Relevanz gewinnt, damit Kommunkation für sich selbst frei gestellt wird um sich umso besser fortzusetzen.
Das verstehe ich alles nicht. Das heißt doch, dass man mit Selbstreferenz auf der Stelle stehen bleibt, weil man die im Schema der Beobachtung typisiert eingeschlossenen Latenzen eigentlich gar nicht bemerken kann. Denn genau das findet statt, deshalb dreht man sich – allerdings auf der Stelle. Die Bewegung ist schon zu honorieren. Mein Vater nannte das “sich im Kreise drehen”, die Mutter “Auf der Stelle treten”, von “stehen” kann hier jedoch nicht gesprochen werden.
Was mich zu der Frage bringt wie ist ein soziales System möglich ist, dass die Überzeugung möglich macht, dass dieses Anliegen wichtig ist? Man sieht doch, dass da nix mit Stehen ist, man muss schon ganz schön ackern, um den Platz im Kreis strampelnd zu halten, denn anderenfalls passiert nichts.
Trotzdem wird wohl auch dadurch kaum einem System jemals gestattet, Selbstreferenz zu entfalten, und erst recht nicht in dieser Hinsicht. Also ist auch der Ansatz der Wichtigkeit weder hilfreich noch fortführend, man tritt weiter im Kreise auf der Stelle ohne einen Stand zu haben, wie das nun hier gut als Latenz im Beobachtungschema zu sehen ist.
Ist doch so.
„Die Anschlussoperation vollzieht also kein re-enttry, sondern ein re-exit.“
Solange in der Innenwelt der Außenwelt drin und draußen imme klar voneinander untescheidbar bleiben, ist ja alles kein Problem.
Your inside is out
and your outside is in
Your outside is in
and your inside is out
Everybody’s Got Something To Hide Except Me And My Monkey
http://www.suhrkamp.de/buecher/die_innenwelt_der_aussenwelt_der_innenwelt-peter_handke_10307.html
Fritz Perls, 23 Jahre alt und Medizinstudent, wurde dem 36. Pionier-Bataillon als Sanitäter zugeteilt und brachte es, seinen Angaben zufolge, bis zum Oberleutnant. Seine Front waren die Schützengräben in Flandern/Belgien, und sein Bataillon „war eine Spezialeinheit, die den Feind mit Giftgas angriff“ (Perls 1981, 130). Durch seine Beteiligung an den erstmalig systematisch wissenschaftlich vorbereiteten Angriffen auf menschliche Umweltbedingungen, zum Zecke der Tötung von Menschen, hat Perls den Übergang des klassischen Krieges in eine bestimmte Form von Terrorismus miterlebt: „Der Terror operiert jenseits des naiven Austauschs von bewaffneten Schlägen zwischen regulären Truppen. Ihm ist es um die Ersetzung klassischer Kampfformen durch Attentate auf die umweltlichen Lebensvoraussetzungen des Feindes zu tun“ (Sloterdijk 2002, 14).53 Der Gasangriff verlagerte die Zerstörungsabsicht auf die Umwelt, auf das Luftmilieu des Gegners. Mir scheint, dass Perls in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges, im Sinne von Sloterdijk, die Entdeckung der Umwelt und die Bedeutung der Einheit von Organismus und Umwelt auf existenzielle Art und Weise zum Erlebnis wurde. Perls und Goodman schrieben dann gegen 1951 radikal systemisch und kontextualistisch: „Die Definition eines Lebewesens bezieht … seine Umwelt mit ein“ (Perls et.al. 1991, 43). Die erkenntnistheoretische Richtigkeit wie lebenspraktische Nützlichkeit von Kurt Lewins Feldtheorie, die später als eine der wichtigsten theoretischen Einflüsse in den eigenen therapeutischen Ansatz einging, wurde in den Schützengräben für Perls zur sinnlichen Gewissheit.
Läßt mich an die Szene denken, wo Lennon und Yoko Ono in Garten ihres Anwesens einen Fan-Stalker entdecken und ihn bewirten und sich mit ihm unterhalten. Er erzählt dann, wie viel ihm die Bealtes-Texte gegeben haben, wie aussagestark und tiefsinnig sie seien etc. Lennon entgegnet daraufhin, daß sie sich beim Texten überhaupt nichts gedacht haben.
So geht’s mir auch oft in der Intellektuellseinwollendenbloggerwelt.
Über die Grundlagen einer entwicklungslogischen Didaktik zu reden, heißt nicht nur zu erkennen, daß die Innerer Differenzierung eine unverzichtbare Voraussetzung für eine Humanisierung und Demokratisierung schulischen Lernens ist, sondern bedeutet auch, über Lernen und pädagogische Prozesse insgesamt neu nachzudenken. Die oben anskizzierten Zusammenhänge zeigen deutlich, daß Lernen, wie Jantsch (1984) schreibt, ’nicht auf der Einschleusung von Fremdwissen in ein System beruht, sondern auf der Mobilisierung von Prozessen, die dem lernenden System selbst inhärent sind, zu seinem eigenen kognitiven Bereich gehören‘ (S. 269). Es geht um die Aktivierung potentieller Eigenschaften der eigenen Systemdynamik. Bezogen auf den pädagogischen Prozeß kann Lernen, folgen wir Jantsch weiter, als ‚die Koevolution von erfahrungsbildenden Systemen‘ bezeichnet werden. Im von Ballmer und v. Weizsäcker (1974) beschriebenen Ultrazyklus wird Information nicht übertragen, sondern neu organisiert. Information ist nicht – bezogen auf unsere Thematik -, was wir als Pädagogen und Therapeuten lehren, sondern was im Lernenden Informationspotential erzeugt, wie v. Weizsäcker herausstellt. Im Ultrazyklus, der uns hier als Modell eines neuen Verständnisses von Lernen dienen kann, repräsentiert jede autokatalytische Einheit eine Nische innerhalb eines Ökosystems, in dem jede sog. Nische wiederum ein kleines Ökosystem darstellt. Jede Veränderung in einer Nische stimuliert Änderungen in anderen. Jantsch (1984) schreibt: „Insbesondere stimuliert eine Erhöhung der Komplexität einer Nische entsprechende Erhöhung der Komplexität in benachbarten Nischen…“ (S. 268).