Publikation: Die apokalyptische Funktion des Internets
von Kusanowsky
Hinweisen möchte ich auf diesen im Februar 2014 erscheinenden Aufsatz:
Kusanowsky, Klaus: Die apokalyptische Funktion des Internets. In: Müller, Hans Peter und Barbara Petersen (Hrsg.): Das Internet. Gegenwärtige Perspektiven und Möglichkeiten. Interdisziplinäre Beiträge für eine Theorie digitaler Medien. Bratislava und Wien 2014, S. 31 – 45.
Der Text ist als PDF hier zu bekommen. Die eckigen Klammern im Text verweisen auf die Seitenzählung im Original. Der Text ist damit voll zitierfähig.
Aus dem Inhalt in Stichworten: Emergenztheorie, wie ist Neues möglich, die moderne Gesellschaft erschwert die Beschreibung von Neuem, das Internet ist etwas Neues, die apokalyptische Funktion, Heteroclitizität, Beispiele: Selbstanwendung, Plagiatsskandale, Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken, andere Beispiele, Marx und Hegel.
Eine sehr gelungene Skizze das An-und-Für-sich des Internets. Schön, dass sich – wie bei einem SPIEGEL-Artikel – Anfang und Ende zu einem Kreis fügen und das auch noch mit Hegel-Zitaten.
An vielen Stellen wird man an schöne Diskussionen auf #differentia erinnert, besonders hervorzuheben die Diskussionen über die Thesen von Harry Lehmann.
Die Einbeziehung Heideggers hat zunächst meine Freude vergrößert, dann aber auch einen Mangel verspüren lassen.
Denn gerade in der von dir zitierten Schrift „Was heißt Denken“ (1992) findet sich auf Seite 42 eine m.E. bedeutsame Stelle:
„Persona meint die Maske des Schauspielers, durch die hindurch sein Sagen tönt. Insofern der Mensch als der Vernehmende vernimmt, kann er als die persona, die Maske des Seins, gedacht werden.“
Heidegger diskutiert den persona-Begriff im Zusammenhang mit dem Übergang und Nietzsches Sprung. Also im Zentrum der Fragestellung: Wie ist Neues möglich?
Auch vor dem Hintergrund der Lebenserfahrung Twitter denke ich, dass der persona-Begriff zum Verständnis des Phänomens Internet elementar ist.
Aber vielleicht bleibt das ja einer künftigen Publikation vorbehalten?
Nun ja, dein Kommentar ist ja auch eine Publikation. Übrigens: war mir diese Stelle auch augefallen. Aber ich hatte sie dann beiseite gelassen. Umso mehr finden ich es interessant, dass dir diese Stelle auch auffällt.
Es geht um Selektion.
„Aber vielleicht bleibt das ja einer künftigen Publikation vorbehalten?“
Mal sehen.
„Einen Vorgang oder einen Charakter verfremden heißt zunächst einfach, dem Vorgang oder dem Charakter das Selbstverständliche, Einleuchtende zu nehmen und über ihn Staunen und Neugier zu erzeugen […] Verfremden heißt also Historisieren, heißt Vorgänge und Personen als vergänglich darzustellen“
Bertolt Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden. Frankfurt a. M. 1967, Band 15, S. 301.
„Die Grundeinsicht des Konstruktiven Realismus lautet, dass Erkenntnis nicht im Konstruieren von Modellen bzw. ‚Mikrowelten‘ liegt, sondern im ‚verfremdenden‘ Verstehen des Zusammenhangs von wissenschaftlichen Konstrukten und deren Voraussetzungen.“
Friedrich G. Wallner: Systemanalyse als Wissenschaftstheorie III: Das Vorhaben einer kulturorientierten Wissenschaftstheorie in der Gegenwart (= Culture and Knowledge 16). Frankfurt am Main 2011.
„Ich sehe in der Technik, in ihrem Wesen nämlich, daß der Mensch unter einer Macht steht, die ihn herausfordert und dergegenüber er nicht mehr frei ist – daß sich hier etwas ankündigt, nämlich ein Bezug des Seins zum Menschen – und daß dieser Bezug, der sich im Wesen der Technik verbirgt, eines Tages vielleicht in seiner Unverborgenheit ans Licht kommt.”
Martin Heidegger im Gespräch (17. September 1969). S. 706-707. In: Heidegger, Herrmann (Hrsg.): Martin Heidegger Gesamtausgabe. Bd. 16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. Frankfurt 2000.
http://denkanfallkuppel.wordpress.com/2014/02/03/heidegger-internet/
„Abseits der gegenwärtigen Transparenzekstase zeichnet sich daher eine ganz andere Frage ab: diejenige nach einem neuen Arkanum, einem Funktionsgeheimnis digitaler Kulturen, das (wie zuvor der Grund der Souveränität oder die Zukunft) nicht geheim gehalten zu werden braucht, weil es schlicht inkommensurabel ist.
Wenn es stimmt, dass die kybernetische Epistemologie der Echtzeit, der Prädiktion und der Szenarien die Lebenswelt von globalen Entscheidungen bis hinab zu mikroskopischen Gefügen aus Intensitäten, Launen oder Empfindungen durchtränkt hat, dann stünde die Frage geschichtlicher Zeiten selbst noch einmal zur Diskussion. „Erfahrungsraum“ als das, was als Erinnerung des eigenen und fremden Wissens abrufbar ist, und „Erwartungshorizont“ als das, was uns von der Zukunft als künftigem Erfahrungsraum abschließt, würden in digitalen Kulturen zu einer neuen Form von Gegenwart zusammenschnurren. Dieser Gegenwart würde das Denken keine Beweislast mehr schulden, sondern nur Neugier.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/das-digitale-denken-ii-die-zeit-die-aus-der-kaelte-kam-12845616.html
Wenn … „Wenn es stimmt, dass die kybernetische Epistemologie der Echtzeit, der Prädiktion und der Szenarien die Lebenswelt von globalen Entscheidungen bis hinab zu mikroskopischen Gefügen aus Intensitäten, Launen oder Empfindungen durchtränkt hat, dann stünde die Frage geschichtlicher Zeiten selbst noch einmal zur Diskussion.“
Ich würde doch erst einmal fragen, ob es denn stimmt und ob es überhaupt möglich wäre. Bislang regeln Algorithmen nur kleine Themen wie Hoch- und Herunterfahren von Kraftwerken, Sonderzüge zu Weihnachten und Buchvorschläge bei AMZN (Trefferquote 5%? 10%). Die Politiker nutzen von den Rechenergebnissen nur immer die, die sie gerade im Meinungskampf brauchen können. Da kann man eine gewisse Vorherrschaft der Pseudoalrithmischen Rhetorik diagnostizieren … in den MInisterien und Ausschüssen vllt ein bisschen „sachlicher“, aber das geschichtliche Bewegungsgesetz Nr. 1 (Alles entwickelt sich entlang einer unbeirrbaren Chaotik.) behält seine Gültigkeit. Offenbar auf unabsehbare Zeit, nur auf operativ höherem Niveau.
Maschine und Mensch in einem Gedicht von Rainer M. Rilke
Sonette an Orpheus, X. Sonett
Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange
sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.
Dass nicht der herrlichen Hand schöneres Zögern mehr prange,
zu dem entschlossenern Bau schneidet sie steifer den Stein.
Nirgends bleibt sie zurück, dass wir ihr ein Mal entrönnen
und sie in stiller Fabrik ölend sich selber gehört.
Sie ist das Leben, – sie meint es am besten zu können,
die mit dem gleichen Entschluss ordnet und schafft und zerstört.
Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert
Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen
Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.
Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus…
Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen,
baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus.
Diese Plagiatsskandale zeugen davon, dass das, was bislang innerhalb der Universitätsorganisationen be- und verhandelt wurde, bzw. was dort in den meisten Fällen zwar bekannt, aber doch mehr oder weniger souverän unter den Teppich gekehrt wurde, weil es sich um Inkommunikabilitäten handelte, die sich resultierend aus der transzendentalen Vermeidungsstruktur als nicht anders lösbar erwiesen hatten, nunmmehr unter andere Bedingungen der Be- und Verhandlung gestellt wird.
Jetzt kann die Organisationsstruktur das Problem nicht mehr so gut verschleiern, verstecken, bagatellisieren, abwimmeln, beschwichtigen oder sonst wie in die Inkommuhikablität und Vermeidung führen. Vielmehr müssen sich die Organisationen (was auch für Verlage gilt) darauf einrichten, dass Publiziertes (Bücher aller Art) vom Publikum nicht nur geprüft, sondern, dass auch diese Prüfergebnisse vom Publikum selbst publiziert werden. Das war vor dem Internet nicht so einfach möglich.
Jetzt, da das möglich ist, zeigt sich nur, was vorher zwar bekannt, aber ob der Schwierigkeiten der Kommunikablität nicht gut verhandelt werden konnte. Es zeigt sich nämlich, dass die Unterscheidung von Zitat und Plagiat keine klare Ordnung zulässt. Gerade weil dies auch vorher schon so war, wurde diese Unordnung durch Organisationsstruktur inkommunikabel gemacht. Was jetzt kommunikabel wird sind nicht etwa die Klarheiten, die durch die Unterscheidung von Zitat und Plagiat möglich sind, sondern nur die empirischen Unklarheiten.
Es wird nun nur bekannt, was niemals unbekannt war. Es wird jetzt veröffentlicht, was vorher nur aufgrund der Inkommunikablität als bekannt, aber als nicht lösbar behandelt wurde. Es wird gleichsam nur Bekanntes bekannt, aber es zeigt sich aufdringlich, dass durch die Kommunikabilität jetzt erst erkannt werden kann, was niemals unbekannt war.
Das ist der Unterschied.
Es werden immer noch keine klaren Differenzierungen zwischen Plagiat und Zitat gefunden, sondern vielmehr bricht nur die ganze Kontingenz dieser Unterscheidung auf.
Und entsprechend wird darauf mit Immunreaktionen reagiert: Skandalisierung, Konflikt, Bestrafung, Sanktionierungen aller Art. Und diese Immunreaktionen müssen in die Hyperbolisierung getrieben werden, damit einsichtig werden kann, dass diese Unterscheidung von Zitat und Plagiat dummes Zeug ist.
Anders geht es nicht, solange Lernbereitschaft nicht einfach gewählt werden kann.
Hat dies auf fuhriello macht Fuhrwerk bekannt rebloggt und kommentierte:
Tja. Kommunikation ist Glückssache.
Manch einer hätte sicher Recht mit der Aussage: Kommunikation ist Glückssache.
„Soziale Medien sind Medien, die öffentliche oder halböffentliche Kommunikation ohne Vorzensur ermöglichen.
Dabei sind Medien Informationsträger, öffentlich oder halböffentlich sind die durch Medien ermöglichten Kommunikationsvorgänge, wenn sie sich prinzipiell an alle Mitglieder eines Kollektivs richten, und ohne Vorzensur finden diese Kommunikationsvorgänge statt, wenn alle prinzipiell adressierten Empfänger für die Fortführung der Kommunikation gleichen Zugang zur Senderposition haben, ohne dass ein Türhüter (Gatekeeper) die Kommunikationsinhalte vorab kontrolliert.“
http://erbloggtes.wordpress.com/2014/04/24/seeschlachtenplag-reloaded/
Das ist sehr umständlich formuliert und daher sehr ungenau. Zwar ist diese Erläuterung aufgrund ihrer Unterscheidungsindifferenz erratisch-integrativ, das geht aber zulasten einer theoretischen Konsistenz.
Schon diese Bezeichnung „soziale Medien“ ist eine solche unterscheidungsindifferente Wahl, die angepasst ist auf die Semantik theorievermeidender Strukturen funktionaler Differenzierung.
Ich schlage stattdessen diese Betrachtungsweise vor:
Die moderne Gesellschaft war in ihrer bisherigen Wissensproduktion vor allem auf die Verschränkung von Massenmedien und Organisationen (vor allem Unternehmen und Bürokratie) angewiesen. Durch diese Verschränkung konnte einerseits infolge massenmedialer Verbreitung die Kontingenz von Verstehenszusammenhängen ernorm erweitert werden, durch den Exklusionsvermeidungsdruck, der durch Organisationen und ihren immer komplexer werdenden Regelwerken entstand, wurden diese Kontingenzspielräume wieder kassiert und der Intransparenz organisationaler Strukuren kompensiert. Organisationale Strukturen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass die Selektion von Entscheidungskompetenzen immer auch Personen-Exkludierung verlangt. Das bedeutet, dass die Inklusionsleistung nur über die Exklusivität von individuellen Leistungen und ihrer Zurechenbarkeit möglich war. Darum entstand die Illusion eines „geistigen Eigentums“. – Die Eigentümlichkeit einer solchen Illusion konnte deshalb sozial wirkmächtig werden, weil organisationale Strukturen einerseits Kontingenzspielräume der Selektion verkürzten, aber andererseits ohne massenmedialer Verbreitung keine fremdreferenzierbaren Kontrollmechanismen (z.B. durch Öffentlichkeit) ausbilden konnten.
Entsprechend tauchte das Problem auf, dass – um Personen inkludieren zu können – „Ideen“ ausgesprochen werden mussten, die aber innerhalb der Organisation auch kommunikabel werden konnten. Entsprechend gab es das Problem der exklusiven Zuordnung, die nur durch eine fremdreferenzierte Form des Dokumentierens und Verbreitens angereicht wurde. Das führte dazu, dass diese Regeln der Dokumenanfertigung und der Verlass auf ihre Kommunizierbarkeit gleichermaßen erwünscht wie verschleiert werden mussten: Erwünscht, wenn es darum ging, Anwartschaften auf Erfolge (vor allem Reputation, Karriere) anzumelden und anderseits verschleiert, wenn es darum ging, Erwartungsenttäuschungen zu erledigen.
Funktionieren konnte dies aufgrund der Unterbrechung der sozialen Konnektivität (bekannt als: „fehlender Rückkanal“) durch Vereinzelung von Haushalten, Unternehmen, Büros und dergleichen.
Das, was wir nun unter „sozialen Medien“ in Erfahrung bringen ist nur die Unterbrechung dieser Konnektivitätsunterbrechung (Herstellung eines „Rückkanals“) mit allen dämonischen Erscheinungen, die damit verbunden sind. Und eine dieser Dämonien ist die apokalyptische Funktion des Internets. Es reorganisiert nun eigentlich nur etwas, das durch die erfolgreiche Verschränkung von Massenmedien und Organisationen in die Unwahrscheinlichkeit getrieben wurde, nämlich: Selbstorganisation.
Es ist eben diese Selbstorganisation und ihre noch weitgehend unbekannten Möglichkeiten und Regelmäßigkeiten, die Immunreaktionenen hervor ruft.
Mit Zensur, Gatekeepern und Kollektiven hat das alles wenig zu tun.
Unverborgenheit“ ist bei Heidegger die Übertragung des griechischen Wortes ἀλήθεια, das wir gemeinhin mit „Wahrheit“ übersetzen. Heidegger versteht das α von ἀλήθεια als α privativum, das den Wortstamm verneint, und leitet damit ἀλήθεια von λανθάνω, verborgen sein, ab. …
https://mitredner.wordpress.com/2017/05/07/ueber-unverborgenheit/
Sofern ich Martin Heidegger richtig verstehe:
Wir werden ihm nicht gerecht wenn wir das, was er sagt, als christliche Theologie in Philosophie übersetzt verstehen.
Wieso soll er nicht Offenbarung sagen wenn er Offenbarung meinte?
Aber er spricht von dem Verborgenen und dem, dass der Mensch keine Verfügung darüber hat wann und wie sich ihm etwas zeigt!
Vollständig:
http://linkis.com/blogspot.com/ArsvU