Twitter, über die Sachlichkeit der Kommunikation
von Kusanowsky
In einem Interview mit Maren Lehmann zum Thema „Twitter“, das im ganzen nur wenig interessante Irritationsmöglichkeiten liefert, findet sich folgende Anwort auf diese Frage:
Hegen Sie Hoffnungen, was die zukünftige Nutzung der Plattform für die Wissenschaft angeht?
Lehmann: Ja, die hege ich; sie betreffen eine Umstellung von personalen auf sachliche Zurechnungen. Was mich an Twitter überzeugt, ist der Verzicht auf Komplementärrollen und auf oben/unten- sowie Zentrum/Peripherie-Asymmetrisierungen. Was mich gar nicht überzeugt, ist die Dominanz der Sozial- gegenüber der Sachdimension. Man müsste die Möglichkeit haben, „Follower“ von sachlichen Zurechnungen zu werden. (Herkunft)
Bemerkenswert an dieser Formulierung von Lehmann ist, wie schwer es in einem funktional festgelegten Betrieb einer Organisation wie der Universität fällt, einen Beobachtungsstandpunkt und ein entsprechendes Beobachtungsschema zu finden, mit dem man diese Art der Netzwerkkommunikation beobachten und beschreiben kann.
Unter Rollen versteht man in der Soziologie Verhaltenserwartungen, die einerseits nur an bestimmte Personen gerichtet werden können, die aber, damit sie wirksam sind, schon strukturgeneralisierend vorgeprägt sein müssen, da Funktionsstellen auch jederzeit auswechselbar sind ohne, dass damit die Systemfunktion zerfällt. Es muss gelingen, Verhaltenserwartungen so zu spezifizieren, dass sie genauso individuell wie allgemein gültig sind. Da dies von keiner Stelle aus eigenmächtig gelingen kann, versucht man in der Theorie zwischen „Leistungsrollen“ und „Komplementärrrollen“ zu unterscheiden: Leistungsrollen gewährleisten die Systemfunktion der Problembildung und Komplementärrollen liefern gleichsam die Akzeptanzwerte, die davon sprechen, dass sich andere diese Probleme machen lassen, dass sie zur Übernahme einer Problembewältigungsleistung bereit sind ohne diese Probleme gleichwohl lösen zu können oder zu müssen. Daraus folgt dann, dass einerseits Individualität im Verhalten beobachtbar wird, dies aber andererseits nur im Zusammenhang von Rollenerwartungen, durch die Zurechnungsweisen festgelegt werden.
Lehmann stellt nun zutreffend fest, dass diese Unterscheidung in Leistungs- und Komplementärrollen bei Twitter wegfällt, aber sie unterlässt es nicht, ein Dominazverhältnis von Sozial- und Sachdimension zugunsten der Sozialdimension zu monieren.
Was passiert denn hier? An dieser Stelle könnte doch erkennbar werden, wozu diese Unterscheidung von Leistungs- und Komplementärrolle dient. Sie dient der Versachlichung der Kommunikation unter der Voraussetzung, dass sich bei der interaktiven Begegnung in der Organisation immer nur bestimmte Menschen begegnen, die bestimmte Erwartungen an einander richten und dies nicht ändern können, weil die Menschen im Augenblick der Übernahme von Rollenerwartungen immer nur diesen generalisierten Erwartungen gerecht werden müssen und dies immer nur nach je individuellem Vermögen, wozu auch dieses ganze subjektive Gedöns zählt, Charaktereigenschaften, Idiosynkrasien und dergleichen. Aus diesem Grund bedarf eine solche Kommunikation der Versachlichung, damit Individualtiät nicht nur erkennbar, sondern auch wertschätzbar wird oder wenigstens erträglich bleibt.
Wenn nun aber, wie man dies bei der Netzwerkkommunikation feststellen kann, Individualität als Referenzpunkt für generalisierende Rollenerwartungen wegfällt, weil ja keine Funktionsgarantieen hergestellt und akzeptiert werden müssen, so fallen auch alle Versachlichungsstrategien von Organisationssystemen weg. Das Interessante ist nun, dass Lehmann nicht erkennt, dass sich im Fall der Kommunikation via Twitter keineswegs ein Dominanzverhältnis einstellt, vielmehr wird eine Änderung der Versachlichungsleistung der Kommunkation vogenommen. Das heißt: auch das Sozialverhältnis kann nun versachlicht werden. Das geht aber nur, wenn die Nutzer bereit sind, den Unterschied zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Zurechnungen indifferent zu behandeln. Aber dies kann eine Professorin nicht leisten, weil sie bei dieser Netzwerkkommunikation weder die Rollenerwartungen anderer entkommen kann, sofern sie nicht pseudonym beteiligt ist, noch könnte sie performativ darauf reagieren, eben weil auch die Professorin sich selbst darauf hin beobachtet, wie sie von anderen beobachtet wird und entsprechend selbstkontrollierend handelt. Allenfalls bliebe noch sozial akzeptierbare Ironie oder so etwas übrig. Aber das ist auch schon alles.
Eine Steuerung der Beobachtung entlang von Strukturen der Peformativität – und damit auch eine Selbstbeobachtungsleistung der Indiffferenz gegen sich selbst – kann aber nicht erklärt werden. Dazu gehört auch, dass Organisationen Personen als moralische Instanzen erzeugen. In der Kommunikation mit Unbekannten läßt sich Moral aber nicht mehr garantieren.
Man erkennt wozu diese Unterscheidung von Leistungs- und Komplementärrollen in Organisationssystemen gebraucht wird: sie wird gebraucht, um eine Vermeidungsstruktur zu etablieren, die eine Versachlichung der Personen unterläuft um damit Personen als Objekte der Wert- oder Geringschätzung der Beobachtung anzuliefern. Setzen sich nun solchermaßen sozialisierte Personen einer anderen Art von Kommunikation aus, die für die Funktionsstabilität von Systemen keine Garantieen übernehmen, so wird prompt ein Vermeidungsstandpunkt eingenommen: „Was mich gar nicht überzeugt, ist die Dominanz der Sozial- gegenüber der Sachdimension.“
Stattdessen müsste anders herum formulieren: die Kommunikation via Twitter leistet die Komplettgeneralisierung von Sachverhalten und zwar auch solcher Sachverhalte, die als Personen, bzw. als moralische Instanzen beobachtbar sind.
Und erst, wenn eine Komplettversachlichung für die Wissenschaft akzeptierbar wird, kann sie mit Twitter etwas Intelligentes anfangen.
Hallo Differentia Autor, hallo Kommentare ,
Was man mit Twitter akademisch anfangen kann, das ist hier die Frage. …. Ausprobieren ist das eine, das Erlebte theoretisch einfangen zu können, das ist das andere, gelle? Das Letztere, das kann man vielleicht nur, wenn man zunächst sich auf eine Empirie, auf eine Erfahrung, auf das Medium als teilnehmender Beobachter einlässt. Und zwar länger als für die Dauer einer Befragung, oder einer Recherche. Bei der meist bei Soziologinnen und Soziologen sofort einsetzenden Verschaltung dieser gerade erst gemachten Erfahrungen mit dem Medium Twitter und dem erlernten und erlesenen Theorieangebot, der Befragung der Umwelt, oder von Systemmitgliedern und Anstaltsangehörigen, mit und ohne Lehrstuhl, stellte ich sehr schnell fest: Um Massenmedien und einen Microblogging Kosmos wie Twitter deutend zu verstehen und Wirklichkeitswissenschaft darüber zu betreiben, da hilft leider das Mainstream Theorieangebot von Großdenkern der Soziologie nicht wirklich weiter. Die Soziologie betritt hier nicht nur Neuland, sondern hier muss ein großer Sprung gemacht werden. Wie ich auf diesem Blog auch schon ausgeführt habe, kann man das Wissen und die Lage der soziologischen Forschung zu Massenmedien nur als skandalös bezeichnen.
Ein großes Defizit an empirisch gesättigter Arbeit zum Phänomen der Massenmedien hat der Berliner Soziologen Harald Wenzel aufgezeigt, der in seinem Buch Die Abenteuer der Kommunikation, Weilerswist, 2001) die Lage und auch die Gründe für das weitgehende Fehlen einer Theorie der Massenmedien beschreibt, Eine über die Kritik an der populären Massenkultur hinaus gehende Theorie findet sich leider nicht, vor allem in der deutschsprachigen und deutschen Soziologie fehlt Empirie der Massenmedien, weder über das Sammeln von Nachrichten, noch quantitative oder gar qualitatitative Studien, die eine Theorie stützen könnten, – Fahlanzeige. Doch wo viel Schatten ist, da gibt es ja auch manchmal Kerzen. Solche wärmenden lichtvollen Einblicke, Theoriefragmente, gibt es. Und eine Menge an Praxisautoren, die z.B. als ehemalige Journaisten zu Soziologen wurden, wie z.B. Robert E. Park. oder der für den amerikanische Regierung arbeitende Talcott Parsons … Seine und im Gefolge von Garfinkel formulierten Kommunikationstheorien, insbesondere die an Keynes sich abarbeitende Theorie des parasozialen Vertrauens, die Massenmedien eine Funktion der Organisation der Gesellschaft, der great society, als nicht lokaler, virtueller Öffentlichkeit gibt, sie klingt für die Mainstream Soziologie nicht nach Manipulation, doch hier gilt es als ausgemacht, dass Massenmedien vor allem genau das tun. Die Massen manipulieren. Die sozialen Medien Twiter oder facebook werden ungeachtet und meist unbeleckt von diesem erlernten Habitus, daher von einer jüngeren Generation von amerikanischen und vor allem aus der Medienwissenschaft stammenden Gruppe von Wissenschaftlern aus einer neutralen Perspektive betrachtet. Soziologinnen und Soziologen aus Deutschland fremdeln noch sehr mit Facebook und Twitter. Erklärungen dafür sind zum einen, diese Plattformen sind kaum förderlich für ihr wissenschaftliches Fortkommen, und daher werden kaum wirklich alltäglich genutzt. Man schreibt ja auch kaum eine E- mail an die anfragende Öffentlichkeit… Das weiss ich aus meiner Arbeit für den Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) Die . Ausnahmen beim DGS bestätigen hier wie immer die Regel.
Die Erklärung von Klaus Kusanowsky kann ich verstehen, es spricht viel dafür, dass aus systemtheoretischer Sicht hier vieles zu trifft.
Meine Erklärung setzt aber viel niedriger und weniger abstrakt an: Der Habitus des Akademikers.
Die Universität ist mir als als Ort der Kommunikation von „Buchmenschen“, (mit Langtext/ Zitierapparat/ Ich Perspektiven vermeidend und mit Prosa und Substantivierungssprache verschult) in Erinnerung, es gibt dort viele Talente, die Übung darin haben einen längeren Aufsatz und Vorträge (PPT) zu produzieren. Die Texte sind lang. Nun werden diese Menschen auf Twitter gezwungen sich in Microliteratur zu üben…Sie werden weiter nun gezwungen etwas subjektives, wenig elaboriertes, poetisches, aus dem Bauch heraus in 120 Zeichen zu formulieren. Zitate oder Überschriften, zu posten, Etwas was sonst sofort Resonanz im Seminar oder beim Kongress gibt, hier versendet es sich…Eine Rückmeldung, die aber bei einem von Justin Bieber, Sportereignissen oder Politikereignissen oder eben von Katzenbildern dominierten Umfeld sehr lange dauern kann. Hinzu kommt, dass hier nur der Frosch, der so lange auf der Stelle tritt, die Chance hat, hier nicht in der Informationssuppe zu ertrinken, wenn Mann und Frau es schafft das richtige Thema zu finden um aus dem Meer der Unbedeutendheit heraus zu springen. Zum Vergleich. Ich habe vor drei Jahren angefangen PR für Soziologie allgemein und für meine Kundensoziologie im besonderen zu machen und lerne täglich neu dazu wie ich das zeitmäßig und oder mental hin bekomme ohne daran zu verzweifeln, dass manche Tweets einfach nicht zuenden, dafür aber andere. Und es gibt keine empirisch belegbaren Gründe dafür.warum das so ist. Das Feld der Erklärung dafür, das übernehmen darum entweder Journalisten, Blogger, Social Media Experten, Berater und inzwischen tummeln sich auch Menschen auf Twitter, die Salon Gespräche initieren oder Sinnfragen stellen. Das ist ein Trend. So im Fernsehen, erobert sich populäre Wissenschaft ihren Platz in der Welt. Ob die Universität und der homo sociologicus, der akademische Habitus sich durch das Fernsehen verändert hat, das weiss ich nicht wirklich, Doch wohl eher nicht.