Differentia

Monat: Oktober, 2013

Die Petition an den Philosophenkönig

„Wir, die ergebenen Untertanen eines erhabenen Königtums der Weisheit, beantragen nach althergebrachter Sitte und Brauch, dass wieder mehr Ordnung herrsche im Reich und in allen seinen Gliedern, in seinen Gesetzen und hochlöblichen Einrichtungen, die einstmals aus Weisheit geboren dazu geschaffen wurden, dem König zur Ehre und seinen Untertanen zum Nutzen, der Einfalt zu genügen und die grausame Natur der Widerspenstigkeit mit gnadenvollem Recht und Billigkeit einzuhegen, zu vermindern und dieselbe, wo irgend möglich aus der Welt zu schaffen. Dass auch wieder mehr Klarheit gewonnen werden könnte in den Verrichtungen des Alltags, um den schlecht gestellten Verstandesgebrauch zu entlasten, da dem Volke der selbige nur unzureichend möglich sei, weil ihm von der Natur dieses vorenhalten wurde, aber als Entschädigung dem Wohlstand überlassen, es – das Volk – sich nun nicht grämen müsse ob des Mangels und des natürlichen Unrechts allenthalben. Ferner aber auch, dass Verständigkeit, Logik, Moral und Übersicht wieder gegeben sei; dass nicht länger Unruhe herrsche unter den verängstigten Untertanen des Landes; dass ferner das Leben einfacher würde, dass man wieder klar denken und reden könne ohne von Schwachsinn und Blödsinn bedrängt und bedroht zu werden; dass man wieder wisse woran man sei und dass dass das Leben auch im Wohlstand noch angenehm werden könnte. Dass also – mit einem Worte gesprochen – der Trübsinn aufhöre, wofür Ursache zu geben diese Petition an den weisen König unseres schönen Landes gerichtet sei. Und es sei versprochen, dass wir Unteranen bleiben werden, um die natürliche Ordnung zu garantieren.“

Also sprach das Volk. Also aber dachte und entgegnete der König:

„Ich sehe, dass all dies mit Genauigkeit, Sorgfalt und Bedacht vorgetragen wurde; auch bemerke ich die Ehrlichkeit und die unverfälschte Aufrichtigkeit des Anliegens; die klare Dringlichkeit der Erledigung ist verständig und im ehrenwerten Ton gehalten, auch erkenne ich die Bedeutung der Sachverhalte, die Relevanz der Not, die einem begründetem Erkenntnisvermögen entspricht; auch bemerke ich die besonnene Wahl der Worte und Sätze, ich bemerke strenge Regeln und geübte Sicherheiten im Gebrauch der Sprache und der nötigen Handwerke, ich bemerke die Trefflichkeit der Beschreibungen, die Notwendigkeit der Zusammenhänge und die Plausibiliät der Erfahrung. Ich gelobe also für Abhilfe zu sorgen und kündige hiermit an, dass ich kraft meiner Weisheit und meiner besonderen Fähigkeit meinen Untertanen dienen werde, indem ich sie aus ihrer Verwirrung entlasse und ihnen das Reich einer immer währenden Ordnung eröffne. Allerdings geht das nur unter einer Bedingung.“

Da schaute das Volk gleichermaßen erleichtert und aufmerksam und fragte: „Welche Bedingung? Nenne sie und wir garantieren alles.“

Der König aber sagt: „Die Bedinung ist, dass ihr mir vorher sagt, was nachher geschehen wird, wenn alles so kommt wie angekündigt; wenn also jede eurer Forderung erfüllt sei.“

Da schaute nun das Volk gleichermaßen verwirrt und ungeduldig, weil es diese Bedingung nicht verstanden hatte und deshalb ein weiteres Mal Anlass hatte eine Petition zu schreiben, deren Wortlaut noch erarbeitet werden müsste. Zu diesem Zweck müssten Meinungen eingeholt werden, was aber nur ginge, wenn weitere Forschungen betrieben würden, was aber nur ginge, wenn die Schulen verbessert würden, was nur ginge, wenn größere Sammlung erstellt und ausgewertet würden, was aber nur ginge, wenn der  Zusammenhalt verstärkt würde, was allerdings nur ginge, wenn es bessere Gesetze gäbe, was jedoch nur ginge, wenn der Philosophenkönig zuvor ein Einsehen hätte.

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Datenschutz und Überwachung – ein Schweigeprotokoll

„Ritter von der traurigen Gestalt“ – diesen Beinamen gab sich Don Quijotte auf Anregung seines Begleiters und Knappen Sancho Panza, nachdem der edle Ritter den Kampf gegen Windmühlen heroisch ausgefochten hatte. Eine entsprechende Bemerkung des Dieners ist gleichsam der zugleich traurige wie hoffnungsvolle Versuch, Inkommunikables auszusprechen. Wie kann er seinen Herrn auf die Illusionen aufmerksam machen, in die er unentwirrbar verstrickt ist? Er kann es umso weniger, da er sich ihm als Diener anbietet und gehorcht. Denn mindestens das hält noch einem Realitätstest stand. Dass das Spiel von Herrschaft und Knechtschaft im Augenblick seiner Aufführung schon eine Parodie dieses Spiels ist, mag der Knecht zwar glauben wollen, aber kommunizierbar ist es nicht. Ein Spiel ist ein Spiel, weil und solange es gespielt wird. Und wenn einer, der mitspielt, schon darüber informiert sein mag, dass es sich um eine ausweglose Illusion handelt, so ist es ihm nicht möglich, darüber anschlussfähig zu sprechen, weil er als Beobachter dieser Illusion in die Illusion verstrickt ist.
So bleibt dem Sancho Panza die Bemerkung nur als ein Zeichen seines Scheiterns und des Schweigenmüssens. Wollte er seinen Herrn damit verhöhnen? Vielleicht. Umso schlimmer für den Knecht, dass sein Herr auch noch den Realitätsgehalt dieser Bemerkung in seine Illusion einwickelt und sie damit verstärkt. Der Diener kann nur seufzen und schweigen oder sich einen anderen Dienst suchen.

Datenschutz und Überwachung. Das sind zwei Windmühlen, die mit einander im Kampf liegen und sich durch diesen Kampf gegenseitig zu „Rittern von der traurigen Gestalt“ ernennen. Das Traurige daran ist, dass ein Antagonismus zwischen Datenschutz und Überwachung immer wieder zwei Optionen behauptet, obgleich beide keine dauerhafte Chance haben. Auf welcher Seite bestehen denn bessere Chancen, gegen die andere Seite zu triumphieren? Der Konflikt ist auf beiden Seiten von Angst und Misstrauen geprägt.  Wenn  Überwachung und Datenschutz das wären, worum es der Selbstauskunft nach ginge, dann geht es immer nur um Angst. Und es hilft es dann auch nicht weiter, auf Hoffnung zu setzen, weil damit nur die andere Seite dieser Angst angesprochen ist.

Was sollte ein Sancho Panza in dieser Hinsicht zu sagen haben, wenn weder Angst noch Hoffnung einen Ausweg zeigen könnten?

Es sei denn, die Ausweglosigkeit wäre ein Grund dafür, einen anderen Anfang zu finden, der sie zur Voraussetzung macht.

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