Welches Problem kann mit Urheberschaft noch hergestellt werden?
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Bei der Vorstellung von Urheberschaft handelt es sich um eine sozial standardisierte Fiktion, deren Realität zustande kommen kann, wenn die Beanspruchung von Urheberschaft nicht nur gefordert, sondern auch zugestanden und nicht mehr bezweifelt wird. Das heißt, dass nicht etwa Urheberschaft Voraussetzung für eine solche soziale Standardisierung ist. Vielmehr verhält es sich andersherum. Sobald aufgrund zirkulierender Schriften Unklarheiten darüber entstehen, welchem Schreiber was zuzurechnen ist, wird Urheberschaft zu einem Problem, das durch weitere Verbreitung von Schriften gelöst wird und wodurch sich nach einigen Durchläufen eine Standardisierung ergibt, Wobei eine solche Standardisierung nur zustande kommen kann, wenn die Problemstruktur durch die Lösung aufgrund einer Diversität von Verbreitungsmöglichkeiten selbst differenziert wird.
Warum ist diese standardisierte Fiktion aber so hartnäckig? Da mag daran liegen, dass dieser Standard im Laufe der letzten 200 Jahre soziale Routinen ausgebildet hat, durch die erfolgreich verdrängt wurde, dass es zuvor ca. 200 gedauert hat, um einen solchen Standard überhaupt sozial zu erlernen. Das heißt, grob gerechnet, gibt es ein 400 Jahre währendes Erfahrungsprogramm, das man genau so grob in drei Phasen einteilen könnte:
1. bis 1600 Herausbildung, Differenzierung des Problems; 2. 1600 bis 1800 Erfahrungsbildung und Standardisierung; 1800 – 2000 Differenzierung der Lösung.
Nicht zufällig fällt die letzte Phase in die Zeit der Industrialisierung. Und die durch das Internet nun aufkommenden Störungen fallen zusammen mit der fortschreitenden Deindustrialisierung und den sich jetzt zeigenden Aufdeckungen dessen, was vorher erfolgreich durch die Routinen als Problem aufgeschoben wurde, nämlich, dass die Wissensproduktion eine soziale Funktion ist und keine Aufgabe von einzelnen Menschen. Dass man das Gegenteil glauben möchte, hängt mit den Verdrängungen zusammen, die durch diese standardisierte Fiktion von Urheberschaft zustande kamen. Will man nämlich glauben, es seien einzelne Menschen Produzenten und Träger des Wissens, so könnte fragen: wer denn? Wenn die Antwort lautet: Ich! – dann kann man fragen, wen das etwas angeht. Und wenn dich diese Antwort etwas angeht, könntest du diese Antwort bezweifeln oder bestätigen. Beide Entgegnungen tragen zur Differenzierung des Problems bei, welche im Laufe der Zeit eine Intransparenz des Problems erzeugt. Und irgendwann schlägt diese Intransparenz in die Lösung um, die nur besagt, dass niemand Urheberschaft bezweifelt. (Grund für die Lösung: auch der Zweifler will seinen Zweifel öffentlich bekannt geben und ihn begründen!) Für die Lösung gilt dann aber, sobald sie gefunden ist, das selbe. Wird sie differenziert, steigert sich ihre Intransparenz und das Problem bricht erneut auf. Dann aber unter gänzlich veränderten Bedingungen. Einzelne Menschen können solche Wissens- und Erfahrungsbildungsprozesse weder einfach herstellen noch beenden.
Im alten und ursprünglichen Sinne des Wortes hat das Internet daher eine apokalyptische Funktion. Es deckt auf, enthüllt, offenbart, es zeigt, was als Lösung nicht mehr taugt und zeigt zugleich, was als neues Problem anfällt. Die Frage lautet nicht mehr, wer der Urheber ist, sondern wie die soziale Wissensproduktion funktioniert.
An der aktuellen Diskussion kann man bemerken, dass niemand die Fiktion der Urheberschaft bestreitet. Diese soziale Standardisierung wird von kaum jemandem geleugnet, auch nicht von Internetpiraten. Dass aber eine Lösung für das jetzt anfallende Problem nur schwer gefunden werden kann, hängt vielleicht damit zusammen, dass für dieses jetzt aufkommende Problem keine selbstreferenzielle Rekursion vorgenommen wird. Geschähe dies nämlich, könnte man schnell zur Sache kommen:
Die Internetpiraten und Filesharer verlagen prinzipielle Freiheit des Netzes, womit gesagt sein soll, dass niemand die Regeln der Kommunikation einseitig und allein durchsetzen kann. Dies gelte für alle Nutzer des Internets, auch für solche, die keine Piraten sind. Was müssten die Eigner von Urheberrechtsansprüchen entsprechend tun? Sie könnten mit Piratenmethoden den Piratenprotest unterwandern. Aber das ist nicht einfach und verlangt künstlerische Intelligenz, die nicht leicht zu finden ist.
Einfach ist das deshalb nicht, da – wie im vorhergehenden Artikel beschrieben – nunmehr nur langsam die Einsicht dämmert, dass nicht nur das Lesen von Texten etwas kostet, sondern auch das Schreiben. Beides ist nun aber keineswegs selbstverständlich. Und darum ist nicht so leicht zu erkennen, wie es weiter gehen könnte, weshalb der Protest, wenn er zwar nichts bringt, so doch immerhin etwas ist, das man machen kann, was nur daran liegt, dass hartnäckig gemeint wird, man müsse etwas machen.
Aber was wäre, wenn man das leugnet?