Wodurch wurde Öffentlichkeit zu einem Problem?

Ist ein öffentliches Leben das unvermeidliche Ergebnis einer öffentlichen Meinung, so ist es klar, daß ein Versuch, die Wohltaten oder Gefahren dieser letzern darzustellen, soll er vollständig und es redlich mit ihm gemeint sein, notwendig das Wesen der Öffentlichkeit überhaupt umfassen muß; und nur in so fern und so lange die Presse das einzige allgemeine Werkzeug der von jeder anderen Öffentlichkeit unzertrennlichen öffentlichen Meinung abgibt, sind Preßfreiheit und Öffentlichkeit  in ihrem Wirken und Wesen für uns einander gleich.
Den bloßen Begriff der letzern verdanken wir den Erfindern der Presse. Das Altertum  besaß oder entbehrte sie, ohne sich ihrer bewußt zu sein, ohne sie in dem einen Falle zu würdigen, oder in dem anderen zu vermissen. Sie brauchte weder erlaubt noch verboten zu werden. Sie verstand sich entweder von selbst, wenn alle Teilnehmer der Gesellschaft auch unmittelbar an den Verhandlungen derselben teilnahmen, oder sie war unter jeder anderen Voraussetzung unmöglich. Erst ein Zeitalter, dem umgekehrt in seinen größeren Völkervereinen die Möglichkeit einer unmittelbaren Teilnahme jedes Einzelnen an den Verhandlungen der ganzen Gesellschaft genommen, und hingegen die einer entfernten Teilnahme an denselben durch ein umfassenderes Mittel des Gedankenaustausches gegeben war, konnte sich unserer selbständigen Öffentlichkeit und in ihr eines öffentlichen Lebens, das nicht länger auch das jedes Einzelnen zu sein brauchte, bewußt werden.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit vertritt in unseren Tagen die Stelle jenes ältern der Gemeinschaftlichkeit.

Dieses Zitat stammt aus dem Buch „Ueber die Oeffentlichkeit,  das 1830 von Carl Gustav Jochmann verfasst wurde.

Dieses Zitat ist sehr bemerkenswert. Es erklärt warum Öffentlickeit in der modernen Gesellschaft ein Problem wurde und warum es in der alten Geselllschaft kein Problem war. Es war ehedem kein Problem, weil Öffentlichkeit entweder immer schon hergestellt und damit nicht problematisch war. Oder sie konnte nicht hergestellt werden, weil niemand hätte wissen können oder wollen, wie es gehen könnte. Mit der modernen Gesellschaft wurde Öffentlichkeit zu einem Problem aufgrund des Buchdrucks. Der Buchdruck bewirkte, dass Öffentlichkeit erstens nicht mehr selbstverständlich war und zweitens sorgte er dafür, dass die Mittel zu ihrer Herstellung immer aufwändiger und differenzierter verwendet wurden, um Öffentlichkeit trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit noch herzustellen. Der Buchdruck sorgt dafür, dass sich die Leser zuerst einer Öffentlichkeit entziehen müssen. Sie müssen sich zuerst vereinsamem und lesen. Entsprechend muss dann wieder sehr viel Aufwand geleistet werden, um Öffentlichkeit trotzdem wieder herstzustellen. Ein Indiaktor für diesen Aufwand war die Alphabetisierung.

Diese Unwahrscheinlichkeit aufgrund massenmedialer Kommunikation wurde seit dem 19. Jahrundert in zwei Etappen noch einmal gesteigert: zu einen durch den Rundfunk und Fernsehen, zum zweiten durch das Internet. Öffentlichkeit wurde zu einem Problem, weil ihrer Herstellung Hindernisse auferlegt wurden. (Differenzierung der Verbreitungsproduktion und Vereinzelung der Rezipienten).

Nun sind wir in der Situation, dass es fast keine Hindernisse mehr gibt, so dass die Unwahrscheinlichkeit von Öffentlichkeit nicht noch weiter gesteigert werden kann. Sie hat mit dem Internet ihre Grenze erreicht. Es gibt keine Schwierigkeiten mehr, Dokumente durch Nichtveröffentlichung zu unterdrücken, zu marginalisieren, zu verheimlichen oder sonst wie beiseite zu schieben. Jetzt kann alles und wird alles publiziert und deshalb ist Öffentlichkeit kein Problem mehr, weil es keine Hindernisse, und für das Problem der Herstellung von Hindernissen kaum noch eine Lösung gibt.

Öffentlichkeit verschwindet, wenn die Schwierigkeiten verschwinden, die man aufwenden muss um sie herzustellen.

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