Zur #Soziologie des Datenschutzes von Martin Rost
von Kusanowsky
Zur Soziologie des Datenschutzes von Martin Rost
Dieser Artikel erinnert an den produktiven Diskurs der 1970er Jahre zu Datenschutz und Privatheit, der zu dessen erfolgreicher Institutionalisierung, Verrechtlichung und instruktiver Kommentierung geführt hatte. Nach dieser Würdigung werden Komponenten aktueller Gesellschaftstheorien vorgestellt, die für die anstehende Fortentwicklung des Datenschutzes in der EU nützlich sind. Ein auf Wirkung bedachtes Recht muss den Vorgang der sozialen Konstruktion von „Privatsphäre“ sowie die konkreten Bedingungen des Wandels bei ihrer Verteidigung zutreffend erfassen.
Datenschutz und Datensicherheit 2, 2013. Der ganz ganze Text hier.
Ich würde das so formulieren, dass Datenschutz eine Funktion hat, nämlich die, die Berücksichtigung des Unvermeidlichen durch Konditionierung eines Beobachtungsverhaltens zu vermeiden und stattdessen auf nicht erfüllte Forderungen zu verweisen, deren Legitimität sich dadurch erhärtet, dass Instanzen eingerichtet werden müssen, die die Verletzung von Datenschutzbestimmungen beklagen oder vor entsprechenden Entwicklungen warnen.
So würde die Funktion eines Datenschutzes nicht darin bestehen, die Datenweitergabe zu blockieren oder solche Vorgänge zu kanalisieren oder effektiv zu sanktionieren, weil das nur in Ausnahmefällen regulär geschieht, sondern darin, dass er nur eine Strategie finden muss, seine Legitimität zu veranschaulichen. Dazu braucht jeder Datenschutz Missbrauchsfälle, Verletzungen, Skandale und dergleichen, wie hier beispielhaft aufgelistet
http://opalkatze.wordpress.com/to-be-continue/datenpannen/datenpannen-2013/#08_3
Das Interessante ist aber, dass ein Datenschutz nur dann funktionieren kann, wenn solche Vorkommnisse vorhersehbar sind, ohne, dass Datenschützer solche Maßnahmen zur Selbstimmunisierung eigentständig sicher stellen könnten. Anders als Geheimdienste. Ein Geheimdienst kann Verbrechen, Skandale, Regelverletzung allgemein einfädeln, zu ihrer Durchführung ermutigen, dazu beitragen oder ihre Durchführung nicht verhindern; und gerade, weil er geheim operiert, kann er sein Zutun anschließend verschleiern.
Diese Möglichkeit haben Datenschützer nicht, weil das öffentliche Anliegen des Datenschutzes im Skandal des Verrats von Geheimnissen besteht, die Datenschützer selbst nicht haben oder behalten wollen, im Gegensatz zu Geheimdiensten, die gleichsam ihren Datenschutz in eigener Sache sicher stellen können und müssen, damit sie funktionieren.
Datenschutz ist auf Indiskretion angewiesen, ohne sich selbst indiskret verhalten zu dürfen. Oder anders ausgedrückt: Nur, wenn der Datenschutz selbst keine Geheimnisse über sich selbst zulässig macht, kann er auf ein zu schützendes Geheimnisrecht anderer verweisen. Man könnte auch sagen: Datenschützer sind funktional die Gegenspieler von Spionen. Diese müssen sich verdecken, weil sie nur dadurch offenbaren können, was keiner oder kaum einer so genau wissen kann und sollte. Jene Datenschützer verdecken sich dadurch, dass sie in eigener Sache gar nichts zu verdecken haben. Das macht sie genauso unschuldig wie harmlos und wehrlos hinsichtlich der Angriffe gegen sie.
Diese Angriffe aber benötigen sie, um ihre Funktion zu legitimieren. Ihre Hilflosigkeit ist die Chance ihrer Macht und damit zugleich das Risiko ihrer Ohmacht, wenn die Klientel, wie bei Facebook zu beobachten, einfach wegläuft.
Nachtrag:
Das selbstreferenzielle Funktionsproblem des Datenschutzes ist es, dass er eigentlich gar kein schützenswertes Selbst hat, um das er sich zu kümmern hätte. Das „Selbst“ des Datenschutzes ist die vollständig legitimierte und in Macht überführte Beschirmung von Fremdreferenz, die nur solange stabil bleibt, wie Fremdrefernz organisational durch „Entscheidung anderer“ dirigierbar ist: Andere sollten sicher stellen, was der Datenschutz selbst nicht kann: Daten schützen.
Was aber, wenn nun Selbstorganisation dafür sorgt, dass organisationale Zuständigkeiten wegfallen und damit die Beschirmung der Fremdrefernz selbstorganisierend über Bord geworfen wird? – Man kann feststellen, dass die Datenschützer genauso gut ihren Protest automatisieren könnten, was vor allem daran liegt, dass der Datenschutz selbst wiederum nur durch Organisation (also durch Staatsbürokratie) funktional festgelegt ist und nicht einfach auf Selbstorganisation umstellen kann, und dies, obwohl diese Möglichkeit durch das Internet genauso angeliefert wird. Aber was nützt es, wenn diese Möglichkeit ungenutzt bleibt?