„Ich werde nicht überwacht“ – Ein Selbstüberwachungsexperiment #feldforschung
von Kusanowsky
Ich werde nicht überwacht, auch dann nicht, wenn ich ein Terrorist wäre, werden wollte oder einer sein könnte. Der Beweis, dass keine Überwachung stattfindet, kann erbracht werden. Nämlich dadurch, dass ich versuche, mich verdächtig zu machen, und zwar so, dass ein angeblicher Überwacher auf mich aufmerksam werden müsste. Das schafft er aber nicht, weil ich mich so tarnen kann, dass er das, was ich mache, nicht verdächtig finden kann. Und das geht, indem ich – ein Soziologe – mich als einen Soziologen ausgebe, der versucht, sich als ein Terrorist auszugeben. (Ein Terrorist könnte das andersherum machen, indem er sich als einen Soziologen ausgibt, der sich als Terrorist ausgibt.)
Damit mein Überwacher auch etwas merkt, fange ich mit Recherchen zum Bombenbau an und veröffentliche meine Suchergebnisse. Das reicht natürlich nicht aus. Mit zwei Bekannten habe ich verabredet, einen Mailwechsel zu betreiben, indem wir uns über Anschlagsziele austauschen. Diese Mails werden ebenfalls veröffentlicht. Das reicht wahrscheinlich immer noch nicht. Ich müsste natürlich auch irgendwelche Propaganda-Seiten aufrufen, dort Kommentare hinterlassen, oder selbst eine Propaganda-Seite betreiben. Ja, vielleicht sogar mit entsprechend idiotisch gesinnten Leuten Kontakt aufnehmen und diesen Mailwechsel ebenfalls veröffentlichen.
Genau die gleichen Maßnahmen könnte ein Terrorist, der sich als Soziologe ausgibt, der sich als Terrorist ausgibt, genauso ergreifen.
Und sollte wider erwarten dennoch die Polizei bei mir auftauchen und mich fragen, was das soll, nun, dann sag ich ihr einfach die Wahrheit, was ein Terrorist genauso machen könnte. Die Wahrheit ist: Meinungsfreiheit, Publikationsfreiheit, Informationsfreiheit, Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Persönlichkeitsrechte usw., weil ich ja nichts zu verbergen habe.
Und weil die Polizei das heraus bekommt, noch bevor sie herausbekommt, ob ich einen Terroranschlag verüben will, lässt sie mich in Ruhe. Was für einen Terroristen auch gilt.
Oder die Polizei macht von Willkürmaßnahmen Gebrauch und verhaftet mich oder bezichtigt mich der Irreführung und dergleichen. Das kann sein, aber gegen Polizeiwillkür kann ohnehin niemand etwas machen. Außerdem ist das so wahrscheinlich wie ein Terroranschlag selbst. Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich.
Die Polizei setzt nur ein weiteres Sicherheitsrisiko in die Welt.
Man kann darauf reagieren, indem man sich dieser Unsicherheit aussetzt, statt sie zu vermeiden.
Die Überwachung findet nicht statt, wenn man zum Mittel der Selbstüberwachung greift: veröffentliche, was dich verdächtig machen könnte, dann kann man dich nur schwer verdächtigen, etwas Verdächtiges nicht veröffentlicht zu haben.
(Ähnliche Maßnahmen funktionieren auch zur Blockade der Wirtschaftsspionage.)
Erste Suche: „Bombenbau“
Immer wieder verwendeten Terroristen Ammoniumnitrat für den Bombenbau
nächste Suche: „Ammoniumnitrat“
Hat dies auf LOB's blog – Management lernender Organisationen rebloggt.
Sicherheits-GAU
Ein zukünftiger GAU (größter anzunehmender Unfall) der Sicherheitspolitik wird darin besteht, dass nach einem Terroranschlag herauskommt, dass alles schon vorher veröffentlicht war: die Personen, die Motive, die Planungen, die Logistik usw.
Die Frage wird dann lauten, wie dies trotz der Überwachung hätte geschehen können. Und die Antwort könnte sein, dass die Überwachung nur funktioniert, wenn Verdächtige etwas tun, durch das sie sich selbst verdächtigen, etwas Verdächtiges zu tun.
Der Selbstverdacht fällt dadurch weg, dass man einen Verdacht auf sich zieht, ihm nicht aus dem Wege geht oder jede Verdächtigung für zulässig erklärt.
Was aber, wenn der Selbstverdacht wegfällt? Dann gilt wieder das alte Prinzip, dass man nur dann schuldig ist, wenn man etwas gesetzwidriges getan hat und nicht schon, wenn man verdächtigt wird.
Übrigens dürften mehrere solcher GAUs der Sicherheitspolitik langfristig ähnliche Auswirkungen haben wie die GAUs in der Atompolitik. Die war durch die ideologisch geprägte Behauptung geschützt, dass die Reaktoren sicher wären, weil alle Sichheitsmaßnahmen zuverlässig seien.
Für diese Sicherheitspolitik der Terrorismusbekämpfung gilt, dass ihre Zuverlässigkeit genauso lange ideologisch behaupten wird, wie ein solcher GAU ausbleibt. Erst ein solcher Gau wird erkennbar machen, was auch ohne einen solchen GAU erkennbar ist, dass nämlich diese Sicherheitspolitik nicht etwa den Terrorismus bekämpft, sondern nur ein weiteres Sicherheitsrisiko in die Welt setzt.
Ergebnis: man erkennt, dass es unwahrscheinlich ist, Opfer von Polizeiwillkür zu werden und alle werden sich daran genauso gewöhnen wie an alles andere.
Die Gewöhnung klappt umso besser, wenn dieser Prozess von einem ständig steigenden Output an Protestbriefen flankiert wird.
NSU: Terrorismus(?) ohne Selbstidentifikation als Terroristen. Gäbe es kein rosa-Panther-Video, könnte heute noch niemand sagen, das sei Terrorismus. Ebensogut könnten es Auftragsmorde für einen unbekannten Hintermann mit unbekannten Motiven sein.
AlKaida: Hätte AlKaida nicht einige Wochen nach 9/11 Erklärungen herausgegeben, dass sie es waren, würden mehr Menschen die Existenz eines solchen „Terrornetzwerks“ bezweifeln. Die US-Regierung hätte vielleicht darauf beharrt, dass es eine diffuse Gruppe gebe, die sie als verantwortlich identifiziert hätten, aber das wäre doch eine sehr wackelige Angelegenheit. Es war aber in BinLadens Interesse, als der große Terrorfürst zu gelten. Nur so konnte er neue Leute anwerben, die das Gefühl haben wollten, mit Selbstmordattentaten etwas bewegen, wenigstens wahrgenommen zu werden. Am Wochenende gab es die amüsante Meldung, dass die USA 7,5 Mio $ Kopfgeld für Infos über die neuen Chefs von AlKaida aussetzt. Für ein armes Dorf im Jemen ist es nun attraktiver, einen der Ihren zum AlKaida-Chef zu erklären und 7,5 Mio $ zu kassieren – statt denjenigen als Selbstmordattentäter irgendwohin gehen zu lassen.
Terrorismus benötigt die Selbstdarstellung als Terrorismus.
Das funktioniert aber nur, wenn die Überwachung total ist. Ansonsten wird das Argument nur lauten: Wir haben immer noch zu wenig Überwachung. Vielleicht wurden die Anschlagspläne ja per Küchenabfall-Morsecode in der Biotonne übermittelt.
„Terrorismus benötigt die Selbstdarstellung als Terrorismus“
Etwas Vergleichbares gilt aber auch für die Polizei. Und damit machen sich Polizei und Terroristen für einander verwechselbar.
Diese Drohnenangriffe sind ebenfalls nur Terrorismus. Sonst nichts.
Wenn Terror mit Gegenterror beantwortet wird, dann müssen sich beide Seiten etwas Ausdenken, um sich zu tarnen. Meine Vermutung ist, dass die Tarnung nicht durch Verheimlichung, sondern durch Veröffentlichung dessen geschieht, was verheimlicht werden soll, weil kein Terrorist mehr etwas verheimlichen kann, weil alles schon veröffentlicht ist.
Und das heißt, dass die Tarnung nicht durch Unterdrückung von Information, sondern durch Irreführung geschieht.
„Das funktioniert aber nur, wenn die Überwachung total ist“
Totale Überwachung funktioniert nicht, weil Selektion von Information nicht unterbleiben kann. Und durch Selektion wird immer auch die Beobachtung dirigiert und kann abgelenkt werden.
http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/jonathan-meese-freispruch-fuer-kuenstler-nach-hitlergruss-12532250.html
„Freispruch für Jonathan Meese: Im Prozess um den verbotenen Hitlergruß hat das Amtsgericht Kassel zugunsten der Kunstfreiheit entschieden. „Es ist klar, dass der Angeklagte sich nicht mit nationalsozialistischen Symbolen oder Hitler identifiziert, sondern das Ganze eher verspottet“, sagte die Vorsitzende Richterin.
[…]
Es sei bei der Performance um eine Kunstdiskussion gegangen, urteilte die Richterin. Zudem sei die Atmosphäre auch im Zusammenhang mit der damals bevorstehenden Weltkunstausstellung Documenta „aufgeladen mit Kunst“ gewesen.“
Interessant werden solche Maskierungen ja erst dann, wenn die Maskierungen wechselseitig funktionieren. Wenn sich Künstler nicht nur als Nazis ausgeben, sondern Nazis auch als Künstler. Im Wechselverhältnis von Verfassungsschützern und Neonazis ist das ja längst der Fall.
In Schweden gibt es Internetpriaten, die sich als Religionsanhänger maskieren und für ihr Geschäft des Raubkopierens die Relgionsfreiheit in Anspruch nehmen wollen:
„In Schweden ist die Nutzung von Internet-Tauschbörsen jetzt Glaubenssache: Die zuständige Behörde hat eine „Missionierende Kopimisten-Gemeinschaft“ als eingetragene religiöse Organisation anerkannt.“
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/kopieren-als-religion-schweden-erkennt-filesharer-glaubensgemeinschaft-an-a-807293.html
Natürlich. Solange ich als Soziologe erkennbar bin, der sich als Terrorist tarnt, ist das alles ganz einfach. Was wäre aber, wenn Terroristen sich als Soziologen tarnen, die sich als Terroristen tarnen?