kurze Bemerkungen zur Apokalyptik
von Kusanowsky
Diese Überwachungsmaßnahmen erfordern einen neuen Straftatbestand: die verdeckte Irreführung.
— Klaus Kusanowsky (@kusanowsky) June 30, 2013
Verdeckte Irreführung ist, wenn man Nachrichten verschlüsselt, die jeder lesen darf. Vermutlich ist so Schrift entstanden @postdramatiker
— Klaus Kusanowsky (@kusanowsky) June 30, 2013
Verdeckte Irreführung ist, wenn ich dir sage was du schon weißt aber so, dass du dich fragen musst was ich damit meine.
— Klaus Kusanowsky (@kusanowsky) June 30, 2013
Den Unterschied zwischen verdeckter Irreführung und Aufklärung kann man leugnen, muss man aber nicht.
— Klaus Kusanowsky (@kusanowsky) June 30, 2013
Die Strafe für verdecke Irreführung ist die Rache des Überwachers verübt an einem anderen für die eigene Unfähigkeit zur Selbstbeobachtung.
— Klaus Kusanowsky (@kusanowsky) June 30, 2013
Verstärkte Überwachungsmaßnahmen schwächen den Überwacher. Ihm entgeht die Ironie der Überwachten.
— Klaus Kusanowsky (@kusanowsky) June 30, 2013
Lieber @postdramatiker
Ich versuche mal eine kurze Argumentation zu skizzieren, die erläutert, wie durch die Beobachtungssituation in einem Panopitkum für den Überwacher eine Überraschung entstehen könnte.
http://de.wikipedia.org/wiki/Panopticon
Diese kurze Skizze sei auch dann vorgenommen, wenn der Voraussetzungsreichtum natürlich wesentlich größer ist. Daher die Betonung einer Skizze. Übrigens ist ja auch die Idee des Panoptikums nur eine Gleichniserzählung, die zwar vom Höhlengleichnis sehr verschieden ist, aber doch einige Beziehungen zulässt.
Stellen wir uns folgende Situation vor:
1. Du bist Häftling in einer Einzelzelle eines Panoptikums.
2. Du weißt, dass es sich um ein Panoptikum handelt und du weißt was das ist.
3. Du weiß, dass dieses Panoptikum nicht nur für dich gebaut wurde. Du weißt also mindestens, dass auch andere Häftlinge in anderen Zellen eingesperrt sein könnten, die über diese Überwachungssituation auf gleiche oder ähnliche Weise infomiert sind. Diese anderen Häftlinge sind für dich kommunikativ nicht erreichbar.
4. Du hast keine Möglichkeit, dem Panoptikum zu entkommen und alle anderen Häftlinge auch nicht.
Fangen wir an mit der Überlegung, dass du dich als Überwachter fragen kannst, was eigentlich der Überwacher über sich selbst weiß. Er weiß über sich, dass er nicht alles weiß, denn darin besteht sein Überwachungstrick. Er informiert dich darüber, dass er jederzeit über alles was du tust informiert sein könnte. Und da du nicht weißt, was jeweils aktuell als Überwachungsinformation für den Überwacher anfällt, fühlst du dich vollständig überwacht, weil du einer Selbstüberwachung unterliegst. Man könnte sagen, es handelt sich um ein perfektes Gefängnis. Die Potenzialität jeder Überwachungsinformation könnte der Totalität der Überwachung entsprechen.
Aber hast du wirklich keine Chance? Wir lassen mal die Frage beiseite, ob du genügend Geduld, Nervenstärke, Nahrung und Zeit hast. Lassen wird der kürzehalber zu, dass all das für dich gegeben wäre.
Wenn die Potenzialität jeder Überwachungsinformation tatsächlich jede Totalität garantieren würde, dann hätte der Überwacher kein Selektionsproblem, oder wenigstens könnte er jede Selektion zufällig vornehmen und dennoch glauben, als Überwacher über alles vollständig informiert zu sein, weil er annehmen kann, dass du einer vollständigen Selbstüberwachung unterliegst, durch die Kontrolle und Selbstkontrolle garantiert wäre.
Meinst du nicht, dass darin eine Schwierigkeit für den Überwacher gegeben ist? Er könnte aus jeder zufälligen Selektion von Beobachtungen eine generelle Beobachtung ableiten. Er könnte stets glauben, dass, egal welche Selektionen er vornimmt, auch dann, wenn sie auffällige Regelmäßigkeiten zeigen, diese ihn nicht von der Vermutung abhalten könnten, dass auch Unregelmäßigkeiten im Spiel sind? Denn die Beobachtung der Regelmäßigkeiten schließt ihr Gegenteil mit ein.
Was wäre also, wenn Regelmäßigkeiten in die Beobachtungssituation eingeführt würden, beispielsweise regelmäßige Ausbruchsversuche. Du weiß natürlich, dass der Überwacher jeden Versuch jederzeit feststellen wird. Er muss immer einschreiten, immer sanktionieren. Aber insbesondere die Regelmäßigkeit solcher Versuche eröffnen eine Selektionsoption, die die Beliebigkeit der Selektion von Selektion des Überwachers einschränkt.. Die Option besteht darin, dass sowohl du als auch dein Überwacher bei Beobachtung einer Regel immer auch eine Unregelmäßigkeit mit beoachten kann, gleichviel ob sie absichtlich oder unabsichtlich einführt wurde. Entscheidend ist nur, dass auch Unregelmäßigkeiten auffallen können und die Beobachtung einer Regel zugleich auch immer die Möglichkeit eröffnet, um Abweichung, Veränderung, Defizite, Erweiterung und was sonst immer festzustellen.
Wenigstens jetzt kann der Überwacher nicht mehr glauben, allein zufällig Beoachtungen wählen zu können. Jetzt rastet auch beim dem Überwacher eine „Bildschirmfesselung“ ein. Und das deutet darauf hin, dass der Überwacher nicht die Möglichkeit hat, beliebig zu wählen.
Und stellen wir uns nun vor, dass solche Regelmäßigkeiten nicht nur an einer Stelle, also in deiner Zelle vorkommen, sondern auch an anderen Stellen, weil ja auch andere Häftlinge solche oder ähnliche Operationen ausprobieren könnten.
Mit dieser Skizze will ich sagen, dass die Annahme einer totalen Überwachung aufgrund einer jederzeitigen Potenzialität der Überwachung nicht überzeugt.
Schließt die Totalität der Überwachung tatsächlich regelmäßige Sanktionierung ein?
„Du weiß natürlich, dass der Überwacher jeden Versuch jederzeit feststellen wird. Er muss immer einschreiten, immer sanktionieren.“
Er muss nicht, ansonsten würde er als Überwacher in eine automatische Kausalität geraten, die ihn berechenbar macht. Er muss nicht jeden Versuch feststellen (er könnte annehmen, dass die Regelmäßigkeit der Ausbruchsversuche ihn von anderem ablenken soll und sich gerade deswegen von den Ausbruchsversuchen abwenden, um sich nicht instrumentalisieren zu lassen). Und muss er in einem Automatismus aus der festgestellten Normverletzung als automatisches Subjekt tatsächlich die Folge ableiten, die die Normverletzung laut Regel nach sich zieht? Gehört es zu seiner Machtfunktion nicht auch, die Freiheit zu haben, zu entscheiden, ob und wann der Sanktionsprozess in Gang gesetzt wird (sofern es sich um nicht-kapitale Regelverstöße handelt)?
Wie wäre es, wenn die Position des Überwachers mit einem Blinden besetzt wäre, dessen Blindheit mir als Insassen nicht bekannt ist, der aber einfach zufällig Sanktionsmaßnahmen in Gang setzt? Der würfelt, wer an einem bestimmten Tag bestraft wird, ohne den Grund der Strafe zu erfahren, in dem sicheren WIssen, dass der Gestrafte schon wissen wird, wofür er gestraft wird?
Ich denke, die Überwachung wird am Totalsten, wenn es ein bloßes Gerücht ist, dass Überwachung stattfindet und der Grund der Strafe bei der Bestrafung nicht verkündet wird.
„Er muss immer einschreiten, immer sanktionieren.“ – „Er muss nicht, ansonsten würde er als Überwacher in eine automatische Kausalität geraten, die ihn berechenbar macht.“
Eben darum geht es doch. Schreitet er nicht immer ein, könnte irgendein Ausbruchsversuch gelingen.
Ich gehe von der Voraussetzung aus, dass beide, der Überachwer wie der Überwachte davon ausgehen, dass kein Ausbruchsverusch gelingen kann. Aber: es kann sehr wohl die doppelt kontingente Beobachtung von regelmäßigen Ausbruchsversuchen gelingen, indem also beide von einander wissen, dass Regelmäßigeiten vorkommen. Aber wenn das beobachtet wird, ist eine zufällige Selektion sowohl dieser als auch weiterer Beobachtungen seitens des Überwachers nicht mehr möglich, weil jede Beobachtung von Regelmäßigkeit die Zufallsmöglichkeit einschränkt. Der Überwacher kann jetzt, sobald er Regelmäßigkeiten feststellt, den Unterschied festellen, durch den Regelmäßigkeiten auffallen, nämlich: die Möglichkeit von Unregelmäßigkeiten. Jetzt kann er nicht mehr würfeln.
„Ich denke, die Überwachung wird am Totalsten, wenn es ein bloßes Gerücht ist, dass Überwachung stattfindet und der Grund der Strafe bei der Bestrafung nicht verkündet wird.“
Das könnte stimmen, aber so etwas kann sich niemals voraussetzungslos einrichten. Und da immer Voraussetzungen im Spiel sind, sind auch immer Beobachtungsdefizite im Spiel, gerade aufgrund von Regelmäßigkeiten. Auch das Panoptikum ist keine voraussetzungslose Beobachtungssituation, was ja gerade am Beispiel des Höhlengleichnisses dazu führt, dass es ständig diskutiert wird. Das Gleichnis ist nicht voraussetzunglos, aber gerade Voraussetzungslosigkeit soll bei Platon persuasiv eingeführt werden. Das gilt auch für das Gerücht, dass Überwachung stattfindet. Denn wie kannst du darauf reagieren, wenn keine Notwendigkeit besteht, ausschließlich erschrocken zu reagieren? Du kannst es weiter erzählen oder auch nicht. Diese Möglichkeit haben alle anderen auch. Du kannst also diese Wahl auch demjenigen unterstellen, der dir von dem Grücht erzählt. Beide Entscheidungen, die jeder Bebobachter treffen kann, schränken die Beliebigkeit jeder Beobachtung ein. Und du kannst, wie jeder andere auch, ein Metagerücht in Umlauf bringen: es geht das Gerücht, dass ein Gerücht umgeht! Und du kannst dieses Metagrücht negieren: Es gibt kein Gerücht, dass ein Gerücht umgeht.
Ich will mit meiner Skizze zeigen, dass Ordnungsbildung möglich ist, die Voraussetzungen nutzt und weitere erzeugt, deren Folgewirkungen unvorhersehbar sind.
Ich fang mal hinten an … @Postdramatiker : Wenn Strafen zufällig erfolgen, erfolgen sie oftmals nicht, wenn sie verdient wären. Die Situation haben wir mehr oder minder im Straßenverkehr. Sie fördert das riskante Verhalten, d.h. es kommt ständig zu Ausbruchsversuchen, und wer mal wieder in die Radarfalle tappt, hakt das unter „Pech“ ab.
@Kusanowsky Das würde ich auch so sehen: Wo der Fokus des Überwachers regelgesteuert ist, entstehen notwendigerweise auch Möglichkeiten für Lücken. Und nicht nur in der Theorie, sondern bei der NSA auch faktisch kommt hinzu, dass der Überwacher davon ausgehen muss, dass es nur WENIGE relevante Vorfälle zu beobachten gibt, so dass er ständig an der Verfeinerung seiner Filter herumadjustiert, bis eine kleine Zahl von näher zu untersuchenden Fällen herauskommt, um am Ende den einen zu finden, der tatsächlich was vorhat. Das ist im übrigen auch das ökonomische Dilemma des Überwachungsstaats, dass die Grenzkosten abstrus steigen („Booz Allen earned $1.3 billion (in 2012) pretending to protect approximately nobody from a mostly non-existent threat.“)
Wann wäre der panoptische Überwacher am Ende seines Lateins? Wenn er zu viele auf einmal in Verdacht haben müsste, also wenn zum Beispiel täglich 1 Milliarde E-Mails einen Passus enthielten, der Alarm auslösen würde (gemeinschaftliche Irreführung der Geheimdienste/ Ausbruchsversuch aller/Revolution). Das wäre nicht zu bewältigen, es sei denn mit flächendeckender Gewalt. Jede Sekunde erneut Alarm auszulösen ist wie nie Alarm auszulösen.
„Wann wäre der panoptische Überwacher am Ende seines Lateins?“
Der Orwellsche Beobachter wäre schon viel eher am Ende seines Lateins, wenn es ihm darum ging, Terroristen zu kontrollieren. Schon dann, wenn die Verabredung zwischen Terroristen, die leicht zu treffen ist, lautete, dass die Rede „wir machen einen termin für eine bombe“ ersetzt würde durch die Rede „wir graben den garten um“, hätte der Orwellsche Beobachter keine Chance mehr.
Der Punkt ist doch, dass sowohl die Überwacher wie die Überwachten davon wissen, dass solche Verschlüsselungen ganz einfach, ohne Technologie, ohne Mathematik vorgenommen werden können. Allein durch Sprache ist Verschlüsselung sehr leicht, schnell und undurchschaubar möglich.
Und warum geschieht diese Überwachung trotzdem?
Die Antwort lautet: das hat nichts mit Terrorismusbekämpfung zu tun. Es geht um ein Aufrüstungsprogramm zur Selbstimmunisierung, dass nur eine propagandistische Wirkung hat. Wie die Terrormaßnahmen der Terroristen auch nichts anderes bewirken als Angst und Schrecken zu verbreiten, also Angstpropaganda zu erzeugen, so bewirken diese Überwachungsmaßnahmen nur etwas Vergleichbares: jeder soll das Gerücht weiter erzählen, dass überwacht wird. Aber sowohl die Terroristen wie die Überwacher bewirken nur Propaganda, aber sie verhindern nicht, dass trotz dieser Angstmaßnahmen Ordnung entsteht, die sich dieser Angst widersetzt. Wobei die Widersetzung gegen die Angst mit verstärkten Immunisierungsversuchen einhergeht.
Ob eine Bombe hoch geht oder ob Überwachung aufgedeckt wird, in beiden Fällen finden eine Vielzahl von Anschlusselektionen statt, die für Ordnung sorgen. Und die Bedingungen für die Ordnungsfindung sind sowohl für Terroristen als für Überwacher unverfügbar, was auch für die Folgewirkunge gilt.
Ich fürchte, ich kann euch beiden nicht zustimmen, weil es zwei grundsätzliche Strukturen zu trennen gilt, die das Panoptikon miteinander zu vermischen einlädt. Nennen wir es den Rechtsraum und den totalen Machtraum.
Der Rechtsraum ist organisiert, um diejenigen zu finden, die gegen die Norm verstoßen und sie zu bestrafen, dabei diejenigen nicht zu bestrafen, die gegen keine Norm verstoßen. Eine einfache Kausalbeziehung mit Regelmäßigkeiten: (Nur) auf Normverstoß folgt Strafe, ein Automatismus, dem sich der Überwacher zu fügen hat.
Der totale Überwachungsstaat interessiert sich nicht für diesen Automatismus. Er organisiert ein Panoptikon, um möglichst jeden Insassen in seinem Verhalten zu beeinflussen, indem er ihm suggeriert, es könnte Überwachung stattfinden. Und der gelegentlich seine Macht durch Strafaktionen zeigt. Dieser Raum braucht aber die Strafe lediglich als Beweis dafür, dass Überwachung statfindet. Dabei muss die Bestrafung nicht mit einem (rechtlich einwandfrei festgestellten) Normverstoß korreliert sein. Andersfalls wäre die absolute Macht eingeschränkt, die frei ist, sowohl ein Auge zuzudrücken, als auch dort zu strafen, wo sie gegen jeden Beweis einfach nur überzeugt ist, dass gestraft werden sollte.
Die totale Macht straft nicht, sie statuiert Exempel ihnen Macht. Und sie lässt durchsickern, dass sie jeden im Blick hat. Je unklarer für den Insassen der Zusammenhang zwischen Normvertoß und Strafe wird, desto größer die Macht, die in der Willkür desjenigen liegt, der sie ausübt. Das eben ist die Gefahr des Strukturwechsels durch die NSA. Sie lässt durchsickern, dass ein jeder überwacht wird – und sie muss nur ab und an jemanden möglichst überraschend strafen (durch Drohnenbeschuss oder Verschleppung nach Guantanamo ohne Gerichtsverfahren), um ihre totale Macht zu errichten. Dagegen helfen auch Ironie und Verschlüsselung nicht (zumal bereits diese beiden von der Überwachungsmacht bewirkte Verhaltensänderungen wären, die eben nichts anderes anzeigten, als den Einfluss der Macht). Letztere ist der religiösen Macht näher als dem Rechtsstaat.
Ich könnte deinen überlegungen folgen, würde aber nicht zwischen Macht und Recht, sondern zwischen Recht und Gewalt unterscheiden und würde dennoch einwenden, dass in gleicherweise wie sich Geheimagenten mit Gegengeheimagenten oder mit Terroristen verwechselbar machen auch Terroristen mit Geheimagenten verwechselbar machen können. Das gilt auch für ein Verwechselungsverhältnis von Verdächtigen, die sich selbst verdächtigen Verdächtiges zu tun und Verdächtigen, die sich nicht selbst verdächtigen, etwas Verdächtiges zu tun. Es dauert nicht lange – oder es gibt sie schon – dann wird es Gruppen von Künstlern oder Aktivisten geben, die anfangen miteinander über Strickanleitungen, Häckeldecken, Katzenpflege und Aquarien zu diskutieren, aber so, dass ein Geheimdienst glauben kann, dass es um etwas anderes geht, weil Geheimdienste nämlich auch solche und ähnliche sprachliche Chiffrierungen vornehmen.
Was du beschreibst ist nicht eine totale Macht, sondern der Versuch, Gewalt anders zu legitimieren. Und dass solche Prozesse stattfinden, vermute ich auch, weiß aber nicht, wie sie ausgehen werden.
„Es dauert nicht lange – oder es gibt sie schon – dann wird es Gruppen von Künstlern oder Aktivisten geben, die anfangen miteinander über Strickanleitungen, Häckeldecken, Katzenpflege und Aquarien zu diskutieren, aber so, dass ein Geheimdienst glauben kann, dass es um etwas anderes geht, weil Geheimdienste nämlich auch solche und ähnliche sprachliche Chiffrierungen vornehmen.“
Oder es wird das „es dauert nicht lange“ mit dem „es dauert sehr lange“ vewechselbar? Denn es kommt erfahrungsgemäß stets anders als die, die das „es dauert nicht mehr lange, dann“ Prognose-Programm rechnen lassen, es glauben machen wollen. Nicht?
@Postdramatiker. Finde ich richtig: Totale Macht erweist sich in der Möglichkeit, willkürlich handeln zu können, ohne Rücksicht auf geschriebene Gesetze. Herrschaftspraktisch sind allerdings der Rechtsraum und die Presse immer das erste Opfer der Willkürherrschaft – die Regeln werden nach Bedarf geändert und ausgelegt, während gleichzeitig der Formalismus eher wächst (also mehr und engere Vorschriften). Warum wird erst der Rechtsraum gekapert, dann der ganze Staat? Das Zufalls-Strafen ist funktionell heikel, weil es auch Dissonanzen im Machtapparat selbst erzeugt. Schließlich kann auch jeder Scherge (das ganze operative Level unterhalb der Spitze) Opfer des Zufalls werden, d.h. Willkür wirkt destabilisierend. Das Resultat ist dann nicht, dass gelegentliche Exempel genügen, um alle einzuschüchtern, sondern im Gegenteil: Der totalitäre Staat muss seine Brutalität kontinuierlich erhöhen.
Die Frage ist inzwischen ja auch, ob eine totalitäre Macht unter den heutigen technischen Bedingungen noch „hitleresk“ auftreten muss, um eine totalitäre Macht ausüben zu können — oder ob es sogar unter demokratischen Bedingungen möglich ist, eine Machtfülle aufzubauen, die das Ganze im Sack hat. Es kommt dann eben doch nur darauf an, zielgerichtet die Unbequemen bedarfsgerecht abstrafen, wegsperren oder potenzielle Widersacher erpressen zu können: „now it is being reported that after promising not to do so, the President ordered his Vice President to pressure the leaders of nations from which I have requested protection to deny my asylum petitions. This kind of deception from a world leader is not justice, and neither is the extralegal penalty of exile. These are the old, bad tools of political aggression. Their purpose is to frighten, not me, but those who would come after me.“
Oder anders gesagt: Der moderne Totalitarismus versucht mit so wenig Nebengeräuschen wie möglich auszukommen und erlaubt seinen Bürgern eher möglichst viele Freizügigkeiten. Verglichen mit Nazi-Deutschland oder Nordkorea tendieren die neuen Machtkonstruktionen zu „intelligent design“. Dann ist nicht mal nötig, dass die Bürger wisssen, dass sie überwacht werden. Besser, sie ahnen nicht, dass sie jederzeit willkürlich on der Straße genommen werden können, wenn sie Dinge tun, die sie lieber ncht tun sollten (hoffentlich werde ich nicht zum Verschwörungstheoretiker ;)).