Generisches Femininum – etwas über Sprachvernunft
Sprache ist nicht vernünftig. Müsste an Sprachgebrauch die Bedingung gestellt werden, Ansprüche an Vernunft zu befriedigen, hätte das den grandiosen Vorteil, dass niemand mehr falsch sprechen kann, weil in dem Fall niemand mehr sprechen könnte. Denn was sollte man noch sagen, wenn Sprache vernünftig gestaltet sein müsste? Außerdem kommt hinzu, dass die verstehbare Welt nicht nur eine Welt der Sprache ist, welche schlechterdings nicht vernünftig gestaltet sein kann, die Welt ist auch eine in sinnhafterweise nichtsprachlich verstehbare Welt, die genauso wenig die Bedingung der Vernunft erfüllen kann, um darüber reden zu können.
Freilich ist Vernunft möglich, aber nur ausnahmsweise und kommt schon gar nicht dadurch zustande, dass Sprache vernünftig verwendet wird.
Vernunft ist Ausnahme, nicht Regel und sie kann auch nicht normal sein um den Alltag zu bewältigen, gilt auch für den Alltag von Feministen. Vernunft kommt im Laufe von 24 Stunden eigentlich gar nicht vor, sondern nur, wenn man einen langen Zeitraum berücksichtigt. Und dann gilt die Regel, dass im Durchschnitt vielleicht ein vernünftiges Ereignis pro Tag beobachtbar wird. Vielleicht auch zwei. Mag sein. Aber nicht häufiger.
Vernunft ist interessant und relevant, solange sie selten vorkommt. Normal ist dagegen ein ordnungsfähiges Durcheinander, das meistens gar keine Macht entfalten kann. Das allermeiste was geschrieben und gesprochen wird ist folgenloser Sinnmüll.
Nun sind Fragen der Gleichberechtigung bis heute keine ernstzunehmenden Fortschritte erzielt worden. Der Grund dafür ist, dass der Unterschied von Gleichheit und Ungleicheit nicht verschwindet, solange er zuverlässig wiederholt wird. Ein weiterer Grund dafür ist auch, dass Gleichheitsdifferenzen gerne mit ganz anderen Differenzen wie Gerechtigkeitsdifferenzen und Differenzen der Rechtfertigung von Macht verwechselt werden, so dass Fortschritte gar nicht erzielt werden können. Denn wer sollte feststellen, dass Gleichberechtigung hergestellt ist, wenn der Unterschied verschwindet?
Da solche und ähnliche Argumente keine Rolle spielen, zeigt sich nun, nach Jahrzehnten des vergeblichen Bemühens, ein Problem durch beständige Wiederherstellung aus der Welt zu schaffen, dass die Bemühungen um Sprachvernunft vielleicht eine Lösung liefern könnten. Denn die Vorschrift ein generisches femininum zu benutzen, macht ja die Welt nicht vernünftiger, sondern erwirkt nur dringlicher den Tatverdacht der Aussichtslosigkeit solchen Bemühens. Aus diesem Grunde darf man diese Bemühung gar nicht geringschätzen, sondern sollte sie vorbehaltlos akzeptieren: das generisches femininum ist Sprachschwachsinn wie jeder andere, aber jetzt gibt es die Chance, den Sprachschwachsinn als sozialen Rechtsanspruch zu kommunizieren.
Die Akzeptanz dieser Sprachvorschrift läss eine neue Regelfindung zu: wenn diese Art der Sprachvernunft zulässig ist, dann auch jede andere. Warum soll man nicht auch in anderen Fällen ein Recht auch Sprachschwachsinn anführen dürfen? Es gibt ja so viel worüber unvernünftig geredet wird. Warum also nicht in Zukunft unvernünftig über all diese alltägliche Unvernunft reden? Oder auch: warum nicht wirklich und verbindlich schwachsinnig über Schwachsinn reden?
Irgendwo in diesem Möglichkeitsbereich könnte eine Lösung liegen.