Ist Karriere in der Wissenschaft ein Glücksspiel?
von Kusanowsky
Autopoiet hat einen Artikel über die Jagd nach Reputation in der Wissenschaft gepostet. Der Artikel bezieht sich vor allem darauf, dass seit neuerer Zeit Wissenschaftler an den Universitäten nicht mehr bereit sind, ihre Texte Verlagen zur Publikation zu überlassen.
Was aber bewegt Forscher, dieses lange Zeit wenig hinterfragte Verfahren plötzlich auszusetzen oder sich sogar mit Hilfe eines öffentlichen Boykott-Aufrufs dagegen zur Wehr zu setzen?
Möglicherweise geht es bei diesem Boykott um etwas ganz anderes. Der Selbstauskunft der Wissenschaftler nach, könnte es um eine Emanzipation gehen. Die Karrierebedingungen von Wissenschaftlern sind inzwischen durch zwei Merkmale charakterisiert: 1. Reputationsgewinne werden zunehmend nur noch minimal messbar, was damit zusammenhängt, dass die Intransparenz der Beförderungskriterien auch aufgrund einer immer dichter werdenden Konkurrenz zunimmt. Das führt dazu, dass 2. eine Karriere eigentlich nur noch Zufallscharakter hat.
Karriereplanungen dürften nur die Ausnahme sein, nämlich dann, wenn sich in Einzelfällen sehr stabile Gunsterwartungen ereignen. Doch das dürfte nur selten vorkommen. Der Regelfall dürfte dürfte ein chaotischer und unvorhersehbarer Verlauf sein, dessen Endresultate eigentlich einem Gewinnspiel gleich kommen.
Unter dieser Voraussetzung ist Reputation das einzige, worauf es ankommt. Die „Wissenschaftlichkeit“ von Ergebnissen für Karrierentscheidungen kann deshalb keine übergeordnete Rolle spielen, weil diese Wissenschaftlichkeit 1. kaum noch definierbar und 2. jederzeit diskutierbar ist und sein muss. Für das Zustandekommen eines Produkts, nämlich einer Publikation, ist die Wissenschaftlichkeit immer schon gesichert, denn das Produkt selbst ist ja schon eine, wenn auch minimale Entscheidung über einen Reputationsgewinn. Was aber darin geschrieben steht, kann gar nicht so einfach gemessen werden, denn: wer soll diese gigantische Textflut lesen, geschweige denn beurteilen? So ist es gerade die Textflut, die sicher stellt, dass Kriterien von Wissenschaftlichkeit gar nicht mehr so wichtig sein können. Je länger eine Publikaitonsliste ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Falle einer Entscheidung für eine Stellenbesetzung andere Kriterien als Lektüreerfahrung eine Rolle spielen.
So kommt die Wissenschaftlichkeit von Wissenschaft deshalb immer leichter zustande, weil alle Unwissenschaftlichkeit an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt von Entscheidungsfindungen schon aussortiert ist.
Die Kommunikation über Wissenschaftlichkeit ist dann gleichsam nur der beobachtbare Monitor der Selektionen, aber nicht ihre Struktur. Die Struktur der Selektion ist chaotisch, zufällig und wird nur nach erfolgter Entscheidung über Beförderung, Bewilligung von Forschungsmitteln und Publikation von Ergebnissen durch diese Selektionen in eine Ordnung von Gewohnheiten überführt, der gar keine Regelmäßigkeit des Zustandekommens unterliegt. Es gibt einfach zu viele Risiken, die es unmöglich machen, sich auf Regelerwartungen zu verlassen. Diese Risiken beziehen sich auf Gremienentscheidungen von Stellenbesetzung, Einladungen zu Tagungen und Kongressen und auf die Finanzierung von Forschungsprojekten.
Und in dem Maße wie dieser Zufallscharakter offenbar wird, wird auch offenbar, dass es keinen Grund mehr gibt, anderen Verfügungsrechte über eigene Leistungen zu überlassen. Der Selbstauskunft nach könnte es sich um Emanzipation handeln. Aber das dürfte nur die eine Seite der Sache sein.
Wie wäre die andere Überlegung, dass dieser Boykott anzeigt, dass sich das Übungssystem der Wissenschaft anderen Problembehandlungsroutinen zuwendet, die darin bestehen könnten, den Umgang mit sog. „sozialen Netzwerken“ einzüben? Wenn Reputationsgewinne minimal werden, so auch die Reputationsverluste, wenn man etwas ganz Unwissenschaftliches tut, nämlich: selbst veröffentlichen. Daran dürfen sich streng genommen keine Kriterien für Wissenschaflichkeit knüpfen. Da aber diese Kriterien immer fragwürdiger werden, werden auch die Verstöße gegen Selbstverständlichkeiten immer weniger riskant.
Die Wissenschaft erkennt langsam, wie wenig selbstverständlich ihre Routinen sind. Es wird erkannt, dass nicht nur alles auch ganz anders möglich ist, sondern, dass alles auch tatsächlich anders gehen kann, wenn man nur etwas anderes macht. Daraus ergeben sich keine besseren Reputationsgewinne, aber auch keine schlechteren mehr.
Ob an dieser Überlegung etwas dran ist?
Angenommen, nur mal so angenommen, die Wissenschaft hätte das Ziel, dass jeder, der es möchte, sich den Wissenschaften hingibt, gefördert wird und alle – sozusagen als höchste Erfüllung der Wissenschaftsethik – sich der Forschung widmen, dann hätten wir ein Problem: es gäbe keine Elite mehr, weil ja jeder dazu gehört. Eine schöne Vorstellung … die Vollendung der Inklusion und die Aufhebung des Leistungswettbewerbs: jeder kann alles gleich gut und man muss sich auch gar nicht mehr kennen, weil jeder austauschbar sein würde/könnte
Stimmt, soziale Netzwerke sind ein neuer Weg, um sich (egal ob man nun wissenschaftlich tätig ist) Reputation auf zu bauen. Ob Selbstveröffentlichung irgendwann eine reale Konkurrenz für den „klassischen“ Weg ist, hängt davon ab, wie sich das Image des neuen Wegs entwickelt. Ich glaube, dass Reputationsgewinne über Blogs, Soziale Netzwerke mit der Zeit eine immer größere Rolle spielen werden, da es ja die Sichtbarkeit des eigenen Schaffens deutlich erhöht und somit häufiger Anschlusskommunikation ergibt, die es auf dem klassischen Weg gar nicht gegeben hätte.
Zweifellos. Solange Kontingenzen alles andere überwiegen, steht es schlecht um die deutsche Wissenschaft.
»All das spricht nicht dagegen, sich für die Freiräume einzusetzen, die ein Ausprobieren neuer Formen möglich machen. Dazu ist der Protest gegen die Verdummungsmechanismen und die Unbedingtheit ernsthafter Wissenschaft unverzichtbar.« a.a.O.
Das Problem ist nicht die Intransparenz der Beförderungskriterien, sondern ihre vollständige Transparenz und Unvereinbarkeit mit der offiziellen Selbstbeschreibung des jeweiligen Funktionssystems. Prototypisches Doublebind-Potential, für die Wissenschaft gewendet:
1. »Schreibe, um Unwahrheiten zu reduzieren. Tue dies nach den etablierten Standards der Wissenschaft.« (= primäres Gebot, Verletzung wird mit Sanktion geahndet)
2. »Schreibe, um deine Karrierechancen zu vervielfachen. Tue dies um jeden Preis.« (= sekundäres, mit dem primären konfligierendes Gebot)
Das ist nicht nur für die Akteure gefährlich, sondern durch zunehmende Etablierung (also: Erwartbarmachung) auch für das System als solches. Es droht Wahnsinn (für die Akteure, die täglich mit Proto-Schizophrenie konfrontiert sind) oder Kollaps (für das System, dem zunehmend das Wissen über seine eigensten Routinen verloren geht – gerade in Anbetracht der allgegenwärtigen Textflut). In der vielfach zitierten TV-Serie schlägt David Simon Ungehorsam vor, um unter dem Deckmantel des Gehorsam wieder richtig arbeiten zu können.
Der Preis dieser subversiven Emanzipation ist die Karriere.
Ahrens, Sönke: Blickdehnübungen für emanzipierte Zuschauer. Die Lehren von »The Wire«, in: Zahn, Manuel; Pazzini, Karl-Josef (Hg.): Lehr-Performances. Filmische Inszenierungen des Lehrens, Wiesbaden 2011, S. 163 – 173.
Hat dies auf Nova Station rebloggt.
„Es droht Wahnsinn …“
Nun, die Soziologie weiß inzwischen, dass, wenn man etwas beobachten kann, man aufgrund dieser beobachtbaren Beobachtung auch ganz anders beobachten kann. Das heißt, dass alles auch ganz anders gehen könnte. Aber diese Einsicht wird wiederum durch die Paradoxie gestüzt, dass man eigentlich nichts anderes machen darf, damit Unterschiede für den Fall erkennbar werden, dass doch etwas anderers geschieht. In dem Fall hätte man es mit einer Innovation zu tun, die nur dann interessant und relevant sein kann, wenn dafür niemand bestraft oder belohnt wurde.
Ich glaube nicht, dass ein größerer Wahnsinn droht als der, der schon abläuft. Aber was bestimmt anfallen muss, sind verstärkte Maßnahmen zur Einhegung dieses Wahns, die gar nicht zu führen, den Wahn zu begrenzen, sondern es viel eher wahrscheinlich machen, dass eben doch andere Übungsroutinen angefangen werden. So formuliert: der Wahn, von dem du sprichst, ist keine Gefahr, sondern ist ordnende und damit provokativ wirkende Differenzierung. Der Wahn wird gebraucht, um die Unhaltbarkeit der Zustände beobachtbar zu machen, weil dies auf argumentativer Grundlage nicht geht.
Oder ist der entscheidende Punkt heute die Drittmittelakquise ?
Hätte N.Luhmann und andere Lieferer heute keine Chance mehr ? dazu http://m.tagesspiegel.de/wissen/fetisch-drittmittel-forschung-falsch-vermessen/8262256.html
@mengelwalter
Der verlinkte Artikel zeigt ganz deutlich, worum es geht: Es gibt für Qualität keinen Maßstab. Es gibt nur Meinungen darüber, die so oder anders ausfallen können. Die Wissenschaft kann alles mögliche erforschen und bewerten, aber nicht sich selbst. Um wissenschafftliche Ergebnisse zu bewerten müssen unwissenschaftliche Kriterien genommen werden, auch dann, wenn erkannt wird, dass diese nicht ausreichend sind. Anschließend wird dieser Zusammenhang mitgeteilt. Das war es dann und es geht weiter. Autopoiesis.
… und in gewisser Hinsicht schließt sich damit ja auch der Kreis.
@Sebastian @mengelwalter
Ich werde langsam einen Anlauf nehmen, um die Behauptung zu begründen, dass die Wissenschaft peu a peu in Inkompetenz zerfälllt, sich mindestens nicht mehr geniert, sich ob ihrer Inkompetenz vorführen zu lassen.
Manchmal muss man sich ja doch fragen, was Wissenschaftler eigentlich noch wissen. Hier als Beispiel ein Zitat aus einem Interview mit dem Soziologen Richard Münch. Es geht um die Probleme der Drittmittelfinanzierung. In diesem Zusammenhang lässt Münch mitteilen:
„Erfolg hat man vor allem, wenn man schon entsprechende Vorarbeiten vorweisen kann und die Gutachter erkennen, dass am Ende der Förderung ein konkretes Ergebnis steht. Aber das ist genau die Krux: Wo Neues entsteht, lässt sich schlecht voraussagen.“
http://www.taz.de/Soziologe-ueber-Forschungsgelder/!117125/
Man denke mal darüber nach: Mag ein Wissenschaftler wirklich ernsthaft verlangen können, dass er selbst darüber bestimmen sollte, wann er etwas Neues gefunden hat? Man muss um Drittmittel zu erhalten nachweisen können, dass das, was man erforscht deshalb erfolgreiche Wirkungen haben kann, weil es schon bekannt ist. Wenn es aber schon bekannt ist, kann der Wissenschaftler nichts Neues erforschen.
Daraus könnte doch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Forscher erst mal mit der Forschung anfangen sollte, auch dann, wenn noch nicht bekannt ist, was daraus folgt. Alles andere wäre doch auch gar nicht im Sinne der Forschung. Forschung erforscht Unbekanntes. Das geht aber angeblich nicht, weil der Forscher nicht mehr eigenwillig erklären kann, ob er etwas Neues gefunden oder nicht.
Aber verflucht: Neues zeichnet sich doch dadurch aus, dass auch der Forscher es nicht kennt. Neues macht sich als Unbekanntes bekannt. Deshalb ist Forschung wichtig und nötig.
Neues kann man nicht ankündigen, ob mit oder Drittmittel ist völlig dabei egal.
So kann man eher Eindruck gewinnen, diese Forscher rechtfertigen nur die Verwaltung ihres Nichtwissens.
Die Forschung beginnt wenn man Fragen stellt, und nicht erst dann, wenn man Geld bekommt. Aber was macht der Soziologe? Er wird Fragen stellen, aber zuerst will er dafür Geld bekommen. Und solange er kein Geld bekommt forscht er nicht, ohne dass dies erkennbare Konsequenzen hätte. Denn dann wird die Forschung woanders betrieben. Aber niemandem schadet das, weil ja für die Gesellschaft im Ganzen alles gewusst wird, was gewusst wird, auch dann, wenn ein einzelner Wissenschaftler davon gar nichts weiß.
Man darf fragen in welchem Tiefschlaf sich diese Professoren eigentlich befinden.
Nachtrag:
ein weiteres Zitat von Münch aus oben verlinktem Artikel:
“ In der Wissenschaft gibt es einen genuinen Wettbewerb um Erkenntnisfortschritt und um Anerkennung bei Kollegen. Danach streben alle Wissenschaftler. Kein Forscher ist ohne diese Neugierde.“
Na bitte. Dann soll er mit dem Forschen anfangen. Fang an, wenn dir das Lob deiner Kollegen so wichtig ist. Aber nein, es geht nicht: er bekommt das Lob nur dann, wenn er noch mehr Geldmittel erhält.
Bei Strippel findet sich eine ganz amüsant zu lesende Einführung in die Wettkampfdiszplinen der wissenschaftlichen Karriereleiter:
Reise nach Jerusalem
http://strippel.wordpress.com/2013/05/28/reise-nach-jerusalem/
# Schnitzeljagd
# Topfschlagen
# Sackhüpfen
# Stille Post
# Reise nach Jerusalem
Schön zu lesen, dass das auch mit Humor genommen werden kann. Wenn man glauben will, wozu kein ausreichender Grund besteht, dass Wissenschaft etwas mit Aufklärung zu tun hat und eventuell auch fähig ist, sich über sich selbst aufzuklären, worauf zu hoffen nicht empfehlenswert ist, dann könnte man den Gedanken ernst nehmen, dass Aufklärung dann geschieht, wenn durch die Macht, die Aufklärung verhindern kann, hier die Wissenschaft selbst, zugegeben wird, was alle schon wissen, dass nämlich, wenn die wissenschaftliche Karriere ein Glücksspiel ist, man daraus ein Glücksspiel machen kann, indem man einfach ein Losverfahren durchläuft.
Wenn Studienplätze so vergeben werden, warum nicht auch Professuren?
Da das aber nicht zugegeben werden darf, weil die Macht der Wissenschaft sich ja dadurch legitimiert, dass sie allen Zufall ausschalten will, so muss sie dies stets tun. Das heißt folglich auch, dass sie im Zweifelsfall gegen jede empirische Evidenz entscheiden muss. Sollte prinzipiell ausgeschlossen sein, dass auch eine Macht entstehen könnte, die den Zufall ernst nimmt? Gewiss muss diese Macht zufällig entstehen und sich selbst als zufällig legitim erachten.
Sollte jemals Erfahrung gebracht werden, das letztlich nur Glück darüber entscheidet, wer über LOS gehen darf, dann darf die Wissenschaft das nur als unwissenschaftliche Erfahrung apostrophieren, aber kann jeden, der das bezweifeilt dazu auffordern, den Machtkampf um Wissenschaftlichkeit aufzunehmen. Und wer sich in diesem Machtkampf durchsetzt, gewinnt nur zufällig ohne allerdings die Macht zu beschädigen. Denn die Macht ist nicht das, was von Menschen ausgeht. Von Menschen gehen nur Entscheidungen und Sanktionsrechte aus, aber nicht die Macht, Entscheidungs- und Sanktionsgewalt zu erhalten.
Tatsächlich und ernsthaft nachgedacht: was spricht dagegen, Bewertungen durch Zufallsentscheidungen vornzunehmen zu lassen? Wer dagegen einwenden will, dass das auch nicht gerecht sei, unterliegt dem Irrtum, dass Bewertungen etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben. Vielmehr haben sie sehr viel mit Glück oder Pech, bzw. mit erwartbaren Wahrscheinlichkeiten zu tun, über die jederzeit auch Irrtum möglich sein kann, der sich genauso wenig mit Notwendigkeit einstellt. Der Einwand der Ungerechtigkeit ist nur die Ausrede der Verlierer oder derer, die Angst vor dem Verlieren haben. Müssten Bwertungen das Kriterium der Gerechtigkeit erfüllen, können sie nicht vorgenommen werden.
Also : was spricht dagegen, den Zufall entscheiden zu lassen, wer das Glück auf Ruhm und Ehre erhalten darf?
Wenn auch noch nicht in der Wissenschaft, so ziegen sich im Bereich den Entertainments solche Zufallsspiele bereits: Internet ist die Lösung für das Problem der Selbstorganisation
Bedenke: Siegen könnte schlimmer sein als verlieren.
Noch mal ein Nachtrag zum Thema „Bewertungen“:
Wer von Bewertungen verlangt, sie mögen gerecht sein, hat noch niemals seine kritische Aufmerksamkeit auf die Beurteilung von Bewertungen gelegt. Nichts ist so normal wie die Erfahrung, ungerecht bewertet worden zu sein. Es gibt nur die Ausnahme derjeningen, die immer und auschließlich die beste Bewertung erhalten. Nur diejenigen können erfahren, dass Gerechtigkeit normal ist und zwar nur deshalb, weil sie keine noch bessere Bewertung erhalten können. Aber das ist der einzige Grund. Normal ist eine solche Normalitätserfahrung nicht. Normal ist bei jeder Bewertung, dass sie die Frage offen lässt, ob sie gerecht ist.
Gerade darin steckt ja ein enormes Motivitionspotenzial. Ungerecht bewertet worden zu sein kann immer auch dazu führen, die eigenen Angstrengungen und Leistungen zu erhöhen. Außerdem werden eine unübeschaubare Vielzahl von Bewertungen vorgenommen. Und durch eine solche Vielzahl wird es dann wieder wahrscheinlich, dass jeder auch mal gut bewertet wird, oder jedenfalls nicht immer nur schlecht.
So sind Bewertungen nur Zufallsergebnisse, die nichts mit Gerechtigkeit zu tun haben.
Aber die Wissenschaft darf diese Einsicht nicht zugeben. Das ist ihr streng verboten. Und ich halte dafür, dass dieses Verbot sich für die Wissenschaft als Nachteil erweisen wird.
Sofern es um Wissenschaftskarrerien auf dem Weg zur Professur geht, sollte man die besondere Situation in der deutschen Akademielandschaft (Habilitation, Befristung ohne tenure track, etc.) berücksichtigen. Siehe dazu z.B. die Grafik in diesem Blogbeitrag: http://www.scilogs.de/blogs/blog/graue-substanz/2011-02-25/die-dissertation-zwischen-auftragsarbeit-und-gesellenstueck Die dort ersichtlichen Zahlen legen nahe, den vermeintlichen Zufall in ein Wahrscheinlichkeitsproblem zu überführen. Während z.B. in den USA die Wahrscheinlichkeit das Ende der Karriereleiter zu erreichen, bei jeder erklommenen Sprosse zunimmt, nimmt sie in Deutschland eher ab.
„Die dort ersichtlichen Zahlen legen nahe, den vermeintlichen Zufall in ein Wahrscheinlichkeitsproblem zu überführen.“
„Vielmehr haben sie (Bewertungen) sehr viel mit Glück oder Pech, bzw. mit erwartbaren Wahrscheinlichkeiten zu tun, über die jederzeit auch Irrtum möglich sein kann, der sich genauso wenig mit Notwendigkeit einstellt.“
Gemeint ist damit nur, dass die Unterdrückung der Beobachtung der Zufälligkeit allein dadurch gelingt, dass Macht im Spiel ist. Macht unterdrückt die Beobachtung des Zufalls. Die moderne Wissenschaft konnte dies in den zurückliegenden 200 Jahren ziemlich gut demonstrieren. Das kann sogar sehr wirksam geschehen, aber nicht beliebig und nicht unter jeder Bedingung. Die Bedingungen können sich ändern und dann kann sich auch wieder die Beobachtung der Zufälligkeit der Bewertungen einstellen. Der springende Punkt nicht die Widersprüchlichkeit der Einschätzung oder die Bewertung der Berwertung, sondern nur die Mitberücksichtigung veränderter Bedingungen. Aber darüber kann keine Statistik Auskunft geben.
Nun, Ihr Akademiker, die ihr andere Welten nicht zu kennen scheint: Da sind die gesellschaftlichen Verhältnisse zu meiner Zeit und als Handwerker bzw. gelernter Industriefacharbeiter ganz anders, einfacher und auch schnell als gerecht durchschaubar geregelt gewesen:
Fall 1) Bin noch nicht siebzehn Jahre alt, noch kein Lehrabschluss wegen Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht. Komme aus der Gefangenschaft, arbeite drei Tage auf dem Bau (Trümmerbeseitigung) und werde vom Natschalnik zu einem Chef geschickt. Der hatte eine riesige Büromaschinenfirma, die nun zerstört ist. Er hat zwei Altgesellen, Spezialisten, und aktiviert beschädigte Büromaschinen aller Art. Er fragt mich nur, WO gelernt? Antwort: Weltfirma Telefunken. Ergebnis: Eingestellt als Geselle, bezahlt als Geselle. Anderthalb Jahre später Gesellenprüfung nachgeholt. Vier Jahre anerkannt geblieben.
Fall 2) Als mir Büromaschinen zum Hals heraushingen, nach Westberlin gegangen zum arbeiten, (wohnen weiter in Ostberlin). Es ging hier um Kinomaschinen aller Art (Bild und Ton, traditionell und das kommende Neue). Frage des Meisters: WO gelernt und WAS bisher gemacht? Sofort eingestellt und vier Jahre anerkannt geblieben.
Fall 3) Druck aus dem Osten wegen arbeiten im Westen. Der echte Vater aber schon in Westdeutschland. Er organisiert Übersiedelung nach dort. Und er fragt eine einschlägige Firma (Physikalisch-Technische Werkstätten), ob sie seinen kommenden Sohn beschäftigen könnten und würden? Frage: WAS kann der denn? Kurze Beschreibung und sofort eingestellt. Auch hier vier Jahre geblieben. Allerdings, wegen Behördenschwierigkeiten zu spät im Westen eingetroffen (fehlender Interzonenpass). Stelle besetzt, aber: Der vorausschauende, wohlwollende Personalchef hat schon vorgesorgt:
Fall 4) Er hat angerufen bei einer Kamerafabrik und denen die Lage erklärt: es kommt ein Mann, den wir einstellen wollten, aber er kommt ohne eigenes Verschulden zu spät, könnt ihr den brauchen und übernehmen: Frage: WO hat der gelernt und gearbeitet. Ergebnis: eingestellt und vier Jahre geblieben. Nach diesen vier Jahren dann doch zur Firma 3) und dort vier Jahre geblieben.
Fall 5) Industriemeisterprüfung abgelegt (als Bester von 28). Als Technischer Beamter beworben (Laufbahnbewerber). Ein Jahr Ausbildung mittlerer Dienst, nach einem Jahr Prüfung, Beamter zur Festanstellung. Nach sechs Jahren Aufstiegsprüfung als Inspektor. Nach zwölf Jahren ins Länderministerium, 27 Jahre geblieben. Pensioniert mit A 13.
Seit 1985 pensioniert. Entscheidend war immer nur eines: WAS kann der und WO hat er das gezeigt. Sonst weiter nichts.
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders aus Wiesbaden.
@rudolfanders danke für Deinen Erfahrungs-/Lebensbericht, ich komme unten noch einmal darauf zurück.
@kusanowsky Zunächst zu Deiner These:
dass die Unterdrückung der Beobachtung der Zufälligkeit allein dadurch gelingt, dass Macht im Spiel ist. Macht unterdrückt die Beobachtung des Zufalls.
Macht unterdrückt nicht nur die Beobachtung des Zufalls, sondern den Zufall selbst. Wenn die Entscheidung wirklich zufällig wäre, hätten ja alle die gleichen und fair verteilten Chancen. Dem ist aber nicht so und daher glaube ich, Du hantierst mit zwei Bedeutungen von Zufall. Ich kenne drei (ggf. miteinander zusammenhängende) Begriffe von Zufall:
1. ein Ereignis, das unbeabsichtigt geschieht,
2. ein Ereignis, das nicht notwendig bzw. grundlos geschieht,
3. ein Ereignis, das nicht vorhersagbar ist.
Ich glaube, im Kontext Deiner Diagnose bedeutet „Zufall“ eigentlich „willkürlich“ bzw. „von so vielen kontigenten, miteinander verflochtenen Gründen abhängig, dass das Zustandekommen der Entscheidung nicht mehr transparent und rational begründet werden kann“. De facto sind es also Machtentscheidungen: Wer setzt sich in einem Gremium durch? Wer gibt aus welchen Gründen nach? Wer blockiert aus welchen Gründen welchen Kompromiß? Etc. Es ist eine Machtentscheidung, nur gibt es kein einzelnes Subjekt, was den Machtpol allein besetzt. Daher *scheint* das Ergebnis zufällig.
Im Kontext Deines Vorschlags, aus dem Entscheidungsprozess doch gleich ein Glücksspiel zu machen, meint Zufall etwas anderes. In Bezug auf Deine Aussage, Macht verschleiere nur die Beobachtung des Zufalls, impliziert einen Aufklärungsvorgang mit dem Resultat einer nur symbolischen Anerkennung des faktisch Bestehenden: ‚Es ist doch eh alles zufällig, warum also nicht das auch für alle einsichtig dar- bzw. ausstellen?‘. De facto wäre die Einführung von Glückspielen in Berufungsverfahren aber eine Änderung der Spielregeln. Denn durch ein solches Spiel würden die Chancen neu bzw. gerechter verteilt.
Um im Bild zu bleiben, wenn Karriereentscheidungen heute ein Glücksspiel sind, dann spielt man mit Würfeln, von denen niemand weiß, wieviel Seiten sie haben, wie sie gewichtet sind, welche Werte drauf stehen, auf welche Unterlage sie fallen, usw. Wenn man daraus ein richtiges Glücksspiel machen würde, wüssten zumindest alle, wie die Würfel aussehen und welche Chancen man pro Wurf hat.
Verlassen wir das mathematische Bild stehen wir wieder vor der Schwierigkeit, die sich mit dem Zufallsbegriff in Bezug auf biographische Entscheidungen verbindet. Welche Entscheidungen wären nicht zufällig? Nehmen wir @rudolfsanders Lebensgeschichte: Zum einen scheint die berufliche Laufbahn wenig zufällig gewesen zu sein. Einmal als Facharbeiter qualifiziert war jederzeit klar, das er damit auf beruflich weiterkommt: „Entscheidend war immer nur eines: WAS kann der und WO hat er das gezeigt.“ Was aber nicht klar war ist, bei WEM er weitermacht. Hätte etwa der X nicht den Y gefragt, wäre er vielleicht bei dem Z gelandet. DASS @rudolfsanders irgendwo landet, war wenig zufällig, WO er landet, allerdings schon. Oder nicht?
Das alles ändert sich natürlich unter den Bedingungen der sog. „Akademikerschwemme“ (die es historisch auch früher immer mal gab. Von einer „Facharbeiterschwemme“ hat man im übrigen wohl noch nicht gehört): Kontingent wird nun nicht nur das WIE und WO, sondern das DASS, also ob es überhaupt weitergeht. Als Zufall erscheinen die Entscheidungen, von denen die Karriere abhängt, weil aus der Masse der konkurrierenden Akademiker weder retrospektiv noch prospektiv sagen kann, für wen es weitergeht bzw. warum es für wen (nicht) weitergegangen ist.
Die fehlende Erwart- und Begründbarkeit von biographischen Widerfahrnissen im akademischen Milieu rekurriert also auf den Zufallsbegriff (1) im Sinne von „willkürlich“ bzw. „undurchsichtig“. Die offzielle Einführung einer Glücksspiellogik würde indessen auf einen Zufallsbegriff (2) im Sinne von „chancengleich“ bzw. „transparent“ rekurrieren. Damit sehe ich also zwei unterschiedliche Zufalls-Begriffe in Deinen Überlegungen. Oder meinst Du mit Zufall doch noch etwas ganz anderes (3)?
Lieber stromgeist,
wie immer sind deine Einwände sehr gut, aber in dem Fall zeigt sich, dass nicht jeder Aspekt in deinem Einwänden etwas mit meiner These zu tun hat.
„Macht unterdrückt nicht nur die Beobachtung des Zufalls, sondern den Zufall selbst.“
Ja gewiss. Der Zufall der Beobachtung und die Beobachtung des Zufalls geschehen stets grundlos, aber mehr noch: sie haben haben sich gegenseitig zur Voraussetzung. Unter Zufall verstehe ich die beobachtbare Asynchronizität des gleichzeitigen Zusammenfallens aller sinnhaft sturkurierten Operationen, die in Anschlussdifferenzen immer schon eingeklammert sind und die sowohl für Bewusstsein als auch für soziale Systeme eine Irreduzibilität von Wirkungen bemerkbar machen, die zusätzlich auch noch rekursiv nicht mehr weiter differenziert werden können. Zufall ist dann nicht nur das unvorhersehbare, grundlose Ereignis, dem nur ein subjektiver Erkenntnismangel zugrunde läge, sondern ist vielmehr eine unverzichtbare Voraussetzung für emergente Realität. Zufall ist das, was sich der Macht entzieht und zugleich die unverzichtbare Voraussetzung dafür herstellt, dass Macht überhaupt entstehen kann.
Anders als in deinem Kommentar ist Macht keine Verfügungsmöglichkeit von Menschen. Menschen können allenfalls über Sanktionsrechte verfügen. Aber die Verfügbarkeit solcher Rechte wird unbedingt durch Machtverhältnisse garantiert, die Menschen nicht einfach herstellen können. Menschen haben keine Macht über andere Menschen, wenn ich gleichwohl zugebe, dass die gegenteilige Auffasung ein wichtiges Element für die Entwicklung moderner Machtverhältnisse darstellte. Aber ich interesse mich in diesem Zusammenhang für die Frage, ob wir Zeugen einer Um- und Neuordnung von Machtverhältnissen sind, die genau das beobachtbar macht: dass erst die Einsicht der Machtlosigkeit andere Machtstrukturen ausdifferenziert.
Was den Zufallscharakter einer Karriere in der Wissenschaft angeht bin ich keineswegs der Meinung, dass dort – also diesem einem bürokratisch legitimierten Machtapparat – genauso gut auch ein Losverfahren durchgeführt werden könnte. Eben dies geht nicht, weil gerade die Wissenschaft anders als Luhmann und seine Epigonen, nicht Wahrheit für die Kommunikation symbolisch generalisiert, sondern Verfahren, bzw. Methoden. Methoden sind das Kommunikationsmedium der Wissenschaft. Und der erfolgreiche Differenzierungsprozess dieses Kommunikationsmediums und der Zerfall in seine Kontingenz war spätestens mit der Schrift von Paul Feyerabend („Wider den Methodenzwang“) bemerkbar, weil spätestens jetzt erkennbar wurde, dass die Kontingenz aller Methoden nichts daran änderte, dass die Wissenschaft erwartbar funktionierte, ohne dass dies von den betroffenen Menschen auch so gesehen werden konnte. Jetzt erst zeigte sich die Macht der Wissenschaft, nämlich, dass sie auch dann noch erwartbar funktioniert, wenn Menschen ganz andere Erwartungen formulieren und berücksichtigen. Seitdem nun auch das Bestehen auf Methoden nicht mehr die Wissenschaft legitimieren kann, ohne, dass die Wissenschaft daran zugrunde gehen würde, hat die Wissenschaft all ihre Möglichkeiten erschöpft. Jetzt ist es ziemlich egal, wer Karriere macht, wer sich irrt, wer schummelt oder betrügt. Denn egal ob Klugheit, Wahrheit, Irrtum oder Betrug: es geht ja doch weiter. Darüber geben die Plagiatsaffären Auskunft: es wird massenweise geschummelt, aber das spielt für die Wissenschaft überhaupt gar keine Rolle. Es spielt eine Rolle für die Rechtfertigung zur Aneignung öffentlicher Mittel. Aber die Wissenschaft ist nicht entstanden als ein Verfahren zur Rechtfertigung der Verteilung von Geldmitteln, sondern als eine soziale Verlässlichkeit auf Methoden. Das ist die Macht der Wissenschaft. Gewesen. Jetzt zerfällt sie zu einem Rechtfertigungsverfahren innerhalb bürokratischer Verfahren zur Verteilung von Geld.
Aber die Wissensproduktion, auch die methodisch gestütze, wird dadurch nicht abgeschafft oder blockiert.
Das ist das, was ich meine, wenn ich sage: Karriere in der Wissenschaft ist Zufall. Den einen triffts, den anderen nicht. Es sind nicht die Klügsten, nicht die Dümmsten, nicht die Ehrlichsten, nicht die Unehrlichsten, nicht die Tüchtigsten und nicht die Faulsten, die in der Wissenschaft zur Fortpflanzung kommen, sondern es handelt sich um erwartbare Wahrscheinlichkeiten, über die sich zu irren auch möglich, aber nicht notwendig ist.
Aber all das stört die Wissensproduktion nicht. Weil der Wissensproduktionsprozess durch die ganze Gesellschaft bedingt ist und nicht allein durch ein bürokratisches Verfahren der Entscheidungsfindung über Mittelverteilung.
Überall wird geforscht, gelernt, bewertet, ausprobiert, geirrt usw. Diese Art der Wissenschaft wird nicht länger diejenige sein, die der Beobachtung des Zufalls ausschließlich am besten widerstehen kann. Ich vermute, dass gerade dieser Widerstand gar nicht mehr gebraucht wird und trotzdem kann Macht entstehen. Ich tippe auf eine Macht der Machtlosigkeit als attraktorbildender Keim zur Dirigierung, Verknüpfung und Strukturierung von Beobachtungen. Das betrifft dann auch die Relevanz von Bewertungen. Ich vermute wir werden lernen, sie einfach dem Schwarm zu überlassen. Das Beispiel in Siegen erzählt davon. Da wurde ein Superstar gekürt, ohne Gremium oder Jury, ohne bekannte Regeln, ohne legitime Organisationen, ohne Kapitaleinsatz, ohne Aussicht auf dauerhafte Prominenz. Einfach so. Für nichts.