Selbstorganisation, das Problem der Piratenpartei #abpt
von Kusanowsky
Die Partei besitzt keine Struktur, die es erlaubt, wirksam gegen trollende, hetzende, pöblende Menschen vorzugehen. Und das ist mit Abstand der größte Fail dieser Partei – und ich habe keine Idee, wie und ob wir das wieder gut machen können. (Herkunft)
Dieser Artikel über den Niedergang der Piratenpartei ist hübsch zu lesen und ein wunderbares Beispiel dafür, wie schwer es fällt mit den beobachtbaren Dämonien wie sie durch das Internet entstehen, zurecht zu kommen. Insbesondere – wie in diesem Fall – scheinen mir die Punkte „Selbstreferenz“ und „Paradoxien“ diejenigen zu sein, durch die es schwer fällt, ein organisationales Regelwerk für die Piratenpartei herzustellen.
Organisationen als Gebilde formalisierter Entscheidungsfindung verlangen, dass nicht alle Mitglieder an Entscheidungen beteiligt werden können, weil alle anderen Entscheidungsfindungsversuche in die Selbstparalyse führen. Organisationen zeichen sich dadurch aus, dass Entscheidungen von wenigen für viele verbindlich getroffen werden und die von den vielen nicht einfach revidiert werden können ohne, dass diese Organisationssysteme zerfallen. Das Gegenteil davon ist bei der Piratenpartei gegenwärtig zu beobachten. Es findet in der Piratenpartei eine Selbstparalyse statt, weil die Vermeidungsstrukturen funktionaler Festlegungen nicht eingehalten werden.
Die Piratenpartei ist zunächst ein Phänomen gelingender Selbstorganisation durch Internetkommunikation. Die Voraussetzung für Selbstorganisation besteht darin, dass keine übergeordnete Instanz ansprechbar ist, die darüber befindet, wer sich beteiligen darf, welche Themen relevant sind, wann Zeitpunkte für Anfang und Ende von Sequenzen festgelegt werden und die Aussichten darüber formuliert, wohin das alles führen kann oder soll.
Selbstorganisation hat keinen Führer. Selbstorganisation hat zur Voraussetzung, dass alle Beteiligten schlecht informiert sind und schlecht informiert sein müssen damit sie gelingt. Denn worüber sollte man gut infomiert sein, wenn keine Organisation vorhanden ist, die Vorentscheidungen darüber festlegt, was inkluidert und was exkludiert wird? Selbstorganisation entsteht von selbst und unvorhersehbar und ist darum nicht das Ergebnis gut informierter Strukturen.
Unter diesen Voraussetzungen haben sich durch Internet Kommunikationen gekoppelt und strukturiert. Darunter fiel irgendwann auch die Möglichkeit der Erwartung, die Bedingungen für diese Art der Kommunikation in die Organisation einer Partei zu überführen. Übersehen wird nun, dass Organisation und Selbstorganisation einen Widerspruch bilden: man kann Selbstorganisation nicht organisieren. Die Relevanz der Piratenpartei ergibt sich durch ihre erfolgreiche Selbstorganisation; und ihren Niedergang erlebt sie in dem Augenblick, indem versucht wird, diese Selbstorganisation in formalisierte Entscheidungsfindungsverfahren zu überführen. Man könnte auch sagen: die Partei trollt sich selbst.
Denn Organisationen verlangen aufgrund formalisierter Entscheidungsfindung – verbunden sind damit auch Verfahren zur Machterlangung, Rechtfertigung und Verteidigung derselben -, dass Unterschiede von gut/besser informiert strukturiert sind. Nur wer besser oder vorteilhaft informiert ist, setzt sich durch. Alle anderen verlieren den Machtkampf, erklären sich widerwillig einverstanden, scheiden aus oder gründen eine weitere Organisation, die nach dem selben Muster entsteht.
Man könnte das auch so formulieren: wenn die Piratenpartei eine organisierte Partei sein sollte, in der jeder gleichberechtigt mitmachen, mitreden und mitentscheiden darf und sogar sollte, dann hat sie kein Organisationsproblem, weil sie es bei Selbstorganisation belassen kann.
Wenn sie sich aber dennoch ein Organisationsproblem einhandelt, wie gegenwärtig zu beobachten, dann stellt sich doch die Frage, was das eigentlich soll. Also wenn alle mitreden, mitmachen und mitentscheiden können und dürfen, dann auch „trollende, hetzende, pöblende Menschen“. Aber wenn die nicht, dann braucht man eine Organisation, die ohne Machtkompetenz, ohne Privilegien, ohne Expertentum, ohne Karrieren, ohne Professionalität nicht funkionieren kann. Wenn aber Machtkompetenzen zustande kommen, braucht man keine Piratenpartei.
Die Piratenpartei ist das Ergebnis gelingender Selbstorganisation, für die noch kein geeignetes Problem erfunden wurde, weshalb versucht wird, alte Problembehandlungsroutinen (z.B. als Meinungskampf) durchzuhalten. Das kann aber so nicht funktionieren. Daher diese Ratlosigkeit.
Weitere Artikel zu diesem Thema in diesem Blog:
Aussichtslose Aussichtslosigkeit?
Die politische Innovation und die Krise der Piratenpartei
Sprechblasen zweiter Ordnung
So ich vernommen habe, leiden die Piraten daran, Beschlüsse gefasst zu haben, die sie vor sich selbst verstecken. So wurde sowohl ein Verfahren implementiert, welches auch zwischen den Parteitagen Beschlüsse fassen kann, als auch die Möglichkeit offen gelassen, das ‚Wie‘ festzulegen, z. B. per Online-Abstimmung. Obwalter wurde der Bundesvorstand … man kann sagen, die Online-Basisdemokratie der Piraten besteht seit Sonntag – auch wenn es die ’normale‘ Presse nicht gerafft hat. http://streetdogg.wordpress.com/2013/05/13/liebe-partei-du-machst-mich-fertig/
Dieser Artikel passt hier gut rein, denke ich:
http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2012/08/24/viel-passivrauch-um-nichts-die-piratenpartei-deutschland-und-die-pseudowissenschaft/
Das stimmt so nicht. Auch Sendeanstalten, Verlage sind Organisationen und sie sind besonders kapitalintensiv, weshalb sie eine starke exklusive Dimension haben. Der Punkt um den es geht, ist ein anderer. Wenn man den Eindruck hat, und diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich oft und regelmäßig mit Massenmedien befasst, dass das Geschäft von Journalisten eine Doppelbödigkeit aufweist, dann ist man damit gar nicht so sehr im Irrtum. Journalisten müssen behaupten, sie wollten sich nur für Zuschauer/Leser interessieren, indem sie sie informieren/unterhalten. Es ginge Journalisten nur um Berichterstattung, nicht um sie selbst. Dass man daran große Zweifel haben kann, war immer irgendwie klar, aber war massenmedial inkommunikabel, weil der Zugang zu massenmedialer Produktivität durch Kapitalintensität streng limitiert war. Woher kommt aber die Hartnäckigkeit, mit der Journalisten das behaupten dürfen? Die kommt daher, dass Reziepienten als Produzenten von Massenmedien bislang immer ausgeschaltet waren. Sie konnten gleichsam keine „Selbsthilfegruppen“, keine eigene „Verbraucherschutzgruppen“ gründen.
Mit dem Internet geht das jetzt. Daher diese Selbstverbrämung des Journalismus unter dem Stichwort „Qualitätsjournalismus“ – jetzt kommen die Rezipienten auch als Produzenten in Frage. Und jetzt stellt sich die Klage dieser Organisatoren von Massenmedien heraus: Urheberrecht, Leistungsschutzrecht, Kostenlos- und Amateurkultur, Trollerei und dergleichen. Früher konnten die Rezipienten sich nur über Journalismus beklagen, jetzt können sich die Journalisten auch über ihre Rezipienten beklagen.
Man erkennt nun, was bislang immer gewusst, aber immer verhindert, verschoben, marginalisiert, vermieden wurde: Berichterstattung ist das Produkt sozialer Selbstorganisation. Das wird jetzt erkennbar, wo die dafür geeigneten Mittel durch das Internet angeliefert werden.
Noch ein Nachtrag zum vorherigen Kommentar.
Welche Chance kann die Piratenpartei gegenwärtig nicht nutzen? Sie verbraucht sich bei der Lösung eines Problems, das für sie praktisch gar nicht anfällt, aber das sie dennoch angehen muss, weil auch dort (aber nicht nur dort) noch nicht in Erfahrung gebracht wurde, was mit den neuen Möglichkeiten des Internets anzufangen ist. Woher auch? Denn Neues ist ja unbekannt und lässt sich nicht so einfach zu Sprache bringen.
In diesem Fall betrifft dies funktionale Festlegungen, die sich in der Rollenverteilung der Gesellschaft eingespielt haben und die nicht mehr mit Aussschließlichkeit funktionieren, gemeint ist die Aufteilung in Politker, Wähler und Journalisten.
Bekanntermaßen verprechen Politiker ihren Wählern vor Wahlen auf dem Wege massenmedialer Durchsage viele Dinge, von denen nicht nur die Wähler wissen, dass nur die Hälfte gehalten werden. Mindestens die andere Hälfte aller Versprechen werden nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses sofort gebrochen. Das gilt für alle Parteien. Bislang war es so, dass nach der Wahl die Wähler für Politiker unerreichbar waren, weil Politiker, bzw. Parteiorganisationen keinen eigenständigen Zugang zu Massenmedien hatten und nur wenige von ihnen als Mitglieder in den Parteien adressierbar waren. So kam es dazu, dass sich Journalisten als Vermittler dazwischen setzten und nun behaupteten, im Interesse der Wähler Politiker zu fragen, zu beobachten, zu kontrollieren. (Stichwort: vierte Gewalt.) Sie konnten dies tun, weil auch die Rezipienten keinen eigenen Zugang zu Massenmedien hatten. Sie konnten dieser Auffassung nicht widersprechen. Das heißt: im ersten Fall werden durch die Politik, bzw. durch mächtige Parteiorganisationen die Wähler nach der Wahl ausgeschlossen und im zweiten Fall werden durch massenmediale Organisationen wie Verlage und Sendeanstalten nun die Rezipienten ausgeschlossenen. Ergebnis ist der uns bekannte Medienzirkus, der zwar selbstrefernziell funktioniert, aber zu seiner Rechtfertigung alles nur fremdreferenzierend kommunizierte.
Was sich nun ändert ist, dass sowohl Politiker wie auch Wähler durch Internet einen eingenständigen Zugang zu massenmedialer Produktion haben. Die eingespielte Rollenverteilung Politiker – Wähler – Journalisten, in der alle Beteiligten wechselseitig für die Systeme der anderen ausgeschlossen waren, wird nun dadurch unterlaufen, dass alle jederzeit publizieren können.
Nur weiß das noch niemand zu nutzen. Statt nun zu lernen, wie es gehen könnte verbraucht sich die Piratenpartei dabei, alte und überholte Exklusionsverfahren zu wiederholen, aber dies mit völlig ungeeigneten Mitteln. Geeignete Mittel wären die Beschränkung von publizistischen Möglichkeiten der Mitglieder und Wähler. Aber genau das will in der Piratenpartei keiner. Und die Wähler wollen das auch nicht. Trotzdem wird Exklusion durch Meinungskampf betrieben und sie scheitern daran, dass keiner exkludiert werden kann, weshalb alle im Ermüdungfall zum Mittel der Selbstexklusion greifen, ohne gleichwohl auf ihre publizistischen Mittel zu verzichten.
Man müsste daraus den Schluss ziehen, auf diese Art der Machtorganisation zu verzichten und andere Strategien auszuprobieren. Aber: wer kann wem sagen, welche Alternativen besser sind, wenn keiner zum Schweigen gebracht werden kann?
Und da das nicht so einfach geht, muss vorerst der Irrsinnn weitergetreiben und übertrieben werden und zwar solange, bis die Erschöpfung ersetzt wird durch Reflexivität.
Richtig. Deshalb: Machtapparate bekannten Stils können nicht unter jeder Bedingung zustande kommen. Unter der Bedingung, dass alle Mitglieder publizieren dürfen und können geht es nicht. Das heißt folglich, dass entweder die Publizität via Internet behindert werden müsste, oder, da das nicht geht, müsste man darauf verzichten einen Machtapparat bekannten Stils neu aufbauen. Dies ist das Problem der Piratenpartei. Die Mitglieder wollen auf beides nicht verzichten. Sie wollen ins Wasser springen, aber sie wollen nicht naß werden.
Die Piratenpartei konnte erfolgreich zustande kommen unter der Bedingung der selbstorganisierten Publizität aller Mitglieder und versucht nun diese Erfolge der Selbstorganisation in Organisation zu überführen. Das klappt nicht. Man kann Selbstorganisation nicht organisieren. Die Überführung in Organisation kann gelingen, aber Organisationen bekannten Stils brauchen streng funktionierende Vermeidungsstrukuren, die aber durch das Internet nicht mehr gegeben sind.
Ergo: es müsste gelernt werden wie es geht, aber diese Lernprozesse werden durch den konventionellen Meinungskampf bei den Piraten blockiert, vermieden, unterdrückt. Es müsste anders gehen, aber keiner kann sagen wie es gehen könnte, weil Lernen nicht attraktiv ist und zwar deshalb, weil Lernbereitschaft, noch bevor Lernen erzwungen wird, für Meinungskämpfe keinen Vorteil liefert. Denn Lernbereitschaft verlangt Reflexivität und gemeinhin steht Reflexivität unter dem Vorbehalt, dass sie das Handeln schwächt. Das ist ein moderner Vermeidungsirrtum. Tatsächlich git, was Luhmann treffend formuliert hat:
„Gesellschaften, die über viel Reflexivität verfügen, verbinden dann leichte und folgenreiche Störbarkeit mit hoher Rekuperationsfähigkeit.“ (N. Luhmann, Soziale Systeme“ S. 616.) Damit sind Effizienzgewinne gemeint, die sich durch Vertrauensbeziehungen einstellen. Moderne Organisation aber sind regulierte und strukturell eingefrorene Misstrauensverhältnisse.
Was wäre, wenn die Piratenpartei sich umgestalten würde? Zu einem Verein, der politisches Whistleblowing betreibt. Der Weg dahin wäre, dass die Mitglieder des Vereins, den man Parteipiraten e.V. nennen könnte, in anderen Parteien Mitglieder werden, sich dort in Kommunikation zu relevanten Piratenthemen verwickeln lassen, sich dort um Parteiämter und Mandate bewerben, an Gremien teilnehmen und im Gegenzug ihr technisches und administratives Internet-Knowhow in die Parteien einführen. Auf diese Weise erlangen diese Parteipiraten Kenntisse von parteiinternen Diskussionen, Schummeleien, Tricksereien, Lügen, Intrigen, Machtspiele, also das ganze normale Programm von Machtapparaten. Statt nun aber in diesen Machtapparten selbst die Macht anzustreben, müssten die Parteipiraten diese Kenntnisse veröffentlichen. Dafür wird ein Publikum gebraucht, dass man bei den Wählern dieser Parteien findet. Denn schließlich werden die Wähler der Parteien durch diese Machtapparate an der Partizipation gehindert.
So könnte ein Parteipiraten e.V. eigentlich eine Wählerorganisation sein, und nicht eine Organisation, die sich selbst um Wähler bemüht. Eine Wählerorgansation braucht keine eigene Organisationsmacht, sondern findet sich durch Selbstorganisation des Internets und könnte bei Erfolg entsprechende Bedingungen an die Parteien richten. Dieser Verein könnte also das leisten, was gegenwärtig die Wähler der Parteien nicht können: sie können selbst kein Veto organisieren, sondern sind nach Abgabe ihrer Wählerstimme von der weiteren Partizipation ausgeschlossen.
Eine „Parteipiratenpartei“ könnte das vielleicht ändern, weil sie Erfahrung hat mit Selbstorganisation durch Internetkommunikation und damit hat sie ein Kapital, das andere nicht haben.
Hat dies auf systemagazin rebloggt und kommentierte:
Warum Organisation und Selbstorganisation nicht zusammenpassen. Am Beispiel der Piratenpartei kann man das gut erkennen …