Differentia

Monat: Mai, 2013

Das enigmatische Spiel der Wissenschaft 1

Die Wissenschaftsgeschichte kann sehr viel darüber berichten, zu welchen Zeitpunkten oder in welchem Zeiträumen und an welchen Orten, zu welchen Anlässen bestimmte Probleme aufgetaucht sind, wer diejenigen waren, die sich damit beschäftigt hatten, mit welchen Methoden sie versucht haben, diese Probleme zu erforschen und zu welchen Ergebnisse sie dabei gekommen sind.
Der allergrößte Teil aller Wissenschaftsgeschichtsschreibung begnügt sich damit, historische Differenzierungen hinsichtlich des „Was“ der Probleme und ihre Abfolge, der Methoden und der Ergebnisse zu liefern. Dazu gehören auch differenzierte Ausführungen hinsichtlich der jeweiligen Personen und Zuordnungen von Ideen, Ansätzen, Theorien und manchmal, leider viel zu selten, werden auch Sackgassen der Forschung thematisiert.
Das bekannteste Beispiel ist der Begriff des „Äthers“ in der Pyhsik (1). Dabei handelte es sich um die Annahme einer Substanz, die als Medium dafür sorgte, dass sich Licht ausbreiten konnte. Liest man diesen Wikipedia-Artikel zu diesem Thema so bekommt man eine Vorstellung davon, welche Klimmzüge eine Wissenschaft machen muss und offensichtlich auch machen kann, bevor erkannt wird, dass sie sich auf einen Holzweg eingelassen hat. Leider werden dann aber, sobald entsprechende Irrtümer erkannt werden, diese Dinge in der Rumpelkammer der Wissenschaftsgeschichte verstaut, gleich so, als gehörten die Irrwege, Umwege und hartnäckigen Blockademaßnahmen zur Rettung von Hypothesen gar nicht zum Geschäft. Skeptisch betrachtet könnte man sich aber gar nicht vorstellen, wie Wissenschaft zustande kommen könnte, wenn sie nicht irgendwelche enigmatischen Spiele anfinge. Dass damit anfangen wird, ist bekannt, aber nur selten wird erforscht und berichtet, warum und zu welchem Zeitpunkten bestimmte Probleme auftauchen und relevant werden oder eben auch an Relevanz verlieren.

Eines dieser enigmatischen Spiele, das seine Relevanz, wenigstens in der Wissenschaft eingebüßt hat, aber als ideologisches Residuum bis heute diskutierbar bleibt, ist die Physiognomie. Irgendwann im 18. Jahrhundert tauchte die Frage auf, ob zur Verbesserung der Menschenkenntnis die äußere Erscheinung von Menschen Auskunft darüber geben könnte, mit wem man es zu tun hat und auf welche Fähigkeiten der Anblick von Menschen schließen lasse.
Die Wissenschaftgeschichte kann enorm viele Einzelheiten über das „Was“ dieses Diskurses ermitteln, nur selten aber wird erklärt wie und warum dieses Problem entstand ist und warum nicht schon vorher. Die Geschichtsschreibung erklärt meist immer nur das „Was“ des Problems, aber nicht das „Problem des Problems“, hier in dem Fall: warum wurde der Anblick von Menschen etwa ab dem 18. Jahrhundert problematisiert, wenn doch eigentlich nichts so normal ist wie der Anblick von Menschen? Und warum wurde das Problem des Problems bis in den Rassismus geführt bis man erkennen konnte, dass das alles unhaltbar ist und das, obwohl die Einwände gegen die Physiognomie zu gleicher Zeit entstanden sind wie sie selbst.
Eine Wissenschaftsgeschichtsschreibung hat es immer noch sehr schwer solche Fragen zu beantworten, solange sie sich, wenn auch inzwischen auf hohem Niveau differenziert, auf eine positivistische Quellenkritik festlegt. Denn eine positivistische Quellenkritik verlangt ja, die Selbstauskunft der Quellen zu studieren und nicht die Gründe dafür, diese Quellen überhaupt zu erschließen. Denn die Gründe verweisen ihrerseits auf Probleme von Problemen, über die die Wissenschaft selbst aufgrund ihrer eigenen Normalitätserfahrung nur selten gut informiert ist. Die Wissenschaft beschreibt sich selbst als normal, als selbstverständlich, als irgendwie „natürlich“. Und über die Grenze solcher Unterscheidungen hinweg erkennt sie dann, wie seltsam und kurios, wie abwegig und bizarr ihre Geschichte ist.

Würde man die Betrachtungweise umkehren, würde man also annehmen, dass Wissenschaft selbst das kuriose Phänomen ist, so kann man sich über die Vielzahl der Abwegigkeiten gar nicht mehr wundern. Und vielleicht könnte man ohne Übertreibung sogar behaupten, dass die Wissenschaft selbst ein enigmatisches Spiel ist.

Fortsetzung

(1) Reiner Ruffing: Kleines Lexikon wissenschaftlicher Irrtümer. Gütersloh 2011, Stichwort Äther S. 29–31

Werbung

Mit Bildschirmen sprechen #singularität #transhumanismus #intelligenz

Bald kann man mit Bildschirmen sprechen. Das konnte man mit Parkuhren, Kühlschränken und Zigarettenautomaten schon immer und ist immer schon geschehen. Interessant ist jetzt nur, dass diese Autotmaten bald Antworten geben, die minimalen Erwartungen auf Antwortfähigkeit entsprechen. Hier ein Präsentationsvideo, das zeigt, wohin die Reise geht:

Trans- und Posthumanisten oder wie die Anhänger der säkularen Erlösungshoffnung heißen, kennen schon das Ziel der Reise. Die große Singularität. Sie hoffen auf irgendeine künstliche Intelligenz, die sich irgendwann selbst reproduziert und dann die Menschen primitiv aussehen lässt.

Das traurige an solchen Zukunftsvisionen ist, wie hoffnungslos zurück geblieben sie sind. Sie benutzen ein Beobachtungsschema, das aus dem 17. Jahrhundert stammt und zu dieser Zeit von großer Wichtigkeit und Relevanz gewesen ist. Dieses Beobachtungsschema bezieht sich auf den cartesischen Dualismus, allerdings wird er nach Maßgabe einer eschatologischen Transzendenzhoffnung um die Möglichkeit erweitert, dass auch auch die res extensa selbst eine res cogitans erwerben könnte. Dass es sich dabei um eine religionsähnliche Spinnerei handelt kann man daran erkennen, dass dieser Trans- und Posthumanismus das Problem der Metaphysik  – die Kontingenz der Notwendigkeit  – in eine notwendige Kontingenz umdreht: weil die Singularität möglich ist und alle empirischen Technologien darauf hindeuten, dass es darauf hinaus laufen könnte, so wird diese Singularität auch eintreten. Und alle unzureichenden epistemologischen Einwände, Vorbehalte und Erklärungsschwierigkeiten, die sich insbesondere auf den paradoxalen Gehalt aller Devination beziehen, werden einfach mit dem Hinweis auf eine erkennbare Zukunftsgewissheit blockiert. Wenn sie auch nicht erklären können, wie das möglich sein sollte, so wird das eben die Zukunft zeigen. Die Transhumanisten haben schon die Wahrheit auf ihre Seite, alles andere ist notwendiges Offenbarungsgeschehen.

Ein Beispiel, das zeigt, wie theologisch dieser Singularitätsglaube geprägt ist, zeigt sich, wenn man darauf achtet wie unlösbare theologische Schwierigkeiten aus alter Zeit durch unlösbare technisch-epistemologische Schwierigkeiten ersetzt werden.

Die alte theologische Scholastik kannte das Problem des Gottesbeweises. Ein Beweis bezog sich auf die Frage nach der Allmacht Gottes. Wenn Gott allmächtig ist, so eine spitzfindige Frage, kann er dann auch einen Felsen erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht hoch heben kann? Die Paradoxie ist: wenn Gott allmächtig ist, müsste er einen solchen Felsen erschaffen können. Wenn er ihn aber nicht hoch heben kann, so ist er nicht allmächtig.

Dieses Problem wird nun von den Transhumanisten ersetzt und in folgende Form gebracht: Wenn Menschen Intelligenz erforschen und herstellen, können sie dann auch eine Intelligenz erschaffen, die mächtiger ist als ihre eigene Intelligenz? Die Transhumanisten würden antworten: die menschliche Intelligenz ist nicht allmächtig, aber die Komplexität der technischen Verwicklungen kann es nicht ausschließbar machen, das etwas entsteht, das – gerade weil die menschliche Intelligenz nicht allmächtig ist  – intelligenter und darum mächtiger ist als alles Menschenvermögen. Und wenn man dem zustimmen wollte, müsste man anschließnd fragen: aber wenn es so ist, so reicht die menschliche Intelligenz immer noch aus um die Singularität festzustellen, wenn sie eingetreten ist? Eigentlich müsste sie dazu doch dazu gar nicht ausreichen, oder, wenn doch, was soll das ganze dann? Jetzt wird erkennbar, was dieses Herumreiten auf Intelligenz und künstliche Intelligenz eigentlich bedeutet. Es bedeutet: Selbstbeeindruckung, und im Strukturzusammenhang mit der Entfaltung transzendentalter Subjektivität: Selbstbeeindruckung durch Selbstbeschränkung.

Eine Überlegung könnte lauten, dass das alles nichts, aber auch gar nichts mit Intelligenz zu tun hat. Intelligenz ist eine soziale Zurechnungsleistung, die man vornehmen, bestätigen, zurückweisen oder auch unterlassen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, wem oder was man Intelligenz zurechnet: ob Menschen, Tieren, Geistern, Göttern, Maschinen oder Pflanzen, in allen Fallen kann und darf gefragt werden, ob die Zurechnung Ansprüchen an Differenziertheit, Kohärenz, Plausibilität, Logik, Beweisbarkeit oder Vermittelbarkeit Genüge tut. Man kann auch Ansprüche an Wahrheit anführen, aber das sind schon lange nicht mehr die diejenigen, die die überzeugendsten Antworten liefern. Und außerdem: nicht nur ist Widerspruch auf jede Antwort möglich, das betrifft auch Antworten von Maschinen, sondern immer auch Widerstand gegen jede Anweisung, dies betrifft auch Anweisungen von Maschinen, egal wie sich sich legitimieren. Und wird in Fragen der Legitimität keine Einigkeit erzielt, nun, dann führt das zu Gewalt.

So ist es weniger eine Frage der Intelligenz, sondern mehr die Frage eines geeigneten Beobachtungsschemas.

Und tatsächlich: schaut man sich das Video oben an, so gibt es tatsächlich Anlass zu der Frage, mit welchem Beobachtungsschema man diese sich zeigenden Verwicklungen beschreiben und erklären kann. Die zurück gebliebenen Gewissheiten von Zukunftoptimisten sind naiv und helfen da nicht weiter.

%d Bloggern gefällt das: