Keine Theorie des Internets. Eine Rezension über: Theorien des Internets #systemtheorie
von Kusanowsky
Eine hübsche Rezension über Buch „Theorien des Internets“ von Martin Warnke findet sich im Blog LIBREAS. In dieser Renzension heißt es scharfsinning:
Eine Einführung, insbesondere eine, welche bei aller notwendigen Schwerpunktsetzung diese disziplinäre Breite skizzieren würde, wäre notwendig. Aber vielleicht war der Autor die falsche Wahl für eine solche Einführung. Warnke liefert zumindest mit „Theorien des Internets zur Einführung“ kein Werk ab, das diesen Ansprüchen Genüge tut.
Der Grund für diese harte Aussage ist leicht benannt: Die im Titel des Werkes versprochenen Theorien des Internets fehlen. Warnke hat genau eine Theorie. Das Internet begreift er als autopoietisches System – in einer relativ großzügigen Anlehnung an Niklas Luhmanns Systemtheorie –, welches sich durch emergentes Wachstum und lose Kopplungen auszeichnen würde. Dies sei in der technischen Infrastruktur inklusive der verwendeten Standards angelegt, wäre zudem die Ursache für den Erfolg des Mediums und gleichzeitig auch der Grund dafür, dass das Netz nicht vollständig zu steuern ist. Zwar hat diese Theorie einige Schwachstellen. So wäre das von Warnke beschriebene Wachstum unter Umständen mit dem Konzept des Rhizom von Deleuze und Guattari besser zu beschreiben als mit dem Emergenz-Begriff. Gleichzeitig fehlen Aussagen dazu, wie das Netz als autopoietisches System eigentlich mit welcher Umwelt kommuniziert, was sich bei einem Bezug auf die Luhmannsche Systemtheorie eigentlich als nächste Frage aufdrängt. Aber es ist eine gültige Theorie des Internets. Nur ist das die einzige Theorie, die im gesamten Buch vorkommt.
Warnke hat also eher ein Buch über seine eigene Theorie geschrieben, als eine Einführung in die unterschiedlichen Theorien des Internets.
Und auch in Hinsicht auf die Frage, ob es sich beim Internet um ein autopoeitisches System, kann man erhebliche Zweifel haben, was der Autor der Renzension andeutet: „Gleichzeitig fehlen Aussagen dazu, wie das Netz als autopoietisches System eigentlich mit welcher Umwelt kommuniziert, was sich bei einem Bezug auf die Luhmannsche Systemtheorie eigentlich als nächste Frage aufdrängt.“ Wichtig ist vor allem die Frage der Grenze. Ein autopoietisches System zieht durch Beobachtung eine Grenze, durch die es sich von seiner Umwelt unterscheidet. Diese Grenze wiederum ist eine spezifische Differenz, die in der Umwelt des Systems keine Entsprechung hat. Aber welches wäre die spezifische Differenz, durch die das System Internet von seiner Umwelt unterscheidbar wäre? Darüber findet sich nichts.
So scheint das Buch nicht nur nicht von „Theorien des Internets“ zu handeln, sondern auch nicht von nur einer Theorie, jedenfalls müsste man das ganze Programm der Luhmannschen Systemtheorie durchdeklinieren: Autopoiesis, Grenze, Leitdifferenz, Programme, Codes, strukurelle Koppelung, Beobachtungstheorie, Funktion und Struktur usw.
All das fehlt, aber das autopoetische System Funktionssystem Wissenschaft hat sich zum wiederholten Male erfolgreich reprodziert. Das Buch ist ein wissenschaftliches Buch, wie der Autor der Rezension bemerkt: „Aber es ist eine gültige Theorie des Internets“. Gültig ist die theorie, wahr ist sie womöglich auch, weil die Schrift bürokratisch genehmigt ist, und reputationsfördernd ist das Buch ohnehin, egal was drin steht.
So kann wohl kein Internetnutzer etwas damit, aber: darauf kommt es für die Wissenschaft nicht an. Noch hat die Wissenschaft keine brauchbare Theorie des Internets, aber Schriften hat sie bereits massenweise. Nichtwissen wurde mal wieder erfolgreich gerechtfertigt.
Es ist alles in Ordnung.
Wer schon immer wissen wollte, ob man tatsächlich kreativ ist, der sollte folgenden kurzen Kreativitätstest von Niklas Luhmann probieren:
“Auf der ersten Stufe ist eine ganz einfache Verhaltensregel zu befolgen: Man nehme sein Gewissen und gehe in das Nachbarzimmer. Wenn man feststellt, dass der Nachbar Bücher liest, die man selbst noch nicht gelesen hat, und wenn man dann ein schlechtes Gewissen verspürt, ist man nicht kreativ. Man will ihn nachahmen. Wenn man dagegen feststellt, dass der Nachbar die gleichen Bücher liest wie man selbst und man dann ein schlechtes Gewissen verspürt, ist man vermutlich kreativ. Denn dann such man, vielleicht unbewusst, neue Wege. Kreativität wird hier also über die Steuerung von Schuldgefühlen getestet. Allerdings ist dies nur die erste Stufe des Tests. Auf der zweiten Stufe gilt dagegen die Regel: Wer den Kreativitätstest anwendet, ist schon deshalb nicht kreativ; denn das zeigt, dass er interessiert daran ist, kreativ zu sein. Und das wollen ja schließlich alle.”
http://www.berlin-mitte-institut.de/kreativitaetstest-nach-niklas-luhmann/
Christian Fuchs (2008) Internet and Society: Social Theory in the Information Age. New York: Routledge.
Routledge Research in Information Technology and Society Series Number 8.
Paperback version published in 2010
http://fuchs.uti.at/books/internet-society/
Die Leistungsfähigkeit der modernen Systemtheorie zeigte sich u. a. bei der Erklärungen der molekularen Prozesse, die zur Entstehung des Lebens führten (durch Prigogine und Eigen), und in einer umfassenden Theorie der Evolution (u. a. durch E. von Weizsäcker). In der Soziologie fasst z. B. Luhmann die Gesellschaft als autopoietisches Kommunikationssystem, das heißt, das System Gesellschaft besteht aus Kommunikationen, die es selbst produziert und reproduziert. Indem festgelegt wird, worüber sinnvoll kommuniziert werden kann, wird die Komplexität der Welt reduziert; dies ermöglicht überhaupt erst Orientierung in einer Welt, die sonst zu unübersichtlich wäre. Sinn ist für Luhmann nicht eine Leistung des Subjekts, sondern die Weise, in der das System Gesellschaft die Möglichkeiten des Zugangs zur Welt zu begrenzt; die Welt bleibt dabei immer Horizont für mögliche neue Sinnsetzungen. Da sich das System Gesellschaft die Strukturen der Kommunikation autopoietisch selbst schafft, kommt die Umwelt – also alles, was nicht Kommunikation ist (einschließlich der Menschen in ihrer physischen Existenz) – in ihm nur insofern vor, als über sie innerhalb dieser Strukturen kommuniziert wird. Entsprechendes gilt auch für die Teilsysteme der Gesellschaft; so können etwa im Teilsystem Recht gesellschaftliche Themen nur als Rechtsfragen wahrgenommen und bearbeitet werden. Die immer weitere Differenzierung in solche Teilsysteme ist für Luhmann das wesentliche Kennzeichen der Evolution des Systems Gesellschaft, spezielles Merkmal der modernen Gesellschaft ist dabei, dass an die Stelle der vormodernen hierarchischen eine funktionale Differenzierung tritt. Dabei wird in jedem Teilsystem alles auf dessen jeweiligen ›Code‹ bezogen, z. B. auf Geld in der Wirtschaft oder auf Wahrheit in der Wissenschaft.