Die Gelehrsamkeit geht den Weg allen Fleisches
von Kusanowsky
Bei Facebook gibt es einen tüchtigen Sammler, der regelmäßig humorvolle Luhmann-Zitate postet. (Hier)
In der evangelischen Gelehrsamkeit des 18. Jahrhundert sammelte man auf Kalendern Luther-Zitate zur Erbauung und Besinnung, im 19. wurden diese Sammlungen durch Goethe-Zitate ersetzt. Was dann im 20. Jahrhundert im Kreise bürgerlicher Gelehrsamkeit alles so zitiert wurde, kann man nicht mehr so gut heraus finden, was daran liegen mag, dass niemand mehr sagen konnte was die bürgerliche Gelehrsamkeit eigentlich noch war. Ersetzt wurde sie deshalb durch die marxistische Gelehrsamkeit, die dann wieder mit Marx-, Lenin- und – beliebt vor allem bei wohlstandsverwöhnten Studies der 70er Jahre – mit Maozitaten daher kam. Die postmoderne Gelehrsamkeit der 80er Jahre führte dann das Selbstzitat ein.
Nun sind die Zeiten der bekenntnismäßigen Besinnlichkeit genauso vorbei wie die bürgerliche und marxistische Gelehrsamkeit, nicht aber die Freude an Zitatensammlungen. Und da Materialien für Besinnlichkeit, Bekenntnis und Steigerung der Kampfmoral nicht mehr opportun sind, fehlt nur noch genügend Material geistreiches Gelächter.
Warum auch nicht? Eine andere Möglichkeit gibt’s ohnehin nicht mehr.
„Auf der einen Seite der intellektuelle Schrotthandel, der sich um ein Recycling von Ideen bemüht und seine Bedarfsartikel nur noch durch die Firmennamen ‚Neo’ und ‚Post’ unterscheidet. [Fn. 367 Man kann in dieser Form zum Beispiel über die ‚postindustrielle‘ Gesellschaft reden, obwohl ganz offensichtlich industrielle Produktion nach wie vor existiert und sogar mehr als zuvor unentbehrlich ist. Durch den offensichtlichen Unernst einer solchen Rede kann man sich der Kritik entziehen; denn man sagt zugleich, daß man nicht meint, was man sagt, sagt aber nicht, was man meint, wenn man sagt, daß man nicht meint, was man sagt. Man könnte die Hinweise leicht vermehren: Neomarxismus, Poststrukturalismus, Neofunktionalismus, Neokonservativismus oder mit Sachbezeichnungen: neue soziale Bewegungen, neuer Individualismus, neue Medien.]“
Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, S. 1096
Die Überlegung, dass diese ganze Gelehrsamkeit den Weg allen Fleisches geht und gehen muss, damit es weiter geht, ist nicht so leicht zu akzeptieren.
Hallo Herr K., ich liebe ihre Gymnastik und ihre Archäologie und den Versuch Zombies wieder zum Leben zu bringen, oder nun sie endgültig mit einer Silberkugel in die Ewigkeit zu schicken. All das was sie hier wieder zusammen getragen haben, das gilt doch hoffentlich auch für Luhmann Superstar, von dem seine Schüler sich ganz offensichtlich auch nur schwer emanzipieren und damit erwachsen werden können. Wenn ich früher mit Luhmann Schülern beim BDS Treffen zusammen saß, da konnte man schon heraus hören, wer ihn geistig los lasen konnte und wer nicht. Gilt auch für Theodor Wiesengrund Adorno, der liegt auch noch vielen wie ein Gewicht im Hirn, oder Bourdieu, – Relativieren ist da nicht möglich. noch nicht. Das Adeptenverhältnis hält beim Schüler stets über den Tod und die wachsende Bedeutungslosigkeit des Meisters an. Ich saß sogar schon einmal auf einem Stuhl, auf dem Niklas L. bei Metaplan gesessen hat, und ich habe seine Anwesenheit gespürt. Aber lesen kann ich ihn trotz alledem nicht, dafür schreibt er mir zu traumatisiert. Hilfreich für meine Ablösung von dem geleibten Meister war den Weg zu den Quellen des Wissens zurück zu gehen und da lernt man dann, dass er auch nur mit dem Wasser von Parsons und anderer amerikanischer Pragmatiker kocht, sich von diesem Fleisch ernährte und weil das damals ausreichte er mit diesem Amerika Bonus schnell punkten konnte. Auch seine Gelehrsamkeit ist damit für mich den Weg allen Fleisches gegangen und jetzt denke ich gerne selber und mache meine Erfahrungen mit den Schrottplätzen der akademischen Eitelkeiten – man wird halt immer wieder fündig – und baut das in seinen Theorie Gebrauchtwagen und Werkzeugkoffer ein, gelle?
Schrottplätzen der akademischen Eitelkeiten
Wenn Gedanken schon in ihrer Entstehung das Zeitliche segnen (das meine ich hier im Sinne der eigenen Zeit huldigen), wie das diese Epochalisierungen automatisch tun, dann weiß man schon, dass sie eines Tages ins Gras beißen müssen. Diese Marotte ist irgendwann Ende des 19. Jahrunderts entstanden, mit der Beschleunigung aller möglichen Entwicklungen in Technik, Gesellschaft, Kunst, Musik etc. Da entstand ein ganz neuer Einteilungsbedarf schon zu Lebzeiten.
Das gedankliche Problem bei einem Begriff wie „postindustrielle Gesellschaft“ scheint mir aber nicht der „Unernst“ zu sein, sondern nur der übliche Unsinn der falschen Verallgemeinerung. Wenn z.B. in Deutschland nur noch 15% der Wirtschaftsleistung dem Fertigungssektor zuzurechnen sind (USA 11%), dann ist es ja nicht verkehrt festzustellen, dass die Gesellschaft nicht mehr so wie früher von Arbeitern, Handwerkern und Ingenieuren bestimmt ist. Trotzdem nimmt der Begriff 1 Teilbeobachtung als „epochemachend“ an und baut sich daraus eine aktuelle These, die dann irgendwann sang- und klanglos stirbt, und wenn nur, weil es einem damit langweilig geworden ist.
Solche Soziologien könnte man ja mal als „spätwissenschaftlich“ bezeichnen, d.h. am Rande zum Verfall der Wissenschaft, weil diese Thesen gerade so lange als Wissenschaft duchgehen, wie sie en vogue sind. Der Soziologe als Medium des zeitgenössischen Selbstverständnisses – in der Hierarchie nur noch eine Stufe über dem SPIEGEL-Titel: „Das Ende der Arbeit“ (oder so) …
Ob das gut oder schlecht ist, dass sich die Gelehrsamkeit freiwillig einem „life-cycle of intellectual products“ unterwirft, finde ich keineswegs eindeutig. Die Menschheit ist ja nichts weieter als ein Lebensprozess, kein „Wahrheitsfindungsprozess“. Vielleicht sind ja Soziologen am besten dort aufgehoben, wo sie gar nicht mehr sein wollen als Teil des gesellschaftlichen Lebens? Was hülfe es denn dem Menschen, wenn er alle ewigen Weisheiten besäße und dabei seine Seele verlöre?
@fritz
ich finde deine Einwände immer sehr interessant, und bestimmt könnten sie mich in vielerlei Hinsicht anregen und mir weiter helfen. Allerdings hätte ich einen Generaleinwand: ich wünsche nicht länger von dir zu lesen, was richtig und was falsch ist. Der Unterschied von richtig und falsch ist nämlich falsch gewählt. Mich betrifft diese Paradoxie nicht, weil ich sie selbst wähle.
Mein Vorschlag als kritische Erziehungsmaßnahme lautet: alle deine Kommmentare, die zur Auskunft geben, was richtig und was falsch, was Sinn und was Unsinn, was vernünftig und unvernünftig ist, werde ich ohne Angabe von weiteren Gründen löschen. Alle anderen schalte ich frei.
Dein Bekenntnis über ein Einverständnis ist überflüssig, sondern wird von mir durch Freischaltung exekutiert.
(Bemerke, dass Freischaltung auch eine kommunikativ anschlussfähige Operation ist.)
Hältst du das wirklich für richtig? Dann wäre es ja falsch. 😉
Es ist allerdings eine interessante Überlegung bzw. Herausforderung, ohne eine Behauptung durchs Leben zu kommen. Es gäbe dann ja auch keine Antwort mehr?
Weiß ich nicht. Jedenfalls ist mein Blog keine Erziehunganstalt. Kein Wahrheitsfindungsvorgang. Deshalb: weil das so ist, stoppe ich aus Erziehungsgründen und zur Sicherstellung der absoluten Gewissheit alle deine Beitrage, die Wahrheitsparadoxien mitteilen. Und übrigens: dir ist es erlaubt dagegen zu sein. (Und mir ist es aufgrund der Umstände nicht erlaubt dagegen zu sein, denn alles was ich freischalte, schalte ich selbst frei.)