Wenn der Hund weint: Turing-Test für Hunde, erratisch-paranoische Impressionen V

von Kusanowsky

Das Video zeigt einen Hund, der versucht, eine Bronze-Statue zum Stöckchenwerfen aufzufordern. Angeblich handelt es sich bei der Statue um das Bronzebildnis von Alan Turing.

Der erratische Aspekt dieses kurzen Videos ist durchaus kompliziert. Es handelt sich beim Gesamtarrangement dieser Szene nicht bloß um eine filmische Dokumentation eines mehr oder weniger lustigen Ereignisses. Wenn man etwas geduldiger ist, kann einem auffallen, dass alles gar nicht so simpel ist.

Beschreiben würde ich diese Szene als ein höchst wackeliges Gefüge, das sich aus mindestens 8 Beobachterpositionen zusammensetzt. Dabei unterscheide ich zwischen zwei Arten von Beobachtern, die man in zwei Gruppen sortieren kann:

  1. Beobachter, die Unterschiede ermöglichen, aber nicht machen und
  2. Beobachter, die Unterschiede dadurch ermöglichen, dass sie sie machen (Der Unterschied ist die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung)

Dann käme man zu folgender Gliederung von Beobachterpositionen:

  1. a) die Bronzestatue
    b) der Hund
    c) die Kamera
    d) ein Verbreitungsmedium (hier: Internet)
    e) ein Bildschirm (egal welcher, inkl. Audioausgabe, das heißt der Bildschirmbeobachter bezieht sich nicht nur auf das, was man sehen, sondern auch auf das, was man hören kann)
  2. a) der Führer der Kamera
    b) Ich selbst (wer immer das ist.)
    c) ein Leser dieses Textes, wer immer das ist. Einer reicht, weil mindestens ein weiterer Beobachter für jeden Beobachter dieses Textes imaginativ anwesend ist. Das soll heißen: jeder Beobachter, der Unterschiede macht, kann von mindestens einem anderen wissen, der andere Unterschiede macht. Streng genommen müsste man daher unter 1 e. mindestens zwei Bildschirme anführen. Aber die durch zwei verschiedene Bildschirme ermöglichten Wahrnehmungsunterschiede kann man aufgrund ihrer Geringfügigkeit vernachlässigen.

Wenn man diese 8 Beobachterpositionen als Variablen zusammenfügt zeigt sich, dass die Witzigkeit dieser Szene ohne die Fähigkeit zu paranoisch-imaginativer Beeindruckbarkeit kaum auffällig wäre. Denn die Beeindurckbarkeit entsteht durch eine hierarchisch gegliederte Steigerung von Auffälligkeiten, die auf jeder Ebene die Auffälligkeit verstärkt:

1. Ein Hund fordert zum Stöckchenwerfen auf. 2. Der Hund fordert einen Beobachter zum Stöckchenwerfen auf, der für ihn ein Mensch ist. 3. Der Hund fordert einen Menschen zum Stöckchwerfen auf, der für einen anderen eine leblose Statue ist. 3. Dieser Statue bezeichnet Alan Turing. 4. Der Hund weißt nicht, dass mit Alan Turing eine Theorie der Mensch-Maschine-Kommunikation verbunden wird, die für einen Beobachter auch gefasst werden kann als eine Theorie, die sich auf ein Verhältnis zwischen lebenden und nicht-lebenden Beobachtern bezieht 5. So könnte man sich einbilden, dass die Kursiosität aus einem doppelten „Irrtum“ des Hundes besteht, nämlich einen Menschen zum Stöckchenwerfen aufzufordern und dabei einen Turing-Test zu absolvieren, den er nicht bestehen kann. 6. Der Kameraführer bemerkt das und er bemerkt, dass auch andere diese Kurisosität bemerken könnten, wenn er diese Szene abfilmt und verbreitet. 7. Durch das Verbreitungsmedium wird für mindestens einen weiteren Beobachter beobachtbar, dass hier Koinzidenzen auffallen, die auf Zufälligkeiten verweisen, die aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit der Beobachtung die Reflexion ermutigen. 8. Schließlich zeigt sich, dass ungeachtet der Unterscheidung zwischen Beobachtern 1. und 2. Gruppe alle beteiligten Beobachter für einander abwesend sind und sich lediglich mit Differenzen beliefern: der Hund, die Statue, die Kamera, der Kameraführer, der Bildschirm und mindestens zwei Menschen, die diesen Text über diesen Text lesen.

Die Sichtbarkeit, besser gesagt: die Beobachtbarkeit dieser Kuriosität entsteht dadurch, dass jeder Beobachter (egal ob Beobachter der 1. oder 2. Gruppe) für jeden anderen unsichtbar bleibt und lediglich für jeden Beobachter als imaginativ anwesend unterstellt werden kann. So wird im Verhalten des Hundes die Beobachtung dieser Situation reflexiv, indem sich an seinem Verhalten zeigt, was sich für jeden Beobachter der 2. Gruppe zeigt: Der Witz beruht nur auf Einbildung, auf Imagination, auf die Mutwilligkeit des Unterstellens von Irrtümern, die für jeden einzelnen keine sind, denn keiner irrt sich über sich selbst. Weder irrt sich der Hund über sich selbst noch alle anderen.

Und da das nicht sein kann, obwohl es so ist, erscheint die Sache kurios.

Wenn der Hund weint Teil I, II, III, IV.

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