neulich abgelauscht: Ein Dialog über den verbliebenen Rest von Öffentlichkeit #Bildschirmfesselung
von Kusanowsky
gestern abgelauschtes Gespräch in einer Kneipe
Er: … also, dann hatte ich mich umgesehen und hoppla, da war niemand … äh, was machst du da?
Sie: Ich? Nichts. Schreib nur noch einen Tweet über unser Gespräch.
Er: Und was schreibst du?
Sie: Das sag ich dir nicht. Das ist ein Geheimnis.
Er: Quatsch. Ich folge dir doch. Also mal sehen
….
Er: Was schreibst du denn über unser Gespräch?
Sie: Ich sagte doch, das ist geheim.
Er: Aber bei Twitter ist doch alles öffentlich!
Sie: Was hab ich denn über unser Gespräch geschrieben?
Er: Das will ich ja von dir wissen. Ich finde nichts.
Sie: (genervt) Ich sagte bereits, dass ich dir das nicht sagen werde. Sag du mir was ich geschrieben habe.
Er: Das kann ich nicht. Ich weiß nicht, welchen Twitteraccount du benutzt.
Sie: Ach was?
Er: Aus diesem Grund musst du mir sagen, was du öffentlich schreibst. Ich kann das ja nicht wissen.
Sie: Alle meine Twitteravatare sind öffentlich.
(Pause der Verwirrung)
Sie: Weißt du was ich meine?
Er: Willst du mich verarschen?
Sie: (zuckt mit dem Schultern…) Vielleicht. Äh nein, nur in aller Öffentlichkeit. Solange wir so unter uns sind nicht.
Er: Was willst du damit sagen?
Sie: Was willst du eigentlich von mir?
Er: Das hatte ich doch gesagt. Dass du mir sagst, was du öffentlich über unser Gespräch mitteilst.
Sie: Was geht dich unser Gespräch an?
(Pause der Verwirrung)
Er: (genervt) Also ich meine, dass mich unser Gespräch sehr viel angeht.
Sie: Na bitte. Worüber reden wir denn?
Er: Worauf willst du hinaus?
Sie: Das habe ich öffentlich mitgeteilt. Alles andere ist privat und geht dich nichts an.
…
(Bis zu dieser Stelle konnte ich das Gespräch protokollieren, dann ging mein Kugelschreiber kaputt. Wenn Google-Glass kommt kann das nicht passieren.)
Jetzt ist es offenbar schon (oder auch noch) eine Frau, eine hochintelligente dazu, die sich nicht reinlegen lässt, aber auch nicht von und durch sich selber, die aber Geschichten erzählt, welche sehr stark an die Taktiken und Verhaltensweisen von @Kusanowsky erinnern. Es ist eben so eine ganz besondere Sache mit dem dem, was ganz offen in der Welt ist und dennoch ums Verrecken nicht richtig öffentlich werden kann, weil nicht darf und daher auch nicht soll, aber: Es wird dennoch eine Menge darüber geschrieben. Zum Beispiel die folgenden kleinen unvergessbaren öffentlichen, aber nie veröffentlichen Geschichten aus Deutschlands längst vergangener Geschichte, die gerade wieder einmal erfolgreich aufgewärmt oder aufgefrischt wird in einem öffentlichen Dreiteiler, in dem alles so ganz und einmalig privat ist wie dies:
Da war der gutsituierte Berliner Geschäftsmann, verheiratet mit einer Jüdin, der im Berliner Osten, im ersten Stockwerk einer Prachtallee, ein vielschaufensteriges Handelsgeschäft betrieb, wo es für Geld alles gab, was damalige moderne Bürobetreiber so brauchten und verbrauchten, vor allem Schreibmaschinen der verrücktesten Art, hochraffinierte mechanische Rechenautomaten und geradezu ungeheuerlich anmutende Buchungsmaschinen, wie sie sich nur Konzerne wie Siemens oder AEG oder Telefunken überhaupt leisten konnten.
Diesem Mann gehörte das vierstöckige Geschäftshaus, worin auch sein Laden eine ganze Etage einnahm. Er hatte zwei Söhne, die beide einmal stramm als leitende Mitarbeiter im väterlichen Betrieb vorgesehen waren. Dem einen, dem Kronensohn, machte diese väterliche Drohung nichts aus, denn der Vater hatte ihn vorsorglich bei der Firma Olympia als Schreibmaschinenmechaniker ausbilden lassen. Dem anderen allerdings, dem Benjamin, grauste bei dem Gedanken an einen Arbeitsalltag im Büro, aber er hatte ja gerade erst das Abitur geschafft, und dieser vorsorgliche Vater hatte in weiser Voraussicht seine beiden Söhne für den väterlichen Betrieb unabkömmlich stellen lassen, (u.k. hiess das), sodass sie überraschenderweise beide bis zum Kriegsende nicht Soldat werden mussten. Wenn mensch hört und weiss, dass dieser clevere Geschäftsmann überdies mit einer Jüdin verheiratet war und sich – als angesehenes Parteimitglied – dennoch nicht wie Heinz Rühmann verhielt, sich also nicht von ihr scheiden liess, dann fängt mensch langsam an zu staunen darüber, was offenbar und offensichtlich schon immer öffentlich in einer gut präparierten Öffentlichkeit möglich war.
Wie es im Berliner Bombenkrieg so zuzugehen pflegte: Die schöne berühmte Allee wurde so ziemlich zerfetzt und von seinem Bürohaus blieben dem armen Mann nur der Anspruch auf die Trümmer. Seinen Opel Kapitän hatte er wohlweisslich auf dem Lande bei Dresden von allen unerkannt eingemottet bei einem Bauern aus der weit zertreuten sächsischen Familie untergracht. Er besaß in Berlin, parallel zur Prachtalle noch ein vierstöckiges unauffälliges Wohnhaus, worin er im ersten Stock für sich als den ausgebombten Familienvater mit Frau und zwei Kindern mit Hilfe der Partei eine bescheidene Vierzimmerwohnung freigemacht konnte, als die amerikanischen Bomben Ende ’44 sein Bürohaus rücksichtslos zerstörten. Hier empfing er dann die mittelrangigen Vertreter der russichen Armee, die sich entlang der Prachtallee zügig vorankämpften hin zum Alexanderplatz und dann – historisch weit darüber hinaus – bis hin zum Endsieg am Reichstag und in der Wilhelmstrasse und dem Führerbunker.
Der Geschäftsmann zeigte den erstaunten Russen seine nervlich leicht zerrüttete aber gesundheitlich wohlbehaltene jüdische Ehefrau vor und bat um Förderung seines Geschäfts und seiner beiden Söhne. Den Schreibmaschinenmechaniker behielt er sich selber vor für den mit russischer Hilfe und Duldung vorgesehenen bescheidenen Neuanfang als Reparaturwerkstatt für mehr oder weniger stark zerstörte, sich aber überall in den Trümmern der Häuser leicht auffinden lassenden Büromaschinen. Dafür versprach er den Russen, dafür zu sorgen, sie mit einem jeden Typ an Büromaschinen zu beliefern, wenn sie ihn doch bitte nur endlich wieder ans Reparieren und Zusammensetzen liessen. Den Anfang machte er mit drei Mann in einem ausreichend großen Raum in einer umprogrammierten gut erhaltenen Schule, worin der zuständige russische Bezirkskommandant eine neugeschaffene örtliche Verwaltungseinheit hatte unterbringen lassen. Das städtische Leben musste ja schliesslich weitergehen.
Da dieses neue Bezirksamt selbstverständlich von den aus allen Löchern krabbelnden oder auch aus Russland eingeflogenen Kommunisten bescherrscht wurde, brachte dies für den Benjamin den Vorteil, seinen langersehnten Berufswunsch zu verwirklichen. Er trat aufbauwillig der KPD bei, die ja nicht sogleich mit der neuen Schein-SPD zur SED vereinigt werden konnte, und vorerst auch nicht sollte. Er wurde Referent für die sinnvolle Beschäftigung arbeitsloser Jugendlicher, die eine jede Verwaltung hätte von der Strasse haben wollen. Sie sammelten vorerst Ziegelsteine aus den ja reichlich vorhandenen Trümmerbergen. Diese rohen Steine wurden dann von ebenfalls – notgedrungen – arbeitswütigen Frauen gesäubert, die schliesslich auch nicht warten konnten, bis ihre in russischer Kriegsgefangenschaft ausharrenden Männer endlich wieder bei ihnen zu Hause sein würden. Der Benjamin, wie gesagt war clever, er gründte im Rahmen eines sich langsam bildenden FDJ-Verbandes eine kecke, kesse und überaus beliebte Künstlertruppe, als deren Leiter er dann auch all seine Künstlerträume als Theatermann verwirklichn konnte.
Der Superbürokaufmann war dankbar für jede oft in erbärmlichen Zuständen angelieferte Büromaschinen, die alle prompt wieder gebrauchsfähig gemacht wurden. Er überzeugte seine Russen, dass er seine ihnen gegebenen Zusagen nur dann einhalten könnte, wenn sie ihm gestatteten, ein bescheidenes kleines Auto zu betreiben und auch für den benötigten Sprit sorgten. Das alles geschah reibunslos. Der Chef fuhr nach Sachsen, zu seinen Verwandten, entmottete sein hübsches kleines Auto und lernte bei dieser Gelegenheit einen militärischen Verbindungsmann kennen, dem es ein Leichtes zu sein schien, (nicht nur schien), an die damals in Dresdener Zigarattenfabriken für die Besatzungsmacht speziell hergestelten sogenannten Papyrossi heranzukommen, und zwar in überraschenden großen Mangen. Auf den Zwanzigerpackungen prangte der Kopf eines sibirischen Schlittenhundes, weshalb diese überall bekannte und begehrte – wenn auch, wegen des langen Papiermundstückes und dem ungewohnt kurzen Tabakanteil kritisch beäugte – wohlschmeckende Zigarette den schönen Namen Hundekopfpzigaretten vom Verbraucher bekam. Meine Mutter hat sie gerne geraucht.
In diesem kleinen aber feinen und durchaus florierenden Betrieb, der unangreifbar unter dem Schutz der Besatzungsmacht UND der aufstrebenden neuen Partei stand, habe ich – trickreich – meine wegen Einberufung zur für mich unerbittlichen Wehrmacht abgebrochene Lehre vollendet und 1946 die Gesellenprüfung mehr gezaubert als abgelegt. Da ich ein Gesellenstück vorlegen konnte, (eine Woche Arbeit: eine Morsetaste, wie ich sie bei meinem eigentlichen Lehrbetrieb, der Firma Telefunken in Zehlendorf kennengelernt hatte), hatte die sich neu formierende Handwerkskammer keinen Bedenken, mich mit einer guten Note in die Reihe der Büromaschinenmechaniker gnädig aufzunehmen. Der Chef war da großzügiger, denn er hatte mir vom ersten Tage an den vollen Gesellenlohn gezahlt. Sein Sohn hat mich dann zu Ende ausgebildet.
Fünfzehn Jahre habe ich dann in anderen Industriebetrieben erfolgreich zugebracht, nachdem mir im Herbst 1947 die zertrümmerten Schreibmaschinen doch langsam zum Halse heraus hingen. Ich wechselte – immer noch in Ostberlin wohnend – dann doch schnell nach Westberlin und 1951 dann nach Wiesbaden. Aber: Wo immer ich auch hinkam und eingestellt wurde als Versuchsmechaniker, (aus dem Hause Telefunken, das zog immer), überall begegneten mir diese cleveren Hundekopftypen als einsatzfreudige Chefs, die sich in allen Lebenslagen sicher zu helfen wussten und die nach dem Grundsatz, leben und leben lassen, zwar das Land in Schutt und Asche gelegt hatten, es aber ebenso clever wieder aufbauten. Aber das wären ja ganz andere, wenn auch kleine Geschichten, aus denen das ZdF niemals wird einen Dreiteiler zusammensetzen. Warum nicht? Weil sie zwar für alle offenbar sind aber – weil nie erzählt – eben nicht öffentlich und damit nix für die Öffentlichkeit oder gar für so ehrenwerte Historiker wie dieser Guido Knop, der uns alle beglückt hat mit den – wenn auch ganz anders gelagerten – Musterstücken deutscher Geschichte(n).
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders aus Bad Schwalbach.
Seit mit dem Internet jeder Mensch die Mögichkeit erhalten hat, publizistisch tätig zu sein ist auf der Basis der selben Möglichkeiten auch die Tatsache in die Welt gesetzt worden, dass jeder Spionage betreiben kann. Man müsste ein theoretisches Verständnis entwickeln, mit dem verstehbar wird, dass die Geschäfte des Veröffentlichens und Geheimhaltens die selbe Differenz benutzen und welche Konsequenzen das für ein Vertrautsein mit der Welt hat, wobei eine Theorie auf eben dieser Basis operieren müsste.