„Niemand kannte mich persönlich“ – ein Fundstück
von Kusanowsky
Ein schönes Fundstück über diese Internetrollerei:
Einer der Hauptgründe, aus denen ich gegangen bin, ist letztlich dieser oben beschriebene tägliche Hass – beinahe egal, was man schreibt. Kommentator gegen Autor, Kommentator gegen Kommentator, manchmal auch – wenn es zu viel wird – Autor gegen Kommentator. Ja, ich hab darunter gelitten. Das mag daran liegen, dass ich vielleicht nicht so tough bin, wie ich gerne wäre. Das mag aber auch daran liegen, dass es mir in erster Linie nur darum ging, gute Geschichten auszugraben, spannende Texte zu schreiben, ein wenig Meinung kund zu tun, zu überlegen, wie die Zukunft aussehen könnte. Bloggen eben. Aber egal was, egal wie. Unter beinahe jedem Beitrag schlug mir vom ersten Tag an der blanke Hass entgegen, der sehr oft ins Persönliche ging. Mit welcher Berechtigung eigentlich? Niemand kannte mich persönlich. Ich konnte mich auch nicht daran erinnern, in meinem bisherigen Leben besonders viele Feinde angehäuft zu haben. Ich halte mich für einen halbwegs umgänglichen, nicht sonderlich arroganten Menschen. Ich hatte niemandem etwas getan. Woher kam diese Wut? (Herkunft)
Sehr beeindruckend, besonders diese Rat- und Hilflosigkeit, diese Unfähigkeit, die Bedingungen mit zu berücksichtigen, durch die diese Trollerei überhaupt auffällig wird: Für einander unbekannte Leute treten mit einander in Beziehung ohne das mindeste von einander zu wissen oder gar wissen zu wollen. Und was zeigt sich? „Niemand kannte mich persönlich.“ Sicher, woher auch? Daraus könnte man schließen, dass alles entsprechend nicht persönlich gemeint sein kann. Man kennt sich ja nicht. Denn nicht nur ihn kennt keiner persönlich, er kennt alle anderen auch nicht persönlich. Sie kennen sich nicht, sie wissen nicht, was sie von einander zu erwarten hätten und niemand kann unwidersprechbar mitteilen, worum es eigentlich geht. Und was das ganze überhaupt soll?
Könnte das vielleicht zu der Frage führen, dass nicht nur die Personen füreinander unbekannt sind, sondern auch die Sachverhalte, Themen, Meinungen? Und vor allem scheinen die Gründe unbekannt zu sein, durch die solche Diskussionen zustande kommen. Die ganze Kommunikation, die Kommunikation von Verdruss, Verworrenheit, Rat- und Hilflosigkeit scheint darauf hinzudeuten, dass es eigentlich nur um etwas sehr Unbekanntes geht.
Siehe dazu auch: Anfeindung im Netz: Der Troll im Schafspelz
Naja, ob persönlich gemeint oder nicht ist ja von persönlich bekannt oder nicht total unabhängig. Die – ggf. etwas netz-unerfahren-naive – Klage ist doch eher: Warum werden Leute persönlich, die mich nicht persönlich kennen? Also die Entäuschung, daß andere sich der hier als geltend angenommenen Norm nicht entsprechend verhalten, nämlich, daß man gegenüber Fremden höflich zu sein hat. Darum ist eher zu fragen: Warum und wie wirkt dieses Bloggen-Internet-Anonymität-etc.-Setting einerseits normbefolgungsbefreiend und andererseits normgeltungserwartungsgenerierend? Die füreinander Unbekanntheit wird’s wohl nicht sein. Eher das füreinander Entzogensein. (http://www.latent.de/Worte/InternetHoelle.html)
„Ich kannte ihn gut, da ich seine Texte gelesen hatte.“ – „Obwohl wir mehrere Jahre zusammen gearbeitet/gelebt hatten, kannte wir uns nicht wirklich.“ – „Diese Seite kannte ich noch gar nicht an ihm.“ Beim Brecht findet man noch viele weitere Sätze, wie „Er bloggte immer noch die gleichen Themen.“ oder „Gelegentlich traf man sich in in der Kommentarspalte der $@#-Blogs und wunderte sich, warum die Emotionen immer noch so stark kochten.“
Mist – alles gelogen – der Brecht hatte ja gar keinen Blog … aber ist schon trollig, oder?
Abgesehen davon, dass Ich nicht gemeint sein muss, um von einem Geschoss oder Geschiss getroffen zu werden, mach ich mir etwas daraus, wie es so treffend heißt.
… dass ich (klein geschrieben) nicht gemeint sein muss …
Ja, Reflexion kann helfen, gelassen zu bleiben: „Nicht ärgern, nur wundern.“ Trotzdem kann so gut wie niemand auf Dauer gegen seine Gefühle anreflektieren. Das Zermürbnis wird sich unausweichlich einstellen. Man sagt sich vielleicht, dass „die Leute“ nicht richtig gelesen oder verstanden haben, aber es gibt ja immer eine zweite Sprachebene, die genauso gefühlsduselig wirkt wie Bilder. Der Ausdruck wirkt, selbst wenn man die Ausdrucksweise ebenfalls durch Reflexion auf Distanz zu verhalten versucht – Ablehnung wirkt als Ablehnung, dagegen gibt es psychisch nur wenige Rettungsmöglichkeiten.
Und dann ist da noch ein zweiter Punkt, nämlich die Zerstörung des Schreibmotivs (bei Trollen der eigentliche Zweck, bei „Kritikern“ ein Nebeneffekt). Im Zitat heißt es: „… dass es mir in erster Linie nur darum ging, gute Geschichten auszugraben, spannende Texte zu schreiben …“ Wenn man für anonyme Leser „spannende Geschichten ausgräbt“, dann mit dem Motiv, mit Lob, Zuspruch, Sternchen und Likes belohnt zu werden. Erntet man nur „Hass“, gibt es keinen Grund mehr, irgendetwas zu veröffentlichen. Das schmerzt eben nicht nur, es macht das ganze Vorhaben sinnlos. Dann ist man sogar besser dran mit einem passwortgeschützten Blog – das klassische Tagebuch im Internet. Das hat den großen Vorteil, dass der immens narzistische Akt, den „meine eigenen Gedanken niederschreiben“ darstellt, in Takt bleibt.
@latent_de
„Die füreinander Unbekanntheit wird’s wohl nicht sein. Eher das füreinander Entzogensein.“ …
Es ist dieses Entzogensein, das die Zusammenführung ermöglicht. Zusammenengeführt werden aber nicht Einzelköprer, eben die sind vollständig exkludiert. Exkludiert sind aber auch Menschen überhaupt. Und es handelt sich um Selbstexkludierung durch Bildschirmfesselung. Zusammengeführt werden allein Adressen, von welchen niemand sagen kann, wer sie benutzt, wie viele verschiedene Benutzer eine Adresse hat, wie viele Benutzer mit mehreren Adressen beteiligt sind usw. Diese ganze Blogkommunikation ist chaotisch strukturierte Irrtumskommunikation, auf die sich alle einlassen und einlassen können, weil und solange sie für einander entzogen sind und entzogen bleiben. Die Bildschirmfesslung stellt sicher, dass niemand aufgrund seiner Eigenfesselung (Faszination für Bildschirmgeschehen) andere daran hindern kann, sich ebenfalls auf eine solche Bildschirmfesselung einzulassen. Das nenne ich exoterische Inklusion, die Anonymität zwar aufheben kann, aber auch ohne diese Aufhebung erwartbar und damit zuverlässig strukturbildend funktioniert. Das heißt dann auch, dass nicht diese Strukturbildung das Problem ist, sondern die kritische Disziplin, wenn sie unter diesen Bedingungen durchgehalten werden sollte. Denn die kritische Diszplin verlangt esoterische Exklusion, also Schutzwälle, Schutzmäntel, Schutzgräben – kurz: Vermeidungsstrukturen, die eine kritische Situation garantieren.
Die Bildschirmfesslung lässt aber kritische Situationen nur im Ausnahmefall zu.
@Kusanowsky – ich denke auch, so wird es sein: offensichtlich sind hier – zumindest wohl eben in diesem Fall – vollkommen konträre, absolut unkompatible Sprachwelten aufeinander gestoßen. Wenn sich dieser unbekannte offensichtlich gutwillige und auf allgemein verbreitete gute Umgangsformen bauende Blogger nicht in Weisheit zu retten weiss, die auf einem festen unerschütterbaren Fundament von innerer Gelassenheit aufruht, dann wird ihm schwerlich zu raten und zu helfen sein. Ohnehin ist ja klar: Ratschläge sind allemal auch bloß Schläge, die zwar nicht körperlich weh tun und auch selbstverständlich nicht schmerzlich sein sollen – im Gegenteil – aber semantische Gesten, seien sie noch so bedeutungserfüllt, können einem in schierer Verzweiflung erstarrten Denker (der das Schreiben nicht lassen kann), gewiss nicht aus seiner Schockstarre befreien. Aber versuchen kann mensch es ja auf jeden Fall, denn homo sapiens und scribens in der Rolle des homo publicus sollte von halbwegs Gleichgesinnten möglichst nicht im Stich gelassen werden:
Unbekannter Blogger, wenn mensch eine im ersten Anlauf vollkommen opake Situation vorfindet, in die er ein wenig Licht hinein bringen soll und auch will, empfiehlt es sich oft, mit einem worst case scenario zu beginnen: Wie immer, verehrter Herr, Sie sich selber zu sehen geneigt sind, setzen wir dennoch den Fall, ihr Sprach- und Ausdrucksstil hat etwas an sich, das einen unvorbereiteten Leser allzu leicht und allzu schnell auf seine spezifische Palme bringt. Die oben vorgelegte Schreibprobe klingt zwar ganz harmlos und überaus gutwillig und gemässigt, aber: das ist ja auch ein Selbstverteidigungs- und Rechtfertigungstext. Als neutraler Beobachter, der urteilen soll, müsste mensch in die Lage versetzt sein, einen stark sach- und welthaltigen Text von Ihnen lesen zu können. Dabei ist durchaus nicht gemeint und auch nicht erforderlich, dass mensch Ihnen ungebührlich zu nahe treten möchte, aber: Fragen Sie doch, bitte, einmal einen sehr guten Freund oder einen sonstwie mit Ihren Denkweisen vertrauten Menschen, wie der es empfindet, wie es sich von aussen anfühlt, wenn mensch Zeuge wird, sobald Sie loslegen, um eine Sachlage zu vertreten, die Ihnen überaus am Herzen liegt. Der gemeine Durchschnittsleser neigt dazu, sich selber für den unangefochtenen Mittelpunkt nicht seiner, sondern Der Welt zu halten. Tiefgreifende und tiefschürfende Reflexionsneigungen darf mensch von dieser werbegeschärften und meist auch politikverdrossenen Spezies nicht erwarten. Kurz: versuchen Sie doch mal – Erfahrung zeigt, dass das geht – weniger rechthaberich und mehr als neutraler und toleranter Beobachter und Beschreiber Ihrer Welt aufzutreten. Ich selber habe die schöne Erfahrung gemacht, seitdem ich beschlossen hatte, einen jeden zunächst einmal vollkommen kritiklos gelten zu lassen und niemanden verbal anzugreifen (obwohl ich selber durchaus sehr kritiksüchtig bin umd zum Perfektonismus tendiere), ich selber habe mir geschworen, niemanden mehr anzugreifen und mir immer im voraus zu sagen: suum cuique, also einem jeden das Seine oder – mit den Worten des Neuen Testatments: Rede zu einem jeden in SEINER Sprache. Das sogenannte „Verstehen“ (als anzustrebende Übereinkunft) und die diesem Streben zugrunde liegende Kommunikationsstrategie haben sich durchaus bewährt. Fremde Leser sind für jeden Autor zunächst einmal so unberechenbar wie fremde Hunde. Und fremde Hunde neigen nun einmal dazu, fremde Akteure, die in ihr Revier eindringen, zumindest einmal probeweise anzuknurren.
Mit freundliche Grüssen, Ihr: Rudi K. Sander alias dieterbohrer, manchem
bekannt aus dem BLOG http://supersozius.wordpress.com oder von der
Twitterbühne her als @rudolfanders aus Bad Schwalbach.
Selbstfesselung, wie Odysseus an den Mast, so der User ans Displaying Interface. Schön und gut. Aber nicht auch Selbst-Erregung?
„stellt fest, dass das mehr oder weniger offene Wunden sind, spritzt man noch ein bisschen Gift hinein, das Ganze entzündet sich und so kommt ein erregter Stil zustande. Da treten dann halt Menschen auf, wenn man sie sieht, machen sie einen halb-wahnsinnig, nicht, und dann führt man sie ein in so ein Buch, eben in eine Erregung.“
„Erregung ist ja ein angenehmer Zustand, bringt das lahme Blut in Gang, pulsiert, macht lebendig und macht dann Bücher“
„Die Galle ist das Beste, was ich habe“, sagte schon Lessing.
Abgesehen von den Struktur-Sonderbarkeiten der Kommunikation im Netz gibt es diese Umwandlung des höflichen Menschen in einen allzeit bereiten Choleriker vor allem auch im Straßenverkehr zu beobachten. Da fährt einer nicht sofort bei grün los und ist dann gleich für einen anderen ein „Idiot“. „Das füreinander Entzogensein“ ist da durch die Blechkiste realisiert – das übliche Minimum an Empathie wird unmöglich.
Im Netz rücken sich Teilnehmer selbst noch zusätzlich aus der Empathie-Zone heraus, wenn Sie Pseudonyme und Avatare nutzen.
Das Paradoxe ist, dass man im Netz eher höflicher als im normalen Leben formulieren müsste, um die Bereitschaft zum gegenseitigen Verstehenwollen anzuzeigen und zu erhöhen. Stattdessen formulieren die Diskutierer allgemein sehr nachlässig, hastig und missverständlich. Da muss schon manchmal „Ironie an/aus“ dazu gesagt werden, damit nicht einander womöglich dazu verführt wird, einen dicken Hals zu kriegen. Schon einzelne Worte lösen erst ein MIssverständnis aus, dann einen Streit und schließlich gegenseitiges Verfluchen auf alle Zeit auslösen kann. Die Eskalationskurve vom „falschen“ Wort zum massiven Beleidigen geht da ruckzuck, nach zwei drei Satzwechseln blasen sich die Backen auf. Der Bernhard zeigt dabei in dem Video schon mit Körperhaltung und Gestus, was auch zur Aufregungsgenese gehört – Selbstgefälligkeit, Selbstgerechtigkeit, Selbstbehauptungswillen. Im Auto kommt aber auch bei den sanftmütigsten Frauen oft eine Seite zum Vorschein, die man nicht für möglich halten sollte 😉
@Fritz Was bei all den bisher angestellten Überlegungen unbefragt als Grundierung mitschwang ,war die Unterstellung, Wut, Erregung, Empörung, Aufgeregheit markierten entweder Gemütszustände minderer Qualität und seien demzufolge zu mißachten, oder überhaupt Emotionen (psychos-somatische Bewegtheiten), welche im Kontext ernstzunehmender Interaktion (oder auch nur Kommunikatio) nichts zu suchen hätten.
Dies scheint mir insgesamt alles andere als ausgemacht zu sein.
Sind wir aufgerufen, die Liebe zu predigen? Man muß sich nicht gleich zum Advokaten von Wut und Haß erklären, doch: Ein Interesse daran, wie diese Betroffenheiten, als ein sich aufgerufen – adressiert – fühlen zu handeln – heißt: zu antworten – („hier wird deine empfindlichste Zone berührt, rühr dich!“) ein Grundmovens alles Sinngeschehens ausmachen, wäre doch einzufordern…
Benhard scheint mir da durch eine fast karikatureske Überzeichnung einiges deutlich werden zu lassen: Es bedarf der fremdinduzierten Selbsterregung, der selbstinduzierten Fremd-Erregung, -Affizierung, -Affektion (ja, vielleicht -Neurotisierung, -Hysterisierung), denn sie ist: a.)ein angenehmer Zustand. Und b.) die conditio sine qua non aller Kommunikation.
@elbo sind wir mit der Selbsterregung nicht bei den thymotischen Energien, die Sloterdijk diskutiert hat („Zorn und Zeit“ )? http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zorn-und-zeit-von-peter-sloterdijk-wenn-ganze-kulturen-sich-beleidigt-fuehlen-1380330.html
Der reine Verstand motiviert kein Handeln, auch kein kommunkatives Handeln. Es braucht eine Emotion, um eine Absicht zu haben. Man kann zwar die Absicht haben, vernünftig zu sein, aber woher die Absicht nehmen?
Am Ende muss man die Erregung daran messen, was sie hervorbringt. Wenn Lessing seine „Galle“ das Beste nannte, was er habe, meinte er damit, dass sie ihn sprachlich und gedanklich produktiv und einfallsreich machte. Ein guter Zorn wäre konstruktiv, nicht destruktiv. Auf der Gegenfahrbahn der Gefühle ist bekannt, wie „Liebe“ (sich wünschen, dass wer oder etwas existiert) produktiv macht und eine nie endenwollende Redundanz an kultureller Produktion veranlasst. Aber auch jedes Reihenhaus wird letztlich nur aus Liebesgründen gebaut. Kulturell kann „Hass“ sehr unterhaltsam sein, gesellschaftlich fördert Hass die Un-Produktion („Tod“), sobald ihm Korrigate wie Liebe, Maßverhältnis und Vernunft (Folgenabwägung) fehlen.
@Fritz
“ … bei den thymotischen Energien, die Sloterdijk diskutiert hat …“
Zu diesem Punkt gibt es einen sinnreichen Artikel:
http://studgendeutsch.blogspot.de/2007/07/peter-sloterdijk-thymotische-energien.html
Da heißt es:
Der zentrale Begriff dieses Buches ist die „thymotische Welterfahrung“. Peter Sloterdijk wählt mit dem Begriff „thymos“ einen Begriff aus der griechischen Sprache und erläutert diesen folgendermaßen:
„Das griechische Kennwort für das ‚Organ‘ in der Brust von Helden und Menschen, von dem die großen Aufwallungen ausgehen, lautet ‚thymos‘ – es bezeichnet den Regungsherd des stolzen Selbst, zugleich auch den rezeptiven ‚Sinn‘, durch den die Appelle der Götter sich den Sterblichen kundgeben.“ (S. 24)
Sind diese „thymotischen Kräfte“ nicht eigentlich die Antriebskräfte einer göttlichen, einer dionysischen Wildheit? Damit ist ja keine barbarische, unzivilisierte Wildheit gemeint, sondern eine Beherrschungsgewalt, die auch noch ihre Zügellosigkeit mitberücksichten kann und darum eigentlich eine vollständige, eine göttliche Selbstbeherrschungsgewalt genannt zu werden verdient. Dass also auch alle Vernunft keineswegs eine keimfreie, neutrale Vermittlungsmöglichkeit wäre, sondern wie Nietzsche vielleicht gesagt hätte, Vernunft wäre ein ganz halbseidener Abglanz dieser Göttlichkeit, die zu erreichen dem Übermenschen vorbehalten sei. Vernunft wäre das Fünkchen eines dämonischen Feuers und nicht seine Kontrollinstanz.
@fritz @dorotyna spieka
„Die dionysische Kunst dagegen beruht auf dem Spiel mit dem Rausche, mit der Verzückung. Zwei Mächte vornehmlich sind es, die den naiven Naturmenschen zur Selbstvergessenheit des Rausches steigern, der Frühlingstrieb und das narkotische Getränk. Ihre Wirkungen sind in der Figur des Dionysos symbolisirt. Das principium individuationis wird in beiden Zuständen durchbrochen, das Subjektive verschwindet ganz vor der hervorbrechenden Gewalt des Generell-Menschlichen, ja des Allgemein-Natürlichen. Die Dionysos-Feste schließen nicht nur den Bund zwischen Mensch und Mensch, sie versöhnen auch Mensch und Natur. Freiwillig bringt die Erde ihre Gaben, die wildesten Thiere nahen sich friedfertig: von Panthern und Tigern wird der blumenbekränzte Wagen des Dionysos gezogen. Alle die kastenmäßigen Abgrenzungen, die die Noth und die Willkür zwischen den Menschen festgesetzt hat, verschwinden: der Sklave ist freier Mann, der Adlige und der Niedriggeborene vereinigen sich zu denselben bacchischen Chören. In immer wachsenden Schaaren wälzt sich das Evangelium der „Weltenharmonie“ von Ort zu Ort: singend und tanzend äußert sich der Mensch als Mitglied einer höheren idealeren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und das Sprechen verlernt. Noch mehr: er fühlt sich verzaubert und er ist wirklich etwas Anderes geworden. Wie die Thiere reden und die Erde Milch und Honig giebt, so tönt auch aus ihm etwas Übernatürliches. Als Gott fühlt er sich, was sonst in seiner Einbildungskraft nur lebte, jetzt empfindet er es an sich selbst. Was sind ihm jetzt Bilder und Statuen? Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden, er wandelt so verzückt und erhoben wie er die Götter im Traume wandeln sah. Die Kunstgewalt der Natur, nicht mehr die eines Menschen, offenbart sich hier: ein edlerer Thon, ein kostbarerer Marmor wird hier geknetet und behaun: der Mensch. Dieser vom Künstler Dionysos geformte Mensch verhält sich zur Natur, wie die Statue zum apollinischen Künstler.“
Friedrich Nietzsche in: Die dionysische Weltanschauung.
http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/DW
https://twitter.com/ElbeChirurg/status/308561273044471808
Zunächst kann man diese Trollerei nicht mit einem Handlungskonzept begreifen. Trolle sind auch keine Subjekte, sondern in bezeichne sie als Epiphänomene einer many-to-many-Kommunikation. Dabei handelt es sich um eine Kommunikation, die ein Massenmedium für Massenmedien bereit stellt und Dauerirrtum durch Kontingenzüberflutung chaotisch strukturiert. Trolle sind in dieser Hinsicht nur Epiphänomen, eine Art Abfall-Erscheinung, wirkungslos und überflüssig, etwas, das auch noch auffällt, wenn diese Irrtumskommunikation zustande kommt. Daher sind Trolle so etwas wie paranoische Phantome, die allein durch erwartbare Anoymytät in Erscheinung treten und sofort verschwinden, wenn Anonymität aufgedeckt wird.
Allerdings gilt dies nicht solange die parasitäre Wirkung dieser Trollerei durch Immunreaktionen auf der Basis der selben Operativität verdeckt wird. Solange Verdeckung beispielsweise durch Empörungs-, Vermeidungs- oder Protestkommunikation gegen Trollerei gelingt, gelingt immer auch die Fortsetzung dieser Trollerei. Die parasitäre Wirkung ist gleichsam eine Autoimmunreaktion von dieser Art der Kommunikation (chaotische Selbstorganisation auf der Basis überkontingenter Irrtumswahrscheinlichkeit) gegen sich selbst.
Trolle sind keine Menschen, auch keine maskierten Menschen, so wie Micky Maus, Dick und Doof oder Romanfiguren allgemein keine Menschen sind. Es handelt sich dabei um Sinngestaltung nichtanthropogener Provinienz. Menschen können nur Menschen erzeugen, aber keine Phantome. Das gilt auch, wenn diese Phantome von sich selbst behaupten, Menschen zu sein, oder andersherum: wenn Menschen von sich zur Auskunft geben, dass sie Trolle seien. Denn dann verschwinden diese Phantome durch Aufdeckung sofort. Das ändert nichts daran, dass solche Kommunikationsstrategien (wie etwa Julia Seeligers „Trollfeminismus“) nur erfolgreich sind auf der Basis dieser Irrtumskommunikation.
Dass diese Trolle aber wirkungslose Epiphänomene sind, wird deutlich, sobald diese parasitäre Kommunikation als Provokationsverfahren zur Ordnungsfindung aufgefasst wird. In dem Fall wandeln sich die Räuber zu Polizisten, die dann wieder von anderen Polizisten ganz ungestört gestört werden können.
Die Frage wäre dann, ob Hipster Menschen sind.
Die Frage könnte auch lauten, ob Kreter Lügner sind.
Gewöhnlich würde diese Frage in der Soziologie unter Verwendung eines Habituskonzepts oder einer Habitustheorie behandelt. Der Ausgangspunkt für solche Betrachtungen liegt in der Annahme subjektheoretischer Handlungskonzepte, die Habiutalisierungen als selbstreflexive Expressivität von Lebensstilen beschreiben. Die Annahme dabei ist immer, dass der Habitus diejenige Form von Macht sei (oder prinzipiell wengstens immer als Machform aufgefasst werden kann) durch welche Anschlussfindung gelingt. Denn subjekttheoretsiche Erklärungsansätze müssen ja auch die Frage beantworten, wie Anschlussfindung zustande kommt. Und in dieser Hinsicht sind Habitusanalysen von Bedeutung. Der Habitus sei ein Machtkonzept zur Übergabe von Anschlussselektivität.
Ich würde dagegen Habitualisieurungen als Konzepte zur Strukturierung von Vermeidungsverhalten beschreiben. Durch erfolgreich Habitualsierung wird die Beobachtung vermieden, dass nur Kommunikation Kommunikation anschließbar machen kann, und nicht Menschen.
Diese Trolle lassen sich nun aber auch nicht nach Maßgabe einer solchen Vermeidungsverhalten beschreiben. Denn gerade die Phantome machen ja darauf aufmerksam, dass nichts vermieden werden kann. Und sie sind als Beobachtungskonstrukte deshalb erfolgreich, weil die Sichtbarmachung solcher Vermeidungsstrukturen der gleichen Irrtumskommunkation unterliegt wie alles andere auch. Denn: die Irrtumskommunikation kann ja auch ihre eigene Erscheinungsform verdecken.
Daher meine ich, dass eine entsprechende kommunikative Technik von der Kritik als Rechtfertigungskonzept ersetzt werden müsste durch Erratik oder Paranoik, also eine Technik, die keine Überzeuungsfähigkeit mehr veranschlagen kann und sich darauf entsprechend einrichtet.
„Daher meine ich, dass eine entsprechende kommunikative Technik von der Kritik als Rechtfertigungskonzept ersetzt werden müsste durch Erratik oder Paranoik, also eine Technik, die keine Überzeuungsfähigkeit mehr veranschlagen kann und sich darauf entsprechend einrichtet.“
Das bewegt sich schon sehr in die Richtung, aus der meine Frage kam. Der Anlass für die Frage war dieser Artikel in der FAZ (der aber prototypisch für ständig in unregelmäßigen Abständen erscheinenden Abrechnungen mit Hipstern in allen möglichen Tageszeitungen und Magazinen steht): http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/mode/es-nervt-schluss-mit-dem-hipsterspuk-12099301.html
Wenn man mal die Frage beiseite lässt, ob Trolle oder Hipster Menschen sind oder nicht, fallen mir folgende strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Phänomenen Trollerei und Hipstertum auf:
1. Beide treten in öffentlich zugänglichen Räumen auf.
2. Ihr Erscheinen kann nicht verhindert werden.
3. Beide bilden einen stetigen Keim von Erregungen aller Art (siehe obigen Artikel, „Hipsterfallen“ etc.) und werden als Störung empfunden.
4. Kritik an ihnen enthält eigentlich immer (wenigstens im Subtext) mindestens eine der folgenden Fragen oder Aussagen:
– Was soll das eigentlich?
– Warum macht ihr das?
– Wir wollen euch nicht (aber wir können nichts gegen euch tun).
– Wir sind nicht wie ihr.
5. Das Gegenmodell (Kritik im Troll-Kontext / Konformismus oder „echter“ Nonkonformismus im Hipster-Kontext) ist aufgrund ständiger Störung unbrauchbar.
6. Die Affirmation der eigenen Unschuld bekräftigt den Verdacht der Schuld (von Klaus im Troll-Kontext beschrieben). Der User felda kommentiert auf FAZ.NET: „antihipster sind auch hipster!“
Ich frage mich schlicht, ob man nicht auch das Hipstertum auf die Notwendigkeit einer Veränderung im Umgang mit nicht-sanktionierbaren Mode- oder allgemeiner Lebensstil-Gepflogenheiten hinweist und dies auf ganz ähnliche Weise. So wie die Trollerei als Signatur für die Unbrauchbarkeit von Kritik als Technik der Internetkommunikation begriffen werden kann, kann das Hipstertum eine Signatur für die Unbrauchbarkeit von (Non-)Konformismus als soziales Statement sein. Diese strukturellen Überschneidungen haben sicher Grenzen, aber vielleicht gibt es ja gerade genug davon, um einen interessanten Ansatzpunkt zu finden und mehr Analogien zu bereits vorhandenem Verständnis auszunutzen. Das kann ich aber momentan noch nicht sehen, ich assoziiere einfach drauflos.
„Ich frage mich schlicht, ob man nicht auch das Hipstertum auf die Notwendigkeit einer Veränderung im Umgang mit nicht-sanktionierbaren Mode- oder allgemeiner Lebensstil-Gepflogenheiten hinweist und dies auf ganz ähnliche Weise.“
Etwa so würde ein soziologischer Lebensstilanalytiker dieses Hipstertum beurteilen. Er würde sagen: die Expressivität dieser Selbststilisierung zeugt von Selbstreflexivität von Menschen, die ostentativ im öffentlich Raum vorgeführt wird, wodurch sich Geschmacksdifferenzen ergeben, welche wiederum provokativ dazu führen, dass anwesende Beobachter Anschlussselektionen (z.B. Massenkommunikation) übernehmen und die Ergebnisse wiederum verantworten müssen. Hier würde also die Expressivität des Lebensstils Kommunikation verursachen. Insofern wäre auch das Hipstertum ein Machtkonzept qua Protest, oder: Der Versuch, auf dem Weg der Kenntlichmachung von Geschmacksdifferenzen Aufdringlichkeit wahrnehmbar zu machen um damit Kommunikation herzustellen, bzw. Sozialität.
(allgemein: Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Bei Bourdieu findet sich ganz explizit der Hinweis, dass „Geschmack“ die differenzierungsleitende Differenz wäre.)
Was Lebensstilanalytiker nicht wahrhaben wollen ist, dass die Wahrnehmung von Geschmacksdifferenzen keineswegs Kommunikation verursachen muss, weil nämlich aufgrund der Aufdringlichkeit genauso gut auch Schweigen folgen könnte. Man könnte es aus dem selben Grund auch ablehnen, über Hipster zu reden. Gerade die Ostentativität der Geschmacklosigkeit könnte genauso gut ein Schweigen provozieren. Aber das wiederum können Lebensstilanalytiker nicht abfragen. Denn wenn auf die Frage eines Lebensstilanalytikers eine Antwort folgt kann man das Schweigen nicht mehr beurteilen.
So zeigt sich, dass sowohl das Habituskonzept der Soziologen als auch die es beobachtbar machenden Habitualisierungen in der Umwelt der Soziologie, keineswegs Machtkonzepte sind, die Anschlussselektiviät garantieren. Sondern: sowohl das Habituskonzept als auch die Habitualisierung wären gleichsam ein Verhalten, dass Vermeidung strukturiert, wobei vermieden wird, dass aufgrund der Habitusbeobachtung die Beobachtung der Beobachtung unterbleibt.
Daher diese Kämpfe um symbolische Gewinne, welche ja immer Differenzen von Verlust und Gewinn nach sich ziehen und damit Zurechnungsinstanzen für irgendwie differenzierte Wahrheitssaussagen. Diese Kämpfe stellen dann die symbolische Ordnung her, die von Soziologen nur abgefragt und in ihre eigene symbolische Ordnung integriert wird.
Der Unterschied zu Trollen ist, dass Trolle keinen Habitus prägen. Besonders deutlich kann man dies an Anonymous erkennen. Diese Aktivisten machen sich habituell durch diese Guy-Fawkes-Masken erkennbar, aber damit machen sie sich zugleich adressierbar, wobei hier der hübsche Fall auftritt, dass die Adressierung an eine öffentlich operierende Geheimorganisation, nämlich „Anonymous“ gelingt. Aber: die Habitualisierung ist selbst Vermeidungsverhalten, will die Beobachtung vermeiden, dass nur Beobachtung geschieht, nicht Menschenhandeln oder Menschenverhalten als Beobachtungsverursachung. Insofern wäre die Anonymous-Aktivisten allenfalls „Halbtrolle“, weil es ihnen ja gelingt, die Anonymität in gewissen Grenzen noch einzuhalten.
Tatsächlich aber ist ein Troll nur ein phantomhaftes Beobachtungskonstrukt, ein Gespenst, ein „Irgendwas“, ein „Dasda“ oder „Derda“, eben „Troll“, kein Habitus, keine Figur, keine Adresse. Ein Troll liefert sogar Anlass für die Vermutung einer reinen Selbstlosigkeit, weil ihm ja auch Aufmerksamkeit in symbolischer Hinsicht gar nichts einbringt.
Der Hipster will sich doch als adressierbar beobachtbar machen und: nicht wenige davon dürften auch etwas von Soziologie und von Lebensstilkonzepten, wenn auch vielleicht nur als Trivialderivate, Kenntnis bekommen haben. Wie auch immer man Hipster beobachten will: der Habitus ist allenfalls ein Verführungswerk, das darauf aufmerksam machen kann, dass alle Habitusanalyse gegenstandlos ist. Aber: eben dies ist schon wieder Habituanalayse.
Trolle aber sind niemand und sind nur bedeutungsvoll für den Fall kommunikativer Autoimmunreaktionen. Im anderen Fall wären sich einfach nur Adressen wie alle anderen.
Ich weiß ja nicht, ob das nicht ein Holzweg ist, über „Strukturähnlichkeit“ Äpfel und Birnen zum Kompott zu verkochen. Dann gibt es auch Strukturähnlichkeit z.B. zwischen Trollen und Polizisten. Und die Konformität des Non-Konformismus ist ja keine Erfindung der Hipster, sondern ein Signum von Mode im Allgemeinen und jugendlichen Gruppenbildungsprozessen im Besonderen. Trotzdem vllt weiterführend, zu erwägen, ob es Trollartige Störkommunikation auch in anderen, nicht sprachlichen Kommunikationsformen gibt. Dann kann man vllt auch Modetrolle entdecken (aber sind z.B. die ersten Punks Zerstörer der Kommunikation via Mode gewesen? Oder haben Sie nicht vielmehr einfach nur ein andere Aussage getroffen?), ist aber nicht so einfach, weil die Mode sich immer wieder aus den Subkulturen erneuert, sozusagen von unten nach oben. Der einzig glaubwürdige Modetroll ist eigentlich der- oder diejenige, die Mode nur nach Preis kaufen und dann grundsätzlich immer so angezogen sind, dass sie aus der Zeit gefallen sind, und zwar so, dass sie unter keinen Umständen zum Trendsetter taugen, also die Leute, die gar nicht wissen, wie unpassend und „out of fashion“ sie angezogen sind.
Kümstler müssen in gewisser Hinsicht Störer sein, um zum Star zu werden, sie werden aber immer wieder vom Kontext „Kunst“ eingefangen – Dada, Pollock, Lettristen, Beuys etc. etc. etc. sind heute alle museal.
Die „Epiphänomene einer many-to-many-Kommunikation“ bleiben dagegen unter allen Umständen Kommunikationsvandalen.
Wobei ich @Kusanowsky fragen möchte: Was gibt es denn da noch für weitere Ringe und Schichtungen rund um das Zentrum der „Irrtumskommunikation“ von allen an alle? Schattierungen?
„Was gibt es denn da noch für weitere Ringe und Schichtungen rund um das Zentrum der “Irrtumskommunikation” von allen an alle?“
Ich würde kein Schichtungskonzept vorschlagen, sondern zirkulär verbundene Beobachtungskonzepte:
# esoterische Exklusion (gemäß funktionaler Differenzierung, moderne Gesellschaft) vs. exoterische Inklusion, die nur eine diskursive Differenzierung zulässig macht.
# diskursive Differenzierung könnte heißen: Selbstorganisation ohne System auf Grundlage einer Rhizomatik, die soziale Entkoppelung provoziert und an der Entropiegrenze balanciert.
# Provokation von Ordnung durch Erratik, bzw. Paranoik vs. Rechtfertigung von Ordnung durch Kritik
# Überholung der Kritik durch Umorganisation von sozialer Fremdreferenz: Performate, die Fremdreferenz durch Selbstreferenz auswerfen, statt Dokumente, die Selbstreferenz durch Fremdreferenz vermeiden. Dazu gehört: eine Simulationstheorie, die nicht auf Nachahmung oder Vortäuschung beruht, sondern ein Realitätskonzept erhärtet: eine Simulation kann man nicht simulieren, heißt: nur eine Simulation ist real.
# diskursive Vermeidung von funktionalen Vermeidungsstrukturen
# ein assoziologisches Wissenskonzept, das nicht Regeln, Ordnung, Gesetze observiert, sondern eine operative Hermeneutik in Gang setzt
# Voraussetzung dafür ist eine apokalyptische Funktionsbedingung aller Irrtumskommunikation: dass nur Unverborgenes offenbart werden kann. Denn es kann ja sein, dass es sich um einen Irrtum handelt, dass alles irrtümlich geschieht.
# Beobachtungsvorausssetzung auch, dass alle Öffentlichkeit zu einer fiktiven Fiktion degeneriert, wodurch die Inklusionsbedingungen verschärft werden.
# Voraussetzung dafür sind wiederum alle Elemente dieses Kreises für jedes Element
Die gute Nachricht ist, dass ich glaube, dass mir einiges einleuchtet. In Punkt 4 ist mir die Sache mit der Simulationstheorie ausgesprochen dunkel. – Ich persönlich fühle mich sehr zur „operativen Hermeneutik“ hingezogen. Zweifel melden sich automatisch dort, wo das Wort „alle“ ins Spiel kommt. Beziehungsweise bei der „apokalyptischen Funktionsbedingung aller Irrtumskommunikation“. Der Verdacht, dass die Irrtümlichkeit (wer irrt da eigentlich in Bezug worauf?) kein Irrtum ist, sondern nur ein komplizertes Verfahren, wie große Mengen von vielsprachigen, durch verschiedene Erfahrungshorizonte vorgeformte Individuen sich weiter voranwälzen durch den unvermeidlichen Nebel der ungesicherten Erkenntnisse, dieser Verdacht steht ja zurecht im Raum und ist nicht leicht auszuräumen, meine ich. Das Leben geht ja weiter (es geht sogar immer länger weiter und die Erde ernährt heute mehr Menschen als je zuvor) – viel mehr ist hinieden ja nicht zu erwarten („… das ist der Weisheit ganzer Sinn …“).
„Ich weiß ja nicht, ob das nicht ein Holzweg ist…“
Diese Aussage ist bestimmt richtig, aber das weißt nur du.
„…über “Strukturähnlichkeit” Äpfel und Birnen zum Kompott zu verkochen.“
Das ist in diesem Fall sicher ein Holzweg, aber eben das macht man ja nicht. Man nutzt seine Erkenntnisse über die Herstellung von Apfelkompott, um auf die Idee zu kommen, dass man aus Birnen ja auch Kompott machen kann. Auch wenn man danach feststellt, dass man auf dem Weg dahin u. U. nur erfahren hat, wie man Birnen am besten schält.
„Dann gibt es auch Strukturähnlichkeit z.B. zwischen Trollen und Polizisten.“
Das stimmt. Und wenn man die nicht erforscht, dann wird man nie wissen, wohin das geführt hätte. Es gibt die verrücktesten Sachen, die man mit Strukturähnlichkeiten machen kann (http://de.wikipedia.org/wiki/Holografisches_Prinzip#AdS.2FCFT-Korrespondenz). Wer weiß, wo z. B. die Physik heute wäre, hätte man nicht die heuristische Macht von Strukturähnlichkeiten ausgenutzt. Gut möglich, dass es heute gar kein Internet gäbe.
„Und die Konformität des Non-Konformismus ist ja keine Erfindung der Hipster, sondern ein Signum von Mode im Allgemeinen und jugendlichen Gruppenbildungsprozessen im Besonderen.“
Kein Gegner von Emo- oder Hiphop-Subkulturen macht sich verdächtig, wegen seiner Kritik selbst der betreffenden Gruppe anzugehören (siehe „antihipster sind auch hipster!“). Hipstertum definiert Konformität nicht über schwarze Ledermäntel oder Baggypants, sondern über Individualität. „Konformität des Nonkonformismus“ ist innerhalb anderer Gruppen daher immer ein Non-Konformismus bzgl. derer, die nicht der Gruppe angehören. Bei Hipstern dagegen handelt es sich jedoch auch um Nonkonformismus bzgl. Mitgliedern der eigenen Gruppe und das heißt letztlich aller. Daher die Annahme der Unbrauchbarkeit von Nonkonformität als soziales Statement. Dazu kommt, dass sich selbst niemand dieser Gruppe zugehörig fühlen will. Das Konzept einer solchen Gruppe definiert sich daher kurioserweise nicht durch einen Gruppenbildungs- sondern durch einen Gruppenbildungsvermeidungsprozess. Ich sehe dabei das Hipstertum nicht als Ursache, sondern als Signatur einer veränderten Interaktionsstruktur, die auf eine Unbrauchbarwerdung bestimmter Ausdrucksformen hinweist. Vielleicht ist dies schon die ganze strukturelle Ähnlichkeit, aber allein das fände ich schon interessant. Denn es provoziert die Frage: Was kommt danach?
„Der einzig glaubwürdige Modetroll ist eigentlich der- oder diejenige, die Mode nur nach Preis kaufen und dann grundsätzlich immer so angezogen sind, dass sie aus der Zeit gefallen sind, und zwar so, dass sie unter keinen Umständen zum Trendsetter taugen, also die Leute, die gar nicht wissen, wie unpassend und “out of fashion” sie angezogen sind.“
Ob man zum Trendsetter taugt, bestimmt aber niemand selbst. „Ostentativität von Geschmacklosigkeit“ benötigt solche „Modetrolle“ geradezu. Woher sollte man denn sonst wissen, wie man sich geschmacklos kleidet?
Schauen wir doch lieber nochmal in obigen FAZ-Artikel. Da steht: „Das alles ist eigentlich kein Drama. Warum sollen sich Menschen zwischen zwanzig und dreißig nicht in Hosen zwängen, in denen sie aussehen wie ein Junkie, der eine Windel trägt? […] Leider hat der Hipster auch eine Agenda im Gepäck, […] Die Agenda ist diffus, sie setzt sich aus verschiedenen lebensanschaulichen Gesten zusammen. Man könnte sagen, es ist eine postmoderne Ideologie,“
Ich habe nicht den Eindruck als ob der Gegenstand der Erregung, der den Autor und die Verantwortlichen im FAZ-Feuilleton ja immerhin bewogen haben muss, einen Artikel darüber zu veröffentlichen, hier von selbigem sonderlich gut qualifiziert wird. Abgesehen von Äußerlichkeiten soll das Hauptmerkmal des Hipsters eine „Agenda“ sein, die dann aber „diffus“ ist? Der Text zeigt doch schon, dass hier gar keine stabile Beobachtung eingetreten ist. Irgendwie ist man mit irgendwas unzufrieden. Vielleicht liegt dieses irgendwas aber nicht in der Signatur begründet, sondern in dem was sie anzeigt, nämlich die Unfähigkeit, den eigenen Standort unter diesen veränderten Bedingungen zu bestimmen.
„Der Text zeigt doch schon, dass hier gar keine stabile Beobachtung eingetreten ist. Irgendwie ist man mit irgendwas unzufrieden.“
Diese Beobachtungen des FAZ-Artikels scheinen einer Verlegenheit geschuldet zu sein, dass nämlich die Irrtumskommunikaiton schon längst die Störkommunikation ersetzt hat, dass diese Hipster selbst keine krtische Kommunikation über Geschmacksurteile provozieren, sonder eine paranoische Kommunikation darüber, dass niemand so genau weiß, was dies Hipstertum soll. Diese Ersetzung selbst kann auch ein Irrtum sein oder auch nicht. Da aber Journalisten in Sachen Irrtumskommunikation strenge Verbote einhalten müsssen („Borderline-Journalismus“) so können solche Beobachtungen zustande kommen, Beobachtungen, die eine vollständige Kontingenz aller Beobachtungen beobachtbar macht und schließlich auch noch Unschlüssigkeit in dieser Hinsicht zurück lässt. Fest steht, was auch immer noch gemeint ist: die Zeitung ist voll geworden. Das wäre noch eindeutig. Was wäre aber nun, wenn diese Begrenzung schließlich auch noch wegfällt, wenn niemand mehr weiß, was viel und wenig ist, voll oder leer ist?
These: Durch Internetkommunikation wird die Störkommunikation durch Irrtumskommunikation ersetzt. Das heißt: es irren sich fast alles über fast alles. Das schließt natürlich diese These mit ein; sie könnte auch ein Irrtum sein. Soweit wäre das wenig interessant. Bedeutend wird das erst, wenn diese Irrtumskommunikation unverzichtbar wird und sich aufgrund dieser Unverzichtbarkeit differenziert. Der Anfangspunkt könnte sein, dass diejenigen, die von sich zur Auskunft geben, an dieser Irrtumskommunikaiton nicht teilzunehmen oder teilnehmen zu wollen, unter Verdacht gestellt werden können, nämlich unter den Verdacht, dass sie nicht angeben können, was sie eigentlich noch meinen und trotzdem glauben wollen, sich nicht lächerlich zu machen.
„Die Tragik des Menschen ist die des Verhungernden, der an der gedeckten Tafel sitzt und die Hand nicht ausstreckt, weil er nicht sieht, was vor ihm ist. Denn die wirkliche Welt ist unerschöpflich an Fülle, das wirkliche Leben ist wertgetränkt und überströmend, wo wir es fassen, da ist es voller Wunder und Herrlichkeit.“ Nicolai Hartmann: Ethik. 4. Aufl. Berlin 1962, S. 11.
@ElbeChirurg Danke, jetzt ist mir der Verleichspunkt klar. Da war ich auf dem Holzweg.
Ob es diesen standort-, ziel- und aussagelosen Hipster überhaupt gibt, weiß ich nicht. Aus einem FAZ-Feuilleton in dieser Hinsicht etwas abzuleiten, ist schwierig – beim Thema jugendkultureller Strömungen dürfte dort traditionell „Irrtumskommunikation“ vorliegen. Es könnte sich ja auch um eine Strömung handeln, die erheblich schwerer zu lesen ist als frühere Protest- bzw. Anpassungskulturen. „Die Unfähigkeit, den eigenen Standort unter diesen veränderten Bedingungen zu bestimmen“ eröffnet ja auch die Möglichkeit, jedwede kirtische Haltung einnehmen zu können – so viel „Meinung je nach Fall“ ist verwirrend.
@Fritz „Ob es diesen standort-, ziel- und aussagelosen Hipster überhaupt gibt, weiß ich nicht.“
Vermutlich gibt es ihn nicht. Aber ich finde es oft hilfreich, gewisse Merkmale zu abstrahieren, um zu sehen, ob man damit irgendwo landet bzw. ob man damit die dominanten Effekte einfangen kann. Danach kann man dann u. U. schauen, wie man sich graduell den Fluktuationen nähern kann.
@Kusanowsky Noch eine kurze Frage zu einer anderen Stelle:
„# diskursive Differenzierung könnte heißen: Selbstorganisation ohne System auf Grundlage einer Rhizomatik, die soziale Entkoppelung provoziert und an der Entropiegrenze balanciert.“
Was ist eine „Entropiegrenze“? Mir schießt da „edge of chaos“ in den Kopf, auch wenn das vermutlich was anderes ist.
Unter Entropiegrenze würden ich einen nicht operationalisierbaren Schwellwert verstehen, der einen symmetrischen Prozess der Assoziation und Dissozation von Elementen umschlagen lässt in eine Diskriminierung so erzeugter Koppelungsstrukturen, die eine Ausdifferenzierung ermöglichen und in der Folge diese Koppelungsstrukturen in Strukturkoppelungen umschlagen lassen. Ordnung entsteht dann durch Verminderung von Entropie.
So wäre das Internet ideal geeignet, solche Ordnungsbildungsmuster zu erfassen und zu sabotieren um den Widerstand gegen solche Sabotage zu provokativ verstärken. Voraussetzung dafür wäre auch eine psychische Umwelt, die eine enorm hohe kognitive Widerstandsleistung erbringen kann. Das könnte durch Bildschirmfesselung geschehen, durch welche Wahlmöglichkeiten erweitert werden. Augmented Reality ist also nicht Erweiterung von Realität oder Erweiterung von Wahrnehmung, weil ja die Wahrnehmungskapazitäten des Gehirns nicht beliebig gesteigert werden können. Gemeint ist damit nur Erweiterung von Freiheit, die darin besteht, wahlweise die Aufmerksamkeit darauf oder darauf zu richten und trotzdem noch eine Differenzierungsleistung zu erbringen. Der härteste kognitive Widerstand kann erbracht werden, wenn man sich von nichts mehr beeindrucken lässt:
https://twitter.com/kusanowsky/status/309612166368071680
Kein Argument, kein Beweis, keine Logik ist mehr ausreichend um noch Mit- und Nachvollzug von Sinnkomplexität zu erzwingen.
So wäre folgender Dialog für alle Beteiligten jederzeit nachvollziehbar, wenn alle voneinander wissen, dass eine weitere Wahrnehmungsebene (Google Glass, Mikrophon, Ohrhörher und live-Übertragung) immer eingeschaltet ist:
A: Was macht du heute nachmittag? … Mit Thunfisch und ohne Knoblauch.
B: Ausspannen. Das hab ich bereits erledigt …
A: Lust auf ein Bier? Und bitte keinen Käse.
B: Ach nein, ich glaub nicht. Was hast du gesagt?
Hier sind mindestens vier Gesprächspartner beteiligt, egal, ob für einander anwesend oder nicht. Aber: wo könnte sich der Beobachter dieses Gesprächs aufhalten?
Solche Kommunikation wäre enorm anfällig für Irrtumsinterventionen, gleichviel ob absichtlich oder unabsichtlich. Entscheidend ist, dass trotzdem noch Erwartungssicherheit garantiert wird, die allerdings darauf angepasst wäre, jederzeit auch wieder in Chaos zu zerfallen, weil das Ordnungsmuster durch Irrtumsintervention jederzeit auch kollabieren kann.
Unbedingt mal lesen: http://math.hws.edu/xJava/CA/EdgeOfChaos.html
„[…] how do interesting, complex systems, such as living things, arise in a world where one of the most fundamental principles is that entropy, that is disorder, always increases? […]“
„Unfortunately, we can’t simply say that there is a value of lambda that represents the edge of chaos. It’s more complicated than that. […] suppose you randomly modify rules one-by-one […] As you do this, you get a sequence of CA’s with lambda values increasing from zero to one. At the beginning, the CA’s are highly ordered; at the end they are chaotic. Somewhere in between, at some critical value of lambda, there will be a transition from order to chaos. It is near this transition that the most interesting CA’s tend to be found, the ones that have the most complex behavior.“
Um welche Irrtumsvoraussetzung geht es in diesem Text?
@ElbeChirurg @Kusanowsky
Der Verweis auf Edge of Chaos stellt für mich anschlussfähige Kommunikation dar, da ich früher mal im Bereich neuronale Netze damit hantiert habe. Nach zahlreichen Diskussionen mit @Kusanowsky denke ich heute, dass die Entropie-Metapher nicht wirklich weiter hilft.
Wir müssen anschlussfähige Anschauungsräume aktivieren. In der Biochemie denke ich an die Wasserstoffbrückenbindung: Plötzlich hatten Moleküle eine Sekunder- und Tertiärstruktur. Die Wasserstoffbrückenbindung hat sozusagen die Spielregeln des Systems geändert: plötzlich haben sich neue Dimensionen aufgetan (wodurch es Biokoleküle und somit uns geben konnte).
Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein biokybernetischer Blick auf Facebook, Twitter & Co: Welche Interaktionsformen (faven, RT, reply etc) haben das Potential, die Spielregeln zu ändern? Wenn wir uns auf der phänomenologischen Ebene auf ein Bild geeignet haben, können wir im zweiten Schritt Metaphern und Methoden aus Physik und Mathematik ausrollen. (Kepler würde zu Twitter erst mal ein schönes Vernetzungsdiagramm zeichnen).
@Kusanowsky @neurosophie
„Um welche Irrtumsvoraussetzung geht es in diesem Text?“
So wie ich diese Bilder in Beziehung setzen würde, ginge der Irrtum auf diesem Abstraktionsgrad nur phänomenologisch ein, nämlich als stochastisch angenommene Störung (die aber zunächst nicht als Irrtum spezifiziert wird), die das System bildlich gesprochen zeitweilig über die edge of chaos treibt, d. h. von einem geordneten in ein einen chaotischen Zustand. Man hat spekuliert, ob man lebende Systeme oder ihre Teilsysteme durch Systeme, die in der Nähe dieser edge of chaos operieren, verstehen kann, da mit schnellen Zustandswechseln zwischen geordnetem und chaotischem Zustand eine große Zugänglichkeit des Zustandsraums und damit eine hohe Adaptionsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen verknüpft wird. Ich bin aber kein Experte für diese edge of chaos-Geschichten, das war mehr eine Assoziation, die aufkam, als ich deinen Kommentar gelesen habe. („die allerdings darauf angepasst wäre, jederzeit auch wieder in Chaos zu zerfallen, weil das Ordnungsmuster […] jederzeit auch kollabieren kann.“) Insofern finde ich es spannend, dass @neurosophie hier anknüpfen und vermutlich profunderes dazu beitragen kann. Ich stimme aber vollkommen zu, dass man erstmal „anschlussfähige Anschauungsräume“ schaffen müsste, bevor man sich mit solchen Analogien ernsthaft beschäftigt.
„Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein biokybernetischer Blick auf Facebook, Twitter & Co […] Wenn wir uns auf der phänomenologischen Ebene auf ein Bild geeignet haben, können wir im zweiten Schritt Metaphern und Methoden aus Physik und Mathematik ausrollen.“
Finde ich auch sehr spannend, ich denke drüber nach.