Exkurs: Vertrauen in Unvermögen – Folge dem Führer?
von Kusanowsky
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Eine aktualisierte und korrigierte Version des Artikel findet man hier
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So wird die Anekdote kolportiert, Luhmann habe auf den Ausfall einer Ampelanlage mit anhaltender Irritation reagiert: Wie sollte er jetzt in diesem Verkehrsdunkel anschlußfähig und lebenssicher kommunizieren? Als die Lage endlich unlösbar geworden war, er die Verkehrswelt nicht mehr verstand, habe er mit dem Ausruf „Ach, ich fahre einfach!“ ohne Seitenblicke die Kreuzung überfahren.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/2.1718/rezension-sachbuch-einfach-fahren-117718.html
Sehr klar analysiert. Ich sehe in dem Clip auch nicht einen Beweis für irgendetwas, sondern eher ein stimulierendes Bild dafür, wie Menschen sich an anderen Menschen orientieren, weil sie nicht glauben, selbst und alleine eine Situation beurteilen zu können, zumal wenn eben jemand anderes daneben steht. Zudem ist interessant, dass dieser Mark Dice anderen den mangelnden Gebrauch des eigenen Verstandesvermögens vorwirft, aber dann seinem eigenen Unvermögen eben nicht vertraut, also nicht misstrauisch wird gegenüber seinem eigenen Denkvermögen (während ich große Zweifel an seinem Denkvermögen habe).
Wenn (!) ich dich richtig verstehe (Gott helfe mir), dann vertrauen „wir“ dem Unvermögen bei anderen meist recht schnell und unskeptisch, während „wir“ für das eigene Unvermögen blind sind in der allgemeinen Annahme, der Mensch sei doch zu großen Erkenntnissen fähig. Das Misstrauen ins Menschenvermögen ist daher einerseits weit verbreitet, weswegen der Staat endlose viele Vorschriften macht, die das vernünftige Verhalten ersatzweise erzwingen sollen, z.B. Sicherheitsgurte im Auto. Auf der anderen Seite herrscht allenthalben Over-confidence in die jeweils eigene Vernunft („die am gerechtesten verteilte Sache der Welt – jeder glaubt, genug davon zu haben“). Das muss logischerweise zu den Kommunikationsproblemen führen, deren Dynamik man im Netz wie im Labor vorgeführt bekommt.
Übrigens leistet Kahnemann („Schnelles Denken, langsames Denken“) eine detaillierte Exploration des Menschenunvermögens („Wir sind nicht nur blind, sondern auch blind für unsere Blindheit“). Allerdings letztlich um dadurch das Menschenvermögen zu steigern (was allerdings wohl in verschiedener Hinsicht einfach nicht möglich sei, egal wie wir uns darum bemühen).
Ich würde den beobachteten Effekt eher wie folgt erklären: Menschen neigen dazu, das Verhalten ihrer Mitmenschen zu kopieren. Wenn man in einer Menschenmenge plötzlich in die Luft schaut, als habe man etwas Außergewöhnliches entdeckt, werden es einem die Nachbarn reflexartig gleichtun. Das hat nichts mit „Kommunikation“ zu tun, sondern ist ein „mimetischer“ Impuls. Auch in dem Video wird nichts besprochen oder gar verhandelt, und die Fussgänger folgen ihrem Vorbild vielmehr spontan. Wie Sie selbst schreiben, funktioniert das Experiment vermutlich auch ohne den „Sprechakt“, evt. sogar ohne die Geste. Dann ist der Effekt eben nur weniger ausgeprägt, und lediglich ein Teil der „Probanden“ wird sich „anstecken“ lassen und dem Jaywalker über die rote Ampel folgen. Die Stärke des Nachahmungseffekts wird zudem durch das Prestige des jeweiligen Vorbilds beeinflusst.
Die mimetische Veranlagung des Menschen lässt sich anhand vieler Experimente belegen, wenn einem dafür die eigene Erfahrung nicht ausreicht. Siehe dazu die Artikel von Erik Buys in seinem Blog „mimetic margins“, z.B. diesen hier über diverse Untersuchungen zur Nachahmung:
http://erikbuys.wordpress.com/2012/02/21/asch-experimentbystander-effect/
Ja, die Konformitäts-Experimente sind legendär. So etwas wie da bei Erik Buys mit den Strichen würde ich gerne einmal nachstellen – es kommt einem ja vor wie ene Comedy-Sendung. Auffällig sind die Zwischenschnitte, ich vermute, dass das Experiment hier kompett für Lehrzwecke nachgespielt wurde, also auch der Nicht-Schauspieler ein Schauspieler ist. Und sie setzen voraus, das jemand seinem Vermögen weniger traut als dem Vermögen der anderen? Oder ist es der psychologische Druck der Gruppe, dem man entgehen will? Eine abweichende Meinung ist ja auch eine Kritik am Vermögen der anderen. Um nicht zum Kritiker werden zu müssen, passt man sich einfach an, denkt aber im Stillen vllt noch etwas anderes. Und wenn man daneben liegt, ist man nicht der Einzige, der daneben liegt. (Umgekehrt entsteht Schwarmintelligenz übrigens nur, wenn die Einzelmeinungen unabhängig voneinander gedacht und geäußert werden, ansonsten eben sofort diverse Herdeneffekte.)
@Fritz: Ich würde sagen, dass wir uns zumindest stets durch die Brille des bzw. der anderen sehen. Und das trifft auf den Nonkonformisten genauso zu wie auf den Mitläufer. Daher habe ich auch Zweifel, ob es so etwas wie „unabhängig voneinander gedachte Einzelmeinungen“ überhaupt geben kann…
@dasrettende Ja, bei Einstellungen zu Politik, Sport, Leben, Religion etc etc. steht man unter Einfluss – „Ich ist ein anderer“. Aber bei solchen Fragen wie die nach der vergleichbaren Länge eines Strichs liegt die Mehrheit richtig, wenn sie einzeln voted. Verzerrungen treten auf, sobald eine Vorgabe gemacht wird, und sogar dann, wenn die Vorgabe als falsch erkannt wird. Z.B. Frage 1: „War Ghandi jünger oder älter als 144 Jahre, als er starb?“ Die meisten antworten richtig, schätzen dann aber anschließend sein Alter bei Tod viel zu hoch ein 😉 „Neutral“ denken ist schwierig und selten, geht vllt gar nicht.