Superstitiöse Observanz?
von Kusanowsky
Unter dem Begriff der superstitiösen Observanz versteht man seit der antiken Zeit das übertriebene Beachten und Einhalten von religiösen Frömmigkeitregeln ohne, dass dies durch ein bekanntes und erobtes Regelwerk einer Frömmigkeitsdisziplin vorgeschrieben oder allgemein sozial strukturell als Befehl oder Anweisung explizit erwartbar wäre. Superstitiöse Observanz bezeichnet eine Art intrinsische Selbstverpflichtung aus Furcht vor heiligen Gewalten, aufgrund von Einschüchterung durch eine dämonische Instanz. Es handelt sich dabei um den Versuch einer Besänftigung der Gottheit, aufgrund der Tatsache, dass man den Ratschluss der Gottheit und damit die Wege des Schicksals nie genau kennen kann. Superstitiöse Observanz ist ein Eigenantrieb zur Sicherstellung des Seelenheils und beharrt auf eine vollständige Radikalität, die soweit gehen kann, dass die betreffende Person jeden Selbstbezug verliert und durch diese Strenge vollständig traumatisiert wird.
Psychopathologisch wird so etwas in der modernen Zeit als existenzielle Verunsicherung betrachtet, die auch in pathologisch-paranoide Selbstwahrnehmung münden kann, da man trotz aller Selbstschikanierung und Selbstdisziplinierung niemals wissen kann, ob die dämonische Instanz besänftigt wurde oder nicht, weshalb man ringsumher überall Zeichen findet, die auf das Gegenteil schließen lassen, wodurch sich so ein Zirkel der superstitiösen Observanz schließt. Empirisch weisen die Zeichen des Dämons auf die Notwendigkeit hin, ihn mit Gebeten, Bußen, mit Selbstanklagen, Selbstzweifeln und mit Selbsterniedrigung zu besänftigen. Und da man über den Erfolg solcher Maßnahmen stets im Unklaren bleibt, verdichten sich die beobachtbaren Zeichen der Ermahnung, des Befehls zur noch strengeren Einhaltung der Regeln.
„In einer Welt in der Verfehlungen potentiell unendlich sichtbar …“ – ein alter Kinderglaube: Gott sieht dich und: Gott sieht alles, alles an dir, alles in dir und alles um dich herum, alle deine Sünden, alle deine Verfehlungen werden in großes Buch eingetragen (Internet) und werden dort für ewig vorrätig gehalten. Und es bleibt allein dem undurchschaubaren Ratschluss Gottes vorbehalten, richtend einzugreifen und dich mit deinen Verfehlung zu konfrontieren.
Denken wir uns nun, dass es diesen Gott tatsächlich gäbe, wer will da souverän bleiben, wenn es doch gerade diese undurchschaubare Willkür des Gottes mit sich bringt, dass man die eigenen Verfehlungen, Selbstwidersprüche gar nicht verstecken kann? Ja, wenn es so ist, dann wäre es doch aussichtsreich täglich, stündlich und minütlich zu beichten und alle Welt über die eigene Fehlbarkeit vollständig zu informieren, weil dann nichts mehr gegen dich verwendet werden kann. So kannst du erkennen: deine Souveränität, deine Unfehlbarkeit ergibt sich aus der Einsicht in deine Fehlbarkeit. Das wäre der Gewinn. Und diejenigen, die sich auf das Vertuschen ihrer Mängel konzentrieren, auf das Löschen, aus das Rechtfertigen und auf den Kampf gegen das Unmögliche sind die Verlierer.
So könnte sich zeigen, dass der gottgefällige, der fromme Mensch schließlich doch gewinnen wird. Jedenfalls wäre dies eine aussichtsreiche Position.
Allein, es gibt nicht nur einen Gott, sondern auch einen Teufel. Und dieser Teufel versteht seit alters her die Kunst der digitalen Dokumentbearbeitung, des Fälschens, des Verdrehens, des Lügens und Täuschens. Und was wäre weiter, wenn die gefürchtete Gottheit selbst der Teufel wäre? Man weiß es ja nicht. Und was wäre, wenn dieser Teufel selbst mit den Ergebnissen seiner Pfuscherei ständig zu bekäme, dass also die Einträge in dem großen Buch ständig durcheinander geraten, verdreht, ganz oder teilweise vergessen werden? Wenn nicht mehr klar wäre, was eine Verfehlung oder eine gute Tat ist? Ja, wenn nicht einmal klar wäre, wer was getan hat.
Was macht man dann?Die Antwort könnte lauten: nicht bei Anonymous austreten, das heißt also: alles so lassen wie es ist. Denn beitreten kann man bei Anonymous nicht. Man kann nur versuchen auszutreten, indem man bekannt wird. Aber das gelingt nicht so leicht, wenn viele Leute gleichzeitig versuchen, bei Anonymous auzutreten.
Wie sollte der Teufel das, was ihm selbst unbekannt ist, in seinem großen Buch verzeichnen? Oder er ist sich selbst nicht bekannt. Dann wäre alles auch egal.
Du könntest es dem Teufel, deinem Beobachter und unsichtbaren Follower aber auch ein bißchen schwerer machen, indem du ihm irgendwelche Tweets schickst und versprichst, schon artig und gehorsam zu sein. Soll er doch das Problem haben, ob er dem noch glauben kann oder nicht.
Was kümmern dich die Sorgen dieses Teufels? Vielleicht hat dieser sich selbst schon längst auf eine Praxis der superstitiösen Obcervanz eingelassen, und betreibt ein ständiges „Self-trolling“?
Wie gesagt: man weiß das alles nicht.
@Kusanowsky : nun gut und vollkommen klar, mensch weiss es mit absoluter Sicherheit nun wirklich nicht, was es gibt oder eben auch nicht gibt: den Gott, den Teufel, den Gott als Teufel oder gar den Teufel als Gott. Von all diesen verzweifelnden Zweifeln kann mensch sich aber leicht und leichthin selbst befreien: Durch Anstand, durch unerschütterliche Zuversicht und durch ein weltumfassendes Vertrauen, kurz: durch eine systemisch abgesicherte Selbstreferenz, die es durchaus ermöglicht, die Unwägbarkeiten und die wahrhaftig erschreckenden Inkonsistenzen einer geradezu teuflischen Kontigenz dieser absolut undurchschaubaren Umwelt des eigenen Handlungsspielraumes erfolgreich zu bewältigen.
Wie immer mensch sich nennen mag, entweder für alle Fälle, oder auch nur für wechselnde Spezialfälle und prekäre kommunikative Arrangements, Namen sind ja bekanntlich nach dem Diktum des großen Trolls namens Goethe Schall und Rauch.
Mensch betritt also die allen zugängliche Bühne 2.0 der endlich vollkommen entfesselten Kommunikation, er gibt sich ein vollkommen willkürlich ausgesuchtes Avatar-Foto, dazu einen sprechenden oder auch nur ansprechenden Alias-Namen, und schon kann es losgehen. Zunächst herrscht einmal die fast vollständige Verwirrung: alle auf dieser Bühne Mitanwesenden fragen sich lauthals: Was ist das denn für einen Type? Nur die Ruhe, Leute, es wird sich – wie alles Lebendige – schon bald und das dann aber auch mit glasklarer Sicherheit herausstellen: essbar oder nicht? Gefährlich oder harmlos? Vertrauenerweckend oder voller Schlitzohrigkeit? Denn mensch kann sich auf die Dauer (des Lebens) nicht absolut und vollkommen und mit ausreichender und hinreichender Perfektion verstellen. Wer einmal hier lügt, dem glaubt mensch dann nicht mehr, und mensch kann seine Reputation schneller verlieren, viel schneller, als sich eine tragfähige Reputation aufbauen lässt.
Es gilt also für alle und für alles: Nur wenn tatsächlich Gutes drin ist, dann lohnt sich die Mühe, drauf zu schreiben, es sei auch gewiss Gutes drin.
Deshalb: mensch folge mir, und schaue selber, was es von mir zu halten gibt. Spreche ich heute so wie gestern? Klingt das, was ich sage, nicht nur gut, sondern ist es auch angemessen zu handhaben? Und auf genau diese Art und Weise geht es dann voran mit dem Vertrauen, Schrittchen um Schrittchen. Mensch weiss dann am guten Ende, was und wen er von sich und von den vielen anderen Undurchschaubaren Typen im Alltag der Vergänglichkeiten wirklich und wahrhaftig zu halten hat. Also auf: Lasst uns fröhlich und befangen unbefangen miteinander kommunizieren nach dem Motto: Ich weiss, dass du weisst, dass ich weiss und so weiter …
Das alles führt dann über gezielte Lügen, die schnell zusammenbrechen, über Ironie, Sarkasmus und die dollsten Trollereien zu einem brauchbaren, im kommunikativen Alltag vollkommen abgeklärten und ausgecoolten Pragmatismus. Der Mensch begreift auf diese Weise sehr schnell: ohne die anderen Menschen ist ein jeder Mensch nicht einmal die Hälfte wert. Es ist eben doch so, wie es der Volksmund formuliert seit uralten Zeiten: Lügen haben kurze Beine. Oder – wie es im Neuen Testament so schön heisst – Eure Rede sei Jaja und Neinnein, alles darüber Hinausgehende ist von Übel, und zwar immer von Übel für den Übeltäter selber.
Rudi K. Sander alisa dieterbohrer aka @rudolfanders aus Bad Schwalbach, genant: DER GUTE 😉
http://www.plomlompom.de/PlomWiki/plomwiki.php?title=2013-02-25
„Kusanowsky schreibt mal wieder was, was ich nicht verstehe“ – wenn irgendwann einmal Internet erfunden wird, dann wird auch dieses quälende, ungewissheitsteigernde Nichtverstehen aufhören können. Man könnte ja auf die Idee kommen, dass, wenn man etwas wissen will, das irgendwie nicht so leicht zugänglich ist, man es sich durch Erforschung zu erschließen versucht.
Wie könnte das gehen? Nicht durch Kritik, denn Kritik setzt voraus, dass man schon wissen kann oder wissen könnte, worum es geht. Wenn man das aber nicht weiß und nicht weiß, wen man fragen kann oder wie man eine Frage formulieren könnte, deren Beantwortung einem weiter helfen würde, dann müsste man damit rechnen, dass man nicht weiß, was man nicht weiß.
Die Lösung könnte sein, ein „Verständnis“ zu provozieren, es sich heranzuziehen durch Testen, Probieren, Spielen also durch Fortsetzung der Internetkommunikation ohne Kritik.
Eine Methode könnte zum Beispiel die Steigerung der Irrtumswahrscheinlichkeit sein, indem du mit großer Gewissheit genau das Gegenteil von dem behauptest, was für dich Fall ist. Fehlt dir das Verständnis, behauptest du öffentlich und wortreich das Gegenteil. Z.B (als Kurzvorschlag). „Kusanowksy meint, Gott habe das Internet erschaffen und will die Menschen damit quälen, und er meint, ich wäre darauf hereingefallen …“ (oder so ähnlich). Du schreibst irgendeinen Quatsch, der vielleicht auch kein Quatsch sein könnte und wartest ab.
Du versiehst also deinen Text mit Anführungszeichen einer Gewissheit, obwohl du keine Ahnung hast. Und dann wartest du ab. wie Kusanowsky darauf reagiert. Soll er doch mal für eine „bessere Verstehensordnung“ sorgen, wenn du ihm irgendeine „schlechte Verstehensordnung“ anbietest.
Und wer weiß, was sich dann heraus stellt.
(Es handelt sich um eine Methode nicht überzeugter Verständigung, aka Erratik, Paranoik.)