Die politische Innovation und die Krise der #Piratenpartei
von Kusanowsky
Die gegenwärtige Krise der Piratenpartei spricht zwar für eine dort sich zeigende Unfähigkeit, eine Partei zu organisieren; es könnte aber sein, dass diese Krise nur zeigt wie sehr diese Organisationprobleme allgemeine Probleme der Organisation von Macht sind.
Die Piratenpartei scheitert daran, Macht nach Verfahrensweisen einer zerbrechenden und zerfallenden Ordnung zu organisieren. Das Netz strukturiert reine Selbstorganisation ohne hierarchische Entscheidungskompetenzen zuzulassen. Eine Partei im bekannten Sinne ist aber ein Machtapparat, der jede Selbstorgansation unter die Bedingungen hierarchischer Entscheidungsgewalt stellt. Und die Piratenpartei scheitert daran, solche Entscheidungsgewalten zu installieren. Und deshalb könnte man ihr eine lange Nase zeigen.
Aber wie wäre es mit folgender Überlegung? Die Piratenpartei ist der bislang letzte Versuch, noch einmal einen Machtapparat aufzubauen, aber schon erste Ergebnis des Scheiterns solcher Machtapparate, gemäß einer bekannten Weisheit des Neuen Testaments: „So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten“ (Matthäus 19,30:). Die Piratenpartei ist der letzte Versuch Macht nach bekanntem Muster zu organisieren und der erste Erfolg, der zeigt, dass dies nicht mehr geht. Und in dem Maße, wie alle bislang installierten Machtapparte ihre Ablehnung gegen das Internet aufgeben und sich auf die Chaoskommunikation des Netztes einlassen, müsste sich auch dort ein vergleichbarer Erosionsprozess zeigen.
Darin besteht die politische Innovation. Denn mit der Krise der Piratenpartei sind sind ja die Gründe für ihren Erfolg nicht beseitigt.
Die Gründe für den Erfolg der Piratenpartei liegen in der Chaoskommunikation des Netzes. Und das Netz scheitert nicht, wenn Machtapparate scheitern.
Es geht nicht darum wer Recht hat oder Recht behält, sondern darum wie man diesen Veränderungsprozess verstehen lernen kann. In einem komplexen Bedingungsgefüge, ändert sich nicht alles, wenn sich fast alles ändert, aber wenn sich Entscheidendes ändert, dann ändert sich Vieles.
Und das Internet ist etwas Entscheidendes, dessen Ergebnisse selbst allerdings für keine Entscheidungsfindung tauglich sind.
Der Erfolg der Piratenpartei begründet sich nicht durch die Astrologie von Meinungsforschungsinstituten, nicht durch Schachwettkämpfe in Parlamenten und Ausschüssen, nicht durch Entscheidungen in Redaktionsitzungen, sondern durch diese Netzkommunikation, welche übrigens selbst dafür sorgt, dass die Organisation von Macht nach herkömmlichen Muster nicht gelingen kann. Denn die Innovation provoziert eine andere Politik, die aber nicht durch eine Partei allein durchgesetzt werden kann, sondern durch Umbau des politschen Systems.
Das gelingt erst, wenn auch die anderen Parteien, insbesondere ihre Nachwuchsorganisationen anfangen, sich auf das Chaos des Netztes einzulassen.
Dann wird man feststellen, dass diese Art der Konfiguration eines Mediums der Macht unter diesen Umständen, also unter den Umständen einer chaotischen Netzkommunikation nicht länger haltbar ist.
Die Piratenartei scheitert gerade an der Quadratur des Kreises. Und darin würde ich durchaus so etwas wie einen Avantgardismus sehen.
Statt jedoch eine eigene Partei zu gründen wäres raffinierter, die anderen Parteien mit Piratenmethoden zu unterwandern. Ich vermute deshalb, dass wir es in den etablierten Parteien bald mit einer Selbstunterwanderung zu tun bekommen. Überall tauchen bald Piraten auf, die schon wissen, wie man mit diesem Chaos klar kommt, aber nicht mehr wissen, wie man damit diese Art von Machtapparten stabil halten kann.
Macht muss dann, wenn sich immer noch organisiert werden kann, anders organisiert werden. Aber niemand weiß wie das geht.
Man kann nur sagen, dass wir sehen, so geht es nicht, wenn man mit Chaoskommunikation einverstanden ist. Und diese Chaoskommunikation dauerhaft zu vermeiden halte ich für illusorisch.
Aber warum sollte das Vermeiden der Chaoskommunikation nicht gelingen. Bisher gelingt es doch super. Große Unternehmen schaffen es blendend, das Chaos ihrer Umwelt für sich konstruktiv zu nutzen. Die politischen Parteien leiden auch nicht wirklich. Die Piraten haben es mit Öffnung und Einsicht versucht und sind gescheitert. Vielleicht geht es gerade jetzt um eine Renaissance der Organisation?
Machtapparate, Organisationen allgemein haben größtenteils die Funktion der Verhinderung:
Dirk Baecker über Vermeidungsstrukturen von Organisationen:
“[…] Im Grunde muss man sich Organisationen – so sagt die Soziologie, Harrison White zum Beispiel – als Veranstaltungen angucken, die neunundneunzig Prozent ihrer Aktivität darauf verwenden Dinge zu verhindern und dann durch diesen Filter die restlichen ein Prozent ermutigen fordern und bezahlen.[…]”
https://differentia.wordpress.com/2012/08/29/dirk-baecker-about-excessive-demand-by-communication/
Das gilt für Parteien genauso. Macht organisiert sich wirksam durch Ausschaltung von Alternativen. So könnte man Macht auch beschreiben als Exekution von Entscheidung. Das geht allerdings nur dann, wenn im Fall einer Entscheidung keine andere Entscheidung in dem selben Fall entgegen steht. Wenn aber eine andere Entscheidung genauso exekutiert werden könnte, ohne, dass dies verhindert werden kann, funktioniert Macht nicht.
Und denken wir uns den Fall, dass beinahe alle Mitglieder einer Organisation publizistisch tätig sind. Eben dies ist bei den Piraten der Fall. Keiner muss mehr darauf warten, bei Jorunalisten Gehör zu finden. Sie schreiben und veröffentlichen selbst, ohne Arbeitsteilung, ohne Hierarchei, ohne ein industrielles Netzwerk der Meinungsproduktion. Das heißt ja auch, dass Karrierenetzwerke nur schwer zustande kommen können, weil solche Netzwerke Strukturen der gegenseitigen Gefälligkeit erwartbar machen. Wenn aber die Arbeitsteilung minimal ist, jeder sein eigener Chefredakeur ist, so können keine Karrierenetzwerke emergieren. Aber solche Karrierenetzwerke auf der Basis gegenseitiger Gefälligkeit (dazu zählt natürlich auch die Enttäuschung von Gefälligkeit) sind unverzichtbar für Machtapparte. In dieser Hinsicht sind Wahlen und Abstimmungen nur die nachträgliche Bestätigung aller zuvor getroffenen Entscheidungen.
Daher ja auch die Einsicht, dass Demokratie nur dann etwas bringt, wenn sie noch Gegner hat. Wenn sich die Demokratie aber nur selbst zum Gegner hat , könnte man Entscheidungen durch Losverfahren treffen.
Dass in der Demokratie mehr gewürfelt als gewählt wird, lässt sich ja beinah wörtlich bei Luhmann zitieren. Aber das ist ja keine neue soziale Wirklichkeit – so war es auch schon ohne Internet.
Die Piraten genügen den weltlichen Zielen einer politischen Organisation nicht, warum sollten sich andere Parteien von ihnen unter Druck setzen lassen? Vor einem Jahr schlotterten allen Piratenkonkurrenten die Knie! Das ist mehr als vorbei. Weisband hat recht, dass die anderen Parteien im Bereich Partizipation erst noch auf die Probleme stoßen müssen, an denen die Piraten schon arbeiten. Genauso wahr ist aber, dass das CSU-Präsidium erst noch nach Thaiti fahren muss, bevor es wirklich weiß, wie schön ein Gebirge sein kann.
Der letzte CDU-Parteitag, der seiner Tagesordnung um Stunden vorrauseilte, zeigte mir, dass die Parteien die Chaoskommunikation im Internet durchaus vermeiden dürfen, weil es 85% des Wählerpotenzials auch tut. Sie müssen, in deinen Worten, mit Chaoskommunikation nicht einverstanden sein. Angst statt Freiheit, funktioniert mit Chaoskommunikation sogar noch besser als früher…
Dass die Netzkommunikation chaotisch ist, heißt ja nicht, dass die Gesellschaft chaotisch ist. Das Problem der Piratenpartei ist daher, dass sie nicht weiß, für wen sie denn Partei ergreifen will (immerhin haben sie mit Nazis ein Problem). Im Grunde wollen sie Entscheidungen als Einigung auf eine Wunschliste und dann werden die Wünsche eben erfüllt – ohne dafür Politik machen zu müssen. Das geht aber nicht. „Macht organisiert sich wirksam durch Ausschaltung von Alternativen“ ist genau das Problem, an dem die Piraten scheitern müssen, weil an irgendeinem Punkt irgendwessen Wünsche nicht erfüllt werden – die Folge sind Fraktionierungen und nach einiger Zeit auch Abspaltungen. Man kann nicht Partei sein,ohne eine Klientel zu haben. Das System von Interessen und Gegeninteressen, von Druck und Gegendruck wollen die Piraten umdrehen in etwas Naives, das so überschaubar ist wie einst die Klassensprecherwahlen. Genaugenommen sind sie nur ein Verein, keine Partei.
“ warum sollten sich andere Parteien von ihnen unter Druck setzen lassen?“ Nicht die Piratenpartei setzt die etablierten Parteien unter Druck. Sondern die Chaoskommunikation des Netzes. Die Piraten sind die letzten, die noch glauben wollten, sie könnten auf bekannte Weise Macht organisieren und müssen jetzt feststellen, dass es so nicht mehr geht, wenn man sich auf Unbekanntes einlässt. Die Piraten bringen jetzt in Erfahrung, was sie noch nicht wissen, während die anderen Parteien noch nicht wissen, dass sie dies nicht wissen, weil: „Der letzte CDU-Parteitag, der seiner Tagesordnung um Stunden vorrauseilte, zeigte mir, dass die Parteien die Chaoskommunikation im Internet durchaus vermeiden dürfen, weil es 85% des Wählerpotenzials auch tut.“ Genau. Sie wissen nur, dass das Wasser naß ist, aber sie wissen noch nicht, dass es auch kalt ist. Deshalb steht geschrieben: die letzten werden die ersten sein, und die ersten die letzten. So bald sie hinein springen werden sie es merken.
Die etablierten Parteien können nicht verhindern, dass sich in den Nachwuchsorganisationen die Bereitschaft durchsetzt, sich an dieser Chaoskommunikation des Netzes zu beteiligen. Aber kann man dann noch Macht organisieren, wenn Vermeidungsalternativen gegenstandslos werden? Beispiel: Lauer an Ponander: „Sonst knallt’s!“ – der Knall kommt zwar, aber es wird nichts verhindert, sondern nur ein weiterer Knall ermöglicht. So geht es nicht. Aber wie sonst? Sie wissen es nicht. Darin besteht die Avantgarde. Sie wissen eben dies schon, bzw. sie bringen es jetzt in Erfahrung. Aber die etablierten Parteien stehen immer noch am Beckenrad und unterhalten sich darüber, dass das Wasser naß ist.
Aber ich bezweifel ja, dass der Sprung ins kalte Wasser nötig ist. Die Piraten haben nur gezeigt, dass er möglich ist.
Notwendig ist das alles nicht, aber unvermeidlich. Niemand kann mehr davon abgehalten werden, publizistisch tätig zu werden. Solange dieses naive demokratsiche Gerechtigkeitsempfinden populär ist, werden sich die Jusos, Julis, RCDSler und alle anderen nicht daran hindern lassen, auch die Missstände in ihren Parteien aufzudecken. Wer will denn etwas anderes glauben?
Interessant ist allenfalls wie sich Karrierenetzwerke ausbilden, die nicht länger durch diese Intranspranz von Gefälligkeitsstrukturen funktionieren.
Es glaubt doch keiner daran, dass in den Parteien alles mit recht Dingen zugeht, nicht außerhalb, nicht innerhalb der Parteien. Und wer würde schweigen ob der Missstände, wenn man das Schweigen nicht belohnt bekommt? Also wird publiziert bei wirksamer Umgehung von Journalisten, welche übrigens durch diese Chaoskommunikation ähnliche Probleme bekommen.
Die Erfahrung wird wohl zeigen, dass die Aufdeckung, das Publizieren auch nicht belohnt wird.
Aber das muss erst noch in Erfahrung gebracht werden. Bis dahin gilt die naive Devise: „Wir müssen dagegen etwas machen!“ Gefolgt von der Naivität, dass, wenn man das veröffentlicht, alles besser wird.
Sollen sie das mal tun.
Christopher Lauer erklärt morgen in der FAZ seinen Abschied von Twitter. Zu viel Stress, zu wenig Sinn. Argumentiert ausführlich empirisch, verstehe ihn gut.
Und das bedeutet das? Es bedeutet nur, dass er nicht weiter weiß. Aber das ist normal.
Das Internet ist weder eine falsche Erfindung, noch eine unnütze. Sie wissen nur nicht, wie sie zurecht kommen sollen. Das sage ich die ganze Zeit.
Für das Internet gilt, was für jede Medieninnovation gilt, dass es nämlich keiner braucht. Ein neues Medium liefert Lösungsmöglichkeiten für noch unbekannte Probleme. Die müssen erst in Erfahrung gebracht werden. Und das dauert.
Nachtrag: „Ganz löschen werde ich den Account nicht; zum Verbreiten von Links auf meinen Blog reicht er noch. Aber als Kommunikationsmedium ist Twitter für mich gestorben. Wer etwas von mir möchte, der möge mir ganz klassisch eine E-Mail schreiben.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ein-pirat-springt-ab-twitter-ist-fuer-mich-gestorben-12086207.html
heißt es in dem Artikel und wird über Internet verbreitet.
@Sozialtheorist
„Man kann nur sagen, dass wir sehen, so geht es nicht, wenn man mit Chaoskommunikation einverstanden ist. Und diese Chaoskommunikation dauerhaft zu vermeiden halte ich für illusorisch.“
„Statt jedoch eine eigene Partei zu gründen wäres raffinierter, die anderen Parteien mit Piratenmethoden zu unterwandern.“
@kusanowsky
„Ein neues Medium liefert Lösungsmöglichkeiten für noch unbekannte Probleme. Die müssen erst in Erfahrung gebracht werden. Und das dauert.“
Vielleicht bilden sich aufgrund der Fülle von Entscheidungen im Laufe der Zeit neue kommunikative Muster im Chaos, die unter den Bedingungen der Multiplikation der Sprecher und Sprechweisen auch verbindliche Entscheidungen für viele erlauben.Vielleicht !
Und uns bleibt entgegen der oben behaupteten praktischen Durchgriffsmöglichkeiten auf Parteien,die allesamt in Resignation geendet haben,nur die Evolution der Versuche zu beobachten und hier und da zu irritieren bzw. es zumindest zu versuchen.
Hier noch ein Beispiel über Medien der Kommunikation – hier:des Rechts – aus der Zeit des Übergangs zur Moderne
Ähnliches blüht den Parteien der parlamentarischen Demokratie vielleicht gerade/demächst angesichts der Internetkommunikation auch !?
‚Als ein Beispiel für die Bedeutung der medientheoretisch informierten Analyse des Rechts und des Rechtswandels mag die Entstehung der „Erklärung“ der Menschenrechte inder französischen Revolution genannt werden.18 Der Druck des „Porträts des Königs“ alsneues Bildmedium19 und die Vervielfältigung der Rechtstexte in der Monarchie haben derenpolitischen Körper grundlegend verändert. Was Walter Benjamin vom Kunstwerk im Zeitalterseiner technischen Reproduzierbarkeit annimmt, nämlich den Verlust seiner Aura, gilt
umso mehr für die Veränderung des „sakramentalen Körpers des Königs“20 in der französischenvorrevolutionären Monarchie. Erst durch den Druck der Erklärungen des Königs werden die Voraussetzungen für die „Zerstreuung“ der Souveränität auf alle Körper in derDemokratie geschaffen21 und die stabilen Kodierungen der Tradition umgeschrieben.Damit wird zugleich die „soziale Epistemologie“ transformiert, ein Prozess, den man alsÜbergang „von der Repräsentation zur Erfahrung“ (Egan) charakterisieren kann.‘
aus:Warum nach den Medien des Rechts fragen? –
Überlegungen angesichts des Erscheinens von Thomas Vestings „Die
Medien des Rechts”, „Sprache” und „Schrift”*
von Karl‐Heinz Ladeur als pdf auf – http://www.anci.ch/_media/beitrag/ancilla2012_105_ladeur.pdf