Soziale Serendipität #soziologie #anonymität
von Kusanowsky
Im Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie gab es im Anschluss an einen Artikel von Jo Reichertz eine kleine Diskussion über das Phänomen der Internettrollerei. Mein Versuch, dieses Phänomen der Interntrollerei theoretisch etwas weiter zu fassen, um das mediale Dispositiv der Internetkommunikation besser erfassen zu können, ist einigermaßen fehl geschlagen. Mein Versuch bestand darin, dieses durchaus unangenehme Phänomen der grundlosen Spaß-, Beschimpfungs- oder Hasskommunikation von Unbekannten gegen Unbekannte als Struktureffekt einer sozialen Serendipität zu beschreiben.
- Trollen ist nicht Spaß-, Hass- oder Beleidigungskommunikation, sondern: die beständige Sabotage von Erwartungserwartungen, die darauf angepasst ist, DASS Erwartungen Stabilität erwarten, weshalb dies ohne Anonymität gar nicht geht. Und sollten sich im Verlauf einer Sequenz ansprechbare Adressen stabilisieren, indem Anonymität eingeschränkt wird, dann wird auch die Möglichkeit der Trollerei eingeschränkt, weil ja Strukturen der Bekanntheit, Vertrautheit oder Gewohnheit entstehen, die wissen lassen können, womit man zu rechnen hätte. Aber: rein prinzipiell weiß man nicht, wer mitliest, wer woanders kommentiert (bei Facebook etwa) und wer als nächstes sich beteiligt oder wer mehrfach beteiligt ist. Das meint: soziale Serendipität – also nicht mehr ein psychischer Überrraschungseindruck, sondern ein Zusammenwirken vieler in Hinsicht auf die Ausbildung von Strukturen der Anonymität. Und die weiterführende Frage wäre, ob nicht gerade diese strukturelle Anonymität auch auf die operative Ebene der Kommunikation durchschlägt.
- “Wenn Trollen die Antwort ist, was war die Frage?”
Die Frage lautet: wie erklärt man das Zustandekommen von Kommunikation (nicht: wie rechtfertigt man ihre Ergebnisse), die spezifische Unwahrscheinlichkeitsbedingungen erzeugt, durch die die Kommunikation, wenn sie trotzdem gelingt, dafür sorgt, dass diese Bedingungen für die Fortsetzung der Kommunikation nicht (oder nur sehr, sehr schwer) rekonstruierbar sind? Das heißt: diese Schwierigkeiten, die ebenfalls auf Unwahrscheinlichkeit des Gelingens verweisen, nämlich auf das unwahrscheinliche Gelingen von Erklärung (Theorie im weitesten Sinne), entsprechen den Unwahrscheinlichkeitsbedingungen des Entstehens dieses Typs von Kommunikation. Die Antwort lautet: Durch soziale Serendipität, (deren Folgewirkung auch die Beschimfpung, Schmähung, Beleidigung sein kann, aber auch Freundlichkeiten, Hilfsdienste, Verabredungen) wird hergestellt, dass Kommunikation trotz einer permanenten mangelnden Synchronisation von Systemumwelten immer noch möglich ist. Soziale Serendipität meint also nicht den geläufigen psychischen Überraschungseindruck, dass man etwas passendes findet, das nicht gesucht wurde, sondern: das soziale, das genauso wenig nicht zufällige wie nicht notwendige Zusammenfallen und Zusammenwirken von sozialen Umweltereignissen, die selbst durch kein System integriert werden können und eine vollständige Selbstorganisation erzeugen – Selbstorganisation ohne System (Rhizomatik).
Trollen ist gleichsam nur das Epiphänomen, also nur eine Wirkung, die auch noch anfällt, ohne selbst auf die Ursache zurück schließen lassen zu können.
Natürlich fehlt in diesem Zusammenhang ein weiteres Theorie-Element, nämlich die Erklärung von Serendipität auf Grundlage einer Sinntheorie. Denn es ist ja gerade das kommunikative wie das psychische Sinnverstehen, das dafür sorgt, dass Zufälle erstens nicht folgenlos bleiben und zweitens als nicht-zufällig beobachtbar werden, so dass sie selbst als ursachenlose Folgewirkung erscheinen, die weitere Wirkungsfolgen haben können, deren Ursache genauso wenig erkennbar ist.
Will man von so etwas wie einer „sozialen Serendipität“ sprechen, so spricht alles dafür, dass man es mit sozialen Sinnzusammenhängen zu tun hat, die weder notwendig noch zufällig sind und die sich damit jeder methodisch kontrollierbaren Nachprüfbarkeit entziehen. Ein andere Theorierichtung wären Überlegungen im Zusammenhang mit Theorie der sozialen Emergenz.
Aber bevor es sich lohnen könnte sich damit näher zu befassen, scheint mir noch die Frage interessant, warum eigentlich dieses „Trollen“ als ein noch unerklärtes Phänomen apostrophiert und dadurch mit Dringlichkeit versehen wird, wogegen sehr erfreuliche Phänomene, die genauso wenig erklärt sind, nicht aus dem selben Grund als erklärungsbedürftig erscheinen.
Als Beispiel nenn ich dieses Wer-weiss-wass-Plattform. Dort kann man sich anonym eintragen und an andere, die genauso anonym sind, Fragen richten, die man durch nachschlagen oder durch Rechereche nicht so leicht beantworten kann. Ich habe das mal ausprobiert. Was ich enorm seltsam fand war, dass mir Leute Auskunft selbst zu wissenschaftlichen Spezialfragen gegeben haben, die nicht in den Bereich des Allgemeinswissens gehören, diese Angaben sogar mit Literaturangaben versahen. Selbst weiteres nachfragen von mir führte zu weiteren Antworten, deren Verlässlichkeit ich überpfüfen konnte, da mir die Antworten eigentlich schon bekannt waren. Erstaunlich: ich bekam sogar mehrere Antworten von verschiedenen Leuten, deren Anonymiät ich aufgrund ihrer Namens- und Profilangaben nicht aufheben konnte. Ja, in einem Fall gab es sogar eine Diskussion, die mir tatsächlich die eine und andere Neueinsicht vermittelte.
Wenn man also über diese Trollerei nachdenken möchte und sich für die Frage nach den Motiven, Absichten, Wünschen oder dem Willen der Menschen interessiert, warum nicht auch in solchen Fällen, die doch genauo unerklärlich sind. Unbekannte helfen Unbekannten, verlässlich, freundlich, sachlich. Nicht für Belohnung, nicht für Reputation, nicht für Namensnennung, nicht einmal für explizten Dank oder Erwartung auf irgendeine Gegenleistung, sondern: für nichts und wieder nichts. Warum springt das nicht ins Auge? Warum wird dieses Phänomen nicht mit gleicher Gründlichkeit von Fragezeichen eingehegt? Als wenn so etwas normal wäre, obwohl das niemand erklären kann und bislang offensichtlich auch niemand will.
Diese Einseitigkeit des Nachdenkens lässt einen Verdacht aufkommen. Der Verdacht könnte lauten: die Kommunikation von Spaß-, Beleidigungs- und Hass unterliegt einem sozial anschlussfähigen Selbstverdächtigungsgeschehen, das sich auf die eigene Unschuldsrettung kapriziert, weil die Möglichkeit des Gegenteils ja auch immer zustande kommen kann. Wer sich ob der eigenen Unschuld selbst verdächtigt, also die Möglichkeit aufscheinen lässt, trotz unerfreulicher Folgewirkungen unschuldig bleiben zu wollen, fängt an über die Motive des anderen nachzudenken. Und dem Maße wie dieses Nachdenken kompliziert wird und an Komplexität gewinnt, fällt das Nachdenken über die eigenen Motive banal aus: man bemühe sich ja redlich um Moral, Verständigung, Erklärung, Theorie oder Wissenschaft, also: um transzendentale Komplizenschaft in Hinsicht auf die Vermehrung von Menschlichkeit und Brüderlichkeit. Und wer müsste sich dafür rechtfertigen?
Die Frage nach den Motiven der anderen, selbst unter Bedingungen wie in Fragen dieser Internettrollerei, die eine verlässliche Antwort gar nicht mehr zulassen, ist gleichsam die Rechtfertigung dafür, nicht über die Relevanz von Motiven überhaupt nachzudenken. So sind solche Diskussionen Rechtfertigungsroutinen für Nichtwissen. Sie legitimieren eine sozial verlässliche Indifferenz hinsichtlich eines blinden Flecks. Ergebnis ist eine Schweigekonspiration ohne Verschwörung.
Wer-weiß-was? oder ähnliche Plattformen, bieten ein Medium an mit einer simplen Leitdifferenz. Wissen/Nicht-Wissen. Die Motivation der Teilnehmer (Troll oder Nicht-Troll) liegt in der sozialen Teilhabe bzw. der Ergatterung von Achtung. Allerdings sanktioniert der kommunikative Raum fast nichts, daher kommt es zu allerlei extremen Auswüchsen. Der Grund sind Achtungsdifferenzen, die von Teilnehmern an Kommunikation als Niederlagen empfunden werden – ich glaube jeder Troll hat eine Vorgeschichte an gefühlten Niederlagen, sei es im wirklichen Leben oder dann im digitalen Leben.
Wir haben hier alle ähnliche Motive, auch die wir Blogs schreiben: Reputation, Achtung, Ausdruck von Elitebewusstsein und Überlegenheit – auf der anderen Seite vielleicht auch vereinzelt altruistische Weltverbesserung 😉
Die Auswüchse wurden, wohl nicht von Luhmann aber in Anschluss an ihn, als Kommunikationsspiralen identifiziert; das sich immer Weiterdrehen längst gescheiterter Kommuniaktion unter der falschen Voraussetzung, dass Aufklärung und Tatsachen am Ende doch die Vernunft siegen lassen werden.
Ob darüber geschwiegen wird, kann ich nicht beurteilen, ich kann ja nicht alles lesen.
Jedenfalls „reitet“ die Kommunikation beide Seiten gleichermaßen: Die Trolle, und die sie füttern.
Das sind banale Spekulationen, die nur den Wunsch als Vater des Gedankens haben. Im SozBlog hatte Jo Reichertz solche Spekulationen treffend zurück gewiesen und das zu beurteilende Problem so illustriert:
Genau. Und das gilt nicht nur für den Fall, dass Unerfreulichkeiten auffallen. Für das hier angeführte Beispiel erfreulicher Erfahrungen zeigt sich diese nicht verstehbare Rumpestilzchen-Spielerei auf gleiche Weise.
Gestern wurde ich auf den Ethnologen Victor Turner und seinen Begriff der Liminalität aufmerksam. Ich denke, dass wir von ihm einiges über soziale Serendipität lernen können.
Hier die Quelle, die mich aufmerksam machte:
„Die 140-Zeichen-Frage: Microblogging, Twitter und die liminoide Verhandlung des Sozialen im Web 2.0“ von Jana Herwig
Klicke, um auf HerwigJana_Microblogging_Preprint.pdf zuzugreifen
Turner beschreibt Menschen in der Schwellenphase einer sozialen Gesellschaft, einen Zustand, bei dem die Menschen
„betwixt and between“ sind. In dieser Übergangsphase spielen Rituale eine wichtige Rolle und schaffen die Vakuolen, in denen sich die Gesellschaft neu erfindet:
„In other words, in liminality, people „play“ with the elements of the familiar and defamiliarize them. Novelty emerges from unprecedented combinations of familiar elements.“
Ich habe den Eindruck. dass dies Spuren sind, die man weiter verfolgen sollte.
Victor W. Turner (1964): Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passage. in: Melford E. Spiro (Hg): Symposium on New Approaches to the Study of Religion. Seattle: American Ethnological Society.
Victor W. Turner (1998): Liminalität und Communitas. In: Ritualtheorien. Westdeutscher Verlag, Opladen u.a., S. 251–264.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liminalit%C3%A4t
Also o.k., lasst uns munter und voller Vertrauen in die Gesetze der Evolution, also Variation, Selektion und Stabilisation, ALLES, dessen wir kulturell habhaft werden können, durch den Wolf unserer persönlichen Vorlieben und Abneigungen drehen, angereichert durch hemmungslos Plagiiertes und gewürzt mit einer kräftigen Prise idiosynkratischer Besonderheiten: Guten Appetit allerseits !
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders aus Bad Schwalbach.
@dieterbohrer erfreulich zu sehen, wie du anfängst darüber nachzudenken was man unter einer „Assoziologie“ verstehen könnte. Eine Assoziologie wär eine rein operative Hermeneutik sozialer Serendipität, durch die rein provokativ mit Ordnung gerechnet wird, ohne ihre Ergebnisse rechtfertigen zu müssen. Die Internetkommunikation bringt zustande, dass die Kontingenz der Zuordnung von Information und Mitteilung soweit gespreizt wird, dass eine Vestehensleistung gar nicht mehr oder nur noch in Ausnahmefaällen erbracht werden kann. Und solche Ausnahmefälle können dann nur paranoisch beruteilt werden: durch die Willkür eigener Imagination, die allenfalls selbst provokativ in das Durcheinander eingebracht werden könnte, um das Durcheinander weiter Durcheinander zu bringen.
Die Kommounikationstheorie besagt ja, dass man es mit einer Einheit von drei Selektionen zu tun: Mitteilung, Information und Verstehen. Die Bedingung für eine Verstehensleistung ist nicht die eindeutige Zuordnung von Mitteilung und Information, sondern eine ausreichende Kontingenz. Gerade diese Kontingenz sorgt dafür, dass Information und Mitteilung einerseits zugeordnet werden können und andererseits, dass diese Zuordnung ein Mindestmaß an Unklarheit und Redundanz übrig lässt, damit Kommunikation sich differenzieren kann, damit also weitere Unterschiede möglich sind, die weitere Unterschiede machen. Der Ausnahmefall – die Kommunikation einer intuiven Evidenz der eindeutigen Zurodnung von Information und Mitteilung – ist die reine Tautologie: 1=1. Man versteht: ein Unterschied ohne weiteren Unterschied.
Was wäre nun, dass die Spreizung kontingenter Zurodnungsmöglichkeiten so groß würde, man kaum noch eine Chance hätte eine einigermaßen treffsichere Antwort zu finden? Oder, wenn dies doch noch geschähe, so hätte man es nur Banalitäten zu tun, die nicht weiter auffallen: Beispiel: Die Mitteilung lautet „Kommunikation vollzieht sich als Einheit von drei Selektionen.“ Die Information: “ Das stimmt.“ – Die Verstehensleistung, also die Anschlussfindung: „Das ist banal.“ Würde trotzdem noch Kommunikation funktionieren, so brächte sie allenfalls nur Banalitäten zustande.
Relevant wird es dann, wenn durch eine Assoziologie jede Zurodnungsmöglichkeit von Information und Mitteilung vollständig sabotiert würde. Erkenntnis wäre dann immer noch möglich, aber für unser Dafürhalten erschiene sie gleichsam als „übersinnliche Intuition“, als göttliche Stimme, als reine Imagination, als nur paranoische Konstruktion, weil man das nicht mehr auf ein Woher, Warum oder Wieso zurückverfolgen könnte.
Die Voraussetzung dafür scheint mir ein sehr hohes Maß an sozialer Freiheit zu sein.
Und ich vermute, dass die sich täglich, peu a peu erweitert. Aber diese Freiheit kostet etwas: sie kostet den naiven Glauben an die eigene Unschuld.
Ich vermute, erst wenn sich ein sozialer Deal einspielt, kann das funktionieren: dass die sozialen Ergebnisse nicht mehr gerechtfertigt würden – wie immer sie aussehen mögen – unter der Voraussetzung, dass man sich keiner mehr heraus reden kann, weil jeder entsprechende Versuch entweder schnell wieder versickert oder nur Gelächter erzeugt.
1) Trolle sind nicht unbedingt anonym; sie haben aber manchmal einen zu hohen Blutzuckerwert
2) Jeopardy!: „Wer kontrolliert die Wahrheit in Wikipedia?“
„Trolle sind nicht unbedingt anonym“ – dann sind es keine Trolle. Und nur, weil sich manche selbst so nennen, heißt das nicht, dass sie es deshalb sind. Ich zum Beispiel bin ein Außerirdischer. Daraus geht nicht treffsicher hervor, dass ich deshalb einer bin.
Jetzt bin ich schon bald sechs Monate hier auf #differentia als Azubi für Störkommunikation unterwegs und komme doch in einem Punkt nicht voran: deine Kategorie Schuld/Unschuld kann ich irgendwie nicht mit der Kommunikationsmetapher in Einklang bringen.
Ich habe zwar eine ziemlich dunkle Ahnung, was man unter ‚Schuld des Bloggers‘ verstehen könnte; benötige aber mehr Input. Ich denke auch, dass für Leute wie Jo Reichertz hier die Verstehenshürde begraben liegt.
Ich würde dennoch immer die performative Leugnung der Kontingenz eingedenk ihrer selbst der meinem Eindruck nach zur Serendipitätsapotheose tendierenden Assoziologie vorziehen, die mich irgendwie an die Link- und Unruhelobpreisung @sms2sms’scher Prägung erinnert.
„deine Kategorie Schuld/Unschuld“
Es handelt sich dabei um eine evolutionäres Problem der europäischen Zivilisation. Die alte Gesellschaft kannte das, was man die Erbsünde nannte. Damit war – bei Augustinus übrigens in den Confessiones sehr gut geschildert – das prinzipielle Schuldigsein des Menschen allein aufgrund der Tatsache, dass er lebt, gemeint. Die Augenblick der Erwachung des Bewusstseins, der Erregbarkeit der Wahrnehmung machte den Menschen bereits sündig, schuf einen unüberbrückbaren Graben zwischen Mensch und Gott. Dieser Graben erzeugte die Heils- und Erlösungsbedürftigkeit der Seele. Erbsünde
Dieses Erbsünde-Problem schlug sich nieder in dem von mir so bezeichneten Apollinischen Vermeidungsirrtums, welcher ausschloß, dass Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten (Verstand, Vernunft, Gefühle) Wahrheit aus sich selbst heraus verstehen könnten. Man könnte auch sagen, die alte Gesellschaft konditionierte ein beständiges Minderwertigkeitsempfinden. Die Menschen durften ihrem Menschenvermögen kein Vertrauen entgegenbringen. Die Gesellschaft kannte zwar Vernunftvermögen, aber dies wurde entweder nur bagatellisiert – war also die Angelegenheit von Plebejern, Kaufleuten, Bauern, niederen Volks – oder war in erkenntnistheoretischer Hinsicht eher ein Hindernis auf dem Weg zum wahren Glauben.
Die moderne Gesellschaft aber lernte langsam in dieses Menschenvermögen Vertrauen zu gewinnen, und zwar durch die kritische Disziplin. Die besagte, dass man dem Menschenvermögen sehr wohl vertrauen kann, später sogar, dass Menschenvermögen die einzig verlässliche Instanz wäre (Kant, Transzendentalphilosophie) allerdings unter der Bedingung der Selbstbeschränkung: Man lann mit kritischen Mitteln nicht die ganze Welt verstehen, sondern nur sofern sie dem menschlichen Verstandesvermögen entspricht. Gerechtfertigt werden konnte dies auf Wege der semantischen Umdeutung des Seelenheilproblems, nämlich: wer sich dieses Vermögens enthält, wer es nicht nützt, macht sich an seiner Seele schuldig. Wer seine Seele, später umgedeutet als soziale Integrität, retten will, wer unschuldig verbleiben will, sollte sich kritisch zur Welt verhalten. Spätestens bei Rousseau kam dieser Gedanke auf: die natürliche Freiheit des Menschen ist seine wahre soziale Unschuld, die sich in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man sich nicht des Menschenvermögens bedient. Bei Kant ist es die natürliche vernunft, im Liberalismus der natürliche Egoismus, der von Unschuld spricht.
Seit der Industrialisierung, im Spätvollzug der vollständigen sozialen Trivialisierung dieser transzendentalen Subjektivität, ist der Grund für diese eigene Unschuldsunterstellung erfolgreich in Vergessenheit geraten. Seitdem wird die Kritik nicht mehr – anders als bei Galilei, Spinoza, Descartes, Rousseau oder auch noch Kant – zu Provokationszwecken eingesetzt, um eine alte Ordnung zu beseitigen, sondern nur noch, um die neue Ordnung, die durch die soziale Entfaltung transzendentaler Subjektivitt entstanden ist, zu rechtfertigen. Jede Art von Kritik ist Affirmation der modernen Ordnung, ist heute der naiv-triviale Versuch, sich selbst ob der unhaltbaren Verhältnisse zu entschuldigen. Die Attraktivität der Kritik besteht nicht etwa darin, die Verhältnisse zu ändern (anders als in der Früheit der Moderne), sondern ihren Schwachsinn auszuhalten. Man kritisiert, um zu demonstrieren, wie schuldlos man alldem sei, was jeden Tag passiert. Und da Kritik, ihre Fähigkeit dazu genauso wie das Recht, sie zu äußern, allgemein verbreitet, eingeübt und akzeptiert wird, kommt im Ergebnis meist nur Schwachsinn heraus. Beweis: Blick eine Zeitung, in ein Fernsehprogramm, auch auch in Doktorarbeiten. Viel interessantes steht da meistens gar nicht drin. Und trotzdem werden massenmweise Doktorarbeiten geschrieben.
Der entscheidende Punkt ist nun, dass diese Unschuldsunterstellung ein sozial-evolutionäres Ergebnis ist, das nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. Warum auch? Demokratie ist das Opium des Volkes – und wer hätte etwas gegen Drogengebrauch einzuwenden?
Aber: man könnte auch lernen, auf diese eigene Unschuldsvermutung zu verzichten, ohne diesen Verzicht selbst zur Akzepetanzbedingung zu machen, heißt: den Verzicht einseitig zu vollziehen: Ich verzichte auf das Recht mich unschuldig zu nennen und beobachte nun, wer diesen Verzicht nicht leisten will, wer immer noch Kritik fortsetzen will und warum.
Ich nenne diesen Verzicht die Beobachtungsperspektive einer Diabolik, die eine Ethik ersetzen könnte und die zu weiterführenden Provokationszwecken eingesetzt werden kann. Ich darf Verwirrung stiften, lügen, täuschen, tricksen, beleidigen. Und wer mich dafür kritisch aburteilen will, hat zwar Recht, aber keine Ruhe, vor allem deshalb, weil eine Sanktion nur noch sehr, sehr schwer durchsetzbar ist. Wer nicht auf Kritik verzichten will, macht sich nur unnötig das Leben schwer. Eine Diabolik könnte der Weg in eine radikale Versachlichung sein.
Danke für die ausführliche Erläuterung! (Manches hatten wir vor einigen Wochen mal angesprochen; beim Gedächtnis ist aber nicht sehr gut).
Als Marketing-Fachmann würde ich aber davon abraten, diese an sich gute Theorie unter dem Label Schuld/Unschuls zu taggen. Geht es im Kern dabei nicht um einen neuen Begriff des Individuums? Vielleicht es ja serendippige Zufallskorrelation, da ich gerade Meillassoux lese – aber ich glaube, dass einige deiner Ansätze kompatibel zum spekulativen Realismus sind.
Immer wieder der gleiche Gefühlsverlauf beim Lesen solcher Texte: Ja, sagt man sich nickend beim Lesen, ja, das genau ist es, und dann kommt der Schlußsatz, das Resümée „Eine Diabolik könnte der Weg in einen radikale Versachlichung sein“.
Eine Diabolik also als Therapie, als ein Remedium gegen alle die Gefühlsübel in dem immer enger werdenden Lebenszug, dieser U-Bahn des Seins, in der wir alle so eng beieinander stehen, metaphorisch gesehen, dass keiner mehr umfallen kann, der Zug rast, festhalten, bitte, man kann auch nicht aussteigen, ein Höllenlärm, alle reden durcheinander, aber ein jeder nur mit selbst, nämlich in sein persönliches Handy hinein, Noise über Noise, aber kein semantisch erkennbarer Sinngehalt, das einzige Geräusch, dem man eine Funktion zuordnen kann, ist das Laufgeräusch der U-Bahn selber. Das tragende Gefühl eines jeden in dieser passiven Masse der transitorischen Aktivisten auf dem Nachhauseweg ist Einsamkeit. So viele Körper und keine Menschen zum Anfassen, zum Ansprechen, zum Anmachen. Ein werk des sozialen Teufels, eben einen Diabolik.
Diabolik ist die Stiefschwester der Symbolik. Die Symbolik wirft die Begriffsbälle der tragenden Unterscheidungen zusammen (sym) und erzeugt so eine brauchbare Sinngestalt. Will man sie festhalten, weil man ja eine Sinnwelt braucht, um darin zu leben wie in einem Haus, wirbelt der Diabolus uns diese Begriffsbälle alle wieder durcheinander und treibt sie auseinander und mensch versteht am Ende gar nichts mehr.
Es gibt aber neben Symbolik und Diabolik noch die schwer fassbare Denk- und Begriffsfigur der Parabolik (para = neben), des Treffen eines Zieles, des zentralen schwarzen Punkts auf einer Zielscheibe, den man als Einäugiger am besten trifft, wenn man haarscharf daneben zielt, weil mensch weiss, allzu spitz sticht nicht, wer ankommen will, der muss Umwege akzeptieren. Die ideellen Guten, die es gar nicht wirklich gibt, das sind die Symboliker, die kleinen Störteufel, das sind die Diaboliker. Und die sich als Para-Doxie-Entfalter der falschen Glaubensbilder zu bewähren suchen, das sind die Paraboliker, die mit ihrer Paranoia, mit ihrem Daneben-Denken, mit dem Querdenken, das Neue anvisieren. Und gerade das Neue wird doch gebraucht, um die Ausweglosigkeit der alles blockierenden Paradoxe aufzulösen durch Entfalten, durch den Versuch, der Einheit der Differenz, eben des eingeschlossenen aber auch dadurch ausgeschlossenen Dritten, habhaft zu werden:
Was passiert denn, fragst Du, wenn die sinnermöglichende Schere zwischen Information und Mitteilung so weit auseinander klafft, das die so entstandene Differenz als ein Verstehen sich nicht mehr vermitteln und damit als Verstehen ermitteln lässt? Der Lärmpegel in der Kommunikations-U-Bahn bleibt sich ja gleich, der ist immer da. Den bösen Kommunizierer, dessen Namen ich ja nicht mehr nennen will, den stört das nicht, der schliesst ohnehin nie dort an, wo das Gespräch eigentlich hin will: er will gar nicht stören, aber er stört. Was soll mensch denn sagen, wenn gerade vom Wetter die Rede war und die wohlgeformte Gegenrede sagt plötzlich und unerwartet, man solle doch einmal, bitte, auf das das seltsam synkopisierte Rattern der Wagenräder achten. Kritisieren hilft da gar nicht. Am besten mensch niest und putzt sich dezent die Nase und redet ebenfalls von etwas vollkommen anderem. denn mensch wird so keinen Schaden nehmen, denn cosi fan tutte, da kann mensch nix machen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Quentin_Meillassoux
„aber ich glaube, dass einige deiner Ansätze kompatibel zum spekulativen Realismus sind“ – inwiefern?
@kusanowsky
Versuch über die Notwendigkeit der Kontingenz
An der Wurzel des modernen Denkens liegt die Frage nach der Beschränkung der universalistischen Ansprüche der menschlichen Vernunft. Seit Kant wacht ein universelles, »transzendental« genanntes Subjekt über die Notwendigkeit der Naturgesetze und weist die Kontingenz der empirischen Erfahrung zu.
Quentin Meillassoux entwickelt in diesem, seinem ersten Buch ein anderes Verständnis der Kritik, das grundlegend verschieden ist von der Lesart, mit der die Moderne sich ausgehend von Kant zufriedengibt. Er weist nach, dass nur eines absolut notwendig ist, nämlich die Kontingenz der Naturgesetze selbst. Diese ganz neuartige Verknüpfung der einander entgegengesetzten Modalitäten – Notwendigkeit und Kontingenz – versetzt das Denken in einen Bezug zur Welt, an dem sowohl die klassische Metaphysik als auch die »kritische« Trennung von Empirischem und Transzendentalem zerbrechen.
»Es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß Quentin Meillassoux in der Philosophiegeschichte einen neuen Weg eröffnet, welcher der kanonischen Aufteilung Kants in ›Dogmatismus‹, ›Skeptizismus‹ und ›Kritik‹ nicht folgt. Ja, es gibt absolute logische Notwendigkeit. Ja, es gibt radikale Kontingenz. Ja, wir können das, was ist, denken, und dieses Denken ist keineswegs von einem vorausgesetzten konstituierenden Subjekt abhängig.
http://www.diaphanes.net/titel/nach-der-endlichkeit-128
ich glaube auch dass dich das interessieren würde (gruß dorotyna)
Nur einzelne Stichworte als Ergänzung zu D.S:
-> Schluss machen mit dem Ich-bezogenen Wahrheitswahn
-> Offenlegung der Kontingenz als Prinzip
-> Suche nach einer Wiedervereinigung der realen, technisierten Welt (die, wie Meillassoux sagt, ausgerechnet zum Zeitpunkt von Kants Wirken ja eine Art Siegeszug antrat).
Oder um es im Sinne deines Avatars zu sagen: Meillassoux versucht nicht weniger als eine Neuauflage der belehrten Unwissenheit.
Ich hab mich mal durch diesen Spekulativen Realismus etwas durchgeklickt. Ich werde das Buch von Quentin Meillassoux wohl lesen, glaube aber nicht, dass es das ist, was ich suche. Diese Art der Philosophie scheint mir ganz klassisch nach dem Genie-Konzept zu funktionieren: Philosophie, das Nachdenken über Denken, entsteht durch Kommunikation über Denken. Voraussetzung dafür ist ein verweisungsreiches Netzwerk, das Selektionen von Sinn sinnhaft organisiert und Ergebnisse an irgendwelchen Stellen kondensieren lässt, die dann als Ergebnisse des Nachdenkens erscheinen und nicht als Ergebnisse der Kommunikation. Und da nur Menschen sind, die denken, kann die Kondensierung nur gelingen, wenn zugleich prominente oder prominenzfähige Subjekte lokalisierbar sind, auf die die Kommunikation die Ergebnisse der Kommunikation als Ergebnisse des Denkens zurechnen kann. Müssten die Ergebnisse der Kommunkation als Ergebnisse der Kommunikation kommunziert werden, so könnten zwar auc prominente Adressen entstehen, aber keine Genies. Stattdessen entsteht das Genie als eine durch soziale Wahrscheinlichkeit generierter Knoten eines Netzwerks aus Kommunikationen, das sich auf diese Weise der Beobachtung und Beurteilung entzieht. Übrig bleiben Menschen, von denen man nicht weiß wo sie das alles her haben und stattdessen als Philosophen erscheinen, die Erstaunliches Denken. Genies!
Hier, aus der Verlagsanzeige von diaphanes:
„Der französische Philosoph Quentin Meillassoux ist dabei, einige Grundpfeiler der abendländischen Philosophie einzureißen. Und er hat gerade erst angefangen.« Hans Ulrich Obrist, Das Magazin »In Meillassoux’ Denken kann man eine Welt ohne Grund gewinnen …“
Das nächste Genie, das die Welt aus den Angeln hebt.
Ich mich interessieren weniger die Meinungen der Philosophen, weil die ohnehin durch Blogkommunikation nur kritisch und unverbindlich diskutiert werden können. Vielmehr interessiert mich das trickreiche Sichtbarmachen dieser Verbreitung von Netzverknüpfungen. Kann man dadurch verstehbar, aber nicht kommunizierbar machen, wie Nichtwissen möglich ist?
Diesem spekulativen Realismus scheint es wieder nicht zu gelingen, die sozial-epistemischen Voraussetzungen für Erkenntnis und Wissen verstehbar zu machen. Denn eine Voraussetzung für Erkenntnis und Wissen ist auch Nichterkenntnis, Nichtwissen. Aber wo kommt das her? Wie entsteht das? Natürlich kann man das Nichtwissen und seine Möglichkeit nun wieder thematisieren und kommunikativ behandeln, aber dann wird die Fage wieder nicht beantwortet, weil die Antwort dann nur Wissen über Nichtwissen zulässt. Aber die Frage wäre: wie ist das Nichtwissen als Voraussetzung für das Wissen über Nichtwissen möglich?
Interessant wäre daher eine Kommunikation von Wissensvernichtung, Zerrüttung, Distraktion, Vewirrung, der Vermehrung von Entropie um zu testen, ob trotzdem noch Ordnung entsteht. Und das ist etwas anderes als Kommunikation über Denken, über Wahrnehmung, Erkenntnis, Wissen oder über Wissbares.
Diese Sicht kann ich teilen. Wissenschaftssoziologisch ist es interessant, wie so ein „prominenzfähiges Subjekt“ nun kometenhaft aufsteigen kann. (Vielleicht war ich ja gestern unfreiwillig (?) Rädchen im Getriebe des Prominent-Machens.)
Vielleicht noch ein zweiter (bedauerlicher) Aspekt dazu: Könnte es sein, dass eine Philosophie – die in einer technisierten Welt unter Rechtfertugungsdruck steht – aus purer Verzweiflung auf den Urknalltheoriezug aufspringt?
@Walter Mengel
Der Einwand ist völlig richtig, der aber dürfte dann auch für jede Art von Lektüre gelten, für Bücher genau so wie für Filme, Musik, Fernsehprogramm oder jeden Einkaufszettel. Warum sollte ich den Einkaufszettel, den ich im Einkaufswagen des Vorbenutzers finde, als Lektüre verschmähen? Warum sollte mein Einkaufszettel wichtiger sein als der nutzlos gewordene Einkaufszettel des unbekannten Kunden vor mir?
Ich als leidenschaftlicher Bücherwurm bin dabei die Einsicht zu gewinnen, dass Bücher oder Aufsätze eigentlich nur die langweiligen, banalen Ergebnisse liefern, die nach einem Selektionsprozess anfallen und nur deshalb erfolgreich gedruckt und verkauft werden können, weil durch Kommunikation Voraussetzungen geschaffen wurden, durch die diese Banalitäten als Nichtbanalitäten erscheinen.
„aus purer Verzweiflung auf den Urknalltheoriezug aufspringt?“ – immer wieder witzig.
Wenn die Apokalyptik der Massenmedien verkehrt herum funktioniert, wenn also offenbar wird, dass etwas noch Unbekanntes bekannt wird; wenn Geheimnisse gelüftet werden, wenn enthüllt wird, was angeblich immer verborgen war. Diese Verkehrung ist tatsächlich alles andere als banal, ist unwahrscheinlich und sehr erstaunlich, weil man sich ja fragen muss, wie das nur möglich sein kann. Aber diese Frage nach der Möglichkeit kann nicht ohne einen sozialen Gedächtnisverlust zustande kommen. Und über diesen Gedächtnisverlust kann man dann plötzlich nichts wissen. (Man kann plötzlich nicht wissen, was man nicht weiß)
Eine passende Apokalyptik offenbart aber immer nur etwas, das niemals unbekannt gewesen sein konnte. Denn die Welt ist ja weder einfach da noch nicht da, weder einfach offenkundig noch ein Geheimnis, weder zunächst verständlich oder unverständlich, sondern sie muss immer als die gleichzeitige Möglichkeit beider Seiten zustande kommen, aber sie kann nicht immer als diese zweiseitige Möglichkeit erkennbar sein. Darum ist eine verkehrte Apokalyptik genauso unverzichtbar wie eine passende. Denn alle Geheimnisse, Rätsel, Wunderlichkeiten aller Art müssen ja auch sozial produziert und anschließbar sein, wobei die apokalyptische Funktion selbst das ausgeschlossene eingeschlossen Dritte ist, das sich ganz verschieden pseudonymisiert: als unbeobachtbarer Beobachter zum Beispiel oder als schädlich-nützlicher Parasit, als Diabolos usw.
Der Prozess der Sinnbildung ist eine nicht abreißende Kette von fortlaufenden neuen Entscheidungen für eine bestimmte Sinnform. Sinnbildung ist eine ständige Neubestimmung des Unterschieds zwischen dem, was aktuell und dem, was potenzielll ist. Das bedeutet, dass Sinn grundsätzlich instabil und unruhig ist. Sinn wird immer mit einem „eingebauten Zwang zur Selbstveränderung“ organisiert. (1). Kein System kann es bei einer einmal getroffenen Sinnentscheidung belassen. Sinnformen sind daher prinzipiell kontingent/begrenzt und müssen permanent neu justiert und aktualisiert werden.
Sinn ist laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten.
Sinn tritt immer in abgrenzbaren Zusammenhängen auf und verweist zugleich über den Zusammenhang, dem er angehört, hinaus. Sinn macht andere Möglichkeiten vorstellbar. Die Funktion der Sinnorganisation ist somit die Selbstrepräsentation. Sinn ist die Einheit der Differenz von Aktualität und Potentialität.
Sinn reguliert die selektive Erlebnisverarbeitung, ist die selektive Beziehung zwischen System und Welt. Sinn ermöglicht gleichzeitig die Reduktion und Erhaltung von Komplexität.
Sinn lässt sich demnach verstehen als eine selbstunterstellte Prämisse der Erlebnisverarbeitung. Sinn ermöglicht eine Auswahl und verweist über das Gewählte auf das Nichtgewählte und somit auf die Grenzenlosigkeit der Welt.
Kommunikation kann nach dieser Terminologie keine Übertragung von Sinn oder von Informationen sein, sondern Kommunikation ist gemeinsame Aktualisierung von Sinn, die mindestens einen der Teilnehmer informiert.
(1) Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Frankfurt/Main 1984, 98ff.
Dazu auch:
Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, NF 100, 1892, S. 25–50. Auch in: Gottlob Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hg. v Günther Patzig. Göttingen 1962. S. 38–63.
Karl E. Weick: Der Prozess des Organisierens, Frankfurt/Main 1995.
Anschlussunterscheidung: Sinn und Zufall.