Soziologie des Zufalls von Maren Lehmann
von Kusanowsky
Der Zufall ist die dunkle Seite der Neuzeit – und zwar (daran erkennt sich die Neuzeit als neue Zeit) nicht mehr nur der geordneten Welt, sondern der sich selbst ordnenden Gesellschaft. Eine geordnete Welt kann den Zufall viel leichter – zum Beispiel als Wunder – integrieren, weil sie ohnehin auf der Unberechenbarkeit (Jenseitigkeit) der ordnenden Instanz beruht; sie wird als überzeitlich stabil (statisch, wesentlich) und als unbezweifelbar gegeben (wirklich) verstanden. Ihre Ordnung wird durch den Zufall also geradezu bekräftigt. Für eine sich selbst ordnende Gesellschaft gilt das Gegenteil; ihre Ordnung wird durch den Zufall bestritten, jedenfalls gefährlich unterbrochen. Gerade deshalb nimmt sie aber den Zufall ernst, so sehr, dass sie Anlass für den Verdacht sieht, vom Zufall fasziniert zu sein und auf ihn zu wetten.
Den ganzen Aufsatz findet man hier.
Gute Frage. Performativ ist doppelte Kontingenz deshalb meistens kein Problem, weil die Kommunikation das Problem der doppelten Kontingenz immer schon aufgelöst hat, wodurch ja erst die Bedingung der Möglichkeit entsteht, dass doppelte Kontingenz als problematisch erscheinen kann, nämlich: weil und solange Kommunikation weiter geht wird entweder die Beobachtbarkeit der Kommunikation ausgeblendet, dann entsteht das Problem der doppelten Kontingenz, oder es wird die Beobachtbarkeit der doppelten Kontingenz ausgeblendet, dann entsteht das Problem des Zustandekommens von Kommunikation, ungeachtet dessen, dass sie ja immer schon zustande gekommen ist.
In diesem Fall ist also die Kommunikation selbst ein Zufallsgeschehen, das nur, weil es keine Notwendigkeit hat, alle Notwendigkeiten erzeugt, um weiter zu gehen. Denn für die Kommunikation ist nur ihr Fortgang notwendig. Bedingung dafür ist ihre Nichtnotwendigkeit, ihre Kontingenz und ihre Zufälligkeit.
Ich nehme an, dass die Stabilität der Kommunikation, jedenfalls für den Fall moderner Beobachtungsverhältnisse, gerade durch Perturbation gelingt. Beständige Perturbation sorgt dafür, dass sich die Beobachtung auf die Normalität von Irritation und Störung einrichtet, wodurch Zufall nicht nur angesaugt, sondern auch sofort verschluckt wird. Eine andere Formulierung wäre dann, dass die Normalität des Zufalls darin besteht, gleichermaßen wahrscheinlich und unwahrscheinlich zu sein; unwahrscheinlich dann, wenn Strukturen perturbierend stabil bleiben, wahrscheinlich dann, wenn Perturbation selbst unterbrochen wird.
Die Stabilität kommt nicht durch Ignoranz von Zufall zustande, sondern durch Verlass auf Zufall, das heißt: das beständige Nichtbemerken von Zufall gelingt durch Strukturen der Beobachtungsbereitschaft von Zufall.
Doppelte Kontingenz funktioniert aufgrund der Entfaltung eines performativen Selbstwiderspruchs, der durch die Maxime zustande kommt: tu es etwas Zufälliges. Das heißt: es geht nicht oder nur dann, wenn nicht erwartet wird was erwartet wird. Daher auch Serendipität, die weder zufällig noch notwendig ist.
Performativ gesehen ist alles, was geschieht entweder normal oder seltsam. Aber beides kann man normalerweise beobachten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Perturbation
Aus einer Rezension über Arnd Hoffmann: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie bei „sehepunkte“:
In jüngerer Zeit hat die Systemtheorie wesentliche Impulse gegeben, die Entwicklung politischer, sozialer oder kultureller Komplexe nicht von einem bestimmten Ziel her – etwa der Modernisierung – zu erklären oder den bestimmenden Einfluss in stabilen Strukturen zu suchen, sondern eher von offenen Prozessen in Regelsystemen auszugehen, in denen die Handlungen der Akteure oder zufällige Ereignisse andauernd Varianten produzieren, die dann einem von den bestehenden Strukturen und Konstellationen bestimmten Selektionsprozess unterliegen, in dessen Verlauf sie entweder ausgeschieden werden oder sich durchsetzen; Letzteres bewirkt dann eine Neujustierung und (kurzzeitige) Restabilisierung der Strukturen.
http://www.sehepunkte.de/2005/11/8402.html
The Road Not Taken
Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;
Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,
And both that morning equally lay
In leaves no steps had trodden black.
Oh, I kept the rst for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.
I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.
Robert Frost, 1916
https://twitter.com/benbarks/status/345135736460308481
Dazu passt dieser kurze Artikel
Symmetrie und Asymmetrie in der strukturellen Kopplung von Oliver Jahraus
http://www.iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/jahraus7.htm