Herr Dr. Holthausen, was ich noch sagen wollte…
von Kusanowsky
Herr Dr. Holthausen, was ich noch sagen wollte…,
seit meiner Lazarett-Gefangenschaft führe ich eine Liste über Bekanntschaften mit nicht personaler Intelligenz. Ich hab dich darin aufgenommen. Nein, nicht dich, sondern natürlich meine Vourteile über dich … Ist klar.
Aber noch einmal zurück zu der Frage, ob Naturwissenschaftler etwas von Soziologen lernen können: Nein, das können sie nicht, weil auch die Soziologen nichts mehr von der Gesellschaft lernen können. Diese Aussage ist nicht zu verwechseln mit der Aussage, dass Soziologen treffliche Texte über die Gesellschaft verfassen können (z.B. Form und Krise der Demokratie, Dirk Baecker) und zwar deshalb, weil die Soziologie trefflich gelernt hat, Texte zu verfassen: Sie hat sehr gut gelernt, sich mit sich selbst zu befassen. Die Gesellschaft ist nur ihre systeminterne Umwelt, und nicht die Umwelt ihrer Umwelt.
Die Soziologie war erst durch das Bekanntwerden der modernen Gesellschaft mit sich selbst entstanden, also ziemlich genau seit der Zeit von Karl Marx, oder – wenn man es akademisch haben möchte – seit der Zeit von Auguste Comte. Zwar konnte schon in der Zeit von Hegel ein Riecher für diese Situation der Moderne entstehen, aber Hegel fehlte noch der Begriff für Soziales, der erst mit und nach Marx kommunikativ werden konnte.
Und seit Luhmann ist der Bekanntwerdungsprozess der Gesellschaft mit sich selbst in der Soziologie abgeschlossen. Die Wissensmacht der Soziologie war dabei immer nur durch Verkoppelung mit dem modernen Staatsapparat möglich, der dieses Wissen gebrauchen und daduch in die Staatsgewalt integrieren konnte. Aus diesem Grund hatte Marx keine Chance als Professor, weil das soziologische Wissen noch nicht gebraucht wurde, und Luhmann hatte eine Chance, weil dieses soziologische Wissen nicht mehr gebracht wurde. Der erste hatte seine Erfolglosigkeit nur zu fürchten, der zweite nur zu dulden.
Jetzt bekommen wir es mit einer anderen Macht des Wissens zu tun. Darüber hatten wir uns unterhalten. Die uns bekannte Soziologie verkümmert zu einer Selbstverwaltung ihrer Tradition, wohingegen die Naturwissenschaften auf eine Explosion, auf einen „trickle-down“-Effekt zusteuern. Auch in der Phyik wird massenweise Wissen exkludiert (5 von 8 Mathematiken werde nicht ausprobert, oder so). Diese Exklusion kann aber bald für den Prozess der Wissensbildung nicht mehr exkludiert werden, weil die Chancen gut stehen, dass der Exkludierungsprozess sich durch Internetkommunikation bald selbstreferenziell organisieren könnte, also durch Umgehung, durch Exkludierung der „Chefetage“ der bislang entwickelten Organisationssysteme.
Du kannst nichts von der Soziolgie lernen, sondern nur von einer Gesellschaft, die sich nicht mehr verstehen lässt, sich nicht mehr zu verstehen geben kann und sich bestenfalls auch nicht mehr zu verstehen braucht. Die Naturwissenschaft kommt deshalb weiter, nicht die Soziologie, weil ein Naturwissenschaftler wie du (und wie viele andere unverkoppelte Elemente überall auf der Welt ) die besseren Chancen hat, eine nächste Gesellschaft kennen zu lernen.
Das ist der Vorteil, den wir für die nächsten 30 Jahre nutzen sollten, ein Vorteil, der erkennbar wird, wenn gelernt werden kann, dass das wirre Zeug, das ständig kommuniziert wird, nicht länger stört. Oder wenigstens nicht mehr so arg.
Herzliche Grüße, http://de.pluspedia.org/wiki/Klaus_Kusanowsky
Ich hatte heute aus Versehen einen Witz getwittert, der unser Gespräch aber sehr gut zusammenfasst:
„Immanuel Kant, Martin Heidegger, and Michel Foucault walk into a bar and Kant says nothing, and then Foucault says next to nothing, and then… you know what, I’ve never really understood this joke, but I’ve heard it’s really funny.“
Die Pointe ist natürlich, dass es keine Pointe gibt. Das ist der Ground Zero des Lachens.
Ich arbeite nun intensiv am Rückbau meiner hohen Meinung von der Soziologie. Als erste Wurmkur wird der folgende Text ausgedruckt und unter das Kopfkissen gelegt:
„Die glücklose Ehe von Philosophie und Wissenschaftsforschung.“ von Markus Holzinger:
http://www.zfs-online.org/index.php/forum/article/viewFile/3018/2555
Jedenfalls freut es mich, wenn wir uns im Nicht-Verstehen doch innig Verstehen und trotz (oder wegen?) Aussichtslosigkiet Vorfreude antizipieren.
Performativer Selbstwiderspruch bei Holzinger, gleich auf der ersten Seite, schon beim ersten Lesen gefunden:
Weder muss eine Gemeinsamkeit voraussgesetzt sein, damit der Diskurs funktioniert, denn die „Realismus-Konstruktivismus-Debatte“ geht auch ohne diese Voraussetzung, wie Holzinger aufschreibt und zugibt: „kein Konsens“, „keine Einigung“, und: Und Verwirrungen beruhen nicht auf irgendwelchen Unbemerktheiten, weil alles – wie Holzinger schreibt – eben doch herausgefunden wird: „dass meine Annahme richtig war“, „Viele Verwirrungen … sind zurückzuführen auf …“ Etwas Unbemerktes ist nicht Voraussetzung für Verwirrung, sondern ist Ergebnis der Kritik.
Schon dieser Eindruck zeigt, wie schwach die Kritik geworden ist. Schon in den ersten zwei Absätzen erkennt man, dass dieser Text kritischen Gesichtspunkten gar nicht standhält. Gedruckt und kritisiert wird er trotzdem – es ist nämlich auch egal, weil die Verlängerung der Publikaitonsliste das Geschäft ist, nicht die Unterrichtung des Lesers, weil – wie Sloterdijk mal geschrieben hatte – der akdemische Schreiber zum Nicht-Leser werden muss: „Das Interessant daran ist, dass das, was man tatsächliche Lektüre nennt, angesichts der ungeheuerlichen Lawine der akademischen Textproduktion gar nicht mehr stattfinden kann. Heutzutage sind nur noch digitale Lesegeräte und spezialisierte Suchprogramme in der Lage, als Vertreter des ursprünglichen Lesers mit einem Text ins Gespräch oder ins Nicht-Gespräch zu treten. Der menschliche Leser – nennen wir ihn Professor – schwindet im Gegenzug. Und dies exakt auch insofern, als der Akademiker wie der Experte seit langem dazu verdammt ist, eher Nicht-Leser als Leser zu sein.“ Peter Sloterdijk: Die Lektüre führt zur Katastrophe
@Herr Kusanowsky
Ich hatte den Holzinger-Text im Modus der unbelehrten Unwissenheit ausgesucht. Ein kurzes Überfliegen zeigt in der Tat didaktische Brennesseln und rhetorische Rohrkrepierer. Und doch zeigt der Disput Holzinger/Kneer welche Verwerfungen bei der Verknüpfung von Soziologie und Naturwissenschaft auftauchen können.
Die Papierflut dabei ist sicher bedauerlich. Vor 200 Jahren wurde weniger Papier produziert, da stand Holzinger/Kneer noch die Ausflucht eines Pistolenduells offen.
Jetzt habe ich doch noch alles komplett gelesen (vom Kopfkissen angewärmt).
Wie würdest Du auf folgende Aussage Holzingers antworten?
„Mir erscheint es allerdings als evident, dass die Frage, welche Vorteile die Luhmannsche Wissenschaftssoziologie für die Soziologie naturwissenschaftlichen
Wissens bereithält, immer noch weitgehend ungeklärt im Raum steht.“
„Wie würdest Du auf folgende Aussage Holzingers antworten? “Mir erscheint es allerdings als evident, dass die Frage, welche Vorteile die Luhmannsche Wissenschaftssoziologie für die Soziologie naturwissenschaftlichen Wissens bereithält, immer noch weitgehend ungeklärt im Raum steht.”
Diese Frage würde ich, gemäß meiner nicht-wissenschaftlichen Betrachtungsweise, auf zwei verschiedene Arten beantworten: 1. kritisch und 2. paranoisch
1. Zur kritischen Antwort: Ja. das stimmt. Und zwar aus den Gründen, die der Autor selber nennt:
Das Beobachtungssystem des Autors benutzt für die Beobachtung von Wissenschaft ein anderes Beobachtungsschema, nämlich die Unterscheidung von „Theorie und Praxis“ (oder vielleicht auch „Theorie und Realität“). Diese Unterscheidung wird so angesetzt, dass sie ihre re-rentry-Fähigkeit blockiert, denn: Nimmt man diese Unterscheidung ernst, so hat man es immer mit einer Praxis der Theorie, des Theoretisierens zu tun und mit Theorie der Praxis. Diese Blockierung verhindert die Beobachtung des durch diese Unterscheidung ausgeschlossenen Eingeschlossenen, nämlich: dass die Luhmannsche Theorie, so sie eine wissenschaftliche Theorie ist, das Ergebnis einer wissenschaftlichen Praxis ist. Wie könnte sie anders entstanden sein? Denn die andere Möglichkeit wäre ja, dass sie keine wissenschaftliche Theorie ist, aber diese Überlegung steht in diesem Text gar nicht zur Diskussion. Und weil ausgeschlossen wird, dass die Luhmannsche Theorie auch eine nicht-wissenschaftliche Theorie ist oder sein könnte, entsteht diese Verblüffungssituation dieses Beobachters: er beurteilt eine wissenschaftliche Theorie, die offensichtlich wissenschaftlich nicht berurteilbar ist. Woher kommt’s? Weil die Unterscheidung von Theorie und Praxis bei Holzinger und die Unterscheidung von System und Umwelt bei Luhmann etwas gänzlich verschiedenes ein- und ausschließen. Daher diese Irritationen. Meine kritische Antwort könnte lauten: der Autor kann die Luhmannsche Theorie nicht verstehen, weil er die Kontingenz seines eigenen Beobachtungsschemas nicht miterfasst.
2. Die paranoische Antwort: Die Naturwissenschaft, aber auch die Soziologie käme mit der Luhmannschen Theorie vielleicht besser zurecht, wenn sie auch als nicht-wissenschaftliche Theorie gesehen würde. Das geht aber nur, wenn Beobachtungssysteme auf wissenschaftliche Kritik verzichten und auf eine paranoische Beobachtung umstellen, indem man beispielsweise der Frage nachgeht, ob nicht gerade die Unwissenschaftlichkeit aller Hypothesenbildung, die ja in der Wissenschaft niemand bestreiten kann, im Luhmannschen Ansatz selbst eine Theorie gefunden hat: die Luhmannsche Theorie würde entsprechend die sozialen Voraussetzungen von Hypothesen allgemein erklären, nicht die wissenschaftlichen Voraussetzungen im besonderen. Sie wäre eine Theorie der Nichtwissenschaftlichkeit der Wissenschaft, auch der Soziologie und auch eine Theorie ihrer eigenen Nichtwissenschaftlichkeit.
Diese Wissenschaft kann aber diese Betrachtungsweise nicht akzeptieren und muss darum mir ihrer Verdrossenheit, Verblüffung oder Ratlosigkeit zurecht kommen. Alle anderen können, statt wissenschaftlich korrekt zu urteilen, heuristische Verfahren ausprobieren. Aber die sind nicht wissenschaftlich und die Ergebnisse vielleicht auch nicht. Es käme aber nicht auf die Wissenschaft an, sondern auf die Beobachtung sozialer Verstehensweisen auch dann, wenn sie für die Wissenschaft möglicherweise gar anschlussfähig sind.
Mir gefallen beide Antworten. Damit stehst Du meines Erachtens auch nicht auf verlorenem Posten.
Vielleicht fühlt sich ja jemand inspiriert – unter Kenntnis Deiner Kritik – den Laborkonstruktivismus neu aufzurollen. Am liebsten mit der Mathematik als Labor. Dazu würde ich alle Artikel lesen.
(Bald ist Weihnachten – da darf man sich ja was wünschen).
Hat dies auf Der blog fuhriello macht das Fuhrwerk bekannt rebloggt.