Paranoik und Kritik 4: Das Gerücht #BettinaWulff #Serendipitaet
von Kusanowsky
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Wer in diesen Tagen (September 2012 n.Chr, Ort: überall) bei Google nach „Berlin“ oder „Brötchen“ oder „Blaumeise“ suchen will, stößt nach der Eingabe des ersten Buchstabens „B“ durch die autocomplete-Funktion von Google auf die Nachricht“bettina wulff prostituierte“. Ein unspektakulärer Fall von Serendipität: man findet etwas, das man gar nicht gesucht hat. Man wird informiert über etwas, das einen zuvor zwar gar nicht interessiert hatte, jetzt aber dennoch ins Auge fällt. Auffällig ist das deshalb, weil man schon beim ersten Treffer darüber informiert wird, dass es sich um ein Gerücht handelt, was man angesichts der Prominenz der Person sogar für möglich halten kann.
In diesen Tagen dürfte aber vor allem die Prominzenz des Gerüchts von größerem Interesse sein als die Prominenz der Person, geht es doch nicht darum, die Wahrheit des Gerüchts zu beurteilen, sondern den Versuch von Bettina Wullf, das Gerücht aus der Welt zu schaffen. Nach Maßgabe einer paranoischen Beurteilung des Sachverhalts ist dieser Versuch wunderbar geglückt. Es handelt um den umgekehrten Fall von Serendipität. Gewöhnlicherweise besteht Serendipität darin, dass mit geeigneten Mitteln etwas Passendes gefunden wurde, das nicht gesucht, nicht erwogen, nicht vermutet, nicht erwartet wurde, also ein ungewöhnliches Ergebnis bei der Wahl eines gewöhnlichen Mittels. Die oben erwähnte Prominenz des Gerüchts zeigt aber den umgekehrten Fall, dass nämlich mit völlig ungeeigneten Mitteln überraschenderweise genau das erwünschte Ergebnis zustande kommt.
Der sogenannte „Streisand-Effekt“ bezeichnet die sich einstellende Beobachtung, dass sich eine Nachricht durch den Versuch ihrer Unterdrückung verbreitet. Etwas Vergleichbares dürfte zunächst auch für den Versuch von Bettina Wulff gelten, der darin besteht, von Google und anderen eine Unterlassung zu fordern. Wer in der zurück liegenden Phase des Wulff-Skandals dieses Gerücht verpasst hatte, dürfte nunmehr ganz unvorbereitet davon Kenntnis erhalten. Nachdem sich nämlich die Unterlassungforderung verbreitet hatte, hatten sehr viele Internetnutzer gleichzeitig die gleiche Idee und googelten nach „bettina wulff prostituierte“, was dazuführte, dass die autocomplete-Funktion aufgrund der zunehmenden Häufigkeit derselben Suchanfrage einen entsprechenden Ergänzungsvorschlag priorisierte mit dem Ergebnis, dass noch mehr Nutzer auf dieses Such-Ergebnis aufmerksam wurden usw. Irgendwann rastete die autocomplete-Funktion schon nach der Eingabe der ersten Buchstabens ein. Ergebnis: Mindestbedingung dafür, um von diesem Gerücht Kenntnis zu erhalten, ist die Eingabe des Buchstabens „B“, B wie Bier, Bleichgesicht, Brautmode oder Basistherapie. Jetzt kennt jeder das Gerücht, obwohl keiner davon wissen wollte.
Aber wie ist die massenmediale Informationsssituation? Fast jeder dürfte inzwischen wissen, dass es sich um ein Gerücht handelt, nicht etwa um eine unterdrückte Wahrheit, weil das Gerücht nicht mehr unterdrückt werden kann. Jeder Verusch, es zu unterdrücken, würde nur die Gerüchtekuche anfeuern. Die Situation ist gleichsam ein Patt: alle Versuche, die Wahrheit des Gerüchts zu verbreiten, sind genauso gescheitert wie die Versuche, es zu unterdrücken. Und nun kommt alles heraus: Es handelt sich um ein Gerücht, nicht um eine Wahrheit. Die gegenteilige Meinung kann jetzt zwar auch durch die Suchmaschine schnell gefunden werden, aber genauso schnell wird gefunden, dass das kaum jemand glaubt. Wer das noch immer glauben will, hat jetzt ein größeres Problem als vorher, entsprechende „Beweise“ für das Gerücht zu verbreiten und findet eigentlich nur noch ein Interesse vor, das davon ausgeht, dass das Gerücht keine Wahrheit hat. Das Gerücht ist durch massenmediale Komplettverbreitung unglaubwürdig geworden. Niemals hätte sich ein solcher Effekt eingestellt, wenn man versucht hätte, das Gerücht zu unterdrücken.
Herzlichen Glückwunsch!
Bei Wikipedia müsste also der Begriff des „Bettina-Effekts“ erklärt werden, welcher besagt, dass man die Wahrheit eines Gerüchts am besten dadurch aus der Welt schafft, indem man das Gerücht seiner Wahrheit verbreitet.
Top ausgeführt!
Serendipität „verkehrt“ kehrt aus, was zu (ver)kehren war.
Das ist wie „Bedienungsanleitung von hinten nach vorn ausführen“ und alles „funktioniert“, nicht trotzdem, sondern deshalb, auch wieder eine (völlig andere) Art Serendipität …
Die Lehre könnte lauten: willst du ein Gerücht aus der Welt schaffen, versuche es zu unterdrücken, indem du geeignete Mittel wählst, die dazu führen, dass durch den Unterdrückungsversuch das Gerücht sich inflationär verbreitet. Geschieht dies nicht, so wird das Gerücht wirksam unterdrückt, oder es erweist sich durch inflationäre Verbreitung als überprüfungsbedürftig, wodurch sich dann ergibt, was sich für alle massenmediale Berichterstattung ergibt: fängt man massenweise an zu prüfen, so stellt man fest, dass Glaubwürdigkeit eher unwahrscheinlich ist. So war dies bereits im Fall von Christian Wulff, der durch jeden Versuch seine Glaubwürdigkeit herzustellen in die massenmediale Unglaubwürdigkeitsfalle tappte. Genauso jetzt andersherum. Nur mit dem Unterschied, dass dies die Betroffene nun wieder für sich zum Nachteil auslegt.
Da kann man nichts machen.
Ich würde hier zu bedenken geben wollen, dass die mitlaufende Präsumption deiner Umkehrungsidee die ist, dass alle, die das Gerücht dennoch glauben wollen, sich anstrengen müssen, die Wahrheit des Gerüchts zu beweisen. Das mag für Journalisten zutreffen, die gegen eine allzu kritiklose Übernahme des Gerüchts Widerstände durch die Professionsethik erfahren. Auf den (massenmedial) unbeteiligten Leser trifft das jedoch nicht zu. Der kann, nach wie vor, glauben, was er will. Er erfährt keine substantiellen Widerstände, wenn er einfach annimmt, das Gerücht sei wahr. Man muss hier, denke ich, zwischen der Ebene der Medien (Journalisten) und des reinen Konsumenten (Leser/-Innen) unterscheiden.
„Man muss hier … zwischen der Ebene der Medien (Journalisten) und des reinen Konsumenten (Leser/-Innen) unterscheiden.“
Wenn wir es in naher Zukunft mit der Ebene des Internets zu tun bekommen, dann ist schwer zu ermitteln, wer oder was ein Journalist ist.
http://infolab.northwestern.edu/projects/stats-monkey/
Wobei ich natürlich zugebe, dass es schwer ist, die Ebene des Internets überhaupt zu bemerken.
Denn schon die autocomplete-Funktion ist ja nicht das Ergebnis einer journalistischen Tätigkeit. Und diese autocomplete-Funktion bringt die Beobachtung zustande, dass jeder über dieses Gerücht informiert wird, auch diejenigen, die davon nichts wissen wollen. Und weil das so ist, weil also eine entsprechende Suchanfrage dann häufiger vorkommt, wenn mehr Leute sie absetzen, so passiert es auch, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass solche Treffer zuerst angezeigt werden, die von meisten präferiert werden. Und in Sachen „Gerüchte“ sind dies nur in seltenen Fällen solche Beiträge, die völliger Humbug sind. Diese Geschichte informiert darüber, dass wenn die zweite Ebene der Beobachtung eingeschaltet ist, nicht mehr die Frage relevant ist, ob das Gerücht stimmt. Die Frage ist dann: ist die massenmedial verbreitete Nachricht über die Unterlassung hilfreich? Und meine Antwort lautet: sie hilft nicht, das Gerücht zu unterdrücken, sie hilft dabei es als solches aufzudecken.
Gewiss. Wer es glauben will, lässt sich nicht beirren, aber hat unter diesen Umständen schlechtere Karten erhalten.
Und übrigens: Nachrichten kann man nicht konsumieren. Sie verschwinden nicht, wenn man sie zur Kenntnis nimmt.
„Die Lehre könnte lauten: willst du ein Gerücht aus der Welt schaffen, versuche es zu unterdrücken, indem du geeignete Mittel wählst, die dazu führen, dass durch den Unterdrückungsversuch das Gerücht sich inflationär verbreitet. “
Ich verbitte mir diese Auffassung und werde alles unternehmen, um diesem Irrglauben den Garaus zu machen!
Und ich weiß wie ich das verhindern kann.
Aber Wigald, wie kommst du denn darauf, daß du dir hier etwas verbitten darfst oder müßtest, und wem möchtest du denn (vor allem warum) den „Garaus“ machen, wem drohst du was an, das stimmt schon merkwürdig … Man „verbittet“ sich nicht, daß andere Menschen denken, wo das hinführt wissen wir doch zur Genüge.
Ich finde, intelligenter kann man das Phänomen kaum beschreiben, gut beobachtet und beschrieben.
„Und übrigens: Nachrichten kann man nicht konsumieren. Sie verschwinden nicht, wenn man sie zur Kenntnis nimmt“ –
Sehr schöner Verweis auf den Unterschied, und zwar hier zunächst auf den zwischen Nachricht und Information:
Während die (nichtkonsumierbare) Nachricht nicht verschwindet (und sich „festsetzt“), damit auch nicht verschwinden kann, erlischt die Information (da konsumierbar) mit ihrer „Konsumierung“, will heißen, mit ihrer Wahrnehmung / Erkennung als Information, als wahrgenommener Unterschied, stellt das keinen relevanten Unterschied mehr dar, der Unterschiedscharakter (und damit der Neuigkeitswert) erlischt durch seine Erkenntnis, was bleibt ist bestenfalls eine Nachricht, jedoch keine Infprmation mehr.