Die Alltäglichkeit paranoischer Beobachtung 7

von Kusanowsky

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Das transzendentale Subjekt ist alltäglich in Verschwörungen aller Art verwickelt. Das ist so normal und unvermeidlich, dass meistens gar nicht auffällt, wie sehr solche Verwicklungen das Leben bestimmen. Aber nicht nur ist das Subjekt in Verschwörungen verwickelt, sondern auch in ein Geschehen des ständigen Aufdeckens von Verschwörungen. Beides, Verschwörung und Entdeckung von Verschwörung, meistert das Subjekt mit lässiger Routine, womit nicht gesagt sein soll, dass diese Routine kein Unbehagen nach sich ziehen würde. Aber auch dieses Unbehagen wird noch mit routiniertem Behagen ertragen. Jedenfallls gibt es normalerweise keinen Grund das Leben zu ändern, nur weil es einem auf den Wecker fällt.
Das Verschwörungsgeschehen ist überall beobachtbar. Schon jede Liebesbeziehung ist ein Verschwörungsabkommen, durch welches das Geheimnis der Intimität gestiftet wird und welches von den Partnern gegen ihre eigenen Angriffe verteidigt werden muss. Denn die Wahrung des Geheimnisses ist ja nicht zuerst durch andere gefährdet, nicht durch unrechtmäßige Intervention von außen, sondern durch den permanenten Verratsverdacht, der durch den Liebesschwur entsteht. Die Liebesbeziehung ist daher dem verbrecherischen Komplott durchaus ähnlich, sind doch die Komplizen meistenteils für einander eine größere Gefahr als die Verfolgungsmaßnahmen der Polizei.
Zur Wahrung solcher Geheimnisse wird ein abgeschirmter Raum gebraucht, in welchem sich ein solches verschwörerische Geschehen entfalten kann. Das ist der private Raum, die eigene Wohnung. So ist schon das Bestehen auf Privatheit ein ganz unverschämtes verschwörerisches Beharren, will man doch aller Öffentlichkeit bekannt geben, dass man über sich selbst irgendwelche Geheiminsse des Privatlebens pflegt; unverschämt deshalb, weil diese Ungeniertheit nur selten als Ursache für eine Selbstparadoxierung des eignen Verhaltens erkennbar wird.

Es kommt aber noch sehr viel mehr hinzu.

Jede Unternehmensgründung ist zunächst nur als Verschwörung möglich. Man hat eine Geschäftsidee zu deren Verwirklichung man die Mithilfe anderer benötigt. Und schon kommen Verschwiegenheitspflichten durch ein Abkommen zustande. Verschwiegenheitspflichten spielen bei Rechtsanwälten eine wichtige Rolle, bei Ärzten, bei Banken, aber auch bei Behörden; Geheimnisträger jeder Art stehen praktisch an jeder Straßenecke bereit: Beichtgemheimnis, Briefgeheimnis, Betriebsgeheimnis, Amtsgeheimnis, Wahlgeheimnis  … Mit nur geringer Übertreibung könnte man sagen, dass die halbe Rechtsprechung Geheimnisse aller Art berücksichtigen muss. Insbesondere dann, wenn man noch die Maßnahmen hinzuzählt, die getroffen werden müssen, um Menschen und Dinge gegen Zumutungen aller Art zu schützen, dürfte diese Übertreibung nicht allzu groß ausfallen: Vertrauensschutz, Datenschutz, Denkmalschutz, Kinderschutz, Mutterschutz, Naturschutz, Tierschutz, Informantenschutz und und und.

All diese Schutzbestimmungen informieren über Gefährdungen, die woanders durch intransparente Zusammenhänge erzeugt werden und gegen welche das Subjekt völlig machtlos ist, wodurch sich zeigt, wie wenig der moderne Zivilisationsmythos empirisch gerechtfertigt ist. Dennoch kann der Zivilisationsmythos des autonomen Subjekts bemüht werden, weil solche Schutzmaßnahmen als kritikwürdige Hindernisse betrachtet werden und nicht als notwendige Folgeerscheinungen einer allseits akzeptierten transzendentalen Unverschämtheit. (Mit Unverschämtheit ist hier nur die Pietätlosigkeit gemeint, mit der gegen jede empirische Relevanz der Mythos des autonomen Subjekts beansprucht wird.)

Soweit all dies allerdings auf kodifizierte Geheimniskrämereien bezieht, würde man zunächst nicht annehmen wollen, dass es sich um Verschwörungen im eigentlichen Sinne handelt. Das Verschwörungsgeschehen ist meistens da virulent, wo Abkommen zwischen Beteiligten absichtsvoll getroffen werden um für sich irgenwelche Vorteile zu sichern oder anderen Nachteilspositionen zu überlassen. Dies dürfte allgemein für das intrigante Geschehen einer jeden organisationalen Intransparenz gelten. In Konzernen, Behörden, an den Universitäten. Im politischen Bereich kann man dies vor allem bei Parteien antreffen. Man findet zueinander durch gemeinsame Erfahrungen, schließt sich zusammen und dokumentiert durch Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Partei die Beteiligung an gemeinsamen Interessen. Dass es sich hierbei um verschwörerisches Geschehen handelt, kann man an Sanktionierung ablesen, indem Mitgliedschaften in anderen Parteien ausgeschlossen werden, indem parteischädigendes Verhalten geahndet werden darf, indem Verrat skandalisert werden kann.

So ist denn auch der Verrat das Kennzeichen eines verschwörerischen Geschehens, am deutlichsten ablesbar an gerichtlichen Prozessen, die Hochverrat verhandeln. Das moderne Staatswesen ist gleichsam als Institution verstehbar, die Verschwörung sicher stellt.

Fortsetzung folgt.

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