Verführung zur Konspiration
von Kusanowsky
Ich denke, dass unsere Gesellschaft von geistesgestörten Leuten regiert wird, die geistesgestörte Ziele anstreben.
Ich denke, dass wir von Wahnsinnigen geführt werden, die wahnsinnige Pläne verfolgen.
Ich denke, die sind allesamt irre.
Doch ich setze mich natürlich der Gefahr aus, als Geisteskranker weggesperrt zu werden, wenn ich das sage. Das ist das Verrückte daran.
Sind wir uns einig? (John Lennon)
Wer die Bereitschaft mitbringt, darüber nachzudenken, dass paranoische Beobachtungsfähigkeit eine unverzichtbare Bedingungen ist, um das Alltagsleben als moderner Mensch, als transzendentales Subjekt bewältigen zu können, wird auch einsehen können, dass die bekannten Vorbehalte gegen Verschwörungstheorien überflüssig sind. Das heißt nicht etwa, dass man damit genügend gute Gründe hätte, an Verschwörung zu glauben; allein, man wird finden, dass es möglich sein muss, dass Strukturen zustande kommen können, die dazu verführen, an Verschwörung zu glauben; Strukturen, die Konspiration ermöglichen, ohne zugleich Verschwörung herstellen zu können.
Konspiration wäre hier verstanden als die mit Realitätsgewissheit ausgestattete Illusion eines empirisch nachvollziehbaren Zusammenschlusses von sinnhaften Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, die für einander unbekannt sind und dies im wahrscheinlichsten Fall für immer bleiben werden.
Die Unmöglichkeit einer jeden Verschwörung könnte mit der Möglichkeit der Konspiration zwischen Menschen erklärt werden, die für einander unbekannt bleiben, aber aufgrund einer geteilten Illusion – empirisch verifizierbar durch soziale Strukturen der Teilung dieser Illusionen – über bekannte Sachverhalte unabhängig voneinander zu gleichen oder sehr ähnlichen Einschätzungen kommen.
Man liegt richtig, wenn man vermutet, dass dies ohne Massenmedien gar nicht möglich wäre. Denn alle dazu erforderlichen Elemente müssen durch Massenmedien erzeugt und durch Verbreitung verknüpft werden. Wenn dies gelingt, so entzieht sich durch Verknüpfung und damit durch Vollzug der Konspiration das Medium seiner eigenen Beobachtbarkeit, invisibilisiert seine Funktionslogik und wirft gleichsam nur die Ergebnisse aus, deren Evidenz, wenn sie bestritten werden soll, selbst wieder nur durch Massenmedien ermittelt und vermittelt werden kann: Von Regierungen und ihren Zielen, von ihren Vorhaben, Erfolgen und Misserfolgen, von Herrschaft und Unterdrückung weiß man nur durch Massenmedien, was auch für diejenigen Personen gilt, die davon wissen. In dem Fall des Zitats oben: von John Lennon. Kaum einer kannte ihn, aber bekannt war er allen, wie auch der Gegenstand seiner Meinung. Und das Zitat oben macht deutlich, wie das transzendentale Subjekt zur Konspiration verführt wird: „Sind wir uns einig? (John Lennon)“ – er kennt zwar sein Publikum nicht, aber er kann wissen, dass die Leute wissen, was er weiß und aufgrund der Beobachtungsverhältnisse dazu ermutigt werden können, Einigkeit zu empfinden. Entscheindend ist, dass alles relevant Wissbare für alle Beteiligten nur durch Massenmedien zustande kommen kann, wobei die Funktion des Systems der Massenmedien im selben Augenblick unerkannt bleibt.
Die Funktion besteht darin, diese Konspiration herzustellen ohne Verschwörung zu ermöglichen. Denn Verschwörung gelingt nur zwischen Menschen, die für einander bekannt sind und sich der Beobachtung durch Massenmedien entziehen können, was übrigens nur in ganz wenigen Ausnahmefällen gelingt. Selbst einem Geheimdienst, der in einem durch bürokratische Organisationsverfahren geschützen Bereich operiert, fällt es sehr schwer, für Massenmedien geheim zu operieren, was übrigens daher kommt, dass auch Journalisten in gewissem Umfang geheim operieren müssen, um an Informationen zu kommen. Auch Journalisten sind immer in geheimdienstliche Machenschaften verwickelt – wie anders kann bekannt werden, dass es Geheimnisse gibt?
Es mangelt mir noch eine begreifliche Definition von paranoische Beobachtung. Versuch: Wahrnehmung einer Kommunikation als auf die Beobachter (sich selbst oder die Gruppe wovon man sich Mitglied meint) (aggressiv?) gezielt (mit Sinn) von einem Aktor.
„Es mangelt mir noch eine begreifliche Definition von paranoische Beobachtung“ Nicht nur daran mangelt es. Es mangelt an Vielem. Das Ausmaß der Mangelhaftigkeit ist kaum zu überschätzen. Mein Versuch besteht darin, paranoische Beobachtung als Voraussetzung zu nehmen, um epistemologisch mit der Paradoxie zurecht zu kommen, dass man zwar von einem blinden Fleck wissen kann, aber nichts über einen blinden Fleck. Der blinde Fleck bezeichnet die andere Seite einer gewählten Unterscheidung, so dass alle Bezeichnung eines blinden Flecks darauf aufmerksam macht, dass auch kein blinder Fleck irgendwie möglich sein muss, damit die Anweisung „draw a distinction!“ überhaupt anschlussfähig werden kann. Denn wodurch kann diese Anweisung evident werden, wenn doch selbst immer schon eine Unterscheidung im Spiel sein muss? Wozu soll aufgefordert werden, wenn durch die Aufforderung schon eine Forderung erfüllt wurde, nämlich die, eine Unterscheidung vollzogen zu haben?
Was soll ich von jemandem halten, der mich sprechend auffordert zu atmen, wenn ich sehe, dass er dabei atmet und sehe, dass er sieht, dass ich atme? Warum die Aufforderung zu atmen? Nur wer paranoisch darüber nachdenken kann, kann in Erwägung ziehen, dass es auch um etwas anderes geht als um Atmung.
Die Entparadoxierung der Beobachtung gelingt durch Unterbrechung kritischer Beobachtung und durch einen Vertrauensgewinn auf paranoische Beobachtung. Jedenfalls erklärt das, warum Luhmann das so nicht schreiben konnte. Die Wissenschaft muss zwar auch ihre kritische Diszplin immer lockerer handhaben, aber ersetzen darf sie sie nicht. Sie muss weiter machen, auch, wenn ihre Epistemologie gar keine kritische Grundlage mehr hat. Die Wissenschaft kann zwar wissbar machen, dass alles auch anders möglich ist, aber etwas anderes möglich machen darf sie nur, wenn eben dies nur kritisch beobachtet werden kann, wenn also alles bleibt wie es ist.
„Der blinde Fleck bezeichnet die andere Seite einer gewählten Unterscheidung…“
Ein kleiner Hinweis dazu: mit ‚blindem Fleck‘ wird nicht die andere Seite einer Unterscheidung, bezeichnet sondern die Einheit der Unterscheidung. Dieser ist auch nur in operativer Hinsicht nicht beobachtbar, weil nicht zwei Bezeichnungen zugleich gemacht werden können. Das heißt aber nicht, dass die Einheit einer Unterscheidung nicht beobachtbar wäre. Gelingt das, handelt es sich bereits um eine Beobachtung 2. Ordnung.
„Was soll ich von jemandem halten, der mich sprechend auffordert zu atmen, wenn ich sehe, dass er dabei atmet und sehe, dass er sieht, dass ich atme?“
In welcher Situation könnte man mit dieser Aufforderung konfrontiert werden? Ich kann mir gerade keine vorstellen. Es sei denn, es gibt Probleme mit der Atmung.
„In welcher Situation könnte man mit dieser Aufforderung konfrontiert werden?“ Auf den ersten Blick kaum eine, gilt auch für: „Draw a distinction!“ Worüber soll mich diese Anweisung informieren? (Es sei denn es gäbe Probleme mit dem Unterscheiden!) Wenn doch durch Beobachtung dieser Anweisung schon eine Unterscheidung vorgenommen und frei gesetzt sein muss, damit das als Anweisung überhaupt verstehbar wird. Wie könnte ich sie nicht befolgen? Versuche eine Anweisung nicht zu befolgen, der du bereits gefolgt bist: „Lese diesen Satz nicht!“ oder: „Lies diesen Satz!“- Was soll das denn? Kritisch gesehen kann man das als Quatsch abtun. Wenn aber dennoch erfolgreich Kommunikation über diesen Quatsch möglich ist, dann könnte man entweder glauben, es sei kein Quatsch – wofür es keinen Grund gibt, denn auch Quatsch muss kommuniziert werden, um ihn zu verstehen – oder es geht weder um Quatsch noch um Vernunft. Man könnte nun weiter gehen und alle weiteren Unterscheidungen anwenden um zu versuchen, ob sich eine finden lässt, die nicht aussortiert werden könnte und mit welcher man erklären kann, dass diese Anweisung kommunikabel ist. Versucht man dies so landet man schließlich bei der Unterscheidung „kommunikabel/nicht-kommunikabel“ – aber dann hätte man entweder nur herausgefunden, was niemals verborgen war, nämlich die Kommunikabilität dieser Anweisung. Oder man nimmt an, dass mit erfolgreicher Kommunikation dieser Anweisung dieselbe Anweisung durch die selbe Kommunikationsoperation sabotiert wird. Die Anweisung will dann vielleicht darüber informieren, dass es so gar nicht weiter geht, und darum eine Unterscheidung empfiehlt, was dann wieder heißt es nicht geht. Könnte heißen: es muss etwas dahinter stecken, damit es geht. Nämlich: „Siehst du denn nicht, dass es Probleme mit dem Unterscheiden gibt!“ – ist die Botschaft.
Dies akzeptieren zu können, nenne ich paranoisches Beobachten, eine Akzeptanz freilich, die kritisch nicht zu rechtfertigen ist. Sie hat keine Notwendigkeit.
„Dies akzeptieren zu können, nenne ich paranoisches Beobachten, eine Akzeptanz freilich, die kritisch nicht zu rechtfertigen ist. Sie hat keine Notwendigkeit.“
Keine Notwendigkeit? Versuchst du nicht für die Notwendigkeit paranoischen Beobachtens zu argumentieren, wenn du schreibst:
„Man könnte nun weiter gehen und alle weiteren Unterscheidungen anwenden um zu versuchen, ob sich eine finden lässt, die nicht aussortiert werden könnte und mit welcher man erklären kann, dass diese Anweisung kommunikabel ist.“
Keine Unterscheidung hilft weiter. Also folgt daraus notwendig paranoisches Beobachten als Form des Umgangs mit Kommunikationsproblemen. Das dies gerade auch im Vergleich mit GSB als kontingente Lösung erscheint ist klar. Er empfiehlt Formanalyse um Kommunikationsprobleme zu analysieren.
Die Frage ist, wieso beginnt Gesellschaft erst im Übergang zur funktionaler Differenzierung Kommunikationsprobleme zu registrieren um daran anschließend mit der Anweisung „draw a distinction“ darauf aufmerksam zu machen.
„Die Frage ist, wieso beginnt Gesellschaft …“ – Wir werden keine Einigkeit darüber erzielen, welchen Zeitpunkt wir für den Beginn des Ausdifferenzierungsprozesses ansetzen wollen. Mein Vermutung ist, dass der Ausdifferenzierungsprozess länger dauerte und mühevoller verlief als man meinen möchte. Für eine Zeitmarkierung tippe ich auf den spätmittelalterlichen Bau von Städten, Kathedralen und Universitäten und der Scholastik mit Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Das Ende des Differenzierungsprozesses ist dem Augenblick erreicht, indem er beschrieben werden kann (gemeint ist hier die Beschreibung der selbstreferenziellen operativen Schließung der Systeme), und prompt wird sichtbar, was vorher vermieden wurde: es handelt sich nur um Kommunikationsprobleme. Der Differenzierungsprozess konnte durch Kommunikation nur funktionieren, solange es für Kommunikation keinen Begriff und keine Theorie gab, was sich erst seit Hegel/Marx und der Industrialsierung ganz langsam änderte. Der Punkt ist wohl, dass zunächst auch Bemühungen um eine Kommunikationstheorie in ein Subjekt-Objekt-Schema integriert wurden wie noch immer bei Habermas zu finden. Und wenn jetzt verstehbar ist, dass dieses Schema auch nur durch Kommunikation differenziert wird, so stellt sich das Vermeidungsproblem der Moderne heraus: es gibt kein Jenseits mehr, aber damit ist das Problem der Metaphysik nicht abgeschafft, sondern nur unter andere Bedingungen gestellt. Das Vermeidungsproblem der Moderne ergibt sich aus der sehr langsamen Differenzierung einer Transzendentalphilosphie und den Strukturen ihrer Entstehung, Formung und Trivialisierung. Das Vermeidungsproblem entwickelte sich durch die Illusion der sehr langsamen Entzauberung der Welt, durch welche erkennbar wurde, dass auch noch Kommunikation entzaubert werden müsste. Aber das kann schließlich kein Mensch mehr leisten, zumal ja auch Macht- und Gewaltverhältnisse in der Weise entzaubert wurden, indem sich zeigt, wie wenig Menschen darüber verfügen.
Die Anweisung „draw a distinction!“ ist in dieser Hinsicht wohl nur der Abschlusspunkt, der auf diese Ausweglosigkeit aufmerksam macht. Die Anweisung informiert einerseits über den bereits erfolgten Vollzug und andererseits darüber, dass jeder (weitere) Vollzug nur darauf aufmerksam macht, dass auch Kommunikaitonsprobleme notwendig nur durch Kommunikation erzeugt werden und darüber, dass Lösungen keineswegs ausgeschlossen sind.
Wenn ich über diese Ausweglosigkeit nachdenke, komme ich zu dem Punkt, dass diese Ausweglosigkeit durch Kommunikaiton entsteht und sie keinen Ausweg bietet, wenn man auf ihre Erlösungsfähigkeit irgendwelche Hoffnungen setzt.
Stattdessen: paranoisches Beobachten versucht Kommunikation zu vermeiden (zu umgehen, zu sabotieren, zu verkomplizieren) und lässt sich auf das Risiko der Selbstbeobachtung durch Introspektion ein. Wenn du nicht auf deinen Gott Vertrauen kannst, dann vielleicht auf deinen Affen. Also widersetze dich nicht länger seiner Zudringlichkeit.
Allgemein gilt: „Everybody’s got something to hide ..“
und für mich gilt: „except me and my monkey“
http://www.magistrix.de/lyrics/The%20Beatles/Everybodys-Got-Something-To-Hide-Except-Me-And-My-Monkey-7528.html
„Das Ende Differenzierungsprozesses ist dem Augenblick erreicht, indem er beschrieben werden kann (gemeint ist hier die Beschreibung der selbstreferenziellen operativen Schließung der Systeme), und prompt wird sichtbar, was vorher vermieden wurde: es handelt sich nur um Kommunikationsprobleme.“
Diese Hypothese finde ich äußerst erklärungsbedürftig. Anders ausgedrückt würde das ja heißen, Reflexion stoppt interne Differenzierung. Wieso?
„Stattdessen: paranoisches Beobachten versucht Kommunikation zu vermeiden (zu umgehen, zu sabotieren, zu verkomplizieren) und lässt sich auf das Risiko der Selbstbeobachtung durch Introspektion ein.“
Was ist denn mit Risiko der Selbstbeobachtung gemeint und wieso soll das gerade durch Vermeidung von Kommunikation zustande kommen? Ich würde sogar umgekehrt behaupten Selbstreflexion wird notwendig um heute noch anschlussfähig kommunizieren zu können.
„Reflexion stoppt interne Differenzierung. Wieso?“ – Eben nicht.
Ich gebe zu, dass diese kurzen Sätze wenig Zusammenhang ergeben. Der gleiche noch einmal anders: Den transzendentalen Vermeidungsirrtum, welcher natürlich nicht als Irrtum zur Welt gekommen ist, sondern als eine Möglichkeit der Welterfahrung mit gewiss sehr beachtlichen Ergebnissen für die Selbsterfahrung eines Menschseins, lautet: vermeide den Zirkel leerlaufender Selbstreferenz. Er führe in die Idiotie, in den haltlosen Wahnsinn. Warum wurde das zu einem Problem? Das hängt mit dem Vertrauensgewinn auf Menschenvermögen zusammen, dessen Vorbedingungen in der gleichsam „prähistorischen Embryonalphase“ der Differenzierung der modernen Gesellschaft sozial erarbeitet wurden. Die Überlieferung der alten Wissensform stellte ein Apriori des göttlichen Willens her, der für Menschen als prinzipiell unerforschlich vorgestellt wurde. Niemand könne genau wissen, wie Gott entscheidet. Jeder Versuch, dies wissen zu wollen, überschreite Menschenvermögen. Nachdem sich die Kontingenzerfahrung des göttlichen Willens als anschlussfähig erwies, zeigte sich peu a peu die Einsicht, Menschenvermögen könnte vielleicht doch der Wahrheit dienen, es käme nur auf Selbstbeschränkung durch Kritik und Selbstkritik, auf Vermeidung bewusstseinsmäßiger Selbstreferenz an, auf Garantien durch Fremdreferenz, welche als gegeben, vorhanden, vorfindbar, seiend aufgefasst wurde. Zwischen Thomas von Aquin und Immanuel Kant liegt ein langer Prozess des Vertrauensgewinn auf Selbstreferenz des Bewusstseins. Es war die Differenzierung eines „Ja, aber …“ Über die Differenzierung dieses „ja, aber“ entfaltete sich auf der anderen Seite ein Verständnis für soziale Realität. So hatte Hegel gar nicht zu Unrecht bemerkt, dass mit seiner Vorstellung der Selbstentfaltung des Weltgeistes die Philosophie an ein Ende gekommen wäre. Sie war zu Ende, weil mit dem absoluten Weltgeist das Selbstreferenzproblem für das Bewusstsein in vollständiger Fremdreferenz aufgelöst wurde. Und unter dieser Voraussetzung konnte Marx wieder anfangen und das Selbstreferenzproblem des Bewusstseins beiseite lassen, weil jetzt Gesellschaft als epistemologische Voraussetzung hinzugefügt wurde. Allerdings: die sozialen Verhältnisse transzendentaler Selbstvergewisserung hatten zu diesem Zeitpunkt schon längst angefangen, sich zu trivialisieren, was sich auch in der Militarisierung (z.B. Klassenkampfpropaganda) und Rassismus niederschlug. (Keine einfache Einsicht für Menschrechtsaktivisten: dass auch Rassisten Menschrechtsvorstellungen haben.) Diese Trivialisierung dürfte an eine Grenze ihrer Verbreitungsfähigkeit gekommen sein, weil dieser Prozess operativ geschlossen funktioniert und alle sein Elemente in vollständiger Kontingenz aufgelöst und zur Verpknüpfung freigegeben hat. (Z.B.: auch ein Massenmörder in Norwegen hat ein Recht auf Fairness.)
Vermeide immer noch den Zirkel leerlaufender Selbstreferenz? Mit Luhmann könnte man nun sagen: Vermeide nicht und beobachte, was geschieht. Abhängig davon, wie groß dein Vertrauen auf deinen Affen ist. Denn: es könnte sein, dass der, der da redet, der Affe ist. So könnte es der Affe sein, der in Kommunikationsprobleme verstrickt ist. Ich weiß es nicht genau. Ich jedenfalls beobachte mich mit der Maxime: lass den Affen doch, was geht es mich an? Insofern: Reflexion erweitert die interne Differenzierung. Aber es kann sein, dass du das einem Arzt erklären müsstest, nicht mir. Und ich weiß nicht, ob ich optimistisch bin, aber mutig wäre ich.
Das ist mit dem Risiko der Selbstbeobachtung gemeint.
„Vermeide immer noch den Zirkel leerlaufender Selbstreferenz? Mit Luhmann könnte man nun sagen: Vermeide nicht und beobachte, was geschieht.“
Vermeiden heißt, etwas Anderes als Fremdes, Ungehöriges und Unzugehöriges ausschließen. Selbstreferenz konnte nur gemieden werde, indem Selbst sich selbst und den Prozess, durch den es auf sich selbst referenziert, als etwas Anderes, Fremdartiges erfährt. Dadurch scheidet sich Selbstreferenz von Selbstreferenz, sagt sich von sich selbst los, ist uneins mit sich. Hegels approach, will man ihn wirklich ungebrochen teleologisch lesen, legt nahe, dass nach einer langen Odysee der Selbst-enfremdung. Selbstreferenz (als ein fremdreferentieller Akt) bei sich selbst ankommt. Sich mit sich selbst versöhnt. Sich nicht länger selbst fremd ist.
Was brächte nun die Maxime: „Vermeide NICHT und beobachte, was geschieht!“ mit sich? Das, was geschieht, das Ereignis, die Emergenz kontingenter Eigenschaften, die nicht auf das, worauf sie hervorgegangen sind reduzierbar sind, ist das Andere.
Im Nicht-Vermeiden (für alle, die ernsthaft glauben, dass das geht) würde dann die auf sich selbst und nichts als sich selbst vereidigte Selbstreferenz wiederum gewahr, dass das, was aus ihr hervorgeht unaneigenbar fremd ist.
Da du so auf diesem Beatles-Song rumreitest, erklär doch bitte was du aus diesem kleinen Stück Drogen-Lyrik rausliest. So richtig hab ich noch nicht verstanden, worauf du hinaus willst.
Ich drücke es mal so aus: Rückführung auf Selbstreferenz kann nicht schaden. Blöd ist nur, wenn einem nicht gefällt, was man dabei findet, und sich mit der Frage rumschlagen muss ‚ignorieren oder verändern?‘. Im schlimmsten Fall führt das zur fremdveranlassten Einlieferung, im besten Fall zur selbstveranlassten Konsultation einen Arztes. In diesem Sinne kann Selbstreflexion vermutlich zum Risiko werden. Bleibt die Frage, warum man das so negativ bewerten sollte. Man kann Selbstreflexion auch als Chance sehen, die nicht zwangsläufig in den worst case führt. Vielmehr bietet Selbstreflexion die Chance zum Lernen.
Aber kommen wir nochmal auf meine ursprüngliche Frage zurück. Wieso können Kommunikationsprobleme erst in der Moderne als solche beobachtet werden? Dabei interessiert weniger wann sich der Übergang zur Moderne konkret ereignete, sondern was hat verhindert dass dies in der Vormoderne möglich war? Was hat sich verändert, dass dies in der Moderne möglich war?
„Was brächte nun die Maxime: “Vermeide NICHT und beobachte, was geschieht!” mit sich?“
Ich gebe jederzeit zu, dass mit der Vermeidung von etwas zu Vermeidendem wieder nur etwas anderes vermieden wird. Aus diesem Grunde kann man die Luhmannsche Empfehlung ernst nehmen: Vermeide Selbstreferenz nicht und beobachte was geschieht. Entscheidend sind hier die spezifisch evolutionär herausgestellten Bedingungen, durch die der Vermeidungsverzicht relevant wird, und nicht irgendwelche. Dabei handelte sich um die Wissensform transzendentaler Subjektivität und nicht etwa um die des Thomas von Aquin, der noch empfohlen hatte: Vermeide, deinen Glauben vernünftig zu begründen, aber schon erklären konnte, dass der wahre Glauben, hat man ihn erst gefunden, mit Vernunft jederzeit verteidigt werden kann. Alles was der Glauben besagt sei nicht durch Vernunft zu begründen, aber nichts von dem, was der Glauben besagt, widerspreche der Vernunft: „Unser Glaube kann, weil übervernünftig, nicht mit zwingenden Vernunftgründen bewiesen werden, er kann aber auch, weil wahr und deshalb nicht widervernünftig, in keiner Weise durch zwingende Vernunftgründe umgestoßen werden“ (aus: Thomas von Aquin, Von der Begründung des christlichen Glaubens gegen Sarazenen.) Interessant ist doch, dass gerade dieser Vermeidungsvorbehalt von Thomas anzeigte, was bald nicht vermieden werden konnte, aber noch vermieden werden sollte, weil dies schon zum Thema der Verhandlung geworden war. Mit den thomischen Vermeidungsvorbehalt zeigt sich, dass der Weg in die Freigabe schon beschritten war, aber auf dem Wege der Warnung vor diesem Weg. Man könnte den thomischen Vermeidungsvorbehalt so umformulieren: Du darfst dich ermutigt fühlen, dich deines Verstandes zu bedienen, aber nicht auf dem Wege der Selbstermächtigung, sondern erst nach Firmung durch den wahren Glauben, um denselben mit den Mitteln der Vernunft gegen den Unglauben zu verteidigen. Einige hundert Jahre und viele Differenzierungsschritte später taucht bei Kant der Vermeidungsvorbehalt so auf: Gewiss käme es darauf an, sich seines Gottes zu versichern, es käme aber nicht darauf an, ihn zu beweisen. Kant bestätigt also Thomas, aber die Bedingungen sind ganz andere, weil der Vertrauensgewinn in Vernunft weiter fortgeschritten war. Aber Kant hatte noch daran festgehalten, dass sie Selbstreferenz transzendentalphilosophisch nur vernünftig ist, wenn du deine Wahrnehmung schikanierst, um die Fremdreferenz zu gewährleisten. Und schon bei Nietzsche taucht der Einwand auf, dass das gar nicht nötig ist.
„sondern was hat verhindert dass dies in der Vormoderne möglich war?“ – Verhindert hat dies der Vermeidungsvorbehalt des von mir so bezeichneten „appollinischen Vermeidungsirrtums“ (frei nach Oswald Spengler, der die „apollinische Seele“ als die Kulturseele der alten Gesellschaft bezeichnete.) Dieser apollinische Vermeidungsirrtum kannte kein Wissen um die soziale Welt und stellte das Überwindungshindernis dar, durch den sich der transzendentale Vermeidungsirrtum herausbilden und erhärten musste. Als schließlich ab dem 17. Jh. bei Descartes der Vertrauensfindungsprozess in Menschenvermögen so weit fortgeschritten war, dass man eine Anleitung zum richtigen Gebrauch der Vernunft verfassen konnte, ging es um die Überprüfung der durch die aristotelischen Tradition angelieferten Wissensbestände, ganz prominent: Galilei. Die Frage nach dem „Was“ des Wissens war folglich epistemologisch verknüpft mit dem „Wie“ dieser Möglichkeit, da das „Was“ der erkenntnisgenerierenden Instanz selbst untersucht werden musste, also: Bewusstsein und: Bewusstsein über Bewusstein. Was ist das? Soziale Realität als epistemische Voraussetzung gab es auch für Descartes noch nicht, und erst nach Kant wurde das relevant, nämlich der Gedanke, dass die Bedingung für die Möglichkeit der Vernunft geknüpft ist an die Vernunft der anderen, für die das selbe gilt. Aber eine Soziologie hätte Kant nicht betreiben können (wie auch Rousseau nicht). Daher der Ansatzpunkt, es müsse eine natürliche Vernunft geben, (bei Rousseau: ein natürliche Freiheit), die dem Menschen mitgegeben sei. (Taucht im Umkreis von Habermas heute noch auf mit dem Begriff des sozialen Apriori menschlicher Vernunft.) Seit der Industrialsierung haben wir es darum mit einer vollendeten Wissensform zu tun, nämlich die der transzendentalen Subjektivität, die noch ausreichte, um soziale Realität als Begriff zu erfassen, aber für eine Theorie auf der Grundlage ihrer Tradition selbst keine Erklärungsmöglichkeiten lieferte.
„Wieso können Kommunikationsprobleme erst in der Moderne als solche beobachtet werden?“ Weil die Gesellschaft zu sich selbst gekommen war ohne die Strukturen der transzendentalen Subjekivität zu zerstören. Sie sind trivialisiert worden und machen jetzt darauf aufmerksam, dass der Vermeidungsvorbehalt gegen Selbstreferenz längst sozial wirksam und strukturell sedimentiert ist, weshalb die kritische Diszplin darum zerfällt (ohne zu verschwinden). Sie wird erweitert werden.
„Blöd ist nur, wenn einem nicht gefällt, was man dabei findet“ – genau. Und dann? Die kritische Diszplin würde dich dazu anhalten, diesen Blödsinn zu vermeiden, ihn zurück zu halten, ihn zu analysieren oder zu ignorieren. Aber mit welcher Notwendigkeit? Warum nicht einfach allen mitteilen? Es mag schon häufiger vorgekommen sein, dass die Multiplikation zweier Blödsinnigkeiten etwas sehr Bemerkenswertes hevorgebracht hat.
„erklär doch bitte was du aus diesem kleinen Stück Drogen-Lyrik rausliest“ – zugegeben, dieser Drogenkultus der Moderne ist selbst ein Vermeidungsphänomen. Aber das Gehirn hat solche Rezeptoren für Halluzinogene nicht blödsinnigerweise angelegt.
„Aus diesem Grunde kann man die Luhmannsche Empfehlung ernst nehmen: Vermeide Selbstreferenz nicht und beobachte was geschieht. Entscheidend sind hier die spezifisch evolutionär herausgestellten Bedingungen, durch die der Vermeidungsverzicht relevant wird, und nicht irgendwelche. Dabei handelte sich um die Wissensform transzendentaler Subjektivität…“
Eine märchenhaft dünkende Fortschrittserzählung, bei der ein jedes Stadium fein säuberlich aus dem andereren, bereits erwirtschafteten resultiert, scheint doch mit einer Evolutionstheorie, die den Bruch, den Sprung, die Kontingenz, Emergenz, die Nichtkausalität in Rechnung stellt, wenig zu tun zu haben.
1. Dieser apollinische Vermeidungsirrtum kannte kein Wissen…
2. Als schließlich ab dem 17. Jh. bei Descartes der Vertrauensfindungsprozess in Menschenvermögen so weit fortgeschritten war…
3.und erst nach Kant wurde das relevant..
4. Seit der Industrialsierung haben wir es darum mit einer vollendeten Wissensform zu tun…
Kann man Geschichte(n) wirklich noch SO erzählen?
Ja, welch paradoxe Frage. Und das nur, um ein „sollte“ zu vermeiden? Natürlich kann man oder kann man nicht Geschichte(n) so erzählen. Aber scheinbar kann „man“ nicht das Gegenteil davon tun. Der Versuch allerdings könnte interessant sein.
Das ist eine feine Unterscheidung, die Du da triffst, weltenbummler. Derweil gurren die weißen Tauben mit den Glaszwiebelbrillen „gobbledygoo“.
@ Mycroft Holmes – deine spitze Bemerkung über die Drogen-Lyrik ist gut getroffen.
Das größte Ausmaß paranoischer Selbstübertreibung der modernen Subjektivität ist die genauso unverschämte wie naive Annahme, der eigene Verstand sei eine reine Quelle der Urteilsfähigkeit, ein Selbstlüge übrigens, das durch die Psychonanalyse gar nicht erschüttert wurde. Im Gegenteil. Die Psychoanalyse hat das Subjekt mit einem zusätzlichen Mäntelchen der Wertschätzung bedeckt, indem das Subjekt dadurch lernte, aus sich selbst ein großes Geheimnis zu machen. Es lernte sich als verstandesmäßig unzugänglich kennen und konnte darüber noch einmal seine Selbstwertschätzung steigern. Ein großes Geheimnis umweht seine Existenz. Dieser Drogen-Kult ist im Verhältnis dazu von sehr viel mehr Illusionslosigkeit geprägt. Denn wenn sich empirisch zeigt, dass meine Verstandesfähigkeit unzugänglich ist, dann gibt es nur wenig überzeugende Gründe, keine Drogen zu nehmen.