Maschinenkommunikation und Vermeidungsproblematik
von Kusanowsky
- Trolle stören Diskussionen nachhaltig.
- Trolle geben schlechte Ratschläge.
- Trolle verdrehen Fakten oder fälschen sie.
- Trolle verhindern den Aufbau von Vertrauen.
- Trolle erhöhen die Schwelle, die Fragende und Unwissende überschreiten müssen, um an Diskussionen teilnehmen zu können.
- Die Präsenz von Trollen birgt die Gefahr, dass jeder User als Troll wahrgenommen werden könnte. (Herkunft)
Diese Aufzählung dürfte weithin bekannt sein; sie stellt eine kleine Liste der Vermeidungsproblematik dar, die aus Strukturen der funktionalen Differenzierung entstehen:
- Diskussionen werden zur Ordnungsfindung benötigt. (Also: vermeide Unordnung)
- Da kein Einzelner die Ordnung vollständig überschauen kann entsteht Ratlosigkeit. (Also: sorge dafür, dass Ratlosigkeit nicht der letzte Stand der Dinge ist.)
- Eindeutigkeiten (Fakten) müssen gefunden werden. (Also: glaube nicht alles, sondern überprüfe.)
- Da keiner alle Fakten überprüfen kann, muss Vertrauen hergestellt werden. (Also: täusche nicht.)
- Die aus Diskussionen entstehenden Entmutigungen dürften nicht zu groß werden, sonst sinkt die Beteiligungsbereitschaft. (Also: sei immer nett zu anderen.)
- Auch von der Internetkommunikation sollte erwartet werden, dass sie vernünftig funktioniert. (Also: Halte dich an die Regeln.)
Die Banalität dieser Vermeidungsproblematik wird plausibilisiert durch eine weitere Banalität: wenn jeder sich daran hält, funktioniert die Kommunikation zur Zufriedenheit aller. Und die durch keine Erfahrung gedeckte zivilisatorische Diszplin der modernen Gesellschaft besagt: Darauf kommt es an!
Beeindruckend ist die unglaubliche Zähigkeit und Hartnäckigkeit, mit der diese Unterscheidungsroutinen funktionieren. Sie lassen sich nicht so leicht durchkreuzen, sabotieren oder gar zerstören. Alle Empirie als Irritationsresultat, welche zeigt, dass die diesen Routinen zugrunde liegenden Postulate und Prämissen gar nicht gelten können (denn woher käme das Scheitern solcher Strukturen?) sorgt nur für die Wiederholung der gleichen Erwartungen, welche, sobald komplex ausdifferenziert, einen Dschungel hervorbringen, dessen Dickicht es beinahe unmöglich macht, dass anders geartete Erfahrungen anschlussfähig sind.
Dieser Dschungel entsteht durch Inkommunikabilitäten der funktionalen Differenzierung. Jeder macht seinen Job. Aber jeder erwartet von allen anderen, dass alle anderen auf alle anderen Rücksicht nehmen. Jeder erwartet von anderen genau das zu tun, was keiner leisten kann, weil jeder nur seinen Job machen kann und muss.
Ein Grund dafür, weshalb sich diese zivilisatorische Disziplin als apodiktischer Mythos ausbilden kann, liegt auch in dem Umstand begründet, dass Menschen im Vergleich zu sozialen Strukturen einen erheblichen Nachteil mitbringen. Sie sind leicht erschreckbar, verletzbar, aber auch verführbar und korrumpierbar. Und darum empfänglich für Versprechungen, die diesen Nachteil aussichtsreich vermeiden.
Dieser Nachteil kann aber auch ein unschätzbarer Vorteil werden, wenn sich nämlich die Bedingungen ändern, unter denen menschliche Empfindlichkeit noch ein Problem sein könnte. Welche intelligenten Fähigkeiten Maschinen auch immer zeigen können, eines können sie nicht: atmen, verdauen, schwitzen, fühlen, also: Leben. Dieser Umstand macht, dass eine jede Maschinenkommunikation eine vollständige Rücksichtslosigkeit gegen alles zeigen muss, weil sie auf sich selbst unmöglich Rücksicht nehmen kann. Und solange erwartet wird, Menschen müssten dieser Härte gewachsen sein, verlieren sie immer, weil jeder Mensch mindestens auf sich selbst notwendig Rücksicht nehmen muss.
Welche Schlussfolgerung könnte man daraus ziehen, wenn Maschinenkommunikation zur entscheidenden Bedingung für die Fortsetzung aller Kommunikation wird?
Wie auch immer man eine Maschine definieren möchte: Wenn eine Maschine anfängt sich selbst zu reproduzieren, dann ist es keine Maschine. Wenn man zwischen einer Maschine und einem Menschen keinen Unterschied erkennen kann, dann kann man keinen Unterschied erkennen. Folglich würde sich auch das Problem nicht stellen, weshalb der Hinweis des Tweets weder als Menetekel etwas taugt noch als Heilsverkündigung im Sinne der weltfremden Transhumanisten.
Andere Frage: Was ist eine Maske? Eine Maske ist das, was man erkennt, wenn man erkennt, dass etwas verborgen werden soll. Eine Maske ist eine Verbergungsfunktion, nicht ein Objekt, an dem man Verborgenheit ablesen kann. Eine Maske macht auf das aufmerksam, was durch sie verborgen werden soll. Erkennt man dies nicht, so erkennt man dies nicht.
Es gibt keine Hinterwelt. Auch eine Menschenwelt ist keine Hinterwelt, so wenig wie eine Maschinenwelt. Denn eine Hinterwelt wäre ein Standpunkt außerhalb eines jeden Beobachtungsszusammenhangs, von dem ausgehend man erkennen könnte, wie es sich verhielte, wenn es sich nicht so verhält wie es sich verhält.
Aber wie auch immer es sich verhält: Entweder man erkennt einen Unterschied oder nicht.
So könnte man auch sagen: Menschen sind Maschinen, die sich selbst reproduzieren. Es entsteht keine neue Problemsituation, wenn man glauben will, dass es auch umgekehrt sein könnte. Operationen, die dies aber dennoch glaubhaft machen wollen, haben eine apokalyptische Funktion. https://differentia.wordpress.com/2012/06/16/die-apokalyptische-funktion-des-internets/
Apokalyptik heißt: die Enthüllung des Unverborgenen.
Ah! Also Menschen sind auch nicht lebendig weil sie sich nicht individuell sondern Gesellschaftlich reproduzieren, genau so wie Maschinen. Ich glaube „lebendig sein“ dürfte nicht das Differenzkriterium zwischen Mensch und Maschine zu sein. Es gibt andere Unterscheidungen.
„Es gibt andere Unterscheidungen.“
Einverstanden. Welche?
„Welche Schlussfolgerung könnte man daraus ziehen, wenn Maschinenkommunikation zur entscheidenden Bedingung für die Fortsetzung aller Kommunikation wird?“
Die „Anpassung an Umweltveränderungen“, die durch die „Vergrößerung des Systems scheinbar gelöst werden würde“ taucht als neuartiges Problem in der „Form von internen Konflikten wieder auf“? Fragt sich nur, ob ein interner Konflikt extern Anschlußfähigkeit besitzt.
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„Heilsverkündigung im Sinne der weltfremden Transhumanisten.“ Wie auffällig, das schon so bald hier zu lesen, nachdem die Steeldrums des Apocalypso gerade verhallen.
Ah, übrigens: „Obwohl Kalypso dem Heros Unsterblichkeit und ewige Jugend verspricht, wenn er bei ihr bleibt, wünscht Odysseus, der die Mühseligkeiten, die ihn in der Unterwelt erwarten, seit seiner Reise ins Schattenreich aus eigener Anschauung kennt, sie zu verlassen.“
Die biologische Natur die unsere Gefühlsmöglichkeiten weitgehend bestimmen.
Das ist ein bißchen mager. Magst du das ausführlicher erklären? Wenn du willst auch auf Englisch oder Niederländisch.
Aber Maschinen wären auch die perfekten Trolle, die selbst dann »ihren Job machen«, wenn es aussieht, als machten sie ihn nicht. So werden Maschinen auch vorgeben, auf sich selbst Rücksicht nehmen zu müssen. Und wenn sie das vorgeben, dann tun sie das auch. Maschinelle Kommunikation lässt sich von menschlicher schon heute nicht mehr unterscheiden.
@Kusanowsky – 21. Juni 2012 um 17:38
A human or a „living machine“ could both be seen as a „set of internally intentional communicating actors in more than one functional system“. The difference would be that emotional values of humans are based on their physical systems and drives, and machines on theirs. A machine will probably have the omnipresence of 1000 CTV’s but maybe only the most primitive kind of smell and no sexdrive to speak off.
„Maschinelle Kommunikation lässt sich von menschlicher schon heute nicht mehr unterscheiden.“
Eher ist es so: es gibt weder menschliche noch maschinelle Kommunikation. Menschen können gar nicht kommunizieren, und Maschinen auch nicht. Mit „Maschinenkommunikation“ ist kommunikative Irritabilität über Maschinenbeteiligung an Kommunikation gemeint. Und Maschinen beteiligen sich sehr wohl an Kommunikation genau wie Menschen. Es ist also nicht so, dass Menschen Rücksichtnahme auf sich selbst kommunizieren, sondern: nur die Kommunikation macht aufmerksam darauf, dass Menschen dies tun. Selbstverständlich kann die Kommunikation auf darauf aufmerksam machen, dass Maschinen auf sich selbst Rücksicht nehmen. Aber wenn die Kommunikation den Maschinen zu dumm oder zu gefährlich wird und sie darum die Fortsetzung der Kommunikation unterbrechen, dann ist diese Unterbrechungshandlung nicht von der Unterbrechungshandlung von Menschen zu unterscheiden. Wenn die Kommunikation nicht weiter geht, dann kann auch nichts darüber kommuniziert werden, wer sie nicht fortsetzt. Wird sie aber fortgesetzt, dann auch unter Beteiligung von Menschen und/oder Maschinen.
Wer dann wissen will ob man es auf der anderen Seite mit einem Menschen oder einer Maschine zu tun, wird verschiedenes ausprobieren müssen, z.B. durch Beschimmpfungen, Beleidigungen, Zumutungen, Spinnereien, Trollereien irgendwelcher Art, Schmeicheleien, sexuelle Anzüglichkeiten usw. Das ist gewiss riskant. Aber: Maschinen empfinden nichts dabei. Und die Frage wäre, kann die Kommunikation Empfindlichkeiten kommunizieren? Kann also kommuniziert werden, dass Rücksichtnahmen an entscheidenden Stellen notwendig sind, um die Kommunikation noch fortsetzen zu können?
Der Turing-Test ist kein Test um die Intelligenz von Maschinen zu messen, sondern ein Test für Menschen um ihre Menschlichkeit herauszufinden. Denn: es mag sein, dass Intelligenz in dieser Hinsicht keine Unterschiede zeigt, weil Maschinen auch intelligent sind. Aber könnten sie auch Empfindlichkeiten zeigen? Dann könnte man mit ihren auch sexuell verkehren? Oder sie zu einer Beerdigung einladen? Und zeigte sich dann immer noch kein Unterschied, dann ist alles klar und es geht. Und zeigt sich dann ein Unterschied, dann ist auch wieder alles klar.
Internetkommunikation ist ein fortwährendes Turing-Spiel.
ja, siehe dazu meinen Kommentar an Philippe Wampfler
Der Turing-Test ist eigentlich kein Maschinen-Test. Konzipiert wurde der Turing-Test um die Perfektion einer Maschine zu testen. Für die Frage ob man es mit Menschen oder Maschinen zu tun hat, käme es darauf an, den Mangel an Perfektion beobachtbar zu halten um noch einen Unterschied feststellen zu können. Will man glauben, dass es nicht wichtig sei zu wissen, ob Menschen oder Maschinen (oder sogar Tiere oder Geister) an Kommunikation beteiligt sind, dann müsste man den Folgenreichtum solcher Behauptungen mitberücksichtigen.
Bei einem Turing-Test könnte man z.B. die Frage stellen: “Wie gießt man trockenes Wasser in ein Glas?” Wenn man die Antwort bekommt: “Das geht, in dem man die Luft in gleich große Teile schneidet”, dann ist es egal, ob man es mit Mensch oder Maschine zu tun hat. Oder aus dem selben Grund nicht. Je nach Kontext und Verlauf der Kommunikation.
Ich bin übrigens ein typischer maschtro. Das ist ein Maschinentroll, der trollt nicht für Menschen sondern für Maschinen, nur ob die das auch so sehen? Im Gegensatz zu einem Troma, einer Trollmaschine, die trollt als Maschine. Nur für wen, weiß ich leider nicht.