Öffentlichkeit als Phantasmagorie @christorpheus
zurück zu Vernichtung der Öffentlichkeit durch ihre Veröffentlichung
– Wenn Öffentlichkeit durch das Internet nicht vernichtet wird, dann verbleibt Öffentlichkeit als Phantasmagorie, die ihre Realität aus ihrer Virtualität ableitet.
– Fiktion ist doch genauso real wie Non-Fiktion, oder würdest Du das nicht so sehen?
Ja, sicher. Die Frage ist nicht was Öffentlichkeit ist, sondern wie und wodurch eine systeminterne Umwelt als Öffentlichkeit im Unterschied zu Privatheit beobachtbar ist. Mein Argument lautet: diese Unterscheidung ist nicht mehr öffentlich beobachtbar, und zwar dann nicht mehr, wenn auch Öffentlichkeit veröffentlicht wird, wenn also diese systeminterne Umwelt als soziale Wildnis der Zivilisation nicht mehr als Unverfügbarkeit von sozialer Umweltkomplexität erscheint, sondern wenn diese Unverfügbarkeit umgekehrt wird in soziale Unverfügbarkeit von systeminterner Komplexität. Das geschieht durch Internetkommunikation, die kein System ist, aber ohne soziale Systeme nicht funktioniert. Dann verschwindet diese Öffentlichkeit. Damit wird gleichwohl wieder etwas unverfügbar. Das, was jetzt durch das Internet unverfügbar wird, ist die Eigenkomplexität von sozialen Systemen.
Wenn dies geschieht, ereignet sich eine Apokalyptik als Verkehrung des Verhätnisses von Medium und Form. Die sozialen Systeme der modernen Gesellschaft werden jetzt selbst zum Medium für eine ganz andere Formenbildung. Oder so: der Strukturschutz der funktionalen Differenzierung funktioniert durch Internetkommunikation nicht mehr, Latenz bricht auf und zeigt, was immer schon hätte gesehen werden können, aber durch den intakten Strukturschutz nicht oder nur sehr schwer, allenfalls in esoterisch abgezirkelten Systemen anschlussfähig war, und selbst da nur unwahrscheinlich kommuniziert werden konnte.
Jetzt wird offenbar was nie ein Geheimnis war, aber immer durch Strukturschutz verdrängt, vermieden wurde. Daher diese Irritationen um die Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit, ein Problem, das es seit dem mittelalterlichen Städtebau gibt, weil durch moderne Urbanität das Problem zur Welt kam und im Laufe der Jahrhunderte nie gelöst, sondern immer nur feiner differenziert wurde. Dieser Differenzierungsprozess war bislang die Lösung für das Problem, die jetzt an eine Grenze kommt, weil jeder weitere Differenzierungsversuch keine Grenzen des Gelingens mehr kennt. Internetkommunikation liefert die Grundlagen für die Ausbildung einer Weltgesellschaft.
Kann man den privaten Bereich noch schützen? Man könnte doch auch mal fragen: kann man Öffentlichkeit noch schützen? Ich tippe auf nein, nicht unter diesen, funktional differenzierten Bedingungen.
Wir können uns gerne über Imaginationen unterhalten. Oder selbst Imagination an die Stelle von Empirie, die jetzt keine transzendentale Begründungsnotwendigkeit mehr enthält, setzen. Von mir aus gerne. Aber du siehst am Verlauf von Diskussion, die immer noch kritisch geführt werden wollen, wie empfindlich reagiert wird, wenn ich versuche zu zeigen, dass das Programm der modernen Gesellschaft der Selbstverwirklichung ihrer empirischen Möglichkeiten durch Kritik dämlich wird. Ganz ungeniert werden im Anschluss Dämlichkeiten geäußert, weil man der Argumentation kritisch gesehen nicht mehr gewachsen sein kann, was mich nicht wundert. Daher der Ausweg über die Ironisierung und Selbstironisierung, was ich wiederum als erste Übungen für eine Paranoik nehme, als erste Schritte, um eine alt gewordene Diszplin durch eine neue zu ersetzen.
Wie gesagt: von mir aus gerne die Vorstellung einer Öffentlichkeit als Phantasmagorie, vielleicht auch als Mega-Öffentlichkeit. Dann aber auch keine Kritik mehr, weil Kritik gemäß des Programms der modernen Gesellschaft Öffentlichkeit, öffentliche Wirkung, Resonanz als zu begeherendes und zu überwindendes Widerstandhindernis benötigt. Fällt ein solches Hindernis aber fort, dann zerfällt Kritik in letzte Dämlichkeit. Doch auf Kritik verzichten will noch niemand so recht. Also setze ich mich mit meiner These von der Vernichtung der Öffentlichkeit eben dieser halsstarrigen Kritik aus, um zu schauen, was an Kritik noch anfällt. Und wie ich bemerke, zeigen sich höchste Empfindlichkeiten, und kaum noch Kritik. Jedenfalls keine, für die sich Anstrengung noch lohnen könnte.