Die Paranoik der Oneironauten

Simulationen sind virtuelle Konstruktionen, welche die Einheit der Differenz von Realität und Fiktionalität in eine komplexitätssteigernde und zeitlich nicht mehr verfolgbare Unerkennbarkeit überführen. Diese Unerkennbarkeit nenne ich ein „paranoisches Wissen“, das die Unterscheidung von Information und Mitteilung nicht mehr zuordnen braucht und darum die Kommunikation auf einer ersten Beobachtungsebene fortsetzt.

Interessanterweise hatte bereits Niklas Luhmann, der vom Internetsurfen soviel gar nicht wissen konnte, in dieser Hinsicht schon Andeutungen gemacht:

Eine letzte und ganz offene Frage … ist, ob wir mit Kommunikation auch noch dann rechnen, wenn auf Serialität verzichtet wird. Wenn man also Computerinformationssysteme hat, wo man sich fallweise etwas heraussucht, was man selbst dann neu kombiniert, wo gar nicht ein Satz auf den anderen folgt, sondern eine Information da ist und dann ein Spektrum von Verweisungen auf andere Informationen gegeben ist und man sitzt und macht sich eine Bahn und ruft auf den Bildschirm, was man dazu braucht, ohne eigentlich zwischen Information und Mitteilung unterscheiden zu können. Man ist wieder Beobachter erster Ordnung, man drückt auf bestimmte Knöpfe und dann kommt ein bestimmter Text zum Lesen und dann muss man irgendwie da was draus machen, gibt das vielleicht in den Apparat zurück, ohne dass bei diesen modernen — wie heißen die? — „Hypertextsystemen“ mit Eigennamen markiert wird. Und es entwickelt sich eine Masse von Anregungen mit riesiger verdeckter Absorption von Unsicherheit und ebenso riesiger Erzeugung von Unsicherheit in der Auswahl … (zit. bei: Die Neonleuchte)

Für ein Individuum entstehen aus diesen Unsicherheiten unvorstellbare Freiheiten; der Internetnutzer wäre eine Art Oneironaut, ein Träumer, der Internetkommunikation als Traumgeschehen erlebt, welches ihm zwar selbst als solches erscheint wie bei einem Klartraum, aber die anfallenden Paradoxien relativ einfach ignorieren kann, weil sie als Generatoren weiterer Unterscheidung beinahe ausfallen, da ihre Erkennbarkeit, wenn nicht verschwindet, so doch die Reflexivität gar nicht mehr steigern können.
Das steht zunächst im Widerspruch zu einer Auffassung von Virtualität, die einerseits als Bezeichnung für mögliche, also potenzielle Realität verstanden wird, anderseits dieses Potenzialität mit ihrer Aktualität gleichsetzt. Semantisch heißt das, dass das Compositum „virtuelle Realität“ eine Form wiedergibt, die zugleich auf Potenzialität und Aktualität verweist.

Gebraucht man Unterscheidungen in der Weise, dass sie Paradoxien offen legen, also auf semantische Oppositionen aufmerksam machen, dann bekommen Unterscheidungen normalerweise die Funktion, neue Unterscheidungen hervorzubringen und damit die durch die entsprechende Paradoxie blockierte Situation zu entparadoxieren. Denn Paradoxien zu konstruieren heißt, einen Verlust der Bestimmbarkeit und damit der Anschlussfähigkeit für weitere Operationen in Aussicht zu stellen, durch Verwendung weiterer Unterscheidungen aber den Weg für die Fortsetzung des selbstreferenziellen Operierens wieder freizuräumen.

Die Beobachtung dieser so unbestimmeten paradoxen Virtualität schafft damit einen operativen Raum, indem diese semantischen Oppositionen weder zur Paradoxierung noch zur Entparadoxierung beitragen, da für den Oneironauten die Illusion der Selbststeuerung allen seiner Möglichkeiten schon voraus geht und ihm darum die Illusion als die einzig verlässliche Realiät erscheint. Etwas davon Verschiedenes mag dem Oneironauten verstandesmäßig immer noch zugänglich sein, aber auch das kann nur als „paranoisches Wissen“ wieder auffallen.

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