Der Intellektuelle – nicht mehr wissen wo es lang geht
von Kusanowsky
„Eine veraltete Mentalität, die in unserer Gesellschaft einfach nicht mehr adäquat ist“
van Rossum: Herr Luhmann, anfangs klang eine Kritik am Intellektuellen an. Sie sagten, das ist jemand, zu dem Sie deshalb nicht unbedingt gezählt werden möchten, weil das Leute sind, die sich eben oft so benehmen, als ob sie wüssten, wo es lang ging. Und dazu gehörten Sie nicht und wollten Sie nicht zugehören.
Die Resonanzwirkung des kritischen Intellektuellen im öffentlichen Raum war traditionell geprägt von Respekts- und Unterwürfigkeitsgesten des Publikums. Wenn der Herr Professor sprach mussten alle anderen schweigen. Die Zeichen der Unterwürfigkeit einerseits und die Beanspruchung einer übergeordneten Autorität andererseits hatten Formen geschaffen, deren Suggestivwirkung inzwischen nur noch schwer nachvollziehbar ist. Das könnte daran liegen, dass die Mikrodiversität der Formenverschränkung durch Resonanz verstärkt wird. Durch diese Resonanz wird eine Art von Evidenzdruck auf die Wahrnehmung ausgeübt, die es als riskant erscheinen lässt, wollte man sich ihr, indem man sich der öffentlichen Anwesenheit nicht entzieht, aufgrund der eigenen Resonanzwirkung widersetzen. Denn wenn wahrnehmbar wird, dass alle anderen, gleichviel ob aktuell anwesend oder potenziell als beteiligt imaginierbar, dieses Risiko ebenfalls erfahren, so wird es höchst unwahrscheinlich, es zu versuchen. Und darum entsteht andersherum die suggestive Kraft einer übergeordneten Autorität und die gleichsam automatisch sich entfaltende Ansteckung dieser Akzeptanz durch eigene Zeichen der Unterwürfigkeit eines jeden Einzelnen, durch die dann diese Resonanz entsteht.
Die Autorität des modernen Intellektuellen entstand durch die Resonanzwirkung des öffentlichen Raumes. Wenn man nun beobachten kann, dass dieser Autoritätshabitus seit spätestens der 1960/70er Jahre zerfällt, dann verweist das auf auf zwei Tendenzen. Erstens auf die Verkümmerung des öffentlichen Raumes durch beschleunigte Differenzierung. Dies würde den Autoritätsverlust durch Differenzierung der Resonanzwirkung erklären. Zweitens auf die Differenzierung dieses Autoritätshabitus mit dem Effekt der Trivalisierung. Das würde bedeuten, dass die Autorität nicht verschwunden ist, sondern seitdem beinahe von jedem eigenmächtig beansprucht werden darf. So ist es kein Wunder, dass sich aufgrund dieser Differenzierungsprozesse bald eine Dialektik entfaltete, durch die Zerfall, Trivialisierung und Reaktivierung von öffentlicher Resonanz entstand. Das zeigen drei Belege, die etwas zeitgleich zusammenfielen 1985 proklamierte Josef Beuys öffentlich: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Damit wurde aufgrund öffentlich wirksamer Resonanz die Autorität der Künstlerpersönlichkeit von Beuys noch einmal verstärkt; zweitens ein Radiointerview von Niklas Luhmann 1987, in welchem er den Habitus des kritischen Intellktuellen ablehnte, weil er nicht mehr zeitgemäß sei, da auch die Intellektuellen nicht mehr angeben können, wo es lang geht. (siehe Tweet oben). So war es drittens dann auch kein Wunder, wenn dieser Strukturwandel bei Jürgen Habermas zeitgleich unter dem Stichwort „Die neue Unübersichtlichkeit“ (1) analysiert wurde.
Seitdem ist es ein Merkmal von Intellektualität, nicht mehr zu wissen, wo es lang geht. Und prompt kann man feststellen, dass auch noch diese Selbstbeschränkung der Autorität trivial genutzt wird, um die kritische Intellkutalität am Leben zu halten. So findet man zum Beispiel im Blog von Benjamin Stein den Versuch, die Irritationen über die Ausweglosigkeit der Urheberrechtsdiskussion mit einer aufklärerischen Pose zu verknüpfen:
Aufklärung, Bildung und gemeinsame Diskussion wären daher zu wünschen. Wie das sinnvoll gestaltet werden könnte? Vorschläge sind willkommen.
Vorschläge sind willkommen. Wer aber einen äußert wird kritisiert und zwar nach Maßgabe einer trivalen Autorität, deren Hartnäckigkeit nur mit einer hoffnungsfrohen Arroganz durchgehalten wird, welche gleichwohl genauso trivial verbreitet ist, z.B. auch bei Anonymous-Aktivisten, die wenigstens so frech sind, gar keine Vorschläge erst zu unterbreiten. Warum auch, wenn jeder die autoritäre Frechheit beanspruchen darf, jeden Vorschlag zu ignorieren.
(1) Habermas, Jürgen: Die neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V. Frankfurt/M. 1985
Vorschläge sind willkommen. Wer aber einen äußert wird kritisiert und zwar nach Maßgabe einer trivalen Autorität, deren Hartnäckigkeit nur mit einer hoffnungsfrohen Arroganz durchgehalten wird, welche gleichwohl genauso trivial verbreitet ist, z.B. auch bei Anonymous-Aktivisten, die wenigstens so frech sind, gar keine Vorschläge erst zu unterbreiten.
Habe ich etwas verpasst? Wurde ein Vorschlag unterbreitet und der Vorschlagende in meinem Blog dafür kritisiert?
Sollte vielleicht doch ich selbst einen unterbreiten?
Akademien beispielsweise könnten heute noch für etwas gut sein, wenn sie ein Podium böten für gemeinsame Erörterung der jeweiligen Standpunkte und deren Diskussion. Man könnte Künstler, denen das technische Verständnis nicht ganz abgeht, zusammenbringen mit Netzaktivisten, denen es nicht an künstlerischem Verständnis mangelt.
Ja, nämlich die Selbstbeoachtung der eigenen Autorität. Denn dein Blog ist nicht die zentrale Sammelstelle für Vorschläge zur Lösung des Problems. Die zentrale Sammelstelle wäre allenfalls das Internet. Das hat aber keine Zentrale und auch auch keine Autorität.
Gern. Indem Fall könnte man empirsch erkennen, was dann geschieht. Kommt keine Kritik übergebe ich dir mein ganzes Vermögen und verübe Selbstmord. Versprochen! (Ist ernst gemeint, gebe ich dir auch schriftlich!)
Der Versuch, durch Auklärung, Diskussion, Bildung und Bereicherung des Wissens das Problem zu lösen, verkennt woher das Problem kommt. Es entsteht durch Aufklärung, Diskussion, Bildung und Bereicherung des Wissens. Das spricht dafür, dass die Lösung, wenn es überhaupt eine gibt, außerhalb der Möglichkeiten liegt, die sich durch Aufklärung, Diskussion, Bildung und Bereicherung des Wissen ergeben. Siehe dazu auch der Artikel: Der Nasrudin-Fehler der Interneterklärer
Aber ich nehme an, dass du da anderer Meinung bist? Nicht?
Das Internet hat keine Zentrale, aber mein Blog gehört zum Netz. Darauf können wir uns sicher einigen. Dass ich in der Lage bin, zusammenhängende Sätze zu formulieren und diese in Form eines Blog-Beitrags zu veröffentlichen, gibt mir noch lange keine Autorität. Die wird ja »verliehen« – von den Lesern, Zuhörern, indem sie lesen oder zuhören und das von mir Formulierte reflektieren und eventuell eben auch sinnvoll finden. Dabei kann helfen, dass ich eben tatsächlich langjährige berufliche Erfahrungen habe im künstlerischen wie im technischen Bereich.
Ich glaube doch, dass es sinnvoll wäre, wenn mal jemand mit »pädagogischem« Geschick den Künstlern erklärt, was alles nötig wäre, um die gewünschte Urheberrechtskontrolle im Netz durchzusetzen. Was daraus dann folgt an Verlust von Freiheit, werden sie selbst folgern können.
Mit »Auklärung, Diskussion, Bildung« meine ich, auf beiden Seiten des Debattentisches die Wissenslücken zu schließen. In jeder wissenschaftlichen Diskussion wäre das Voraussetzung und ist entsprechend gang und gäbe. Warum nicht auch hier?
Dagegen habe ich keine Einwände. Diesen interessanten Gesichtspunkt könnte man aufgreifen:
Wessen Wissenslücken sind klein genug, um die Größe der Wissenslücken eines anderen treffsicher zu beobachten? Und wenn sich jemand dazu ermächtigen sollte, dies von sich zu behaupten, was jederzeit legitim ist, so stellt sich anschließend die Frage, welcher andere erkennen kann, dass es sich so verhält, dass also die Wissenslücke seines Gegenübers kleiner ist als seine eigene. Könnte er dies aber bemerken, so scheint diese Wissenslücke nicht viel größerer zu sein als die des anderen. Und wenn dies so ist: na bitte! Dann wäre ja alles kein Problem. Haben wir es aber mit einem Problem zu tun, dann doch deshalb, weil von keiner zentralen Stelle aus beobachtbar ist, wie groß oder die wie klein die Wissenlücken anderer sind oder die eigene ist. Gewiss möchte ich zugeben, dass wir es mit einer Art von Lücke zu haben. Aber mit wessen Lücke denn?
Der Versuch allerdings, durch gegenseitige Kritik, die Wissenslücken bemerkbar zu machen, wird seit ca. 250 Jahren mit Volldampf betrieben und hat sehr beachtliche und beeindruckende Ergebnisse zustande gebracht. Dies geschah durch operative Wissensdifferenzierung. Aber mit diesen beeindruckenden Fortschritten ist auch die Beeindruckbarkeit über die Defizite dieses Prozesses gewachsen, heißt: nicht nur das positive Wissen, auch die Wissenslücken wurden differenziert. Nur unter dieser Voraussetzung konnte so etwas wie das Internet überhaupt erst entstehen, durch eine beinahe vollständig ausdifferenzierte Gesellschaft. Beweis ist die Erfindung des Hyperlinks, der es ermöglicht, Sachverhalte zu ermitteln, die man gar nicht gesucht hat. Und jetzt, nachdem sich auch das Wissen über das Internet differenziert hat, ist die Ratlosigkeit groß, weil jetzt nicht nur erkennbar wird, dass Sachverhalte gefunden werden, die niemand gesucht hatten, sondern man jetzt auch nicht mehr weiß, wer überhaupt etwas sucht. Selbst die Annahme, dass jeder etwas anderes sucht, ist empirisch nicht mehr zu überprüfen.
Jetzt also weitermachen als wäre nichts passiert: Gründung eines virtuellen Debattentisches um nun diese, so entstandene Wissenslücke zu schließen? Jetzt endlich? Jetzt geht’s?
Pragmatischer Vorschlag zum Weitermachen: versuche einmal zu ermessen, wie groß meine Wissenslücke ist.
Das ist mir ein wenig zu theoretisch. Wenn man bspw. das Gespräch zwischen Jan Delay und Christopher Lauer im »Spiegel« liest, sind gegenseitige Wissenslücken sehr wohl auszumachen: Wie funktioniert so ein Verwertungsprozess eigentlich und was wollen und brauchen die Künstler als Dienstleistung durch die »Verwerter«. Auf der anderen Seite: Was ist überhaupt technisch im Netz durchsetzbar?
Ihre Wissenslücken kann ich nicht ermessen. Da müsste ich schon einem Gespräch zwischen Ihnen und einem anderen lauschen oder selbst eines in der Sache mit Ihnen führen.
Ist das ein sachliches Argument? Nur weil mir Wasser ein wenig zu naß ist, lehne ich es ab, mich damit zu waschen?
Ist aber ein guter Versuch, die Kommunkation sabotieren: ich nehme das Recht auf eine Wissenslücke in Anspruch („Das ist mir ein wenig zu theoretisch“) und erkläre unbeeindruckt wie gut man die Wissenslücken anderer bemerken kann. Weil: meine eigene ist ohnehin völlig unwichtig – die der anderen aber höchst bemerkenswert.
(Stimme meines Daimons aus dem off: kritische Diskussion … murmel, murmel, … das ist mir ein wenig zu kritisch nachgedacht …)
@Stein und @Kusanowsky:
Es besteht inzwischen die akute Gefahr, daß die erörterte Thematik samt ihren anerkannten und übersehenen Determinationen in das barocke Triviale hinüberrutscht. Rutscht, wie abrutschen, nicht: gleitet.
Auch ist es erstaunlich, daß im allgemeinen beide sich direkt und indirekt auf angebliche Veränderungen in den letzten Jahren beziehen, aber Kusanowsky immer noch dazu den von diesen massiven Veränderungen völlig unberührten Luhmann anführt, hier mit einem Rundfunkinterwiev des DLF von 1987 – ?
Ach ja, da war ja das Internet für Luhmann wohl gerade in vollster Blüte – oder?
Das Beharren auf einmal für hübsch befundene Wortkombinationen ist nicht unbedingt ein sicheres Ruder für die Gegenwart, noch weniger für die Zukunft.
Intellektuelle haben noch immer ihren (Halb)Zeitwert gekannt – und genutzt – seltener jedoch diesen für die Zukunft real geschätzt oder sinnvoll untergebracht, d.h., sie haben, wenn mann so will, stets gemeint, sie wüßten wo es lang geht, nur dahin stolpern lassen haben sie meist die anderen.
Was ist nun bitte aufeinmal anders daran? Neu? Das das im Gewebe der Welt erfolgt? Auch dort? Nur eben AUCH dort?
Es ist unwichtig, wer (Intellektueller?) weiß , wo es lang geht, wichtig ist nur, DASS es einer (?) weiß, auch: ahnt.
Und das, ihr beiden, ist nun heute tatsächlich längst degradiert zur Banalität, zur Trivialität.
Benjamin Stein stimme ich trotzdem zu, wenn er das Gespräch zwischen Lauer und Delay erwähnt. Ich fürchte nur, das Gespräche zu diesem Thema ganz grundsätzlich darauf beruhen, dass es Wissenslücken gibt. Große und kleine. Einerlei. Ich fürchte ferner, dass man diese Lücken mittlerweile auch nicht mehr stopfen kann, weil nicht nur das Wissen so lückenhaft ist, sondern auch das Thema selbst. Man kann darüber quatschen bis man keine Luft mehr hat. Denn dieses Wissen findet sich in einem Sprudelbad voller Lückenblasen. ich weiß nicht, an wen ich zuerst denke, an den Kopf der Hydra oder den Stein des Sisyphus.
Was ich aber wirklich glaube, ist, dass es auf allen Seiten daran hapert, sich die Seite der anderen wenigstens vorzustellen. Statt dies zu tun, werden „empirische Daten“ herumgeworfen, die bei alledem nur Fiktionen von Wirklichkeit sind.
Zur Sache Urheberrecht. Ich empfinde, dass da gerade eine Art geistiger Kernschmelze stattfindet. Da ist soviel Input auf allen Seiten der Kommentare, dass der Kern geradezu im Kommentarstrom zerfällt. Ich beobachte die Debatte im Bereich der Musik seit gut 14 Jahren zunehmend genau. Es gab immer Aufschaukelungsphasen, die man mit etwas Ironie noch beherrschen konnte. Heute geht es nicht mehr. Also im Moment.
Im Moment würde ich vorschlagen, dass alle mal wenigstens bis nach der EM warten und sämtlich Diskussionen zu dem Thema ruhen (allein heute in Berlin zwei Veranstaltungen – einmal von der SPD im Jakob-Kaiser-Haus den ganzen Tag, abends dann Thema mit Moderation von Agnes Krumwiede (GRÜNE)). Und bestimmt gibt es heute auch wenigstens zwei neue Petitionen zumm Thema 😉
Interview aus: Luhmann, N. (1987) Archimedes und wir. Der interessanteste Punkt in dem Interview ist für mich der bei dem Luhmann etwas über den Zusammenhang von Person, bzw Autor und Werk sagt: S.22 ff.
http://www.bookmarss.de/karte.php?q=1367