Der Nasrudin-Fehler der Interneterklärer
von Kusanowsky
In der Mangement-Beratung gibt es den Running-Gag des sogenannten „Nasrudin-Fehlers“. Die Figur des Mulla Nasrudin ist in der arabischen Tradition so etwas wie der europäische Eulenspiegel. Der Nasrudin-Fehler besagt, dass man, obwohl man weiß, dass das Problem im Dunkeln liegt, dennoch lieber im Licht sucht. Man weiß zwar, dass man da die Lösung nicht finden wird, aber sucht trotzdem dort, weil es da heller ist.
Was habt Ihr verloren, Mulla Nasrudin?‘ – ‚Meinen Schlüssel‘, sagte Nasrudin. Eine Weile suchten sie beide zusammen; dann sagte der andere: ‚Wo ist er Euch denn heruntergefallen?‘ ‚Zu Hause.‘ ‚Ja um Himmels willen, warum sucht Ihr dann hier?‘ ‚Na, hier ist doch mehr Licht.
gefunden in: Shah, Idris: Die Sufis. Botschaft der Derwische, Weisheit der Magier. 11. Auflage Kreuzlingen und München 2000, S. 62.
Diesen Eindruck habe ich immer wenn ich mitbekomme wie Interneterklärer anderen Interneterklärer das Internet erklären. Sie suchen an einer Stelle für Erklärungen, die sie schon kennen. Aber tatsächlich müsste ein Interneterklärer erklären, dass die Irritationen über das Problem nicht durch etwas schon Bekanntes, sondern durch etwas sehr Unbekanntes entstehen. Aber dann gibts nicht viel zu erklären. Also macht man weiter mit dem, was man schon kennt. Man sucht da wo Licht ist, obwohl die Lösung im Dunkeln liegt.
Siehe zur Erläuterung in diesem Video ab 7 min. 10s
Angenommen, du müsstest die Hälfte deiner Bücher hergeben … würdest du eher die Bücher behalten, die du schon gelesen und die dich begeistert haben oder eher die Bücher behalten, die du noch nicht gelesen hast?
Der Grund für die Frage könnte die Überlegung sein, dass man die nicht gelesenen, also unbekannten Bücher für uninteressanter halten möchte, denn andernfalls hätte man sie gelesen, weshalb man vermuten könnte, dass man die gelesen, also bekannten Bücher, eher behalten wollte. Man hat sie ja gelesen, weil sie interessanter sind. Und wer wollte darum die bekannten Bücher eher abgeben als die unbekannten?
Man könne aber auch die Gegenfrage stellen: Was würdest du lieber kaufen? Bücher, die du schon besitzt, gelesen hast und kennst, oder solche, die dir noch unbekannt sind? Kaufst du dir aber die unbekannten und liest dann eines davon, könnte es dir jemals passieren, dass du beim Lesen überascht feststellst, dieses Buch gar nicht zu kennen? Wohl kaum. Schließlich hast du es gekauft, weil es dir unbekannt war und mit dem fortschreitenden Leseprozess wird es dir immer bekannter. Das heißT: schon vor dem Kauf ist dir das Buch gar nicht mehr vollständig unbekannt. Denn wenigstens interessierte es dich noch bevor du es hattest.
Nur bei Interneterklärern ist das anders. Sie setzen jeden Tag die Internetkommunikation miteinander fort und erklären wohlfeil wie unbekannt das Internet noch ist und wissen obendrein ganz genau, was vernünftigerweise geschehen muss, damit die Internetkommunikation so funktioniert, dass die Interneterklärer sie problemlos erklären könnten. Aber das Erklärungsproblem entsteht durch die Internetkommunikation, nicht durch die Interneterklärer oder irgendwelchen offline-Ignoranten. Denn wie könnten Interneterklärer damit anfangen, die Internetkommunikation zu erklären, wenn die Internetkommunikation nicht funktionierte? Wie sollte ein Interneterklärer die Probleme des Internets erklären können, wenn nicht schon Problemstrukturen entwickelt sind, die es notwendig machen, auch Interneterklärer hervorzubringen, die miteinander das Problem diskutieren. Und kommen sie hervor, suchen sie da, wo das Problem nicht liegt, nämlich bei angeblich unzeitgemäßen Beschränkungen der Kommunikation. Aber die Internetkommunikaiton geht immer weiter, so viel auch behauptet wird, es gäbe Beschränkungen. So liegt die Lösung in der Fortsetzung der Internetkommunikation und nicht in irgendetwas anderem. Aber nein, besser ist man sucht da wo Licht ist und nicht da, wo das Problem ist, nämlich im Dunkeln.
Beispiel: Urheberrecht. Das Urheberrecht muss niemand abschaffen. Es reicht völlig, kein Urhberrecht zu beanspruchen. Und wenn andere dies tun? Na und? Denn auch die anderen sind an der Fortsetzung der Internetkommunikation beteiligt.
Nachtrag:
ich würde die Bücher behalten, die ich schon kenne, also quasi im Licht bleiben, auch wenn ich dort nichts mehr finden könnte, weil ichs schon kenne (gute Frage 😉
(1) Das Problem der Internetkommunikation sind die Menschen. Die Maschinen sind weitgehend frei von den bemerkbaren Problemen des Internets, obwohl sie wahrscheinlich den Löwenanteil an der Kommunikation haben.
(2) Das Urheberrecht hat verschiedene Dimensionen und ist deswegen schwierig in der Diskussion. Es stimmt, dass der Urheber alle seine Rechte wahrnehmen kann und gleichzeitig die Welt ohne Einschränkung und Geldzahlungen an der Geistesleistung teilhaben darf. Was mache ich aber mit den geistigen Leistungen, die gerne alle zur Kenntnis nehmen dürfen, aber nie verwendet werden sollten? Aktuell gibt es z. B. dieses neue Grippe-Virus, welches höchst gefährlich, weil tödlich und ohne bekanntem Impfstoff, in den Retorten und harrt der Veröffentlichung. Darf man dann sein Urheberrecht ausüben und veröffentlichen? Wie du sicherlich ahnst, geht die Geschichte ja weiter, wenn der Impfstoff entwickelt worden ist … darf der Urheber dann sein Recht in Anspruch nehmen, und darüber befinden, dass nur ein kleiner Teil der Infizierten (und damit zum Tode Verurteilten) ‚gerettet wird? Darf er horrende Summen an Geld dafür nehmen?
(3) Und ja, wem gehören alle Kulis dieser Welt – wenn sie nur geliehen sind (like Mediafiles)? Transponiert auf knappe Ressourcen: wenn das Öl aufhört zu fließen, wenn Wasser/Nahrung knapp werden … wird dann die Gesellschaft neu über Eigentumsrechte nachdenken müssen?
Eine sehr ernstgemeinte, aber vielleicht recht dümmlich wirkende Frage: wie kommt es, dass es so wichtig ist zu wissen, wem was gehört, wenn die alltägliche Erfahrung ständig die Einsicht verifiziert, dass man eben dies nicht so genau weiß?
[…] Franz Stowasser am 9. Mai 2012Der lesenswerte Klaus Kusanowsky bezieht sich in seinem blog https://differentia.wordpress.com/2012/05/08/der-nasrudin-fehler-der-interneterklarer/ auf: „Was habt Ihr verloren, Mulla Nasrudin?’ – ‘Meinen Schlüssel’, sagte Nasrudin. Eine […]
Und wie wichtig ist das für uns! Diese unsere bürgerliche Gesellschaft gründet auf dem Eigentumsbegriff (ich lass jetzt mal den Unterschied zwischen Eigentum und Besitzerherrschaft weg). Daraus geben sich die Machtstrukturen: „Du darfst nicht das kaputt machen, was mir gehört, es sei denn, ich erlaube es dir“ (du kennst dieses Sakrileg, wenn man das gerade käuflich zu erwerbende neueste iPhone zerstört und das Video darüber ins Web lädt, welches das symbolische Zerstören zum Ziel hat). Aber an dieser Stelle kann dir wahrscheinlich jeder Haftpflichtversicherungsfuzzi mehr erzählen.
Kratzt man an diesem Eigentumsbegriff, würde man den Kommunismus wollen (ganz sicherlich in den USA) und auch der Schlenker ‚das man eben dies nicht so genau weiß‘ ist verdächtig, denn wenn es lukrativ genug ist, dann kann man wie die Goldgräber den Claim abstecken und dann ist es ein für allemal klar, wem es gehört. Das Motto lautet: ‚wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘ (das hat etwas mit den schlesischen Mühlenpächtern zu tun http://www.gross-wartenberg.de/sukgw/s175.html) und dies ist ja auch bei Geistesarbeitern der goldene Boden.
Somit kommen wir zu der ernstgemeinten Frage: wollen wir den Kommunismus (auch unter der Bedingung, dass Menschenleben, so ziemliche alle gesellschaftlichen und kulturellen Errungenschaften und die (Meinungs-)Freiheit draufgehen … weil das Schreckgespenst gehört ja dazu) und so werden, wie die Chinesen auf ihrem langen Marsch mal werden wollten und deswegen nach Herzenslust und ohne Hemmungen alles kopieren? Ich vermute, die würdest schon den Internet-Kommunismus der Kulis in Kauf nehmen …
Lieber Franz, die Fortführung des Gleichnisses liegt natürlich auf der Hand. Das Problem hat eigentlich schon Karl Marx in seiner politischen Ökonomie beschrieben. Politische Ökonomie heißt, dass der Produktions- und Tauschprozess ein sozialer Prozess ist, der in der „Öffenlichkeit“ stattfindet. Die Privatisierung dieser Prozesse, die Exklusivität durchsetzen, bringt nur Vermeidungsstrukturen hervor. Aber was soll vermieden werden? Vermieden werden soll die Beobachtbarkeit eben dieser sozialen Produktion. Soziale Produktion heißt, dass alles mit allem zusammenhängt. Es gibt keinen Anfang, keinen Urheber und auch keine verantwortliche Instanz für all das. Aber das kann keine Person und keine Organisation nachvollziehen, also müssen durch komplizierte Vorkehrungen diese Interdependenzen unterbrochen werden. Wenn aber Personen oder Organisationen als verantwortliche Adressen für all das, was produziert wird, durch Herausbildung solcher Vermeidungsstrukturen zustande gekommen sind, müssen die Vermeidungsstrukturen in Vermeidungswissen und Vermeidungswissen in Vermeidungsprodukte und Vermeidungsprodukte in Vermeidungshandlungen und Vermeidungshandelungen in Vermeidungsstrukuren verwandelt werden, solang es nur irgend wie geht.
Und das Internet stellt nun Gretchenfrage: geht es noch oder geht es nicht mehr so weiter? Irgendwie ahnt man, dass es nicht mehr weiter geht. Aber keiner kann das ändern.
Und die Interneterklärer sind nicht diejenigen, die alles besser wissen, was man an vielen ihrer Vermeidungshandlungen beobachten kann, z.B. Beschwerdebriefe, Protestkundgebungen, Forderungen an andere, Beharren auf sachliche Diskussion, don’t feed the trolls usw.
Das dargestellte Problem des Nasrudin-Fehlers findet man auch in Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“ als eines von 4 Spielen mit der Vergangenheit – allerdings ohne einen Bezug auf Nasrudin. Dort wird es unter „Der verlorene Schlüssel oder ‚mehr desselben'“ behandelt. Watzlawick macht darauf aufmerksam, dass das beschriebene Muster der Problemlösung der von Neurotikern entspricht und als Ursache ihres Leidens betrachtet werden kann.
[…] dazu auch: Der Nasrudin-Fehler der Interneterklärer Teilen Sie dies mit:TwitterFacebookE-MailDiggStumbleUponRedditLinkedInGefällt mir:Gefällt mirSei […]
„Daten sind keine Waren“ las ich einst ebenfalls im differentia blog. Genau, solange Daten nicht mit Eigentumstiteln belichtet auf den Markt kommen sind sie nur Schlüssel, die zu Hause herumliegen.“
Oh, solange Geld eine Ware ist, solange ist auch die Ware eine Ware, will sagen, jede potentielle Erscheinung!
Wird Geld auf die Rolle seines Ursprungs als Hilsmittel (!!) zur Regelung sozialen Lebens, des Lebens in Gemeinschaft (das einzige dem Menschen mögliche) zurückgeführt, wird es unverkäuflich und nur noch Tausch(bewertungs)mittel. Erst dann reduziert sich auch der Warencharakter der anderen virtuellen und imaginären Vorstellungen und Erscheinungen, wie z.B. von Daten.
Damit hat das benannte Problem wohl mit irgendeiner Belichtung von Eigentumstiteln weniger zu tun, sondern damit, daß allein durch den Waren-charakter des Geldes bereits auch die Eigentumstitel zur Ware degradiert worden sind, sind!
[…] wenn nicht, muss man nach Exkludierungsmaßnahmen greifen, welche schon bekannt sind, weil das Unbekannte als Gegenstand der Forschung nicht in Frage kommt. Peter Fuchs etwa sammelt von anderen Leute Geld ein, wenn sie mit ihm per […]
Hat dies auf LOB's Metier rebloggt.