Das Internet vernichtet Öffentlichkeit – Christoph Kappes irrt sich
von Kusanowsky
Christoph Kappes hat unter dem Titel Netz ohne Vertrauen: Die neue Mega-Öffentlichkeit ausführlich die Ansicht geäußert und begründet, dass mit dem Internet eine Mega-Öffentlichkeit entstünde, die die Trennlinie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verschiebt, wenn nicht sogar aufhebt. Dieses Thema ist seit einigen Jahren bekannt und wird auf tausend verschiedene Weisen durchdiskutiert, die alle ihre Berechtigung haben.
Für diese ganze Diskussion gilt aber, was für jeden einzelnen Beitrag zu dieser Diskussion gelten muss: Wenn man es unternimmt, komplexe Sachverhalte zu bewältigen, muss man Vereinfachungen vornehmen, durch die man Gefahr läuft, dass man ausgerechnet den Aspekt beiseite lässt, der durch das, was man erklären oder begründen will, unerklärlich oder unbegründet bleiben könnte, ja vielleicht gänzlich unberücksichtigt und durch diese Nichtberücksichtigung vielleicht sogar vernichtet wird. Das gilt nicht nur für den Artikel von Christoph Kappes, sondern für jeden anderen auch, auch für diesen Artikel und die ganze Diskussion, sofern sie sich thematisch mit dem Medium beschäftigt, durch welches sie verbreitet und zur Kenntnis gebracht werden kann. Diese Überlegung bezieht sich auf die Selbstreferenz des verwendeten Mediums. In diesem Fall handelt es sich um das, was wir Internet zu nennen gewohnt sind und um die Frage, was es anstellt, sofern man anfängt, eine Diskussion über das Internet über das Internet zu diskutieren.
Auch wenn es schwer fällt: die Selbstreferenz, die das Medium zulässt, ist nicht einfach zu vernichten, man kann ihr nicht einfach aus dem Wege gehen. Oder besser: man kann dies versuchen, aber das wird immer schwerer. Und diese Schwierigkeit ist das, worin die Diskussion über Internet ihren Ausgangspunkt findet. Diese Schwierigkeit entsteht vor allem, weil ehedem „Öffentlichkeit“ als ein idealer Reflexionsraum fungierte, durch den Selbstreferenz verhindert, vermieden oder durch Differenzierung umgangen werden konnte. Und eben dies klappt nicht mehr, seit es Internet gibt. Das möchte ich hiermit kurz erklären:
Öffentlichkeit in der stratifizierten Gesellschaft (Antike und Mittelalter) entstand durch Versammlung, durch Beobachtung von Menschenmenge und die damit verbundene kommunikative Technik war Rhetorik. Die ganzen Praktiken der Einteilung dieser Gesellschaft sind hier nicht wichtig, sondern nur der Hinweis, dass durch Beobachtung von Menschenmenge und ihre Relevanz für die Ereignisse in der Polis das Gespräch unter wenigen Anwesenden nicht etwa als privates Gespräch erschien und der Raum im eigenen Haus nicht darum als privater Raum. Privatheit war zu dieser Zeit nicht die andere Seite von Öffentlichkeit, sondern Öffentlichkeit war die andere Seite von Rechtlichkeit. Denn an Öffentlichkeit waren auch solche Menschen beteiligt, die keine Rechte hatten, weshalb die Aushandlung und Durchsetzung von Rechten dadurch sehr schwierig wurde. Selbstferenz konnte war zwar als rhetorisches Verfahren eingeübt werden. (Bekanntes Beispiel aus der Philosophie: der Kreter, der sagt, dass alle Kreter Lügner sind.) Aber selbstreferenzielle Argumentationen waren, wenn nicht empörend und obszön, die Angelegenheit von Komödiaten oder Dummköpfen.
Mit der Ausbildung der modernen Gesellschaft veränderte sich das. Schon in der frühen Neuzeit konnte Öffentlichkeit in dem alten Sinne nicht mehr funktionieren, weil der Differenzierungsprozess es mit sich brachte, dass erstens jeder Mensch irgendwelche zu berücksichtigenden Rechte erhielt und zweitens, dass eine jede Menschenversammlung unter andere Bedingungen des gegenseitigen Informiertseins gestellt war. Denn durch das Druckverfahren entwickelte sich eine Massenkommunikation ohne Versammlung, die zwischen den Beteiligten ein gegenseitiges Informiertsein darüber herstellte, dass man auf verschiendene Weise informiert war und zwar ohne sich persönlich zu kennen. Im Zuge dieses sozialen Erfahrungsprozesses wurde Selbstreferenz schwieriger zu denunzieren und wurde sogar, so etwa auch in der modernen Philosophie, zum Prüfstein der Reflexion: Denken über Denken.
Insofern war Öffentlichkeit nicht mehr nur Menschenversammlung, sondern wurde zu einem Reflexionsraum der funktionalen Differenzierung, der esotrische Exkludierung vorsah. Öffentlichkeit war Öffentlichkeit nur für solche, die daran teilnehmen konnten. Alle Öffentlichkeit war immer nur Teilöffentlichkeit, welche an der jeder Stelle die Aushandlung von Rechten zulässig machte, welche wiederum in jeder anderen Teilöffentlichkeit je nach Maßgabe je eigentümlicher Beteiligungsbedinungen verschieden behandelt wurden und behandelt werden durften. Denn Rechte sind nicht eigentlich gegeben, sondern immer auch veränderbar. Aber dies nicht von allen, zu jedem Zeitpunkt und in jeder Sachfrage. So nahmen die damit verbundenen Organisationsverfahren der Selbstreferenz ihren obszönen Charakter, denn Organisationen hatten immer genügend Komplexität angehäuft, durch die die Perturbationsmöglichkeit von Selbstreferenz minimiert wurde.
Die funktional differenzierte Gesellschaft hatte Öffentlichkeit nicht abgeschafft, sondern nur unwahrscheinlich gemacht und ihre Möglichkeit auf Teilöffentlichkeit beschränkt. Durch das Internet wir diese Unwahrscheinlichkeit dadurch gesteigert, dass erstens Exkludierung gar nicht mehr hergestellt werden kann und zweitens Menschenversammlung gar nicht mehr nötig ist, was nicht heißen muss, dass sie unmöglich wäre.
Insofern stellt sich ganz pragmatisch die Frage, ob Kommunikation noch geschieht oder noch geschehen könnte. Diese pragmatische Frage resultiert aus der Beobachtung, dass man nicht mehr nur nicht weiß, dass die Beteiligten verschieden informiert sind, sondern vielmehr: wer ist beteiligt? Wer ist überhaupt infomiert und worüber? Man könnte dies herausfinden, wenn Kommunikation weiter geht, aber von welcher Stelle aus, also aufgrund welcher Öffentlichkeit, lässt sich ein selbstreferenzieller Beobachtungsprozess noch unterbinden? Wodurch spannt sich noch ein Reflexionsraum der Öffentlichkeit auf? Durch welche Grenzen stellt sich ein solcher Raum her oder wodurch könnte Grenzverläufe stabil eingehalten werden? Noch könnte man behaupten, dass es immer noch genügend Organisationsmacht gäbe, z.B. durch Facebook, die Exkludierung sicher stellt. Aber man kann beobachten, dass alle Organisationen selbst schon unter die Fortsetzungsbedingungen von Internetkommunikation geraten.
Damit wird durch den Wegfall einer Öffentlichkeit, die noch Fremdreferenzalität garantieren könnte, Selbstreferenz zur eigentlich verbleibenden Reflexionschance.
Ein offensichtlicher Indikator dafür ist die virulente Ironie, die ja nichts anderes ist als parasitäre Fortsetzung von Selbstreferenz ohne durch ihre Form das Medium in seinen Möglichkeiten einzuschränken, anders als konfliktuelle Kommunikation, deren parasiäre Funktion darin besteht, die Möglichkeit von Anschlussfindung zu minimieren.
Durch das Internet verschwindet Öffentlichkeit und zwar ohne, dass das jemand bemerkt. Denn die Möglichkeit des Gegenteils ist nur durch Selbstreferenz zu erhalten, die zu prozessieren nicht mehr unterbrochen werden kann.
Lieber Klaus,
das ist eine schöne Überschrift, die hat mich gleich angezogen wie eine Blume die Biene. Genau wie Dich wohl auch die Überschrift der „Blätter“, diese Headline aus meinem Artikel gezogen hat, auf das die Bienen kommen.
Im entscheidenden Absatz steht aber:
„Dabei ist paradox, dass auch die Öffentlichkeit unseres Hauses unbegrenzt ist: Jeder US-Bürger, jeder Brasilianer und jeder Däne kann an ihm vorbeispazieren und uns ins Fenster schauen. Bezüglich unseres Hauses sind wir aber doch recht sicher, dass außer ein paar Nachbarn und Menschen, die nicht weit von uns wohnen, niemand wirklich vorbeischauen wird. Dieses Urvertrauen fehlt uns im Digitalen, obwohl die Verhältnisse dort nicht anders sind: Es kommt ja nur auf unsere Website, wer sie angesteuert hat. Anders formuliert: Wie weit die Öffentlichkeit tatsächlich reicht, entscheidet der Empfänger.“
Wir operieren hier nur mit unterschiedlichen Begriffen von Öffentlichkeit. Hier in meinem Text ist es die Zugänglichkeit, nicht der Zugang von Information (und kein Luhmann´scher, Habermas´scher, Ahrend´scher Begriff – sondern so, wie ihn normale Menschen benutzen, die nicht in der Wissenschaftsblase sind). Du siehst ja, dort steht „Paradox“, und “ Wie weit die Öffentlichkeit reicht, entscheidet der Empfänger.“ Da nicht Milliarden Chinesen nicht vor meinem Haus spazierengehen, entsteht also insoweit keine Chinesische Öffentlichkeit vor meinem Haus – auch nicht durch StreetView, weil sich nur sehr, sehr wenige Chinesen für mein Haus interessieren. Wir sind uns also nach meiner Lesart einig. Nach Deiner nicht?
Wer ist Empfänger? Von was? Wer hat gesendet? Wer hat geschrieben? Wer hat gelesen? Wer, wie du, einen Kommentar zu meinem Kommentar zu deinem Kommentar schreibt, könnte verdächtig werden, einen Kommentar gelesen zu haben, aber könnte ich dich verdächtigen, meinen Kommentar gelesen, also empfangen zu haben, wenn du meinen Kommentar zu deinem Kommentar nicht kommentiert hättest?
Und nur weil ich zugebe, so naiv bin zu glauben, dass kein Internettroll unter deinem Namen meinen Kommentar zu deinem Kommentar kommentiert, heißt das noch lange nicht, dass diese Naivität nur, weil du sie teilst, berechtigt sei.
Der Empfänger entscheidet nichts, so wenig wie der Sender. Dass dies aber dennoch geglaubt werden will, hängt mit der Annahme zusammen, es gäbe noch irgendwie so etwas wie Öffenlichkeit, durch die die Frage, ob der hier kommentierende Christoph Kappes derjenige sei, der er vorgibt zu sein, noch beantwortet werden könnte. Noch einmal: ich will uns beiden nicht den Spaß an unserer Naivität verderben. Aber einen Namen und eine Internetadresse in die Kommentarfunktion einzufügen ist kein Beweis besonderer Kompetenz. Und wer glauben will an deiner Schreibweise ausgerechnet dich und sonst niemanden wiederzuerkennen, sollte das mal öffentlich bekannt geben und beweisen. Zumal niemand mehr sagen kann, auf welche Weise ich deinen Kommentar umgeschrieben habe bevor er freigeschaltet wurde.
Es gibt keine Internetöffentlichkeit, die einen schweigenden Empfänger adressieren könnte. Es wird nix empfangen, es wird nix gesendet. Ein übersendetes oder empfangenes „Etwas“ ist nicht identizierbar.
Dann spielen wir das Glasperlenspiel doch einmal weiter: Woran erkennst Du sonst, dass ich ich bin?
(Das werden dann wohl – in Deiner Lesart – Informationen sein, die Dein psychisches System empfängt? Und was ermöglichte Dir anderes als Information, mich von anderen zu unterscheiden?)
Ja, ich glaube, so kommen wir weiter.
„Woran erkennst Du sonst, dass ich ich bin?“ Ich erkenne es nicht. Ich brauche es nicht zu erkennen. Jedenfalls brauch ich darüber keine Gewissheit. Wenn ich prinzipiell alle Wahrheitsaussagen auch als Irrtumsaussagen verstehe, so kann es mir egal sein, ob ich die Wahrheit noch erkennen kann. Denn: erkenne ich Irrtum, erkenne ich die Wahrheit des Irrtums. Oder ich erkenne sie nicht, dann ist es auch egal. Käme also ein Troll und zeigte mir, dass ich mich geirrt habe, nun, dann habe ich mich geirrt. Aber: für ihn gilt genau der gleiche Sachverhalt. Er kennt die Wahrheit auch nicht von einem besonderen Standpunkt aus.
Man empfängt keine Informationen. Ein psychisches System ist eine an einen Körper gebundene Organisation von Wahrnehmung, die den Sinn von Information selbst erzeugt. Information ist nur Zustandänderung, nichts, was zurückbleiben könnte und etwas, das man darum auch nicht schicken oder zurück schicken könnte.
Es ist nichts anderes als Information, aber es handelt sich dabei um den Sinn kommunikativer Information. Die Ermöglichung dafür liegt in Kommunikation begründet, die ihre eigene, selbstreferenzielle Sinnverarbeitung prozessiert. Aber: nur wenn Kommunikation funktioniert, funktioniert auch Bewusstsein. Reflexiver Beweis: führe mal ein Selbstgespräch und berichte über deine Erlebnisse. Resultat: Tust du dies, berichtest du also darüber, so führst du kein Selbstgespräch. Führst du aber ein Selbstgespräch, dann kannst du niemandem darüber berichten. Pragmatisch gefragt: kann man ein Selbstgespräch führen? Antwort: ja, es geht, wenn eine Kommunikation darüber Gewissheit zulässig macht, also wenigstens doppelt kontingent darüber informiert, dass jeder einzelne ein Selbstgespräch führen kann. Aber wenn es jeder tut, dann findet keine Kommunikation statt und dann auch kein Bewusstsein.
Vielleicht kämen wir besser weiter, wenn wir diese pejorative Konnotation aus dem Begriff des Glasperlenspiels heraus nehmen und begreifen, dass Internetkommunikation ein Glasperlenspiel ist, also: Kommunikation ohne Öffentichkeit, pardox formuliert: ein kommunikatives Selbstgespräch.
„Vielleicht kämen wir besser weiter, wenn wir diese pejorative Konnotation aus dem Begriff des Glasperlenspiels heraus nehmen und begreifen, dass Internetkommunikation ein Glasperlenspiel ist“
Eben. Lassen wir alle Dialektik bei Seite, die nahe legen könnte, dass Glasperlenspiele keine Glasperlenspiele seien. Dass Pejoration ein grösseres affirmatives Potential birgt als alle Ja-Sagerei.
Sondern wir doch jene Begriffe und Lehrmeinungen, bei denen wir uns gut fühlen und die wir deshalb gern als inviolate levels etablieren würden, von jenen, die uns Unbehagen und Verärgerung bereiten. Verschaffen wir uns endlich Gewißheit über den zweifelsfreien Tatbestand, dass es keiner Gewißheit bedarf. Nur dann kommen wir höher, schneller, weiter, nur dann gelangen wir zum Ziel.
Das war aus meiner Sicht noch keine Antwort. Denn im Kontext oben geht es um Öffentlichkeit des Internets, die (im Vergleich zu einem vorherigen Zustand!) „vernichtet“ sei, so steht es im Titel Deines Einwandes. Dann verweist Du auf das Problem, Kommentare einer Person zu adressieren – und dann antwortest Du mit „Gewissheit“, die Du nicht bräuchtest.
Richtig ist aber, dass Du auch in der Kohlenstoffwelt Äußerungen einer Person nicht zweifelsfrei adressieren kannst. Und das ist nicht einmal Glasperlenspiel, sondern Du merkst es, wenn Du Sätze einer Person im Nebenzimmer verstehst, aber die Person nicht identifizieren kannst. Und Du merkst es, wenn Du direkt vor einer Person stehst, sie aber nicht wieder erkennst, weil nämlich die Identifikation auch nur die Wieder-Herstellung einer Adresse ist.
Will sagen: Das Problem ist dasselbe, ob online oder offline.
Und, mal zum eigentlichen Thema zurück: Das Internet stellt auf besondere Weise wieder Öffentlichkeiten her, durch Aggregaoten, Suchmaschinen, Links und Linklisten etc.
Ganz abgesehen davon ersetzt das Internet ja keine bestehenden Kohlenstoffphänomene, sondern es stellt zusätzliche Öffentlichkeiten her.
So einseitig, wie Du es hier darstellst, ist es also meines Erachtens nicht richtig.
Ich bestreite nicht, dass das Internet Kommunikation prinzipell ausschließt. Sondern nur, dass das, was noch als Reflexionsraum für Öffentlichkeit dienen könnte, nicht mehr durch solche Exkludierungsverfahren hergestellt werden kann, durch die funktionsstabilisierende Organisationssysteme als Attraktoren der Partizipation entstehen. Bevor es Internet gab, war alle Öffentlichkeit nur möglich, wenn Exkludierung und die Irritation über ihre Legitimität einigermaßen geregelt werden konnte, woraus sich Partizipationsprobleme ergaben, die nie gelöst wurden. Am Beispiel der Piratenpartei kann man dies überdeutlich bemerken:
Alle Parteien waren immer sehr an politischer Partizipation von Bürgern interessiert. Partizipierte man aber, so musste man sich an intransparenten Machtkämpfen beteiligen, die ihre Legitimität niemals beweisen konnten, sondern ihre faktisch Durchsetzung einfach dadurch herstellten, dass aus der Öffentlichkeit (hier: die Öffentlichkeit einer Partei) alle anderen und alles andere heraus geschmissen wurden. Daher der Standardsatz von Politikern: „Unsere Politik ist erfolgreich!“ Was so gesehen stimmte, weil die Erfolglosen in der Parteiöffentlichkeit nicht vorkamen. Das war bei Massenmedien auch so. Alles, was nicht massenweise kommunizierbar war, musste ausweichen, weshalb nur solche Dinge als „politische Wahrheit“ verkauft werden konnten, die sich erstens durch den Machtkampf in Parteien und zweitens durch den Machtkampf in Sendeanstalten oder Verlagen als politische Wahrheit heraus stellte. Die auf diese Weise Entmutigten waren aber immer die Mehrheit der Bevölkerung, welche nur bei Wahlen durch Abgabe eines Stimmzettels Informationen erzeugten, die zum Anlass genommen wurden, um durch ein statistisches Verfahren Mehrheit zu messen. Diese Statistik und ihre Interpretation aber wurden nicht durch eine Mehrkeit kommunikativ gemacht, sondern durch Experten aller Art, die sich durch verschiedene Machtkämpfe sehr differenziert darum bemühten, daraus resultierende Probleme in Organisation zu überführen.
So kam es immer wieder vor, dass man feststellte, dass die Mehrheit der Bürger gar nicht partizipierte („Politikverdrossenheit“), weil sie durch all diese Verfahrensweisen exkludiert wurden. Aber die Öffentlichkeiten, die das wiederum reflektierten, waren immer nur Teilöffentlichkeiten, die kein know-how für die Lösung der Probleme zuliessen, die auf diesen Weise erst entstanden waren. Immer appellierte man an Partizipation, aber immer, wenn sie entstand, wurde sie entmutigt.
Das Internet durchkreuzt nun diese Routinen, und zwar, indem zunächst gar keine Öffentlichkeit, auch keine Teilöffentlichkeit entsteht, die durch Exkludierung zustande kommt, aber trotzdem noch Kommunikation reflektierbar und anschlussfähig macht. Das gelingt, weil Internetkommunikation keine Partizipation versperren, blockieren kann. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis plötzlich doch Parteiorganisation entsteht, aber jezt sind die Irritationen darüber extraordinär: jetzt machen Piratenpolitiker mit, aber sie haben keine instransparenten Aussstechungswettkämpfe durch konventionelle Parteiorganisation, die ihre Legitimät durch ihre eigene Öffentlichkeit produzieren, durchlaufen. Und mit dieser Parteiorganisation entsteht nun auch wieder Parteiöffentlichkeit, aber die ist nicht esoterisch exkludierend. Alles, was auf einer Parteiversammlung der Piraten diskutiert werden kann, unterliegt nicht mehr der kommunikativen Verfügungs- und Selektionsmacht von Massenmedien und den von ihnen beauftragen Experten und Journalisten. Andere „Teilöffentlichkeiten“ sind nämlich in der Teilöffentlichkeit der Piratenpartei gar nicht mehr ausgeschlossen, sondern: alle weiteren Teilöffentlichkeiten könnten auch immer schon durch Internetkommunkikation inkludiert sein, weil es keine Stelle mehr gibt, von der aus ein sich daraus aufspannender Reflexionsraum als begrenzt verstanden werden könnte. Es fehlen die Hindernisse, die exkludierend wirken könnten. Alle Teilöffentlichkeiten können durch die Vernetzungsleistung des Internets in einander enthalten sein oder auch sich mit einander durch das Internet in ihrer Beobachtbarkeit reproduzieren. Und eben dies ist gemeint mit dem Satz: das Internet zerstört jeden Öffentlichkeit, weil es im Prinzip jede Öffentlichkeit herstellt und durch das Herstellungsverfahren alle Öffentlichkeiten durcheinander bringen kann.
Das Internet ist nichts, dass öffentlich bemerkt werden könnte, sondern: an jeder Stelle werden durch das Internet nur verschiedene Stellen erzeugt, von welchen aus man sagen kann: „Dies hier geschieht in aller Öffentlichkeit!“ Und eben dies geschieht nicht an jeder Stelle.
Nachtrag @Christoph
Die Pirtenpartei entstand unbemerkt von der Öffentlichkeit, weshalb Journalisten und Politiker, die sich lange Zeit darauf verständigt hatten, miteinander Öffentlichkeit füreinander herzustellen, nicht wissen, wie sie nun auf die Piratenpartei reagieren sollen. Der konventionelle Versuch geht dahin, diese Partizipationsbereitschaft, die ja politisch immer gewünscht ist, zu bekämpfen. Das geht aber nicht mehr, weil weder die Parteien noch die Massenmedien ihre eigene Öffentlichkeit garantieren können. Und: auch die Parteiorganisation der Piratenpartei kann ihre eigene Öffentlichkeit nicht mehr garantieren. Im Gegenteil: sie will es nicht mehr. Daher auch das Verhalten dieser Piratenpolitiker, indem sie gelegentlich Inkompetenz zugeben. Warum müssen sie das tun? Weil sie wissen können, dass einige ihre Wähler genauso kompetent sein könnten. Und diese Kompetenz könnte durch das Internet wiederum bewiesen werden. Die Piratenpartei kann die Partizipationsbereitschaft ihrer Wähler nicht mehr ignorieren. Der Wähler kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Jedenfalls nicht so einfach wie vorher.
Klaus, darf ich das alles so zusammenfassen (wobei die Komplexität abgebaut wird, was ich aber bewusst riskiere): Vorher gab es „öffentlich“, weil nicht alles öffentlich war (Exklusion). Im Internet gibt es das nicht mehr.
Ich kann jetzt – Troll hin oder her – als Pirat sprechen, weil die anderen Piraten mich nicht aus dem Internet exkludieren können.
ähhh … bei Christoph ist wohl nichts derartiges gemeint. So wie ich ihn verstehe, ist für mich alles öffentlich, was ich wahrnehmen KANN und ich kann alle Internetseiten sehen. Das wäre eine ganz andere Wortverwendung, aber das ist ja auch schon öffentlich gesagte worden (hier im Blog und bereits veröffentlicht, so dass alle Chinesen …)
Du als Vertreter der Piratenpartei spielst mit verdeckten Karten! Zeige dich öffentlich! Und zwar so, dass dich jeder erkennen kann. Ansonsten versteckst du dich nur hinter Anonymität! Das ist unzulässig.
Man bemerkt etwas: schon immer sind diese intransparenten Machtkämpfe in den Parteien beobachtet worden, aber sie konnten nicht öffentlich reflektiert werden, weil ja die Verlierer immer ausgeschlossen wurden, wohingegen die Gewinner immer behaupten konnten, es geschähe alles mit rechten Dingen, was deshalb ging, weil nur sie öffentlich Rederecht erhielten. Die Macht hatten nur die Gewinner. Gewiss durfte man das bestreiten, aber dann musste man sich auf intransparente und intrigante Machtspiele einlassen, die ja nur möglich waren, wenn alle Beteiligen von Methoden der Tratscherei Gebrauch machen konnten, um anonym, unerkannt, unentdeckt zu bleiben.
Was ändert sich durch das Internet? Jetzt wird immernoch anonym partizipiert, aber jetzt können die Verlierer nicht einfach mehr ausgeschlossen werden. Daher diese Schimpfkampagnen der etablierten Politiker, dass sie jetzt Authentizität fordern, obwohl sie selbst ohne Anonymität niemals ihre Machtspiele hätten führen und gewinnen können.
Der Anblick meiner Zahnbürste ist ein öffentlicher Anblick, weil ich sie wahrnehmen kann?
man kann dann vielleicht sagen, dass es bei den Piraten nur Gewinner gibt, weshalb sie keine Partei sein können 😉
Ich jedenfalls bekenne mich als Parteimitglied und als Pirat
na gut, aber zeige dich mal öffentlich!
der Anblick meiner Zahnbürste ist nicht öffentlich, weil sie nicht im Internet steht und deshalb KÖNNTE sie nicht von jedem gesehen werden. ÖFFENTLICH heisst bei Christoph die Aggregation aller „ich kann es wahrnehmen“ – aber vielleicht spricht besser Christoph, statt dass ich ihm Interpretationen zuschreibe – hier in aller Öffentlichkeit
Klaus, ich glaube, Du verwechselst etwas: Nicht ich bin öffentlich, sondern alles was ich im Internet sage oder zeige. Ich bin in der Kohlenwelt, wo mich nur die Chinesen sehen können, die vor meinem Fenster stehen. Für de bin ich öffentlich, für alle andern sind meine Interneteinträge öffentlich
Eine Zahnbürste steht genauso wenig im Internet wie irgendetwas anderes im Internet steht. Im Internet steht nichts. Frage: zeige mir mal im Internet etwas Stehendes, das öffentlich als etwas dort stehendes in Erscheinung tritt. Bitte!
Klaus, ich glaube, Du verwechselst etwas – Ich? Wo doch angeblich alles, was auch ich sage oder zeige, ebenfalls öffentlich sei? Na? Wollen wir darüber nicht gründlicher nachdenken?
„Wollen wir darüber nicht gründlicher nachdenken?“
nein, das woller WIR nicht, ich gehe jetzt zu einer öffentlichen Piratenversammlung, die nicht im Internet steht (oder stattfindet). Aber für mich steht das jetzt im Internet. (und tschüss, weil ich noch nicht weiss, wie sich richtige Piraten verabschhieden, obwohl das wohl auch öffentlich wär)
„der Anblick meiner Zahnbürste ist nicht öffentlich, weil sie nicht im Internet steht“
„ich gehe jetzt zu einer öffentlichen Piratenversammlung, die nicht im Internet steht“
Das Internet ist doch nicht wie eine Hose, in der irgendetwas stehen könnte
„Ein offensichtlicher Indikator dafür ist die virulente Ironie, die ja nichts anderes ist als parasitäre Fortsetzung von Selbstreferenz ohne durch ihre Form das Medium in seinen Möglichkeiten einzuschränken“
“Wollen wir darüber nicht gründlicher nachdenken?”
Nein, wollen WIR nicht.
Der Kybernetiks hat mich schon richtig verstanden. Öffentlich = für jedermann zugänglich, so habe ich es benutzt.
Trotzdem bleibt für mich die Frage, warum das Internet in DEINER Definition von ÖffentlichKEIT nicht auch wieder solche bildet, wie eine Organisation das tut.
Ich werde darüber nachdenken.
PS: Manchmal wundert mich, wie Du selbst mit Deiner Sicht auf die Welt noch klar kommst. Wenn Du meinst, Du siehst nicht einmal die Erscheinung von Dingen im Internet (ein normaler Mensch würde das wohl Foto nennen), was siehst Du dann, wenn Du ein Foto siehst? Und wieso ist dann noch „B“ für Dich ein Symbol und „Hallo!“ eine bedeutungsvolle Zeichenkette?
Wer seid Ihr eigentlich, und wenn ja wie viele?
„warum das Internet in DEINER Definition von ÖffentlichKEIT nicht auch wieder solche bildet, wie eine Organisation das tut.“
Weil durch Internetkommunikation jederzeit ein Raum, durch den Öfffentlichkeit reflektierbar wird, auch wieder vernichtet werden kann. Beispiel: Wenn du mich besuchen kommst, sitzen wir zu zweit oder zu dritt in meiner Küche. Wir können uns dann gegenseitig als Wahrnehmende wahrnehmen, die jeden Beteiligten als solchen wiederum wahrnehmen. Wir könnten dann sagen, wir haben eine Öffentlichkeit, die – wie dimensioniert auch immer – nur zulässt, dass die, die sich als Anwesende wahrnehmen, für einander als relevante Adressen für alle weitergehende Kommunikation fungieren. Alle anderen Adresse sind ausgeschlossen. Dadurch entsteht ein Öffentlichkeitsraum. In diesem Fall hätten wir eine mikro-kleine Öffentlichkeit, die allerdings schon unter Beobachtungsverhältnissen steht, wie sie durch Massenkommunikation erzeugt werden, nämlich: als Anwesende können wir uns gegenseitig darüber infomieren, dass wir auf verschiedene Weise informiert sind. Und wir können im Laufe unseres Gespächs herausfinden, dass wir dies schon von einander wussten, noch bevor wir uns begegnet waren. Wir wußten also schon etwas übereinander, noch bevor wir uns dies gegenseitig mitteilen konnten. Wir könnten uns das erklären, indem wir im Gespräch einen weiteren Öffentlichkeitsraum imaginieren, durch den eben dies zustande kommen kann. Wir nennen dies Öffentlichkeit durch Massenmedien: A – das hab ich im Fernsehen gesehen, und es war dieses oder jenes gemeint. B – Nein, es war anders und C sagt dann noch mal etwas ganz anderes usw. Schon in dem Augenblick können wir wissen, dass unsere Öffentlichkeit in der Küche unter prekären Beobachtungsverhältnissen steht. Aber sofern dies für alle Öffentlichkeiten gilt, in denen wir zeitweise inkludiert sind, können wir daraus immer noch genügend Gewissheit über einen ontologisch beschreibbaren Realitätsstatus gewinnen. Aber ich betone: es wird schon schwierig, denkt man etwa an die Prominenz von Verschwörungstheorien und Verfolgungsängsten.
Wenn wir aber nun in meiner Küche uns versammeln und dann eine webcam einschalten und das Gespräch per live-stream ins Internet übertragen und außerdem noch smartphones dazu nehmen, um zu twittern, kann man nicht mehr wissen, welche Adressen eigentlich noch ausgeschlossen sind, weil jeder von jeder Stelle aus etwas sehr verschiedenes für möglich halten muss. Denn: wer oder was ist noch ausgeschlossen? Denn jetzt wissen wir als diejenigen, die sich gegenseitig als anwesend wahrnehmend, dass auch Abwesende und Abwesendes jederzeit in die Verkomplizierung der Kommunikation Eingang finden kann. Man könnte auch sagen: wir vermeiden die paranoide Situation nicht, sondern im Gegenteil: wir setzen uns ihr aus. Und dem Augenblick kann rein prinzipiell jede Imagination über einen mega-öffentlichen Raum weiter gehen, aber diese Imagination findet ihre Grenze nur an anderen Imaginationen, die etwas ganz anderes für wahr halten. Und die Differenz aus all diesen Imaginationen ist dann die Voraussetzung für alle Kommunikation.
„was siehst Du dann, wenn Du ein Foto siehst?“ Ich sehe ein Foto. Was denn sonst? Und ein Foto ist keine Zahnbürste.
„können wir daraus immer noch genügend Gewissheit über einen ontologisch beschreibbaren Realitätsstatus gewinnen. Aber ich betone: es wird schon schwierig, denkt man etwa an die Prominenz von Verschwörungstheorien und Verfolgungsängsten.“
Dem würde ich widersprechen. Die abendländische Ontologie und Metaphysik wurde mehr als einmal beschrieben als eine systematisierte Verschwörungstheorie. Dass etwas hinter den sichtbaren Dingen liege, dass diese sich verbünden und ihren eigentlich Zweck, den der Uneigentlichkeit verfolgen, um das Eigentliche geheimzuhalten und zu verbergen, was ist das anderes als ein Verdacht gegen das Seiende, es halte uns etwas vor, aber man könne schon mit etwas Anstrengung dahinter kommen.
Die „Prominenz von Verschwörungstheorien“ besteht somit seit mindestens 2000Jahren, und jede Zeit hält sie auf ihre Art für brandaktuell. Genauso lange ist es demzufolge „schon schwierig“ einen „ontologisch beschreibbaren Realitätsstatus zu gewinnen.“ Platon hat sein Lehrgebäude (im Corpus seiner Schriften und in den Räumen der Akademie) errichtet, primär, weil „Realität“ als solche für ihn ein Problem war.
@Klaus
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich Dich richtig verstehe. Wenn wir nicht von meinem trivialen Öffentlichkeitsbegriff ausgehen, sondern von Deinem, dann heisst das doch vermutlich nicht, dass Öffentlichkeit an Räume gebunden ist.
Lass uns mal die simple Idee, dass wir in einem Raum oder auf einem Dorfplatz oder in einer Kneipe sind, beiseitelegen. Das ist ja nicht „Öffentlichkeit“ als der Raum, in dem das, was alle angeht, verhandelt wird.
Lass uns einen urbanen Raum nehmen, eine Metropole mit Vorstädten, Häusern, Strassenecken, Fluchten, Plätzen, Carees, Parks, Bahnhöfen etc.
In solchen Räumen entsteht doch Öffentlichkeit auch, ohne dass alle voneinander wissen, und auch kann jeder unerwartet hinzutreten.
Ausserdem findet umgekehrt doch das, was Du forderst, im Internet statt: Durch Like-Anzeige bei einem Social Plugin von Facebook sehe ich doch, wer die Seite gesehen hat, durch eine Timeline sehe ich, wer sich womit beschäftigt, Und auch hier kann einfach jemand durch einen Kommentar oder ein Mention hinzutreten.
Ich sehe den prinzipiellen Unterschied noch nicht.
Der prinzipielle Unterschied besteht in den Ausgangsbedingungen für die Fortsetzung der Kommunikation.
Das Beispiel mit dem urbanen Raum ist sehr gut gewählt. Es ist ja gerade der urbane Raum, der die Möglichkeit fraglich werden lässt, ob überhaupt der öffentliche Raum für eine Öffentlichkeit noch zugänglich ist. Schon der urbane Raum lässt Zweifel darüber aufkommen, ob man es noch mit Öffentlichkeit zu tun hat. Betrachten wir den urbanen Raum unter Beobachtungsbedingungen, die durch Massenmedien und technische Netzwerke aller Art hergestellt werden:
Straßen, Plätze, Häuser, Kanäle, Stromanlagen sind nach komplizierten Regeln für alle zugänglich, aber nur unter der Voraussetzung, dass nicht für alle das selbe gilt. Für fahrende Verkerhsteilnehmer (Auto, Straßenbahn, Fahrradfahrer) gilt nicht das selbe wie für parkende oder für spazierengehende. Das gilt auch für Wartende an Bushaltestellen, für Ausruhende im Park, für Schlangestehende vor einem Geldautomat, für Ladenbesitzer, für Kunden, für Lieferanten, für Kinder, für Tiere, für Polizisten, ja sogar für Krimnelle gelten noch bestimmte Regeln, Regeln, die von keiner Stelle aus weder eindeutig durch Verbreitungsmedien mitgeteilt, noch in ihren Konsequenzen eindeutige Einteilungen nach sich ziehen. Es ist ein einigermaßen gut geregeltes Chaos. Öffenlichkeit ist in dieser Hinsicht eher ein Euphemismus. Man spricht zwar von Öffentlichkeit und imaginiert sich die Möglichkeit, dass im Prinzip alle daran teilnehmen würden, weil sie es könnten, aber empirisch ist das komplett unmöglich. Insofern bliebe ein Begriff von ÖFfentlichkeit nur übrig, wenn man ihn von Privatheit unterschiede und auf einer eindeutigen Einteilung von Raumkontrolle bestehen würde. Aber damit wird die Sache keineswegs einfacher, weil es nämlich auch im privaten Raum für alle Beteiligten hoch komplizierte Verhaltensweisen und Sanktionsmöglichkeiten gibt, man denke etwa an so etwas wie Vergewaltigung in der Ehe. Ich will das alles gar nicht aufzählen. Und allein die Tatsache, dass es so etwas wie ein Datenschutzproblem gibt, zeigt, dass die Bedingungen zur Herstellung dieses Problems keineswegs durch die Unterscheidung von privat und öffentlich zustande kommen. Beispiel: wenn auch ein Geheimdienst deine Wohnung unrechtmäßig ausspähen mag, heißt das noch lange nicht, dass diese Daten dann öffentlich wären. Denn schließlich ist ein Geheimdienst geheim. Noch komplizierter, wenn du in einer Kneipe mit einem Geheimagenten sprichst. Erklär mir mal wo da noch die Grenze zwischen öffentlich, privat, geheim und legal verläuft.
Öffentlichkeit? Man zeige sie mir! Und zwar bei Vernachlässigung der Möglichkeit, dass es sich dabei nicht nur um eine Imagination handelt. Und ausgerechnet das Internet sollte Öffentlichkeit wieder herstellen, obgleich gerade durch das Internet jeder Verzicht auf Imaginationsmöglichkeiten gar nicht mehr zu leisten ist. Wir können uns ja nicht einmal einigermaßen klar darüber werden, was man sieht, wenn man ein Foto sieht, schon gar nicht, wenn die Frage lauten würde: was ist auf dem Foto abgebildet? Das, was du eine mega-Öffentlichkeit nennst, ist nur ein mega-Euphemismus für etwas, das niemand mehr zeigen kann, geschweige denn ermessen oder begrenzen oder kontrollieren könnte. Deine mega-Öffentlichkeit ist mein mega-Kopfschütteln.
Der prinzipielle Unterschied ist, dass wir dabei sind zu lernen, Realität und Imagination indifferent zu behandeln, was eben nicht heißt, dass alle Unterscheidungen kollabieren, sondern sich in ihrer Differenzierungsmöglichkeit exorbitant erweitern. Du siehst wer die Seite gesehen hat? Nein, sondern: du bemerkst nur eine Differenz zwischen dem was du siehst und dem, wie man das verstehen könnte und dem, wie du meinst, dass andere es verstehen könnten, wenn Kommunikation funktionieren würde, durch die das wiederum die Differenzen entstehen, die du bemerkst. Das heißt aber noch nicht, dass du wüsstest, wer das ist und womit sich jemand beschäftigt. Wie kommst du denn darauf, dass du wüsstest, wer ich bin? Was ich tue? Wer du selbst bist? Was du tust? Wo die mega-Öffentlichkeit zu finden wäre, wenn nicht die Internetkommunikation dir in all diesen Hinsichten diese Differenzierungsmöglichkeiten anliefert, über welche du dich irritierst und über welche du meinst Klarheit gefunden zu haben. Denn die eine Imagination kann jederzeit mit einer anderen konfrontiert werden und die Kommunikaiton kann sich jederzeit über alles andere genauso irritieren.
Du weißt es nicht, jedenfalls nicht so genau, dass du schreiben könntest: ich weiß es genau. Und schreibst du es doch, dann beobachte, was geschieht.
„Durch das Internet verschwindet Öffentlichkeit und zwar ohne, dass das jemand bemerkt.“
Niemand bemerkt es, den Sprecher ausgenommen.
Oder fassen wir es radikaler: Niemand bemerkt das Verschwinden, nicht einmal der Sprecher. Was aber auch heißt, dass sie nicht verschwindet. Oder müsste man von einem Geschehen ausgehen, das sich unabhängig von aller Beobachtung vollzieht?
Das ist eine brauchbare Argumentation. Sie referiert Selbstreferenz, und das heißt konsequenterweise, dass diese Überlegung nicht nur für einen Sprecher, besser: für einen Beobachter gilt, sondern für jeden, also auch für denjenigen Beobachter, der das Beobachtungsdefizit eines anderen Beobachters beobachtet. Denn damit hinterlässt er zugleich immer auch die Möglichkeit, ein eigenes Beobachtungsdefizit für eine Anschlussbeobachtung festzustellen. Beobachtungstheoretisch läuft dies auf eine Patt-Situation hinaus und der Beobachtungsprozess kann nicht weiter gehen. Geht er aber weiter, dann nur, weil schon eine weitere Unterscheidung eingeführt wurde, die aus dem Patt hinaus führt, eine Unterscheidung, die zu akzeptieren aber nur eine Frage der Pragmatik ist und nicht die Frage einer unmittelbaren Seinsgewissheit. Auch hier wieder der reflexive Beweis: die Bestreitung dieser Möglicheit setzt nur die Kommunikation fort, welche die Frage aufwirft, unter welchen Bedingungen ihre Fortsetzung noch garantiert wäre. Der Hinweis auf eine unmittelbare Seinsgewissheit als Einheitsvoraussetzung reicht nicht mehr aus, weil durch Unterbrechung der Kommunikation, durch Verlust von Anschlussfindung nicht mehr ermittelt werden könnte, worum es eigentlich geht. Um einen relativ schlechten Vergleich zu bemühen: denken wir uns Kommunikation als ein Wettrennen, bei dem einer gewinnen könnte, so könnte einer am Ende des Rennens nicht herausfinden, dass er gewonnen hat, wenn alle anderen, die das bestätigen oder bestreiten könnten, wirksam aussortiert wurden. Das heißt: ein Beobachter ist immer nur als Differenz zu sich selbst und zu anderem möglich, also die Möglichkeit einer Differenz, die kein Beobachter allein aus sich selbst heraus garantieren kann. Ob dies, wenn Beobachtung dennoch geschieht, dann in einer Öffentlichkeit stattfindet, darf bezweifelt werden, und kann bezweifelt werden, wenn sich durch Selbstreferenztestung ergibt, dass notwendig etwas ganz anderes mit im Spiel sein muss, damit das Spiel funktioniert.
Wenn niemand das Verschwinden bemerkt, verschwindet das Verschwinden nicht, aber über die Öffentlichkeit sagt das nichts
WIR können nicht nachdenken. Vielleicht können einzelne von uns denken, aber WIR nicht. Als Öffentlichkeit bezeichne ich meine Vorstellung davon, was andere wahrnehmen können. Ich spreche nicht über andere, sondern über meine Vorstellung. Ich stelle mir vor, dass es andere gibt, die auch einen Bildschirm vor ihren Augen haben, der Pixel für Pixel gleich aussieht wie meiner. Dann können diese andern dasselbe sehen wie ich, weshalb ich es als öffentlich bezeichne. Alle, die diesen Bildschirm nicht sehen können, sind exkludiert, so dass ich von einer Öffentlichkeit sprechen kann. Aber natürlich weiss ich nicht, ob diese Öffentlichkeit eine leere Menge ist
„Das heißt: ein Beobachter ist immer nur als Differenz zu sich selbst und zu anderem möglich, also die Möglichkeit einer Differenz, die kein Beobachter allein aus sich selbst heraus garantieren kann.
Anders ausgedrückt öffnet sich, veröffentlicht und versammelt sich im Modus von organisierter Wahrnehmung=Beobachtung (die immer eine Publikation, eine Offenbarmachtung von etwas für den/die Anderen im Selbst darstellt) der Eindruck zum Ausdruck. Das Treffen einer Unterscheidung und Bezeichnung setzt -unweigerlich – der „Öffentlichkeit innerhalb der Innerlichkeit“ aus. Forum internum, Gerichtshof der Vernunf (Kant): Derrida hat die Figuren jener Krypten, die ein Außen im Innen, ein Innen im Außen eröffnen in seinem Aufsatz „Fors“ untersucht. Kurz: Beobachtung unterliegt einem Veröffentlichkeitszwang. Entweder publiziert sie, oder sie verschwindet. Allerdings verschwindet sie auch, wenn sie publiziert. Verschwinden und Öffentlichkeit sind demnach zwei Seiten der selben Sache.
Dass sich ein „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Strukturwandel_der_%C3%96ffentlichkeit) beobachten läßt, soll gar nicht bestritten werden. Zugestehen muß man auch, dass sie seit jeher mehr als eine Gestalt hatte, keine homogene Interiorität abgab und sich dadurch als Greifbarkeit immer entzog.
Gegen diese Betrachtungsweise hätte ich keinerlei Einwände vorzubringen. Im Gegenteil. Sie macht transparent, dass man es mit Imagination von Öffentlichkeit zu tun hat. Und als Imagination, durch welche die Belastungsprobe einer kommunikativen Reflexivität vorgenommen werden kann, wäre sie für mich jederzeit akzeptabel. Aber dann haben wir es mit der Realität einer Imagination zu tun, die außerhalb eines Verweisungszusammenhang von Realität auf Imagination und umgekehrt keinen anderen Verweisungszusammenhang ermöglicht als den, die Verkettungen der Verweisungszusammenhänge durch weiteren Zeichengebrauch zu testen.
Auf diesen Punkt hätten wir schon eher kommen können, nur leider wird eine solche Betrachtungsweise mit dem pejorativen Begriff des Glasperlenspiels konfrontiert, als ob etwas anderes als ein solches Spiel eine reale Chance hätte.
Also: eine Netzöffentlichkeit ist nur ein imaginierter Raum, wobei ich nur einfügen würde, dass der Begriff Raum nicht einmal als Metapher gut zu gebrauchen ist. Aber wenn wir die Imaginationsfähigkeit auf ihre Selbstentfaltungswahrscheinlichkeit testen wollen, könnte man aus denselben Gründen diese Metapher weiter verwenden wie vermeiden. Das Kriterium für eine Entscheidung wäre dann nur die Faszination für den Fortgang eines Glasperlenspiels, in dem dieses oder jenes anschlussfähig wird.
Aber dann haben wir es mit der Realität einer Imagination zu tun, die außerhalb eines Verweisungszusammenhang von Realität auf Imagination und umgekehrt keinen anderen Verweisungszusammenhang ermöglicht als den, die Verkettungen der Verweisungszusammenhänge durch weiteren Zeichengebrauch zu testen.
Nein, Klaus, nicht WIR, ich und möglicherweise Du auch, was ich nicht wissen kann. Ich weiss ja nicht, ob und inwiefern andere die „öffentlichen“ Pixelmengen – wenn sie sie überhaupt sehen können – als Zeichen und für Verweisungszusammenhänge wahrnehmen.
Jetzt gerade lese ich an meinem Bildschirm „Klaus … usw“ und nehme an, dass das als Pixelmenge öffentlich ist … aber das ist eben meine Imagination, der ich hier folge, indem ich sinnbezogen darauf reagiere – auch wenn ausser mir gar niemand Sinn zu erkennen vermag.
Das sind alles ganz nette Überlegungen. Anreichern möchte ich die mit Überlegungen aus der der Luhmannschen Systemtheorie:
„Man kann dann Öffentlichkeit definieren als Reflexion jeder gesellschaftsinternen Systemgrenze, oder anders: als gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme“ (Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 184.)
„Öffentlichkeit ist mithin ein allgemeines gesellschaftliches Reflexionsmedium“ (Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 187)
„Die Öffentlichkeit wird als Medium einer bestimmten Typik der Selbstbeobachtung der Gesellschaft ausdifferenziert und greift dazu ihrerseits auf ein Medium zurück, in dem sie Form gewinnen kann. Dieses Medium der Öffentlichkeit ist die Meinung.“ (Dirk Baecker: Oszillierende Öffentlichkeit. In: Maresch, R.(Hrsg.): Medien und Öffentlichkeit. 1996)
„Die öffentliche Meinung scheint das Resultat einer Art von Selbstorganisation zu sein, die die Mikrodiversität persönlicher Meinungen zu Themen voraussetzt.“ (Luhmann: Öffentliche Meinung und Demokratie. In: Maresch/Werber (Hrsg.): Kommunikation Medien Macht. Frankfurt a. M. 1999.
Man sieht darin, wie sehr der Begriff einer Öffentlichkeit verknüpft ist mit Meinung, die eine Differenz zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung berücksichtigt. Und wer sich immer noch einbildet, also im hier akzeptierten Sinne einer Bereitschaft zur Imagination, diese Differenz angesichts der Internektommunikation durchhalten zu können, hat ziemlich viel zu argumentieren, und dürfte aussichtslos damit beschäftigt sein, öffentliche und veröffentlichte Meinung auseinander zu halten. Aber es soll ja auch fleißige Internetnutzer geben. Dann sollen die mal schauen, wie es damit gehen könnte. Glasperlenspiele haben ja nichts Weltfremdes an sich.
„Ich weiss ja nicht, ob und inwiefern andere die “öffentlichen” Pixelmengen – wenn sie sie überhaupt sehen können – als Zeichen und für Verweisungszusammenhänge wahrnehmen.“
Ach was, jetzt doch wieder Realität, statt Imagination? Stimmt, man weiß ja nichts mehr über andere und anderes. Egal. Was soll das noch …
hmmm …. nein keine Realität oder eben nur meine, genau wie bei der Imagination. Bezogen auf das, was ich wahrnehme, macht es keinerlei Unterschied, ob ich von Realität oder Imagination spreche und wenn ich der wahrgenommenen Sache Öffentlichkeit unterstelle, macht es wieder keinen Unterschied, weil ich dann ja wieder bestimme, was für andere der Fall ist. Von Öffentlichkeit zu sprechen, bedeutet immer darüber zu sprechen, was andere wahrnehmen könn(t)en.
Was soll das noch? Es soll das Verschwinden der Öffentlichkeit sichtbar machen 😉
Was für einen seltsamen Aufwand da einer betreibt, um einen Irrtum zu konstruieren, wo vorderhand keiner zu finden ist. Das ist doch völlig überflüssig.
Ich kann bei jedem beliebigen Argument und jeder philosophischen Herleitung einfach jemandem seinen Begriff entwenden und meinen eigenen einsetzen und – schwupps – ist der andere im „Irrtum“.
Tatsächlich ist es ein Irrtum, wenn man glaubt, solchermaßen jemanden einen Irrtum nachweisen zu können.
„Egal. Was soll das noch …“ ist ein ganz passendes Fazit, es bleibt dann nur das Erstaunen über die psychische Energie zurück, die hier investiert wurde.
psychische Energie?
denken wir uns Kommunikation als ein Wettrennen, bei dem einer gewinnen könnte, so könnte einer am Ende des Rennens nicht herausfinden, dass er gewonnen hat, wenn alle anderen, die das bestätigen oder bestreiten könnten, wirksam aussortiert wurden.
Wobei, das hatte ich hinzugefügt, es sich um einen relativ schlechten Vergleich handelt. Relativ schlecht, da das Ende der Kommunikation empirisch gar nicht zugänglich ist, so dass dieser Vergleich auf etwas hinaus läuft, dass durch den Prozess seiner Plausiblisierung ausgeschlossen wird; er also etwas sehr Unvergleichbares imaginiert. Aber man hat schon mal davon gehört, dass dies trotzdem noch zur Erkenntnis dienlich sein könnte. Seltsam, aber normal. Erkenntnis kann ohne Imagination gar nichts leisten:
„Man sieht darin, wie sehr der Begriff einer Öffentlichkeit verknüpft ist mit Meinung, die eine Differenz zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung berücksichtigt.“
Gerade in den an erster Stelle aufgeführten Luhmannzitaten erkenne ich diese Verküpfung (noch) nicht als zwingend. Denn hier wird, nun in meinen Worten, Öffentlichkeit, allgemeiner, als Reflexion eines Außen im Innen einer Grenze konzipiert , das als solches nur ein weiteres kryptisches „Innen im Innen“ binnendifferenzierend eröffnen kann. (Man denke bei diesen Chiasmen und Torsionen an den Peter Handke-Titel: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt.) Der hierdurch aufgespannte „Raum“ stellt die Möglichkeiten bereit, von denen eine die Meinungsbekundung sein kann.
Öffentlichkeit als politischer (und an die Gegebenheiten der polis gebundener) Begriff, und die Öffentliche Angelegenheit (res publica), konnten daher ihren Anspruch, mehr als eine zutiefst private Sache zu sein, wohl noch nie erfüllen. Aber auch umgekehrt: mein und dein Sein und Meinen sieht sich im Moment, da es sich über sich äußert, herausgeschleudert auf den Marktplatz der Allgemeinplätze.
„Dann sollen die mal schauen, wie es damit gehen könnte. Glasperlenspiele haben ja nichts Weltfremdes an sich.“
Wenn man den Begriff des Glasperlenspiels ent-diskreditieren wollte, müsste auch der Verdacht, es handle sich dabei um den luxuriösen Zeitvertreib, die kontemplativen Exerzitien, einiger Weniger und Seltener, entkräftet werden. Glasperlenspiele sind im Gegenteil das weltfremd-weltzugewandte Tagesgeschäft von Allen und Jedem, überall wo, aussichtsloserweise, Unwahrscheinliches verwahrscheinlicht, Illegitimes legitimiert, Unbegründbares begründet werden muß.
Von wegen „psychischer Energie“: Bitte vielmals um Entschuldigung, wenn ich hier aus der Sachdebatte herausspringe und mich einfach wundere. C. Kappes veröffentlicht (!) einen Aufsatz im Internet, an prominenter Stelle („Blätter für deutsche und internationale Politik“) zur neuen „Mega-Öffentlichkeit“. Der Aufsatz ist fachkundig und wird zudem noch geadelt durch den Ort seiner Publikation („Im Zweifelsfall ist also ist die Frage interessant: Wer ist er? Wobei diese Frage auf Referenzen abzielt …“ – schau mal bei dir nach, welche Fragen dir einfallen, wenn du dich deinen Lesern vorstellst). Ich würde den Aufsatz nicht direkt als wissenschaftlich bezeichnen, aber sicherlich mehr als der übliche schnelle Meinungsbeitrag. Und nun wirfst du dich in die Debatte mit voller Kraft der Negation, man könnte glauben, du wolltest den Aufsatz quasi „vernichten“.
Wovon Kappes schreibt, das gäbe es gar nicht, es wäre andersherum: „das Internet vernichtet Öffentlichkeit“. Das ist derartig kontrafaktisch, dass ich mich frage: Wie kommt denn so etwas zustande? Wo ist das Motiv?
Und dann fällt eben auch der enorme intellektuelle Aufwand auf, um die angebliche Vernichtung der Öffentlichkeit „nachzuweisen“ und die du so vermutlich nie irgendjemanden nachweisen kannst, weil es einfach „zu weit hergeholt“ ist. Zugunsten einer mir kaum nachvollziehbaren begrifflichen Logik ist das Ergebnis schließlich sogar so ein augenscheinlicher Widersinn, dass 2 Leute in der Küche eher eine Öffentlichkeit bilden könnten als Kappes und Kusanowski im Internet. Dabei ist doch die Küchensituation nach allen klassischen Überlegungen gerade diejenige, die nicht die Bezeichnung Öffentlichkeit verdient, nämlich weil die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist – es fehlt die Chance zur Beobachtung (es sei denn einer der beiden ist Journalist und macht dann das Gesagte anschließend der Öffentlichkeit zugänglich). Während wir hier im Internet euch zwei beobachten können (und dass die Allgemeinheit beobachten kann, ist das wichtigste Ingredienz jeder Öffentlichkeit, auch von Fach-Öffentlichkeiten).
„Denken wir uns Kommunikation als ein Wettrennen …“ – das machen Philosophen gerne, ist es aber genau nicht. Aber wo kommt die Puste für das Wettrennen her, dass hier gerade stattgefunden hat? Außer Atem kann man sich schlecht unterhalten.
Danke für den Beitrag.
Man sollte solche Fragen kritisch prüfen und im einzelnen Punkt für Punkt aufgliedern und untersuchen, um Antworten zu finden, die am Ende wirklich überzeugen können.
„Wie kommst du denn darauf, dass du wüsstest, wer ich bin? Was ich tue?“
Das kann ich Dir beantworten: Deine Wortwahl, Deine Argumentationsfiguren, unendlich viele Details (zB wie Du Luhmann zitierst oder wie Du Deine Kränkung durch meine Formulierung von Glasperlenspiel hier verarbeitest) erlauben mir eine eindeutige Re-Adressierung: nur Du zeigst diese Entäusserungen in der Weise wie ein anderer, den ich beobachtet habe.
Und so sehe ich weiter keinen Unterschied: Ob Du nun körperlich in der Kneipe vor mir stehst, wo ich Dich an Deiner Mütze und Deinen Augenbrauen erkenne, so erkenne ich Dich hier an Deinem Kommunikationsverhalten.
Und wenn Du andeutest, dass das nur gilt, so lange Du es willst, so wechsle Dein Verhalten und ich frage Dich dann, ob Du noch Du bist – und woran ich Dich, Klaus „fluid“ Kusanowsky, noch erkennen kann.
Das bin nicht „Ich“ oder „Ich selbst“, sondern, das ist etwas, ein Auschnitt, eine Möglichkeit, eine selektive Begrenzung dessen, was du als Identitätskonstruktion verwendest und als Ausgangspunkt nimmst für Adressierungen. Und übrigens passiert so etwas tatsächlich auch, wenn wir uns begegnen. Es sind selektive Momente einer nicht vollständig auf etwas Bestimmtes zu reduzierenden Komplexität. Dein Bild von mir ist nicht identisch mit mir, so wie dein Bild von mir nicht identisch ist mit all den anderen Bildern, die andere von mir haben. Ein Mensch ist nicht das Bild, das man von ihm hat, gilt auch für den Fall des Selbstbildes. Da ist keine menschliche Wirklichkeit, über die man außerhalb selektiver Zurechnungen etwas Wahres wissen kann. Was du meinst ist, dass du eine Adresse identifizierst, aber was heißt das denn? Wie könntest du sie identifizieren, wenn die Kommunikation dir nicht entsprechende Möglichkeiten unterbreitet?
Die Überlegung könnte sein, dass dies im Zweifelsfall gar nicht notwendig ist. Du musst mich nicht erkennen, um Kommunikation sicher zu stellen. Es geht auch ohne. Vor allen Dingen, das wäre das Entscheidende: du kannst Kommunikation gar nicht sicher stellen.
Einer Deiner besten Texte, Klaus Kusanowsky! Ich bewundere Deine Konsequenz, aber das nur nebenbei.
Irgendwo innerhalb der Diskussion hat sich ja herausgestellt, dass sich die Annahme, es könnte im Internet doch so etwas wie Öffentlichkeit geben, als Irrtum herausgestellt hat. WIR ist eben doch eher eine 4. Person Singular (frei nach Vlusser – falls ich das richtig in Erinnerung habe).
Mir hat sich jedoch die Frage aufgedrängt, ob es so etwas gibt, was Christoph Kappes als »öffentlich zugänglich« beschreibt. Anfangs glaubte ich, einen Unterschied zu Deinem Konzept der nicht vorhandenen Öffentlichkeit zu erkennen. — Inzwischen bin ich überzeugt, dass es sich um einen Trugschluss handelte: Wenn es keine Öffentlichkeit gibt, kann es auch keine öffentlich zugängliche Websites geben. Will sagen, was ich auf meinem Monitor sehe, lässt keinerlei Rückschlüsse darauf zu, ob andere (so es sie gibt) ebenfalls darauf zugreifen können. Es ist schlicht nicht beobachtbar.
Das einzige was du als Ankerpunkt hast ist das Funktionieren des Computers und damit eine Extrapolation über die Wahrscheinlickeit, dass diese Technik woanders genauso funktioniert. Übrigens gibt es auch Versammlungen von Internutzern, sei es im Internetcafé oder auf einem Piratenparteitag. Auch hier aber ist der Internetzugang die Voraussetzung für die Versammlung. Und wer über die Versammlung nachdenken will, kommt dann nicht daran vorbei, diese Art von Öffentlichkeit als eine kommunikative Imagination zu betrachten, weil nicht nur jeder Anwesende Computer benutzt, sondern weil die Versammlung selbst per live-stream wiederum ins Internet übertragen und an jedem anderen Ort auf eine Leinwand geworfen werden könnte, um dort eine Versammlung zu illuminieren, mit der das selbe geschehen könnte. Das wichtigste ist, dass all dies nur als kontingente Realität verstehbar wird, oder, wie ich sagen würde: als paranoide Beobachtungssituation. Denn ich weiß in jedem Augenblick nicht mehr genau, wer, wann und wo mich oder was ich sage, schreibe oder sonst noch treibe, der Kommentierung unterzieht. Diese Beobachtungsituation zeichnet sich dadurch aus, dass man die Paranoia nicht mehr als defizitäre Verstandesfähigkeit von Menschen disqualifiziert, sondern zur kommunikaitven Technik erhebt. Das könnte heißen: wer durch eine solche Situation noch Intelligenz hervorbringen kann, kann etwas gewinnen.
Die Antike hatte Rhetorik als kommunikative Technik entwickelt, mit der in der Öffentlichkeit Argumente ausgetauscht wurden. Die moderne Gesellschaft, die sich durch Massenmedien üben musste, entwickelte Kritik. Kritik heißt: ein gegenseitig zugestandes Recht auf eigenmächtige und öffentlich mitteilbare Ablehnung anderer Meinungen bei gleichzeitiger Übernahme der Argumentationslast zuzüglich der damit verbunbunden Verantwortlichkeiten für die Ergebnisse der Argumentation. Die Hoffnungen, die sich auf dieses Verfahren richteten waren immer größerer als ihre Ergebnisse, wenn man mitberücksichtigt, dass durch dieses Verfahren nicht nur Fortschritte der Lebensgestaltung ermöglicht wurden, sondern dass mit diesen Fortschritten immer mehr Defizite anfielen als nach Maßgabe dieses Verfahrens bewältigt werden konnten, Beispiel: Fukushima. Man kann mit kritischen Verfahren Radioaktivität freisetzen, ab niemand weiß nach Maßgabe der selben Verfahrensweisen wie man sie beseitigen kann.
Und diese Diszplin der Kritik und die nach wie vor stabilen Hoffnungen, die sich auf diese Diszplin richten, treffen nun durch die Verbreitung des Internets auf eine ganz andere Beobachtungssituation, nämlich eine Situation, in der im Prinzip nichts und niemand mehr ausgeschlossen ist. Unter diesen Bedingungen wird Kritik zur reinen Dämlichkeit. Und darum müsste eine dem Internet angemessene kommunikative Technik entwickelt werden, die sich diesen Verhältnissen aussetzt und daraus klug wird. Die Technik könnte entstehen aus einer Methoden des intelligenten Umgangs mit Paranoia.
Und in diesem Sinne: eine Internetöffentlichkeit ist nur noch eine paranoische Situation. Und eben dies ist der Anfangspunkt für Intelligenz.
„Das einzige was du als Ankerpunkt hast ist das Funktionieren des Computers und damit eine Extrapolation über die Wahrscheinlickeit, dass diese Technik woanders genauso funktioniert. “
Das Funktionieren des Computers (die Maschinerie des „Ich denke“, die, wie hervorgehoben wird, selbst wenn ich wahnsinnig wäre, ihr Prozessieren nicht einstellt) war auch bei Descartes alleiniges fundamentum inconcussum (Ankerpunkt) solipsistischer Monologie. Genau wie die Unterstellung der Vergleichbarkeit des Alter ego (als appraesentatio per analogiam) bei Husserl die Monologik zur Analogik ausweitet, um die Irreduzibilität des Anderen (der als Faktum nicht zu leugnen ist) dem Simulationsprogramm geschlossener Selbstreferenz einzuverleiben. Wieder mal nichts neues also, ein neuer Aspekt aber, eine neue Perspektive des Alten.
Wie wäre es mit der These: Öffentlichkeit differenziert sich aus, was, da Differenzierung als ein Prozess der stetigen Zersetzung interpretiert werden kann, einem Verschwinden ähnlich sieht. Einem Verschwinden allerdings, das jenes, was es tilgt, gleichzeitig erhält und aufhebt.
Interessant. Sollten wir das kritisch durchdiskutieren?
Bei google+ habe ich einen Kommentarverlauf zu diesem Thema hier gelesen und sehr deutlich gemerkt, wie empfindlich auf das Scheitern der Kritik reagiert wird. Man zeigte sich damit einverstanden, dass man mich nicht so recht ernst nehmen müsse und lässt zugleich zu, dass dies für jeden gilt, indem sofort auf Ironie umgestellt wird. Meine Argumente sind, da man ihre Defizite nicht mehr nachweisen kann, nur noch das Produkt eines Menschen, der irgendwie abseitig orientiert ist, worüber man übrigens nichts Genaueres mehr äußern kann, daher die Berechtigung zur Ironie. Die Ironie ist die letzte kritische Möglichkeit.
Das kritische Verfahren als Widerstandsoperation verlangt nach Widerständen. Daher konnte der Aufschwung der Wissenschaft erst in dem Augenblick funktionieren als genügend dafür ausgebildete Subjekte auf andere ebenfalls dafür ausgebildete Subjekte trafen. Erst dann konnten enorme Differenzierung geleistet werden, die die Widerstände laufend und problemlos erzeugten, die gebraucht wurden, damit tausende von Gegenständen der Kritik unterzogen werden konnten. Und eine immer gut funktionierende Strategie der Kritik war den Verstand des anderen zu verleumden, was deshalb so vortefflich funktionierte, weil auch das Subjekt und seine kritische Fähigkeit durch das kritische Verfahren zu Gegenständen der Kritik und damit zum unverzichtbaren Widerstand für weitere Kritik wurden. So musste mit dem immer besser sich einspielenden Zivilisationsstolz („Menschenwürde“) auch eine Verschärfung der Ablehnung in Gang kommen: Geringschätzung, Beleidigung bis hin zur öffentlichen Demütigung, Diskriminierung oder, als letzte Steigerung: Hasspropaganda und Massenmord. Erst seit dem sind die Empfindlichkeit so groß, dass es notwendig wurde, für alle Menschen irgendeine Nische zuzulassen, in die sie sich zurück ziehen können, wenn die Kritik scheitert.
So ist die Kritik durch Internetkommunikation nicht nur banal und dämlich geworden, sondern auch die Flucht vor dem Scheitern, ablesbar an der schnellen Bereitschaft zur Ironie.
Die Ironie ist gleichsam der Absacker der Kritik.
[…] Hinweis auf den Artikel »Die neue Mega-Öffentlichkeit« von Christoph Kappes und eine Replik von Klaus Kusanowsky (mit Augenmerk auf den interessanten Kommentarverlauf). Ähnliche Artikel:New Web Social-ism: […]
Die 50 Beiträge hab ich nicht komplett durchgeackert. Stattdessen gehe ich nur auf die ursprünglicher Replik auf C. Kappes ein. Bei deinem Verständnis von Öffentlichkeit scheint mir ein ähnliches Problem vorzuliegen wie beim Internet: Du gehst anscheinend davon aus, dass Öffentlichkeit eine Art System ist, das die Differenz von System und Umwelt prozessiert. Anders kann ich mit Passagen wie „Öffentlichkeit, die noch Fremdreferenzalität garantieren könnte“ nicht verständlich machen.
Richtig ist, es gibt nicht DIE Öffentlichkeit. Ich möchte auch bezweifeln, daß es die jemals gab. DIE Öffentlichkeit ist doch mehr ein politisch-moralisches Ideal als empirische Beschreibung. Die Sinnanreicherung lief ja auch über den Gegenbegriff der Privatheit. Das hat dann zwar eine Weile funktioniert, aber mir geht es ähnlich wie Kappes. Der Unterschied zwischen Öffentlichkeit und Privatheit scheint immer mehr zu verschwimmen und man möchte sich am liebsten von dieser Differenz verabschieden.
Für analytische Zwecken habe ich diese Konsequenz tatsächlich gezogen und durch Beobachtbarkeit ersetzt. Das deswegen, weil mir Beobachtbarkeit die Einheit der Unterscheidung von öffentlich/privat zu sein scheint. Es geht um die Ermöglichung oder Vermeidung von Beobachtung. Wenn man Öffentlichkeit als soziales Phänomen fassen will, sind mindesten zwei Beobachter – also mindestens Alter und Ego – erforderlich, aber keine physische Anwesenheit. Hauptsache es gibt ein gemeinsames Zentrum der Aufmerksamkeit (z.B. Themen).
Auch stimme ich mit dir darin überein, dass es in einer funktional differenzierten Gesellschaft funktionssystemspezifische Teilöffentlichkeiten gibt. Öffentlichkeit meint dann aber die interne Umwelt eines Funktionssystems, die es den Personen und Organisationen ermöglicht andere Systemteilnehmer zu beobachten. So Luhmann im Anschluss an H White. Akzeptiert man diese Prämisse, kann man heute nicht mehr sinnvoll von Öffentlichkeit sprechen ohne eine Systemreferenz mit anzugeben. Aber Öffentlichkeiten sind keine Systeme!
Das Internet eröffnet nun völlig neue und mehr Möglichkeiten der Beobachtung. Müsste ich diesen Sachverhalt nun wieder in die Alltagssprache übersetzen, würde ich das als ein Mehr an Öffentlichkeit beschreiben. Dass dann auch entsprechend gegenläufige Tendenzen der Verhinderung von Beobachtung aufkommen – warum auch immer –, ist eine mögliche Reaktion darauf.
Lässt Internetkommunikation, wenn wir einrechnen, dass Exkludierung nicht gelingt, zu, dass Systemreferenzen doppelt kontingent akzeptiert werden können? Da man doch zugeben muss, dass die Angabe einer Systemreferenz nicht reicht. Sie muss kommuniziert werden, aber dafür ist ein geeignetes Kommunikationssystem erforderlich, das eine einigermaßen kontextestabile Semantik über Systemreferenz prozessiert, um sich gegen seine Umwelt abzuschließen. Aber es geht einfach nicht, wenn nichts und niemand prinzipiell ausschließbar ist. Nicht einmal die Frage, was ein System ist, ist durch Internetkommunikation noch kommunizierbar. Systeme müssen, damit sie so etwas wie eine einigermaßen kohärente Systemtheorie und durch eine solche Theorie indizierbare Begriffe und Referenzen auswerfen, esoterische Inkludierung leisten, indem sie Fachleute, Fachwissen, Fachbegriffe, Fachtraditionen, Fachtheorien, bzw. deren funktionstypischen Korrelate als Bestimmungsgrößen für die Fortsetzung relevant machen. Die Esoterik der Systeme schließt alles und jedes ein, das nicht exkludiert wurde, weshalb alles, was so inkludiert wird, durch den Code zur Systemstabilität, ja bis zur Unzerstörbarkeit der Systeme beiträgt. Das macht die Sache doch so verhängnisvoll. Man denke an den faschistischen Staat. Die Stabilität des Systems war so groß, dass der blinde Fleck mit keiner geeigneten Opertion aufgedeckt werden konnte, weil alles, was aufgedeckt wurde, nur zur Verstärkung der staatlichen Macht beitrug.
Öffentlicheit trotzdem noch, wenn nur die Systemreferenz klar wäre? Die Internetkommunikation schleicht sich doch dämonisch ein, indem sie die funktionalen Verfahren der Ordnungsfindung apokalyptisch unterwandert, indem sie – wie Heidegger es in einem anderen Zusammenhang formuliert hatte – „Ereignisse der Entbergung“ liefert, aktuell beobachtbar an der Diskussion um das Urheberrecht. Die Internetkommunikation macht nun mit dämonsicher Aufdringlichkeit deutlich, was vorher nur esoterisch verhandelbar war, nämlich, dass der Urheber eine sozial standisierte Fiktion ist. Daher der Protest. Die Apokalyptik der Ereignisse zeigt, woran bereits Marx frühzeitig gescheitert war: es ist alles nur soziale Produktion, aber solange durch Organisationen die sozialen Interdependenzen wirksam und vorhersebar unterbrochen werden konnten, war für solche Argumente eben nur ein weiteres esoterisch inkludierendes System zuständig. (Ein Umstand, aus dem Marxisten bis heute nicht klug werden.)
Im ganzen scheint mit die Art und Weise wie die moderne Gesellschaft sich empirisch gemacht hatte, dafür zu sprechen, dass die Systemdifferenzierung so fein gediehen war, dass außerhalb dieser Empirie kaum etwas anderes noch argumentierbar war. Das macht die Luhmannsche Systemtheorie so brisant: dass nämlich noch unter den Bedingungen von eingespielten Regelwerken der Systeme eine Regeländerung dafür sorgen musste, dass alles so bleibt wie es empirisch scheint. Dies insbesondere bezogen auf die empirische Möglichkeit, dass die Gesellschaft aus Menschen bestehen müsse, wie könnte sie anders funktionieren? Seit Luhmann wird nun etwas davon verschiedenes gelehrt, aber gelehrt nach Maßgabe einer kritischen Diszplin, die seit dem 16./17. Jahrundert unter der Bedingung entstanden war, mit den Mitteln der menschlichen Vernunft Gottes Wahrheit zu beweisen.
Internet lässt noch Öffentlichkeit zu? Öffentlichkeit verstanden als ein Reflexionsmedium zur Beobachtung von Resonanz? Das brisante an Resonanz ist ja, dass sie wie kaum etwas anderes dazu geeignet ist, die Mikrodiversität von Handlungen und Verhalten in Stimmung zu verwandeln. Ja, das Internet würde Öffentlichkeit sogar erweitern? Wenn sich jetzt die Interdependenzen abzuzeichnen beginnen, weil sie nicht mehr oder immer schwieriger wirksam ausgehebelt werden können?
Nur andeutungsweise ein kurzes Beispiel: der Differenzierungsprozess der modernen Gesellschaft hatte so viele Komplikationen erzeugt, dass alles komplizierter wird, alles, auch z.B. die Kriegsführung. Inbesondere braucht die Kriegsführung Öffentlichkeit für Propaganda. Aber die Öffentlichkeit kann auch für die Gegenpropaganda genutzt werden, was insbesondere den Vietnam-Krieg so aussichtslos machte. Und diese Aussichtslosigkeit schlägt sich nieder in diesem neuartigen Terrorismus, da die dort operierenden Faschisten nur noch punktuell Angst und Schrecken verbreiten können, was auch für ihre Popaganda gilt. Daher hat auch dieser Terrorismus kaum eine Chance, weil er einerseits Interkommunikation zu Propgandazwecken benutzen muss und durch Internetkommunikation wird andererseits auch dessen Chancen auf Öffentlichkeit nicht vergößert.
„Lässt Internetkommunikation, wenn wir einrechnen, dass Exkludierung nicht gelingt, zu, dass Systemreferenzen doppelt kontingent akzeptiert werden können?“
Ich wüsste nicht was dagegen sprechen soll. Zunächst würde ich festhalten, dass die potentielle Vollinklusion aller Menschen im Internet bloß durch den technischen Zugang zustande kommt. Damit ist noch nichts darüber gesagt, wie einzelne Teilnehmeradressen bei Kommunikation via Internet sozial relevant werden. Eigentlich wird durch den technischen Zugang eine Situation doppelter Kontingenz geschaffen ohne dass der Druck sonderlich stark wäre hier sofort eine Bestimmung der Situation herbei zu führen. Bei Abwesenheit gibt’s kein peinliches Schweigen.
„Da man doch zugeben muss, dass die Angabe einer Systemreferenz nicht reicht. Sie muss kommuniziert werden, aber dafür ist ein geeignetes Kommunikationssystem erforderlich, das eine einigermaßen kontextestabile Semantik über Systemreferenz prozessiert, um sich gegen seine Umwelt abzuschließen.“
Hier ist eine kleine Präzisierung meinerseits angebracht. Wenn ich schreibe, es muss eine Systemreferenz angegeben werden, bewegen wir uns auf gesellschaftstheoretischem Niveau. Es versteht sich von selbst, dass man keine eindeutige Systemreferenz angeben kann, wenn sich z. B. zwei Personen via Internet über Kochrezepte austauschen. Es wäre sinnvoll hier zunächst etwas tiefer – also organisations- oder Interaktionstheoretisch – anzusetzen. Es ist zwar immer verlockend etwas Bedeutsames zu beschreiben. Und ein einfacher Weg dies zu tun ist jedes soziale Phänomen in einem gesellschaftstheoretischen Kontext zu deuten. Man sollte sich aber fallweise mal fragen, ob das zweckmäßig ist.
„Nicht einmal die Frage, was ein System ist, ist durch Internetkommunikation noch kommunizierbar.“
Die Frage wäre eher, ist das notwendig? Eine systemtheoretische Perspektive wird zunächst von einem externen Beobachter angelegt und muss nicht notwendig mit der Perspektive des beobachteten sozialen Systems kongruent sein. Ich fände es sogar sehr überraschend, wenn man als Beobachter auf Systeme stoßen sollte, die sich selbst in systemtheoretischen Begriffen beschreiben. Insofern ist die Frage, ob per Internetkommunikation noch kommuniziert werden kann, was ein System ist, nicht sehr spannend. Beweist außerdem nicht der Fakt, dass du diese Frage in deinem Blog stellst das Gegenteil?
„dass die potentielle Vollinklusion aller Menschen im Internet bloß durch den technischen Zugang zustande kommt.“
Potenzielle Vollinklusion von Menschen? Wäre es möglich ein Argument zu gebrauchen, das besagt, dass Menschen durch Internetkommunikation gar nicht mehr inkludiert werden können? Weder Menschen noch Maschinen werden durch Internetkommunikation inkludiert. Noch können wir uns darauf verlassen, dass das Antwortverhalten von Chat-, Twitter- und Spambots wenig intelligent ist, aber wenn ich mir einige Kommentare in manchen Diskussionsverläufen anschaue, dann kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass es möglich wäre mit Algorithmen Textbausteine zu finden und durch Software zu kombinieren. Die Trivialität dieser Diskussionen lässt jedenfalls kein übermäßig großes Spektrum an Meinungsvarianten zu. Übrigens kann ich mir vorstellen, dass dies unter Verwendung eines Fachjargons auch gehen könnte, den systemtheoretischen Jargon eingeschlossen. Übrigens hat mich mal ein Softwarprogrammierer darüber informiert, dass es prinzipiell möglich wäre, Hausarbeiten von Maschinen schreiben zu lassen und dabei alle bürokratischen Vorgaben zu erfüllen, inbesondere das Kriterium der Individualität. Originalität und Authentizität sind ohnehin nicht mehr überprüfbar. Der Witz an der Sache wäre, dass erst durch Software Texte zustande kämen, die Plagiate ausschließen.
Die kritische Diskussion dürfte in nicht ferner Zukunft auch von Webbots aller Art gemeistert werden können und spätestens dann ist der Unterschied zwischen Menschen und Maschinen von ganz anderer Art. Aber wie auch immer das kommen wird: potenzielle Vollinklusion? Eine leistungsfähige Software zur Manipulation von Bildern und Filmen ist schon kostenlos zu bekommen; und nur, weil Lehrer in Schulen die Verwendung dieser Software noch nicht standardmäßig unterrichten, heißt das nicht, dass das so bleiben wird. Das Argument, dass Bilder Wahrnehmung kommunizieren, dass aber Wahrnehmung nichts kommunizieren kann, ist zwar nirgends so leicht unterzubringen, aber spätestens wenn sich herumgesprochen hat, dass Bilder keine Realität abbilden oder wiedergeben, dürfte auch dem simpelsten Kopf klar werden, dass Realität nicht einfach gegeben ist.
Könnte man nicht besser sagen, dass die Technik es verhindert, dass Menschen noch inkludiert werden können? Oder, wenn doch noch „Menschen“ kommuniziert werden können, dann wird nicht mehr so leicht erkennbar sein, dass Menschen kommunizieren. Natürlich wird es immer auch noch Organisationssysteme geben, die eine Authentifizierung verlangen. Aber man kann auch schon spekulieren, dass es bald Organisationen gibt, die selbst keine Authentifizierung mehr leisten. Ich denke dabei an ein Phänomen wie „Anonymous“ – eine Organisation ohne Adresse? Ohne Mitglieder?
Für die schulmäßig festgelegte Systemtheoretiker kommen solchen Überlegungen nicht in Frage.
Meine Überlegungen gehen dahin, den Technikgebrauch anders zu verstehen, nämlich nicht mehr hinsichtlich einer Prothesen-Metapher, Technik als Werkzeug, als zweckrationales Mittel oder – wie bei Luhmann – als Ersatz für fehlenden Konsens und dergleichen. Sondern Technik als Kommunikationsblockade zur Verkomplizierung des Lebens zu verstehen, durch welche die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation weiter gesteigert wird, wobei durch diese Steigerung ständige Sublimationsprozesse erzwungen werden, die den Zerfall von Vorbehalten gegen Kommunikation beschleunigen. Das Internet wäre dann nicht Hilfe oder Heil, weil damit ja auch das Gegenteil erwägbar wird, sondern eine Behinderung, durch welche die Erfolgsbedingungen strukturiert werden, die festlegen können, was sich in der Folge durch Überwindung dieser Behinderung noch als haltbare Kommunikation erweisen kann.
„Potenzielle Vollinklusion von Menschen? Wäre es möglich ein Argument zu gebrauchen, das besagt, dass Menschen durch Internetkommunikation gar nicht mehr inkludiert werden können?“
Ja gibt’s. Menschen als Menschen, also als biologisch-psychisches Systeme, können weder durch das Internet noch durch Kommunikation in einem physisch/technischen Sinne inkludiert werden. Menschen können vereinfacht ausgedrückt nur über die soziale Konstruktion in Form der Person inkludiert werden. Wenn Sinngehalte einer Person als Anschlusspunkte für weitere Kommunikation verwendet werden, dann würde ich von Inklusion sprechen. Dass man heute bei Kommunikation via Internet Gefahr läuft statt mit Personen mit Maschinen zu kommunizieren, dieses Risiko muss man wohl oder übel eingehen oder es lassen.
„Technik als Kommunikationsblockade zur Verkomplizierung des Lebens“
Welche empirischen Anhaltspunkte hast du um Technik so zu verstehen? Ich kann mir gerade nicht vorstellen, was für Behinderungen du im Sinn hast.
„Das Internet wäre dann nicht Hilfe oder Heil, weil damit ja auch das Gegenteil erwägbar wird, sondern eine Behinderung, durch welche die Erfolgsbedingungen strukturiert werden, die festlegen können, was sich in der Folge durch Überwindung dieser Behinderung noch als haltbare Kommunikation erweisen kann.“
Wenn ich an anderer Stelle geschrieben habe, dass das Internet nichts entscheidet, dann bedeutet das auch, das Kommunikation im Internet – gerade wenn man Diskussionen in irgendwelchen Internetforen im Blick hat – kaum ernsthafte Konsequenzen hat – weder im Internet noch auf soziale Situationen außerhalb des Internets. Deswegen betrachte ich das Internet als eine große Spielwiese zum Antesten der unwahrscheinlichsten Kommunikationsangebote. Den Erfolg derartiger Kommunikationen würde ich eher daran ablesen, ob sich die auch in Kommunikationszusammenhängen außerhalb des Internets durchsetzen. Die Frage, ob Technik eine Rolle beim Erfolg spielt, finde ich dem gegenüber sekundär, da ich nicht sehe welche Beschränkungen Technik den kommunizierten Sinngehalten setzen könnte und somit auch auf den Erfolg keinen Einfluss hat. Deswegen würde mich interessieren, was für Behinderung es deiner Meinung nach gibt.
Dieser Betrachtungsweise stimme ich zu, dann gilt aber auch die Betrachtungsweise, dass „Menschen als biologisch-psychische Systeme“ auch nur eine soziale Konstruktion sind, die – wie alles andere auch – wegen ihrer unvermeidlichen Kontingenz sozial verhandelbar, und damit durch Kommunikation auch veränderbar sind. Das heißt: Menschen als biologisch-psychische Systeme gibt es nur dann, wenn es soziale Konstruktionen gibt, die Vermeidungspunkte als Anschlussstellen der Nicht-Leugnung eines solches Sachverhalte erzeugen. Ich meine dies insbesondere auf absehbare Forschungen in der Robotik und der Hirnbiologie, durch die Mensch-Maschine-Schnittstellen in den Körper, ja sogar ins Gehirn hineinverlagert werden. Die daraus resultierenden Problemlagen werden schon erörtert. (Recht und Robotik)
Insofern wäre ein Gehirn mit Internetanschluss nicht mehr nur eine Blödsinnsformulierung, oder besser: bald nicht mehr. Ob Menschen dann noch als biologisch-psychische Systeme apostrophiert werden können? Meine Vermutung geht dahin, dass man das Rätselraten um die Frage was Menschen dann noch sind, aufgibt. Übrig bliebe eine soziale Konstruktion, die Menschen als ein „Irgendwas-da“ in Erscheinung treten lässt.
Dabei geht es um die durch Technikgebrauch erzeugten Risiken und den Umstand, dass es keine Technik gibt, mit diesen Risiken fertig zu werden. Deutlich erkennbar am Problem in Fukushima. Was passiert, wenn in einem Stromkraftwerk, das 100% sicher sein muss, der Strom ausfällt und dann eine Stromquelle benötigt wird, die nicht den selben Sicherheitsvorschriften genügen muss? Tantalosqualen – Die Paradoxie ist die Gefahr
Ein Stromgenerator, der mit Diesel betrieben wird, kann ausreichen, um Brennstäbe in einem AKW zu kühlen. Aber dieser Diesel-Generator muss nicht sicher sein, wohingegen das für ein AKW sehr wohl gilt. Die Technik wird damit selbst zu einer Behinderung für ihren Gebrauch.
Diese Betrachtungsweise löst bei mir ein ziemliches Kopfschütteln aus, deswegen begnüge mich mit Seufzen.
Die größte Behinderung, die durch das Internet entsteht, ist, dass dämonisch eine Aufforderung zur Neuverhandlung von Gesellschaft durchgesetzt wird, nach bekannten Erfahrungen ist es aber nicht möglich, dieser Aufforderung nachzukommen, zumal diese Erfahrung durch Internetkommunikation wiederum selbst zustande kommt. Und wie man an deiner Bemerkung über das Internet als Spielwiese bemerken kann, sind die Erwartungen an den Vermeidungsstrukturen funktionaler Systeme noch so groß, dass es besser ist, ich trinke heute Abend Flasche Wein statt deswegen zu weinen.
„Deswegen betrachte ich das Internet als eine große Spielwiese“
Lilly und Lolly gingen aus Spaß in den Wald. Aus Spaß wurde Ernst. Als Ernst geboren wurde, weigerte sich Lolly Alimente zu zahlen. Er sagte, wer wollte nur Spaß machen und nicht Ernst.
„Meine Vermutung geht dahin, dass man das Rätselraten um die Frage was Menschen dann noch sind, aufgibt. Übrig bliebe eine soziale Konstruktion, die Menschen als ein “Irgendwas-da” in Erscheinung treten lässt.“
Völlig d’accord. Ich würde nur ergänzen „irgendwas-da-in-der-Umwelt“. Auch wenn man es irgendwann in der Zukunft mit einer Art Cyborg zu tun bekommt, er bleibt immer noch Umwelt für soziale Systeme. Ob der Umstand, dass sich Mensch-Maschinen-Hybride an Kommunikation beteiligen, für Kommunikation irgendeine Relevanz besitzt, wird sich dann zeigen.
„Diese Betrachtungsweise löst bei mir ein ziemliches Kopfschütteln aus, deswegen begnüge mich mit Seufzen.“
Ok, versteh ich zwar nicht. Aber nun gut. Immerhin konnte ich mir nur in dieser Betrachtungsweise die Funktion deines Blog erklären.
„Und wie man an deiner Bemerkung über das Internet als Spielwiese bemerken kann, sind die Erwartungen an den Vermeidungsstrukturen funktionaler Systeme noch so groß, dass es besser ist, ich trinke heute Abend Flasche Wein statt deswegen zu weinen.“
Anscheinend hast du noch nicht allzu viele Erfahrungen mit Konditionalprogrammierungen gemacht. Deswegen lass dir mal von jemandem, der berufsmäßig jeden Tag mit Inklusionsproblemen zu tun hat, folgendes sagen: Wer der Meinung ist die Konditionalprogrammierungen und damit die Inklusionsbedingungen von (vornehmlich Organisations-)Systemen nicht ernst nehmen zu müssen, der braucht sich nicht wundern wenn’s mit den Anschlüssen nicht klappt.
Veränderung geht nur von innen heraus. Die Pose des Totalverweigers ist nur eine Vermeidungshaltung um nicht in die Verlegenheit zu kommen Handeln zu müssen. Ich hoffe du verstehst das nicht erst in 10 oder 20 Jahren. In diesem Sinne Prost!
Andererseits würdest du wahrscheinlich ehrlicher zu dir selbst sein, wenn du weinen würdest. Das Verzweifeln an der Welt ist eine starke Pose und das Weinen der Ausdruck dieses Gefühls. Dass das ziemlich arrogant und anmaßend rüberkommt, ist dir hoffentlich bewusst. Aber die Welt, die du siehst, hast du dir selbst geschaffen. Insofern wäre Weinen kein Ausdruck des Verzweifelns an der Welt sondern ein Verzweifeln an dir selbst. Trinken dagegen wäre nur der Versuch dieses Gefühl zu verdrängen. Also lass es raus und ändere dich selbst, dann sieht die Welt nicht mehr so scheiße aus und nichts für ungut. Ich hoffe du verzeihst mir diese Offenheit.
P.S.: Hast du schon mal den Film ‚Shutter Island‘ gesehen? Wenn nicht, unbedingt anschauen.
Stimmt. Ich würde das nur umkehren und sagen: wer dieser Meinung ist, hat allen Grund sich zu wundern, wenn die eigenen Erwartungen nicht erfüllt werden. Und sich nicht zu wundern heißt, die Ernsthaftigkeit der eigenen Erwartungen maßlos zu überschätzen. Das heißt: die Wissenschaft besteht nicht darin, der Organisation zu dienen, zu gehorchen, ihr zu folgen, sich ihr zu unterwerfen. Der Trick ist, sie durch Dienstbarkeit, Gehorsam, durch Folgsamkeit, durch Unterwerfung auszutricksen. Das ist schwer; so schwer, dass es allzu verführerisch ist, der eigenen Schwäche nachzugeben und Arroganz als Rüstung, als Selbstschutz zu gebrauchen. Macht besteht nicht darin, die eigene Konditionierung als opportunistische Ausrede gegen die Möglicheit der Selbstbeobachtung zu benutzen, was nämlich bedeutet, die eigene Machtlosigkeit als Rechtfertigungsgrund für die Macht der Organisation zu nehmen. Die Selbstbeobachtung und der Versuch ihrer Deblockierung, sobald sie erfolgt, ist das, was nicht nur einem Wahrheitssucher geziemt, sondern ist der Fall jeder normalen, aber unwahrscheinlichen Sublimierung. Leider aber, wenn Sublimierung geschieht – psychisch für den Einzelnen und sozial, sobald ein Vorgang der Metanoia eingeleitet wird – gibt’s keine Zeugen, weil die Beobachtung der Deblockierung der Beobachtung nur die Eigengesetzlichkeit der Beobachtung feststellt, also nichts, was ohne dies unbekannt wäre. Deshalb weiß niemand worum es geht, wenn es geht. (Die Welt hat zwei Seiten, aber nur an einer kann man scheitern. Und beide Seiten zu bemerken ist nur eine mögliche Unmöglichkeit ohne Relevanz für Sinnverstehen.)
Deine offene Arroganz ist nicht nur zulässig, sondern auch verzeilich. Sie ist der zivilisatorische Gradmesser für die Unhaltbarkeit all dieser Ansprüche, die niemand erfüllen kann, um so mehr, wenn höchst unterschiedliche Sanktionsrechte durch Organisationen auf alle Beteiligten verteilt wurden, so dass die Konditionierungsprogramme eine soziale Realität erzeugen, die sich durch ein höchst wirres und unauflösbares Gefüge von Interdependenzen auszeichnet, welches es immer unwahrscheinlicher macht, dass das, was durch diese Verworrenheiten inkommunikabel wird, dazu beitragen könnte, die soziale Natur dieser Realität zu durchschauen. Und wenn dir die Scheiße aus den Ohren kommt: einfach abhauen und Türenknallen ist in Hinsicht auf die Schwäche akzeptabel, aber nicht in Hinsicht auf das was, wodurch die Schwäche bemerkbar wird. Der Härtetest ist dann aber nicht die Fortsetzung der Kommunikation, sondern der Angstverlust vor Introspektion. Die Kommunikation kann man dann fortsetzen, wenn die Introspektion eine zeugenlose Erkenntnis geschaffen hat. Nachteil: ohne Zeugen keine Bestätigung. Vorteil: ohne Zeugen keinen Zweifel.
Eine “knifflige” Frage, zumal ich selbst immer unsicherer werde, was ich unter “Technischem” verstehe. Ich weiß primär, was ich “nicht” fortschreiben möchte: die von Dir erwähnte Prothesen-Metaphorik, Zweck-Mittel-”Logiken”, usf.
Zugleich besteht [bei allem Dissens hins. Konstruktivismus, Marxismus, Fokussierung auf Formulierungsweisen, u.ä. zwischen Rolf und mir] Konsens, daß in der Bielefelder Systemtheorie Technisches eher “marginalisiert” wurde (funktioniert / funktioniert nicht, Thema von Risikokommunikationen, Einrichtung von begrenzten Kausalkontexten, etc.) – und das obgleich die Moderne ohne Technisches wohl “nicht” konzipierbar ist.
Salopp getextet : “Die Moderne ist (auch und gerade) technisch (zu beobachten) – oder gar nicht.” …
http://kybernetiks.wordpress.com/2012/06/09/uberlegungen-zur-konzeptualisierung-von-technik-versuch-1-3/
[…] dem Artikel Das Internet vernichtet Öffentlichkeit hat es in diesem Blog eine lange Diskussion gegeben, die sehr viel Unübersichtlichkeit zustande […]
[…] auf Kritik verzichten will noch niemand so recht. Also setze ich mich mit meiner These von der Vernichtung der Öffentlichkeit eben dieser halsstarrigen Kritik aus, um zu schauen, was an Kritik noch anfällt. Und wie ich […]
[…] Diese Vermutung ist gar nicht so abwegig, wenn man darauf achtet, dass inzwischen sogar von einer Mega-Öffentlichkeit geredet werden […]
Woher stammen die Hoffnungen die man in Öffentlichkeit setzen wollte und warum bleiben diese Hoffnungen stabil, obwohl seit langem erkennbar war, dass Öffentlichkeit eine Gefahrenzone ist, der nur Wenige, Privilegierte entkommen können, also nur solche die sich auf Öffentlichkeit einlassen und trotzdem allen möglichen Schaden vermeiden können, sei es durch Geldvermögen, durch Gesetze etc. Es waren ja immer faustische Einzelpersonen, die der unmündigen Masse mit Misstrauen oder Vertrauen begegneten. Dies jedenfalls ergab sich aus dem massenmedialen Dispositiv, welches ja selbst nicht faustischen Ursprungs ist.
Was wäre aber nun, wenn diese Fiktion allen ungehindert zugänglich wäre? Wenn jeder schadlos davon kommen könnte? Ohne Schutzgesetze, ohne Geldvermögen, ohne Machteinfluss? Wenn sich jeder entziehen könnte? Wenn niemand mehr sanktionsfähig ist, weil alle Sanktionsversuche sich aus einer „filterbubble“ ergäben, die keiner kennt?
Öffentlichkeit war immer eine gleichermaßen erwünschte wie verhasste Fiktion. Sie war gleichermaßen der Anlass für Selbstreflexion, durch welch sich alle Selbstreflexitivität zu erproben und zu steigern hatte wie sie auch immer Projektionsfläche war für jede Selbstentlastung. Furcht und Hoffnung in Hinsicht auf Masse und auf die durch sie entstehende Öffentlichkeit garantierten nicht nur Machtverhältnisse, sondern immer auch ihre Transzendierung durch die Methode der Kritik, durch ständige Erprobung dieser Verhältnisse.
„Du bist bist nicht allein“ – affirmativ-tröstende Selbstkritik, die ihr Gegenteil als Unverfügbarkeit individuell verfügbar macht: du bist allein! Denn dagegen hilft nur eine sozial taugliche Fiktion.
Die gesellschaftliche Funktion, die durch die moderne Form von Öffentlichkeit hergestellt wird, liegt „in der Beteiligung aller an einer gemeinsamen Realität oder, genauer gesagt, in der Erzeugung einer solchen Unterstellung, die dann als operative Fiktion sich aufzwingt und zur Realität wird.“
Niklas Luhmann: Gesellschaftliche Komplexität und öffentliche Meinung. In: ders.: Aufklärung 5, Konstruktivistische Perspektiven 4. Aufl. 2009, S. 170 -182, S. 181.
Das wichtige daran ist, dass auch die Bedingungen hergestellt werden müssen, die für Partizipation und damit für die Herstellung einer solch mächtigen Fiktion garantieren. Diese Bedingungen sind besonders an Sanktionsrechte geknüpft, die auf alle verteilt werden müssen. Aber diese Bedingungen sind nicht bliebig herstellbar oder einfach gegeben. Sanktionsrechte müssen z.B. erobert, angeeignet und zugeeignet werden. (Verrechtlichte Verrechtlichung.)
Wir beobachten mir der Internetkommunikation aber einen Verzicht auf Sanktionsrechte. Kommunikation kann dann immer noch funktionieren, aber die Unstellbarkeit eines gemeinsamen Raumes, einer gemeinsamen Realität, eines gemeinsamen Erlebens ist nicht so einfach herstellbar, weil man sich durch Bildschirmfesselung allen solchen Zudringlichkeiten leicht und effektiv entziehen kann.
Man kann das leugnen, aber das geht ganz leicht: durch Selbstentzug, der durch Bildschirmfesselung ganz leicht möglich wird.
Öffentlichkeit kann dennoch als Fiktion erhalten bleiben, aber die Wirkmacht dieser Fiktion ist enorm fraglich.