Magie, Assoziologie und Exoterik
von Kusanowsky
Ein landläufiger und zugegebenermaßen recht unentwickelter Begriff von Magie wir gewöhlich mit Esoterik assoziiert. Die Berechtigung dieser Möglichkeit könnte man aus der funktional-diferenzierten Gesellschaft ableiten, deren Organisationssysteme esoterisch durch Exkludierung funktionierten. Ein neuer Begriff von Magie müsste auch darauf verzichten, ein Rekonstruktion der Transitivität von Geist und Materie inklusive der affektiven Besetzungen zu postulieren, da dies für die moderne Naturwissenschaft schon beinahe, wie etwa in der Genetik oder der Quantenphysik, entwickelt ist, nicht auch zuletzt deshalb, da die moderne Wissenschaft ihre Herkunft dem Bereich der frühmoderen Magie verdankte, also einem Zeitraum, in dem es noch keine funktionsfähige Erklärung für empirische Forschung, bzw. transzendentale Theorie gegeben hatte.
Dementgegen scheint ein Begriff von Magie erst unter Berücksichtigung der exoterischen Selbstorganisation der Internetkommunikation und der sog. Cybertechnologie wieder relevant werden zu können.
Traditionelle magische Vorstellungen hinsichtlich einer Präferenz für subjektmäßiges Erkennen ließen folgend Zusammenhänge erkennen:
1. Als sprechende Wesen werden Menschen gleichwohl dauernd „besprochen“ (wie ein Grundwort der Magie lautet). Wahrnehmungsgehalte sind durch ihre jeweilige affektive Besetzung in ihrer Inhaltlichkeit mitgeprägt.
2. Wenn etwas überhaupt wahrgenommen wird und wie es wahrgenommen wird, bleibt nicht folgenlos für das, was man vom Wahrgenommenen wahrnehmen kann.
3. Die jeweiligen Wahrnehmungen unterstehen dabei den Gesetzen einer Beobachtungslogik, hängen also damit zusammen, wie das Bild des jeweils wahrgenommenen Gegenübers innerhalb kombinatorischer Zusammenhänge mit anderen Bildern zur Geltung kommt.
4. Magie besteht nicht in Zauberei, sondern einzig darin, die Eindrücklichkeit von etwas methodisch herbeizuführen oder zu steigern, so dass sich das rezeptive Medium in gewünschter Weise durch diesen starken Eindruck verändert.
5. Wenn Magie in diesem Sinn sich wesentlich als Sprachhandeln vollzieht, als Beeinflussen und Beeinflusstwerden von Wirklichkeit durch Zeichen, gehört in ihren Bereich natürlich auch die wirkmächtigste Form solcher Zeichen-Magie, wie sie in den Traditionen des Talmud und der Kabbala vorhanden war.
6. Die Nähe nun zwischen Talmud und Internet besteht darin, dass es sich beide Male um ein Meer von Botschaften und Gegenbotschaften, Argumenten und Gegenargumenten handelt, die sich letztendlich nicht ordnen und kategorisieren lassen und so in ihrer Chaotik zu einem Ausdruck unendlicher, also göttlicher Kreativität werden. Eine Disziplin der Kritik reicht dafür nicht mehr aus.
7. Die endlos neue und überraschende Kombinierbarkeit und die damit einhergehende Relativierung der Demarkationslinie zwischen einer Realität des Symbols und einem Symbol der Realität erzeugt die Koinzidenz von Telematik und Magie: „Die Befehle, die man in den Computer tippt, sind eine Form des Sprechens, die weniger eine kommunikative Funktion hat als die, unmittelbar oder mittelbar ein Geschehen zu veranlassen. … Anders gesagt, diese Befehle sind Beschwörungsformeln, und alle, die sich auf der Höhe der technosozialen Megatrends befinden …, wissen, daß die Logik solcher Beschwörungsformeln schnell unser Leben bestimmen wird.“ (1)
8. Eine solchermaßen verstandene Magie der Zeichen ist eines der Hauptcharakteristika der mittelalterlichen jüdischen Mystikform der Kabbala. Cyberianisches Denken geht ganz ähnlich mit den Zeichen um (Stichworteb „Hypertext“, „assoziatives Kombinieren“ etc.); die bislang als stabil geltenden Verbindungen von Wahrnehmung, Zeichen, Ding und Sinn werden verflüssigt und dem eigenständigen Spiel überlassen.
Entsprechend wäre eine exoterische Magie der rhizomatischen Selbstorganisation der Internetkommunikation die Methode einer Assoziologie, innerhalb derer Menschen oder allgemeiner Subjekte nicht mehr als einzige erkenntnisfähige Instanzen eine Rolle spielen. Dies entspricht etwa der Konzeption von Bruno Latour:
(1) Dibbell, Julian: A Rape in Cyberspace. In: Village Voice. 21.12.1993. 42. Zit. nach Dery, Mark: Cyber. Die Kultur der Zukunft. Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf. Berlin 1997. 77. Vgl. dort auch 77-78.
@Kusanowsky : ganz kurze schnelle Zwischenbemerkung: ich habe zwei oder drei grosse Sachen von Latour gelesen, stehen auch hier in den Regalen: Durch Deinen Text ist mir erst jetzt in diesem Moment der Groschen gefallen über die „Gesellschaft der Assoziationen“: als die Einheit aller Subjekte, Unjekte, Catjecte, Tiere, Pflanzen und Mineralien als Assoziologie der gesamten vereinigten und in allem und über alles vereinigten und sachlich, zeitlich und sozial aufeinander bezogenen Welt. Dieser kleine Schock des Erkennens muss sich jetzt aber bei mir erst einmal setzen. Danke.
Wie wäre es mit einer Re-Lektüre von James Joyce und Arno Schmidt, die in ihren späten Werken bereits bis zur Grenze menschlich verdaubarer Radikalität mit einer polysemischen Methode der Anspielung und Assoziation experimentiert haben!?
Gern. Womit anfangen?
Nachdem Luhmann alles unter Aufbietung der achtsamsten Grenzhygiene sorgsam sezierend getrennt und separiert hatte, obwaltet bei Latour nun umgekehrt die republikanisch fraternisierende Umarmungsgeste vor. Menschen gehören nicht zur Gesellschaft sagt der eine. Nicht nur Menschen, Tiere, Dinge, Pflanzen, sie alle gehören sie dazu, haben eine Wahlstimme und sind aufeinander bezogen. Seid umschlungen, Millionen! Stimmt das denn, hat wirklich alles mit allem zu tun? Oder vereinigt bloß der Tatbestand, das alles mit allem, nicht mal mit sich selbst, wirklich in innigem Zusammenhang steht?
Läßt sich nicht nur das irreparabel Vereinzelte und Versprengte überhaupt assozieren und invisibilisiert jede Assoziation nicht jedes mal aufs Neue diese Aspekt der heillosen Un-Assoziierbarkeit von unverbrüchlichen Einsamkeiten?
Oder anders: Wird im assoziologischen Phantasma ein nicht nur rouseauanischer Romantizismus, sondern auch ein aufgewärmter Freudo-Platonismus (Der Eros bei Freud, sehr platonisch: „der Trieb, die lebende Substanz zu erhalten und zu immer größeren Einheiten zusammenzufassen“) erkennbar?
Dem dritten Kapitel des Ulysses zum Beispiel.