Der Troll, seine Ironie und der Verlust der intersubjektiven Distanz
Jeder kennt aus dem Alltag Situationen, in denen man ganz leicht eine Differenz zwischen Handeln und Verhalten bemerken kann. Erstaunlicherweise kann das dazu führen, dass man treffsicher das Gegenteil von dem versteht, was gesagt wurde, weil man versteht, dass mit einer Differenz zwischen Handeln und Verhalten auf ein Missverständnis vorwegnehmend reagiert wird: „Das ist mein bester Freund!“ – Man bemerkt damit einen Anflug von Feindseligkeit, weil dies aus dem Kontext hervorgeht, den diese Aussage schon mitreflektiert. Etwas ähnliches kann auch beim Lesen von Texten funktionieren, Künstler, Dichter, Komödianten spielen mit solchen Vedrehungen, aber schon dann werden solche Versuche riskant, weil man den Kreis der Empfänger nur ungenau kennt, wogegen der Absender solcher Offerten immer adressierbar ist; und es ist dann eine Frage der eingesetzten Riskiobereitschaft, mit der überprüft wird, ob eine solche intersubjektive Distanz noch treffsicher akzeptabel ist. Dieses Risiko war deshalb immer sehr groß, da die Verbreitung von Dokumenten aller Art nur mit sehr viel Kostenaufwand zustande kam und das Scheitern aufgrund einer nahezu vollständigen Intransparenz der Verstehenszusammenhänge beinahe wahrscheinlicher war als das Gegenteil. Man denke etwa daran, dass das Satiremagazin Titanic eine hoch kompetente Rechtsabteilung unterhalten muss, um ein solches Risiko, auf das Satire niemals verzichten kann, noch eingehen zu können.
Wenn nun, wie im Fall der Internetkommunikation, nur eine vollständige Intransparenz der Verstehenszusammenhänge auch noch verknüpft wird mit einer Intransparenz von Adressreferenzen, dann dürfte eine intersubjektive Differenz gänzlich verschwinden, oder verliebe allenfalls noch als kontingente Möglichkeit, welche aber vollständig unzuverlässig ist.
Hier ist ein Beispiel dafür:
Der Zusammenhang dürfte hinreichend bekannt sein: zwei für einander unbekannte Menschen kontaktieren sich per Google+, verwickeln sich in Kommunikation und testen, ob sich eine intersubjektive Distanz, also eine gegenseitig zugestande Differenz von Handeln und Verhalten noch bemerken lässt. Und die Antwort lautet: man kann es nicht mehr herausfinden. Es bleibt nur die Mutwilligkeit einer Unterstellung, die man mit einem Verdacht versehen kann, ohne, dass über diese Möglichkeit hinaus eine weitere zur Verfizierung dieses Sachverhaltes erwogen werden könnte. Denn außerhalb dieses Zusammenhangs sind die beiden Adressen für einander unerreichbar, weil niemand wissen kann, wer der andere ist, oder auf wen die Adresse noch zurück verfolgt werden könnte.
In diesem hier angeführten Fall ist es der Troll „Nils Hitze“, der für sich eine Selbstdistanz in Anspruch nimmt, und dieselbe, nur aufgrund der zugegebenermaßen affektiv unverträglichen Wortwahl des Trolls „martin schaefer“ , seinem beobachteten Beobachter (alter ego) nicht zurechnen will. Es wird also dem anderen Distanzlosigkeit nur unterstellt, ohne wissen zu können oder zu wollen, dass die heftige Reaktion vielleicht auch nur ein Test sein könnte um die Zuverlässigkeit des anderen zu testen. Denn woher könnte der Troll „martin schaefer“ wissen, dass sein beobachteter Beobachter ebenfalls eine Selbstdistanz reflektiert, wenn er sich nicht ebenfalls auf eine Selbstdistanz einlassen würde?
Damit ist keinerlei Gewissheit darüber gewonnen, ob Selbstdistanz noch gegenseitig zugerechnet werden kann. Und die gegenteilige Gewissheit, dass darüber jede Gewissheit verschwindet, zeigt an, wohin die Reise geht
Wie gesagt, die affektive Unverträglichkeit der Wortwahl ist kein letztlich entscheidendes Indiz dafür, dass es sich nicht um Ironie handelt. Und wenn man es auch nicht mehr als Ironie verstehen möchte, so doch wenigstens als Versuch, durch Steigerung von Zumutungen zu testen, mit wem oder womit man es noch zu tun hat.