Der Weg allen Fleisches
von Kusanowsky
Der Weg ist noch nicht sehr deutlich zu erkennen, aber dennoch kann man schon damit beginnen, protosemantische Beobachtungsverschiebungen zu registrieren, die darauf hindeuten, dass sich die kritische Disziplin abzubauen beginnt. Der Weg allen Fleisches (1. Moses 6,12,13; Hiob 16,22) ist auch der sozialen Form der transzendentalen Subjektivität nicht versperrt.
Die Frage, wie dieser Abbau vonstatten geht, hängt zunächst an dem „Was“: was müsste, was könnte durch Internetkommunikation abgebaut werden?
Vermutlich ist ein wichtiger Punkt die Gehorsamsverweigerung, die Sabotage zivilisatorischer Zuverlässigkeit, das Unterlaufen der Erwartungssicherheit bei gleichzeitigem Gewaltverzicht. Dies aber nicht etwa wie im Diskurs um Antiautorität, welcher nur das Autoritätsparadigma rationalistisch perviert hatte, indem durch Gewalt, durch Androhung von Gewalt oder auch durch Erziehungsmethoden, welche ja niemals frei sein können von Gewalt, die Beobachtung einer Paradoxie umgangen wurde. Denn Antiautorität ist eine Widerstandshaltung, die eine Widerstandsgewalt gegen eine andere, gegen die autoritäre Gewalt legitimiert, indem sie diese delegitimiert ohne sie gleichwohl aus der Welt zu schaffen und welche dadurch den antiautoritären Beobachter ins Nirwana verlegt, ihn also für sich selbst unsichtbar macht. Und damit war der Glaube an Antiautorität gleichsam nur der latente Umschlagpunkt einer auf die Spitze getriebenen Rationalitätsbeharrung. Die antiautoritäre Bewegung übte einen perversen Gehorsam. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Differenzierungsstrategien der Habitusbeobachtung konnten sich nur solange auf Menschenvermögen beziehen, wie Menschenvermögen – am Habitus ablesbar – als Kausalnexus der Entfaltung von Gewaltkommunikation verstanden wurde, was übrigens nachvollziehbar wird, wenn man in Rechnung stellt, dass psychische Systeme aufgrund ihrer Körpergebundenheit sehr leicht traumatisierbar sind und darum anfällig für Zurechungszumutungen, bzw. Zurechnungsabweisungen.
Und wo schließlich die Unhaltbarkeit der Antiautorität als pervertierte Autorität erkennbar wurde, wurde gleichsam als immer noch möglicher und schließlich auch als letzter aussichtsloser Ausweg der liebevolle Appell an die zivilisatorische Zuverlässigkeit durch Psychotherapie und ihre küchenpsychologischen Derivate versucht: „Seien wird doch einfach nett zu einander! Ich bin okay, du bist okay …“
So etwas findet man in kommunikationspsycholgischen Trainingsprogrammen aller Art: ob für Sektenmitglieder, Arbeitslose, Manager oder für Papa und Mama. Lass gut sein, lass uns nett sein.
Die Internetkommunikation liefert nun gleichsam den lang gesuchten Ausweg, indem weder durch Gewalt oder aufgrund jeder anderen mangelnden Durchgriffsmöglichkeit, verbunden mit dem Zerfall von Sanktionsrechten, noch durch Appelle Exkludierungen möglich werden: „Wir werden uns nie mehr los“ (Siggi Becker) – jetzt erst geht es, nämlich dann, wenn die Begegnung nicht mehr notwendig ist.
Daraus könnte man die Überlegung ableiten, dass man einen Umbau von Differenzierungsstrategien daran ablesen könnte, wie das Problem der Exklusionsvermeidung, das durch moderne Organisationssysteme hergestellt wurde, in eine Inklusionsvermeidung umgeändert wird, wenn nämlich Kommunikationsofferten nicht mehr auf eine strukturelle Integrität überprüft werden, womit eben das gemeint ist, was man am Trollverhalten feststellen kann: diese Trollerei stört nicht mehr nur die Stimmung, weil keine Stimmungsindikatoren vorhanden sind; es fehlen die Resonanzeffekte öffentlicher Wirkung. Diese Trollerei stört die ungestörten Störungsabläufe. Und mit dieser Durchkreuzung und Sabotage der strukutrellen Integrität fallen nun Formen auf, welche die Strukturen der transzendentalen Subjektivät semantisch aufzulösen beginnen.
Ich frage mich, ob der Troll eigentlich frei ist. Ist er? Ist er ein “Thier, das versprechen darf”? Was kann ein Troll schon versprechen? Verspricht er denn, dass er ein Troll bleiben wird? Oder behält er sich vor, sich auch einmal die Freiheit zu nehmen, mitunter unerwartet “aufrichtig” zu sein? Kann er sich dazu entscheiden, als “transzendentales Subjekt” aufzuschlagen, seine Zelte über Monate stehen lassen, mit sich selbst identisch bleiben und nicht mehr weiterziehen? Ist nicht auszuschließen, oder? „Wir werden uns nie mehr los“ – Die Möglichkeit des treuen Trolls, drollig.
Ist der Troll denn ein Hüter der Auflösung dessen, was du “transzendentale” (über-bissige) Subjektivität nennst? Wie bleibt er dabei aufmerksam und konzentriert? Oder sollte er nicht viel eher und zuerst an seiner eigenen Auflösung arbeiten? Wieso andere stören? Aus aufklärerischem Interesse? Aber woher denn und wieso?
Da scheint doch etwas irritierend zu bleiben.
„Ist der Troll denn ein Hüter der Auflösung dessen, was du “transzendentale” Subjektivität nennst?“
Ich würde diese Trollerei als eine Art Gate-Keeping bezeichnen, eine Zugangskontrolle, an welcher die Gesellschaft vorbei muss, will sie lernen, sich auf das Unvermeidliche einzulassen. Dieses Gate-Keeping bezieht sich auf eine Art der radikalen Versachlichung der Kommunikation. Fremde treten mit Fremden in Kontakt ohne sich durch Orgnisationsstrukturen darüber zu vergewissern, welche Anstandsregeln in dieser Anstalt gelten. Jeder schickt jedem Leserbriefe, jeder kritisiert jeden, jeder darf jedem alles sagen, niemand ist mehr ist mehr unschuldig. Das heißt dann auch, dass die Verhandlungssituation zur Regelfindung von jeder Stelle aus gesehen unbekannt ist. Die radikale Versachlichung würde darin bestehen, alle, sämtlich alle Vorbehalte gegen die Fortsetzung der Kommunikation fallen zu lassen, damit heraus gefunden werden kann, wie es weiter gehen könnte. Eingeschlossen darin selbstverständlich auch die Möglichkeit, einander nach blieben zu beleidigen.
Diese radikale Versachlichung zu garantieren scheint mir der soziale Sinn dieser Internettrollerei zu sein. Und die ersten Fortschritte scheinen sich schon anzukündigen.