Umberto Eco über Assoziologie 1962 „Das offene Kunstwerk“
von Kusanowsky
In seinem Essay „Opera Aperta“ („Das offene Kunstwerk“) skizziert Umberto Eco 1962 eine Poetik der Offenheit bei Schrift- und Kunstwerken (Eco 1962, Eco 1973). Er definiert sie im Gegensatz zur Poetik der Eindeutigkeit, die einer klaren gesellschaftlichen Ordnung entspringt. Wie die Allegorie des Mittelalters besteht das geschlossene Werk aus eindeutigen Chiffren mit enzyklopädisch festgelegten Bedeutungen, es hat eine definite Form und einen eindeutigen Sinn. Das „offene“ Kunstwerk hingegen ist nicht eindeutig, es ist mehrdeutig. Es ist nicht fertig, wenn es den Künstler verlässt. Es fordert den Rezipienten zum Auswählen und Neukombinieren von Bedeutung auf. Erst in der Rezeption vollendet sich das Werk des Künstlers.
Eco: „Der Künstler, so kann man sagen, bietet dem Interpretierenden ein zu vollendendes Werk: er weiß nicht genau, auf welche Weise das Werk zu Ende geführt werden kann, aber er weiß, daß das zu Ende geführte Werk immer noch sein Werk, nicht ein anderes sein wird, und daß am Ende des interpretativen Dialogs eine Form sich konkretisiert haben wird, die seine Form ist, auch wenn sie von einem anderen in einer Weise organisiert worden ist, die er nicht vorhersehen konnte“ (Eco 1973, 55).
Vollständig: slow media
Nur nebenbei sei noch die Beobachtung mitgeteilt, dass bei slow media auf eine korrekte Zitierweise hingewiesen wird, als ob es sich bei einem Blog um ein geschlossenes Werk handeln würde, aus welchem man korrekt zitieren könne. Der Einwand, dass dieser Artikel bei slow media nur die Wiedergabe eines gedruckten Zeitschriftenartikels ist, zeigt nur, wie sehr der Autor die Selbstreferenz verkennt, was ein Argument dafür ist, die streng die Dokumentform noch verwendet werden sollte, obwohl sie längst etwas ganz anderes beobachtbar machen konnte.
Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel, München 1992, S.265 – 267.
Danke für den doppelten Verweis, erstens auf Eco und zweitens darauf, wie er ohne Selbstreferenz gelesen werden kann. Leseweisen sind für den Künstler eben nicht vorhersehbar 😉
Natürlich kann man vorher sehen, dass es unvorhersehbar ist, Unvorhersehbares vorherzusehen. Das Spiel, sich gegenseitig auf Paradoxien aufmerksam zu machen, wird langweilig sobald die Spielregel akzeptiert ist. Wird sie nicht akzeptiert, wird sie also nicht selbstreferenziell beobachtbar, so wird das Spiel dämlich.
„zeigt nur, wie sehr der Autor die Selbstreferenz verkennt“
Ich bin verblüfft darüber, dass du anzunehmen scheinst, man könne Selbstreferenz -als sie selbst – erkennen.
Ist nicht gerade Selbstreferenz das, was sich immer nur in Gestalt von etwas Anderem zeigt? So dass sie einem immer gerade dann entwischt, wenn man am sichersten ist, man habe sie erkannt?
Ja. Genauso ist es.
Jede Kommunikation ist auf ein decorum angewiesen, also auf das, was in der antiken Rhetorik als das Ziemliche betrachtet wurde, als das Schickliche und Angemessene, welches selbst natürlich nur durch Kommunikation zutage tritt und dabei Zeichen bereitstellt, die anschlussfähig definieren, welches Verhalten in welchen Situationen erwartet wird und als angemessen gilt. Dieses decorum definiert zugleich eine Kultur, wenn seine Zeichen untereinander in Verbindung stehen und die verschiedenen Verhaltenserwartungen zueinander in ein auf Stichwort abrufbares Verhältnis setzen, das seinerseits durch Krisenerfahrungen geprägt sein kann.
„Nach der Einführung der drei Buchstaben www ins Vokabular unseres Verhaltens war klar, daß unsere Beziehung zur Welt sich verändert hatte.” Vgl. de Toledo, Camille: Goodbye Tristesse. Bekenntnisse eines unbequemen Zeitgenossen. Leipzig 2005, S. 107.
Wie verhält es sich dann aber mit jeglichem didaktischen Aufweis, der für sich in Anspruch nimmt, auf Selbstreferenz in ihrer Reinform hinzuweisen („Hier zeigt sich, seht ihr, die Selbstreferenz!).
Zeigt sich darin nicht auch nur, wie sehr der Autor die Selbstreferenz verkennt?
Dass sie nur verkannt werden k a n n ? Am meisten jedoch immer dann, wenn sie vermeintlich dingfest gemacht worden ist?
Oder anders: Selbstreferenz tritt am reinsten dort auf, wo ihr keinerlei Beachtung zuteil wird.
Gewiss. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass ich deine Kommentare selbst schreibe. Denn wer sollte sie sonst geschrieben haben? Wird damit nicht deutlich, dass alle Selbstreferenz durch die Kommunikation immer schon berücksichtigt und bemerkt worden ist, bevor man ihre mögliche Unmöglichkeit festellen kann? Wenn alles, was festgestellt wird, schon festgestellt wurde? Und ich frage mich, wann der Punkt erreicht ist, dass es mir peinlich wird, meine eigenen Beiträge unter anderem Namen zu kommentieren, bzw. dir? Es dauert jetzt nicht mehr lange, und dann werde ich zwar immer noch weitere Kommentare unter anderem Namen verfassen, aber freischalten werde ich sie nicht mehr. Mal schauen wie du darauf reagierst: it’s an offer you can’t refuse…
und trozdem verweist die kusanowski´sche blogparade niemals nur auf sich selbst, on and on. das ist schön anzusehn und dann setzt die musik ein.
Verdammte Spiegelwelt.
Suchanfrage: „Klaus Kusanowsky Kohl“. Nur fürs (Such-)Protokoll.
@Kusanowsky
„…aber freischalten werde ich sie nicht mehr. Mal schauen wie du darauf reagierst“-
Wenn ich deine Kommentare, die ich geschrieben habe, nicht mehr freischalte, wirst du wohl einen Kommentar von mir schreiben lassen müssen, dass du damit nicht sehr einverstanden sein kannst und du doch wieder meinen Kommentar von dir schreiben mußt, weil „das ist schön anzusehn und dann setzt die musik ein“ – wie bei jedem Kusanowsky-blog, egal wer der Sebstreferent heute ist und ob ich ihm entwischen konnte oder er mir.
Umberto hat sich da schon was einFallen lassen, versteht ja auch was vom Einfallen. Das bleibt wohl auch sein Werk, egal ob vor oder nach welchem „interpretativen Dialog“, denn das ist voraussehbar wie die Tatsache, daß der Dialog immer interpretativ ist.
Jedes Kunstwerck muß um als Kunstwerck erfolgreich zu sein nicht nur dem Code der Kunst folgen, sondern auch Anforderungen an Originalität und Innovation Genüge tun. Diese Vereinigung von thematisch-protoassoziativer Offenheit und funktional-technisierter
Geschlossenheit wird ergänzt und gründlich gesättigt durch den jeweiligen Context des Werckes, vor dem es sich als neue Figur absetzen kann, erfüllt das Gedächtnis. Es sorgt für die jeweilig specifische Wiederbeschreibung des Systems, die es jedem Kunstwercke ermöglicht, sich in die artikulierte Kette von Traditionen zu stellen oder eben mit einer solchen zu brechen (was am Ende und unter uns auf’s selbe hinausläuft). Die Offenheit ist das Specificum des Werckes. Wichtig für den Anschluß des Kunstwerks an andere Kunstwerke und die Möglichkeit potentiell unendlicher zukünftiger Anschlüsse ist Gestaltung von Context. Das geschieht derzeit überall und mehr denn je (Stichtwort: Eli Pariser und die jüngst flottierende Kappes’sche Kritik daran). Hier auch.
http://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelstadium
Jedes Kunstwerk ist die Offenbarung der dahinter liegenden in sich gekrümmten Selbstreferenzialität als Struktur, die eben nur dadurch erkantn werden kann. Den Moment der Phasenumwandlung durch die Zeit hinweg ewig prolongierend. Durch ihre In-Sich-Geschlossenheit grenzt sich Kunst von ihrer Umwelt ab, kapselt sich ein. Dadurch kann man Epiphanie einkochen. Ein schönes Glas Epiphanie wenn einem danach hungert. Neee. So einfach ist das nicht. Ein Kunstwerk ist eine Nuss, die nur betrachtet, nicht aber geknackt werden kann. Vorsicht! „Kann Spuren von Nüssen enthalten“ steht auf der Welt. Und? Was passt gut zu Nüssen? Genau! Wein und Käse. Also schön #Wein und Käse rangeschafft und bei einer guten Zigarette mit Freunden über Kunst sprechen. Ha, ha. Und plötzlich: Woody Allen. C’mon!?
siehe auch #“Eleganter Unsinn“ von #Alan Sokal und #Jean Bricmont, Untertitel: Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften misbrauchen; C.H. Beck München (1998/1999).
typisch: systemtheoretische Scholastiker erkennt man daran, dass sie zwar den Unterschied zwischen „verstehen“ und „missverstehen“ so genau nicht mehr treffen können, den Unterschied zwischen „gebrauchen“ und „missbrauchen“ ist für sie aber noch eindeutig erkennbar. Woran das liegt? Die Schule betreibt zwar auch Missbrauch, nur braucht sie sich darüber nicht belehren zu lassen, weil sie noch von der Möglichkeit Gebrauch machen kann, sich einer solchen Belehrung zu entziehen. Denn siehe: das (Schul-)System irritiert sich niemals über sich selbst, solange es sich selbst auch als Umwelt seiner selbst beschreiben kann.
Die Leitmotive der folgenden Vorstellungsreihe werden von der V(ersuchs)P(erson) selbst als »heraldisch« bezeichnet. In ihnen tritt zugleich die Vorstellung rhythmisch bewegter Wasserflächen, die sich dann längere Zeit behauptet, zuerst auf das visuelle Spiegelverhältnis heraldischer Embleme, die verschobene Entsprechung, die ebenso wie auf Wappen in den Spiegelbildern des Wassers begegnet, wird von der V.P. mit dem Vers ausgesprochen:
»Wellen schwappen – Wappen schwellen.«
Diese Wortfolge kam als die letztlich befriedigende nach mehreren anderen Versuchen. Die V.P. legte größtes Gewicht auf diesen Vers in der Überzeugung, daß hier die gleiche Spiegelsymmetrie, wie sie Wappen- und Wellenbilder beherrsche, auch in der Sprache – und
zwar nicht etwa nachbildend, sondern in originärer Identität mit dem optischen Bilde – zum Vorschein komme. Die V.P. doziert nachdrücklich: »quod in imaginibus, est in lingua«.
Egon Wissing: Versuchsprotokoll Vom 7. März 1931, Walter Benjamin, 9 h, eine Kapsel, erste Wirkung 11 h.
In: Tiedemann/Schweppenhäuser (Hg.): Walter Benjamin – Gesammelte Schriften, Band VI, Frankfurt am Main 1985, S. 594.
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[…] wichtigen und interessaten Implikationen einzugehen. Das schöne an einem Blog, dass es ein “offenes Kunstwerk” (Umberto Eco) ist, ein Endlostext ohne Anfang und Ende, der keinen eindeutigen Autor hat, […]
Hat dies auf akzidenzen rebloggt.
[…] und die künstlerische Freiheit wahren will, droht die Rechte mit Totalschaden. Schluss mit offenen Kunstwerken. Schluss mit dem offenen Gespräch. Schluss mit der offenen Gesellschaft. Kunst kommt von können […]