Logos und Ludus. Eine Meditation über Narrenfreiheit und Internetkommunikation 1
von Kusanowsky
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Die Gugel war war ein Kleidungsstück, das irgendwann im späten Mittelalter aufkam. Es handelte sich dabei um einen Kapuzenmantel, der aus einem Stück genäht war, wahlweise mit und ohne Zipfelabschluss und welcher im Laufe der Zeit von verschiedenen Personen und zu verschiedenen Anlässen getragen wurde. Die bekanntesten Varianten wurden von Narren und Mönchen (Kukulle) verwendet; und es wäre eine sehr einseitige, vulgär-materialistische Interpretation, wenn man das Kleidungsstück nur als nützlichen Schutz gegen Kälte und Nässe ansehen würde.
Die Schutzfunktion des Kleidungsstücks bestand eher in der Abschottung des Gesichts gegen die Außenwelt, der Maskierung, der „Abschirmung“ als Versteck des Gesichts, was sich daraus ergibt, dass der Träger die Kapuze nur entfernen kann, wenn er das ganze Kleidungssstück auszieht. Die Bedeckung ist damit gegen den Zugriff anderer wirksam geschützt, das Gesicht kann nur durch Selbstentlarvung offenbart werden. Aber dieser Schutz bezieht sich wohl auf den ganzen Kopf, diese kugelige Extremität am oberen Ende des menschlichen Torsos, verstanden als Zurechnungseinheit für Intelligenz, Wahrheit und Witz, aber auch für einen Mangel an alledem. Daher die Geste des „Vogelzeigens„, die ja nicht nur als Beleidigung zu verstehen ist, sondern auch als Mahnung und Erinnerung. So ist der Kopf des Narren genauso gegen solche Zudringlichkeiten immunisiert wie der Kopf des Mönches, weil beide Figuren gleichermaßen etwas zu verbergen wie zu offenbaren haben, nämliche das Diabolische: das Verdrehen, Verwirren, Durcheinanderwerfen, weshalb beide Figuren in der christlichen Tradition der Gefährdung unterlagen.
So wundert es auch nicht, dass in unserer Zeit beide Figuren in der, ebenfalls aus dem Mittelalter stammenden, Allegorie des Todes, in der Karikatur des Sensenmannes zusammengeführt wurden, ein Spaßmacher, der es mit allen unterschiedslos ernst meint, worin sich zugleich der Unterschied zeigt, um den es geht: die ernsthafte Harmlosigkeit des Lebens wie des Todes, welche zu erkennen keine Grenze der Pietät mehr zulässt, ohne damit zugleich jede Pietät zu denunzieren. Vielmehr scheint der Spaß schließlich auch die Erkenntnis des Todes zu überziehen. Eben darin spricht sich die Pietät noch aus, nur so bleibt sie noch erhalten, da die säkulare Gesellschaft schießlich auch noch den Tod zivilisatorisch behandelt, indem er, ähnlich wie die Wahrheit, durch Suizid gewählt oder fortschrittseschatologisch geleugnet werden darf. Und wie bitter solche Paradoxien zu Buche schlagen, kann man schließlich an einem Problem wie „Sterbehilfe“ ablesen, welche die Frage nach dem „donum vitae“ aufwirft, und diese Frage doppelt problematisiert, nämlich als Problem des Einstiegs in das Leben wie des Ausstieges aus dem Leben. Man erkennt unzweideutig: nichts ist wirklich unkompliziert, nicht das Notdürftige und auch nicht mehr das Notwendige. Diese Differenz zeigt das Freiheitspotenzial der Gesellschaft an, welches seine soziale Evidenz umso stärker entfalten kann, da diese Freiheit semantisch nicht allein eine Erfüllung von Hoffnungsversprechungen ist, sondern auch ein Alptraum ist und anders denn als beides zugleich keine Chance auf Bewährung hätte.
Ein Narr auf einer alten Haustür (Kneipe „Kaschemme“) in Brüggen. Quelle: Wikipedia. Man vergleiche das bunte Narrenkostüm mit dem Farbenspiel im Google-Logo. Unten: Martin Luther als Mönch mit Kutte und Kukulle, Kupferstich von Lukas Cranach, 1520.
Reblogged this on Ich sag mal.
„da diese Freiheit semantisch nicht allein eine Erfüllung von Hoffnungsversprechungen ist, sondern auch ein Alptraum ist und anders denn als beides zugleich keine Chance auf Bewährung hätte.“
Und das Internet ist die zeitgenössische Chiffre dieses hoffnungsversprechenden Alptraums.
@Friedhelm – von der schützenden Gugel zu Friedhelm ist es wohl nur ein kleiner Schritt: man sieht sofort, niemand – also ich auch nicht – kann der Versuchung widerstehen, unnötige Scherze zu machen. Also: den hier wollte ich gar nicht machen, als ich anfing, meine schlimmen Finger artig auf die Tasten zulegen. Sagen wollte ich etwa folgendes:
Wenn Hoffnung das Positivum ist, wovon dann der Albtraum eine der möglicherweise kontingenten Negationen der Hoffnung ist, dann wäre diese Unterscheidung, also Hoffnung/Albtraum in vereinfachter Schreibweise nach Georg Spencer Brown (wie soll ich sonst seinen „Haken“ hier machen?) eine FORM. Und wenn und wo man eine FORM vermutet, fragt man sich selbstverständlich sofort in Bezug auf Heider: Eine Form in welchem denkbarem MEDIUM?
Solch ein Heider-Medium muss bekanntlich verschiedene unverzichtbare Eigenschaften aufweisen: „körnig“ soll es sein, also es muss (wie das gröbste Beispiel jedem schnell und einprägsam zeigt: nämlich SAND für Fußspuren als mögliche Formen im Sand) aus möglichst vielen „Elementen“ bestehen, damit überhaupt Formen in ihm sich ausbilden können, (so wie man aus den vielen möglichen Wörtern einer Sprache, als Medium, viele mögliche Sätze als Formen im Medium dieser Sprache bilden kann). Das Medium muss auch naturgemäss „dauerhafter“ sein als die sich in ihm bilden könnenden Formen. (Siehe den Sand für die Fußabdrücke oder die Luftmoleküle für die schallhafte oder auditive Wortbildung als ein Klanggeschehen). Das mag hier genügen.
Ist tatsächlich das Internet ein Medium für die Form Hoffnung/Albtraum? Was wären dann seine körnigen Elemente? Die weltweit in Anspruch genommenen Kabel und materiellen Übertragungswege, (im Falle „wireless“ dann sogar das elektro-magnetische Feld der Physiker)? Oder sind es die realen „Räume“ der Provider, mit ihrer schieren Unzahl der in ihnen gestapelten „Geräte zur Speicherung“? Oder sind es die Provider als Organisationen? Oder sind es die gesetzlichen rechtlichen Vorausetzungen in dieser unserer globalisierten Rechtswelt?
Aber @Friedhelm hatte ja – um genau zu sein – geschrieben, das Internet sei eine „Chiffre“, dass es möglicherweise ein MEDIUM für eine FORM sei, hatte ich ja versuchsweise angenommen. Erfahrungsgemäss weiss ich, dass es oft nicht leicht ist, empirisch dort Medien nachzuweisen, (im Heider’schen Sinne), wo man Formen vermutet (im Spencer Brown’schen Sinne). Es sollte sich einer hier einfinden, der es besser kann als ich. Ich möchte darum bitten.
@Kusanowsky sagt, Narren und Mönche seien potentielle Träger gleicher und gleich kontingenter Eigenschaften, nämlich Verberger oder Offenbarer diabolischer Ansichten und Einsichten, die dann in ihren jeweiligen Milieus (der Königshof für den Narren, der Kirchenraum und die Gedankenwelt des Glaubens und der Theologie für den gläubigen, also auch den zweifelnden Mönch) zu von den jeweiligen Machthabern wenig geschätzten (Äusserungs)FORMEN im MEDIUM der sie umgebenden Macht werden können. Auf jeden Fall müssen beide mit Ambivalenzen rechnen: ihr Leben oszilliert stets zwischen Anerkenntnis aus im Voraus gewährtem Vertrauen oder Verdammnis wegen Grenzüberschreitungen im Amte.
Logos und Ludus, die Vernunft und das Spiel, auch die Vernunft als Spiel, beides können Formen sein im Medium der Kontingenz: die Kontingenz ist immer „körnig“ = (fast) anything goes, und Logos und Ludus, als mögliche Formen, sie sind immer temporalisiert, sie sind immer vergänglich, irgendwann ist in einem jeden Machtraum für einen jeden spielerischen Narren wie für einen jeden gläubigen Dogmatiker oder Zweifler das Spiel zu Ende: entweder erlöst ihn der Tod, oder die Mächtigen werden sich seiner „bemächtigen“, und sei es nur mittels waterboarding. Wer da nicht schwimmen kann, ….
Origineller Titel 😉
Bin gespannt auf die Fortsetzung…
@dieterbohrer
möchtest du immer noch behaupten, du wüsstest nicht, was „Assoziologie“ sein könnte? Jedenfalls, deine gespielte „Ahnungslosigkeit“ war nur ein Trick, oder besser: ein Trick, aber kein „gekonnter“…
@stromgeist – jawohl, ich auch, kann mir nicht denken, worauf er wirklich hinaus will; er wird sich schon wieder eine Überraschung als Thema im Netz zusammengesurft haben, bei seinem Überblick …
Schaun mer mal …
»Wenn wir uns auf die Geschichte des Narrentums beschränken, das auf der Feudalebene angesiedelt war, also auf die Geschichte der Hofnarren, ist zunächst auffällig, dass die Kommunikation von Alternativen alles andere als blockiert war. Es ist offenbar gerade diese Kommunikation, die den Narren am Hofe auszeichnet. Ohne das Rechtsprivileg der Redefreiheit ist der Narr nicht denkbar.«
aus:
Fuchs, Peter: Hofnarren und Organisationsberater. Zur Funktion der Narretei, des Hofnarrentums und der Organisationsberatung, in: in Zeitschrift Organisationsentwicklung 3_02, online: http://www.arf-gmbh.de/tl_files/download/Unternehmen/Vom-Hofnarren-zur-Beratung.pdf
„Da ich nun dergestalt dem Todt entronnen / haette ich bildlich am Ufer auff die Knye fallen / und der goettlichen Guete vor meine Erloesung dancken / auch sonst mein Leben zu bessern / einen Anfang machen sollen / wie ich denn solches in meinen hoechsten Noethen gelobt und versprochen. Ja hinder sich nauß! Denn da man mich fragte / wer ich sey? und wie ich in diese Gefahr gerathen waere? fing ich an / diesen Burschen vorzuluegen / daß der Himmel haette erschwarzen mögen“ — Grimmelshausen, Abentheurliche Simplicissimus Teutsch
Bei der Kommunikation von Ironie tritt das „Was” der Information zurück und das „Wie” der Mitteilung schiebt sich in den Vordergrund: Die Mitteilung wird als Information behandelt.(1) Die gesamte Kommunikation gerät unter Ironieverdacht: Mitteilung und Information stehen fortan in einem Spannungsverhältnis. Nichts ist mehr eindeutig; und dennoch muss man in der Folge irgendwie damit umgehen, dass beide Anschlussmöglichkeiten offen sind.(2)
(1) Vgl. Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation, Frankfurt a. M 1993, S. 102: »Das wird notwendig […], weil die Fremdreferenzseite [also: die Information, nicht im Zitat enthalten] unbestimmbar (unendlich) gesetzt (transzendentalisiert) wird.« Hier lohnt sich offenbar der terminologische Vergleich von Fuchs und Schlegel, denn auch letzter hatte Ironie seinerzeit als »epídeixis der Unendlichkeit« bzw. »transcendentale Buffonierie« umschrieben (vgl. dazu Fuchs, S. 94). Bezeichnend übrigens, dass es der bouffon, der Hofnarr, war, dem es im Rahmen schelmischer Rede als einzigem gestattet war, dem König zu widersprechen.
(2) Konsequent bezeichnet Fuchs (1993), S. 93, die Ironie als »Urfigur des double bind.«
@Klaus: Exakt, feines Zitat¹ … bin gespannt auf den Folgeartikel.
– – –
Fürs Protokoll:
¹ http://sebastian-ploenges.com/texte/Ploenges_Postironie.pdf
@Sebastian: „Ohne das Rechtsprivileg der Redefreiheit ist der Narr nicht denkbar.“
Ohne das Privileg der Freiheit der Lehre wohl auch nicht…
Wie Eulenspiegel in Erfurt einen Esel lesen lehrte ODER: Der Tod als transzendentaler Wetteinsatz närrischer Bildung
Aus dem Frankreich des 14./15. Jh. sind geflügelte Worte in den deutschen Sprachschatz übergegangen. So ist der Scholastiker und kritische Kommentator der Schriften des Aristoteles, Johannes Buridan (1300 – nach 1358), zweimal Rektor der Pariser Universität, entweder selbst Urheber der Fabel von Buridans Esel – was jedoch in seinen Schriften nicht nachweisbar ist -, oder sie wurde von den Gegnern seiner psychologisch-deterministischen Willenslehre erfunden: Der Esel des Buridan steht zwischen zwei gleich weit entfernten Heubündeln, und da er sich für keines entscheiden kann, verhungert er. (Pierre Bayle, Dictionnaire historique et critique 1695/97; Arthur Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, 186o, S. 58)
Günter de Bruyn hat für einen seiner Romane, der die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen schildert, den Titel Buridans Esel (1968) gewählt. Auf Buridan, der in einer seiner Schriften, einem verbreiteten Lehrbuch, simple Regeln für die Anwendung der Aristotelischen Logik empfohlen hatte, wird auch der Begriff Eselsbrücke — für das Einprägen von Sachverhalten mittels äußerlicher Merkmale — zurückgeführt.
gefunden in: Kurt Böttcher, Karl Heinz Berger, Kurt Krolop, Christa Zimmermann: Geflügelte Worte. Zitate, Sentenzen und Begriffe in ihrem geschichtlichen Zusammenhang. VEB Bibliographisches Institut Leipzig, Leipzig 1981, S. 172
tag: Willensfreiheit paradox of choice
http://fragenfragen.wordpress.com/2011/06/21/was-ich-will-paradox-of-choice/
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@Kusanowsky / 22. Februar 2012 13:03:
(der, der nicht streitet, sondern streiten läßt)
„Logos und Ludus, die Vernunft und das Spiel,“ auch:
Das Spiel (des Narren, am Hofe …) als Vernunft :
Die Fabel übt allhier
In Demuth ihre Macht.
Die Wahrheit wird dadurch
auch Fürsten beygebracht.
(G. Böhmer, ein mittelAlter Narren-Stecher aus Schmiedeberg,
fast auch ein Kusanowsky?)
[…] möchte schon vorher wissen, was man erst nachher bekommt. Dieser neue Freiheitsraum ist der des Spiels, der vielleicht erst dann erobert werden kann, wenn das fautische Subjekt auch noch die […]