Wuchernde Systeme ohne negative Rückkopplung
von Kusanowsky
Es gibt in diesen wuchernden Systemen so gut wie keine Funktion negativer Rückkopplung. Man kann Interessantes weiterverbreiten und Beiträge anderer mit einem Klick auf den Like-Button adeln. Einen Dislike-Button hingegen gibt es nicht. Kein Benutzer wird darüber informiert, wenn er von anderen geblockt wurde. Das System bietet nur Funktionen an, die zur noch intensiveren Nutzung des Systems motivieren. Sie animieren dazu, mehr und mehr Menschen zu involvieren.
Und? fragte ich: Das ist doch geschickt. Matana schüttelte den Kopf.
Das scheint so, meinte er. Ausgemachte Sache sei das aber nicht. Fallen im menschlichen Körper die Systeme des negativen Feedbacks aus, wird schnell man ein Krebsgeschwür daraus. Es ist wie eine Umpolung des Wattschen Dampfreglers. Je schneller die Maschine dreht, desto mehr Dampf gibt das Ventil frei. Systemtheoretisch betrachtet, kann ein solches dynamisches System, das sich allein auf positive Rückkopplung stützt, nur in die Katastrophe stürzen.
Benjamin Stein: Replay. Roman, 72.
Gefunden in: Die Dschungel. Anderswelt
Von welcher Art Systemtheorie ist hier die Rede? Immerhin kann man bemerken, dass sich solche Beobachtungen bereits eben dieser Art von Beobachtung aussetzen, deren operativen Vollzug sie durch ihre Verbreitung mitvollziehen. Allerdings man beachte: Der Autor Benjamin Stein empfiehlt noch, ein Buch zu kaufen, das darüber vollständig Auskunft gibt; ein Ware, die man, hat man sie erworben, nicht mehr „disliken“ kann. Man kann sie nicht einmal missachten, sobald man sie beachtet hat. Man kann Geringschätzung äußern, aber wen interessiert das? Und wenn es interessiert, dann kann die Ablehnung nicht mehr abgelehnt werden. (Der Pate: I’m gonna make him an offer he can’t refuse)
Daraus kann man ableiten, wie sehr konventionelle Autoren darauf angewiesen sind, dass sich durch vieler Hände Arbeit (Industria) das Geschwätz der Leute verbreitet, ohne, dass sie auch nur einen Pfennig daran verdienen. Daher auch das Empörungsgeschrei einer Verbreitungsindustrie, die, stellt sie fest, dass die Schwätzer selbst eigne Aufmerksamkeit binden – und damit eventuell auch ökonomisch reüssieren können – Verbots- und Vermeidungsinteressen anmeldet. (Leistungssschutzrecht).
Von diesem Vermeidungsvorbehalt ist in dem Zitat die Rede.
Was verstehen Sie unter einem konventionellen Autor? Einen, der bei einem traditionellen Verlag publiziert, oder einen, der n u r dort publiziert? Letzteres schiede in Steins Fall komplett aus. Des weiteren handelt es sich bei dem Zitat, so habe ich es auch ausgewiesen, um die Äußerung einer Figur.
Unter einem konventionellen Autor verstehe ich einen Autor, der sich selbst als Autor versteht und dabei übersieht, dass alles erzählt werden muss, damit das eine wie das andere als Erzählung kritisiert werden kann: Kritik der Erzählung und Kritik des Autors. Auch der Autor ist eine Figur der Erzählung, aber nicht in jedem Fall eine Figur seiner Erzählung. Überflüssig daher der Hinweis, es handele sich um die Äußerung einer Figur. Ja, was denn sonst? (Und außerdem geht es hier um die Beobachtung, bzw. um die Erzählung einer Theorie und um die Frage, von welchem Beobachtungsdefizit hier erzählt wird und nicht um das, was der Autor wirklich meint.) Es geht um das, was man beobachten und erzählen kann.
Unter einem konventionellen Autor verstehe ich einen Autor, der nicht darauf vorbereitet ist, sich als erzählte Figur erzählen zu lassen, sondern als Erzähler von Figuren, weshalb er beispielsweise Rollenunterschiede in der Erzählung unterbringt, um als Reaktion auf Kritik wiederum als Erzähler der Erzählung zu erscheinen und nicht als Erzählter. So kann man ein Geheimnis aus sich selbst machen, und, wird es gelüftet, behaupten, es sei das Geheimnis eines anderen, einer erzählten Figur, im Unterschied zu einer authentischen Figur, die außerhalb irgend einer erzählbaren Geschichte vorkommt. So kann sich der Erzähler wahlweise ins Spiel bringen oder sich selbst heraus nehmen, was vortrefflich gelingt, da konventionelle Kritiker nach dem selben Schema handeln.
Man merkt all dem an, wie sehr das von Vermeidungssstrukturen („transzendentaler Vermeidungsirrtum“) überzogen ist, eine Beobachtung, die sich in dem Zitat wieder findet.
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