Über das akademische Bluffen
von Kusanowsky
Die Blog-Texte können in jedem Kontext verwendet werden. Natürlich unter der Maßgabe der korrekten Zitation.
Diese Mitteilung findet sich im Blog von Peter Fuchs, einem allseits – und auch von mir – sehr geschätzten Soziologen, der neben seinem Engagement für die Formulierung einer Systemtheorie eine besondere Eigenschaft mit bringt, wohl nämlich die, den Vermeidungsstrukturen der universitären Wissenschaftsorganisation mit etwas Skepsis zu begegnen; und, sollte ich mich darin irrren, jedenfalls durch die regelmäßige Führung eines Internetblogs zeigt, dass die beinahe besinnungslose Verlängerung von Publikationslisten nicht mehr das einzige Mittel der Formulierung von Wissenschaft sein kann, schon allein aufgrund der damit verbunden Intransparenz, die es beinahe unmöglich macht, die Verhaltensmuster des akademischen Bluffens und der damit verbundenen Angeberei zu durchschauen.
Denn das Prinzip „publish or perish“ löst die Intransparenz nicht auf, sondern verhilft ihr nur zu einer reflexiven Selbstlegitmierung und anschließenden Steigerung. Die sich daran knüpfende Maxime lautet: verlängere auf Teufel komm raus die Liste deiner Publikationen und verbreite gleichzeitig die Behauptung, dass es auf Qualität und nicht auf Quanität ankäme, weil du dich darauf verlassen kannst, dass die Menge deiner Publikationen ohnehin keiner lesen kann; und je mehr du schreibst, um so wahrscheinlicher bestätigt sich diese Vermutung. Da alle anderen genauso handeln und du selbst genauso wenig eine Chance hast, die Publikationen aller anderen zu lesen, kann es dir vortrefflich gelingen, einen Kenntnisreichtum zu simulieren, indem du dich auf wenige Zitate beschränkst, welche du obendrein leicht durch ein Zettelkastenprogramm organisieren und verfügbar machen kannst. So kannst du erstens deine Unkenntnis verschleiern und zweitens alle anderen der selben Unkenntnis verdächtigen, ohne allerdings darüber Klarheit zu gewinnen, weil alle anderen an der Verlängerung der Intransparenz genauso mitwirken wie du selbst.
So kommt es in der Wissenschaft dann nicht mehr auf Wissen oder Nichtwissen an, denn beides ist das Produkt von sozialer Wissensproduktion, die nicht allein in der Wissenschaft statt finden kann, sondern darauf, in der Wissenschaft zitiert und wahrgenommen zu werden, was sich in Zitationsnachweisen niederschlägt, welche ihrerseits zur Kenntnis gebracht werden müssen, was so einfach nicht mehr ist. Gelingt dies im unwahrscheinlichen Fall dennoch, so ist Wissenschaft das, was zitiert und bürokratisch abgestempelt, nicht was gelesen, studiert, durchgearbeitet, verstanden wurde, sondern das, was diese Bedingungen der Steigerung von Unwahrscheinlichkeit überwindet. So sind es schon lange nicht mehr die ausgesuchten Köpfe eines herausragenden Geistes, die mit dem Privileg einer einer lebenslangen Alimentierung versehen werden, während aller andere sich um die wenigen Brosamen prügeln, die am Hof eines feudalen „Sonnen-Professors“ von der Tafel fallen, sondern nur wahrscheinliche Personen mit einem durchschnittlichen Intellekt, die sich allerdings immer noch einer stabilen Rechtfertigungsstrategie bedienen können, welche besagt, dass es nur die tüchtigsten, die klügsten, die verantworungsvollsten Leute sind, die diesen „concours“ durchlaufen.
So bleiben Erwartungen übrig, die es aussichtsreich erscheinen lassen, an diesem genauso intransparten Geschehen wie unwahrscheinlichem Gelingen festzuhalten, allen Erfahrungen zum Trotz. Das nenne ich Scholastik, und sobald sie sich zu ihrer Durchsetzung auch noch anderer Machtmittel bedient: Ideologie. Erfahrung spielt da nur eine untergeordnete Rolle, soviel auch immer diese Wissenschaft auf Erfahrung setzen will. Denn Erfahrung ermöglich nicht nur Abweichung von Gewissheiten, sondern auch von Ungewissheiten, Abweichung von Gewohntem genauso wie Abweichung von Ungewohntem. Erfahrung ist das, was sich als Kontingenz bemerkbar macht, welche deshalb nicht nur sehr unwahrscheinliche, sondern nicht selten auch sehr fragwürdige Ergebnisse zeitigen kann. Erfahrung ist immer etwas sehr Unvorhersehbares, etwas, dass für organisierte Regelwerke (und die moderne Wissenschaft ist gewiss das, was man ein organisiertes Regelwerk nennen könnte) höchst anrüchig ist, weil man Erfahrung mit diesen Methoden dieser Art von Wissenschaft nicht beweisen, sondern nur durchsetzen kann. Wissenschaft ist, was durchgesetzt wurde, nicht was sich als Erfahrung niederschlägt. Erfahrung lässt keine Entscheidung zu. Erfahrung ist nicht organisierbar. Was sich nicht durchsetzt, kann zwar gewusst, von dieser Art der Wissenschaft aber nicht anschlussfähig gemacht werden.
So kommt man zu der Vermutung, dass diese Art von Wissenschaft ihre unvorhesehbaren Ergebnisse nicht überdauern wird. Sie produziert Reichtum, Komplexität, Überschuss, aber die damit verbundenen reichhaltigen Möglichkeiten des Erkennes, Wissens, Verstehens, Fertigkeiten können von ihr, aufgrund ihrer Strukturen nicht aufgefangen werden, sondern bleiben vorerst gebunden in einem akademischen Prekaritat, das sich um Vernetzung bemühen muss, weil die Günstlingswirtschaft eines Professorenhofes nur sehr wenige Keimzellen zu einander führt.
Wie sehr diese Dingen ins Wanken kommen können, zeigt das Eingangszitat. Man bemerke den Selbstwiderspruch, der im Zitationsvorbehalt eingeschlossen ist: Zitieren in anderen Kontexten darf erlaubt sein, aber bitte korrekt! Also ob es keine Kontexte gäbe, die auf korrektes Zitieren verzichten müssten. Denn dass in der Wissenschaft nur korrekt zitiert würde, ist eine Lächerlichkeit. Wissenschaft ist der Kontext, indem falsches Zitieren vorkommen muss, damit etwas anderes Gewusst werden kann. Diesen Vorbehalt aber ungeniert zu äußern zeigt zweierlei. Erstens das, was noch nicht gelernt wurde, weil diese Wissenschaft als organisiertes Regelwerk eine Vielzahl von Verboten auspricht, ohne sie selbst einhalten zu können; und zweitens das, was fürderhin zu lernen wäre, dass man nämlich auf solche Verbote auch verzichten kann und dass nur aufgrund dieses Verzichts ein Wissensfortschritt noch möglich ist.
Und ob dies gelernt wurde, kann man nur in Erfahrung bringen, oder auch nicht, was auch heißen mag, dass sich brauchbare Lernerfolge als höchst unwissenschaftlich erweisen können. Aber wer weiß schon so genau, wie lange diese Art von Wissenschaft noch durchhalte- und durchsetzungsfähig ist, wenn die Wissenschaftler bald damit anfangen werden, sich auch an Internetkommunikation zu beteiligen, welche nicht zulässt, dass Verbote, Vorbehalte oder Vermeidungsappelle überzeugungsfähig sind. Man müsste stattdessen wieder mit dem Argumentieren anfangen, was für Scholastiker nicht so einfach ist (wie übrigens für alle anderen auch.)
„die regelmäßige Führung eines Internetblogs zeigt, dass die beinahe besinnungslose Verlängerung von Publikationslisten nicht mehr das einzige Mittel der Formulierung von Wissenschaft sein kann.“
Dem widerspricht meine Beobachtung leider. Die regelmäßige Führung eines Internetblog zeigt vielmehr, dass Mittel und Wege gesucht werden, die Publikationslisten noch schneller und tagesaktueller wachsen zu lassen. Denn viele Wissenschaftler führen ihre Beiträge in Blogs und Foren bereits in ihren Listen an.
Publiziert wird nicht aus Renommee-Gründen, sondern aus Budget-Gründen…
Widerspruch ist zulässig aber aussichtslos. „Denn viele Wissenschaftler führen ihre Beiträge in Blogs und Foren bereits in ihren Listen an.“ Ja, und vorher wurden schon Zeitungsartikel, Flugblattbeiträge, Manuskripte und Gesprächsprotokolle in diesen Listen aufgenommen. Es geht darum, diese Aufmerksamkeitsnachweise ebenfalls zur Kenntnis zu bringen. Vorher waren diese Listen „irgendwie“ archiviert, Anlagen in Bewerbungen; seit es Internet gibt werden diese Listen auf Homepages verbreitet. Aber auch hier wieder: entweder man weiß schon wer es ist, dann erregt die Verlängerung der Listen nicht noch mehr Aufmerksamkeit; oder man weiß es nicht, dann stellt sich die Frage: wie wird man auf die Homepage aufmerksam? Es geht um die Beobachtung von Aufmerksamkeit und ihre bürokratische Genehmigung, ohne welche eine Reputationssteigerung gegenwärtig noch unmöglich scheint. Das blöde ist, dass die Reputation nicht mit der Länge der Liste steigt, sondern mit steigender Reputation verlängert sich die Liste. Warum also nicht gleich ein Blog schreiben? (Kommt noch, dauert noch, weil gegenwärtig die Bürokratie ein Blog noch nicht „abstempeln“ kann.)
„sondern aus Budget-Gründen“ was heißt das?
Scoring-Punkte. Je nachdem, in welcher Zeitschrift und wie viel man publiziert, erhält das Institut, in dem man angestellt ist, Punkte, wonach sich die Mittelvergabe berechnet (http://www.uke.de/aerzte-wissenschaftler/index_73396.php).
@Daniel
Richtig:
„Der (Publikations-) Druck resultiert aus einer Konkurrenzsituation um Personalstellen und Forschungsmittel, bei der seitens der Geldgeber oft anhand von bibliometrischen Kriterien entschieden wird. Wissenschaftler versuchen daher in der Regel, an möglichst vielen Publikationen als Haupt- oder Koautor mitzuwirken.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Publish_or_perish
Gut, aber dann handelt es sich auch nur um eine Strategie der Beobachtung und Kontrolle von Aufmerksamkeit, die schon gar nicht verlangt, dass Publikationen gelesen, sondern nur verzeichnet und durch Verzeichnung zitiert werden. Aber man merkt sehr genau, es handelt sich um ein bürokratisches Verfahren. Das heißt, Wissenschaft ist Textproduktion plus Bürokratie, nicht an Fremdreferenz orientierte Wissensproduktion. Oder besser: das Wissen, das so produziert wird, behandelt Verfahrensfragen der Aufmerksamkeitskontrolle. Die Wissenschaft findet heraus, wie man Aufmerksamkeit steigert, kontrolliert, zurechnet, und welche Hypothesen aufgestellt werden müssten, um dieses Verfahren zu wiederholen zu können. Die Wissenschaft entledigt sich so nach und nach ihrer Fremdreferenz, indem sie Fremdreferenz (das, was über etwas anders als über Wissenschaft Auskunft gibt) marginalisiert und sich an der Verfügbarmachung von Geldmitteln orientiert. Wissenschaft ist somit Wissensproduktion über Mittelakquise. Was spräche folglich dageben, ganz auf selbstreferenzielle Beobachtung umzustellen und zu schauen, ob trotzdem noch fremdreferenzielle Anschlussfindung geschieht? Das geht am besten durch Internetkommunikation, weil sie eine enorme Kostenersparnis nach sich zieht. Aber wie gesagt: wie stempelt man ein digitales Dokument ab, dessen Entstehungskontext nicht gegen nachträgliche Bearbeitung gesperrt werden kann? Durch einen digitalen Stempel? Kann ein digitaler Stempel gegen nachträgliche Bearbeitung gesperrt werden? Und deshalb: Wozu die Segensformel eines Priesters? Wozu ein Stempel? Um Geld zu bekommen? Was wäre, wenn auch Geld nicht mehr allein als staatlich gestempeltes Dokument in Umlauf kommt?
„Das geht am besten über Internetkommunikation, eine enorme Kostenersparnis nach sich zieht. Aber wie gesagt: wie stempelt man ein digitales Dokument ab, dessen Entstehungskontext nicht gegen nachträgliche Bearbeitung gesperrt werden kann? Durch einen digitalen Stempel?“
Wieso muss es ein Blog sein? Warum bspw. nicht online Open Access Journals? Der „Stempel“ ist dann schlicht das Review. Das Problem scheint mir, wie Luhmann beschreibt (GdG), dass sich in der Kommunikation im Medium des Computers die Information von der Mitteilung löst und die zurechenbarkeit auf einen Autor / Urheber verloren geht. Daher sind Blogs oder blogbeiträge eben nicht so richtig wissenschaftlich akzeptiert…
Nachtrag (Quelle):
Dateneingabe und Abrufen von Information (also: Information und Mitteilung) wird soweit auseinandergezogen, dass „keinerlei Identität mehr besteht“ (GdG, S.309). Die Einheit von Mitteilung und Verstehen wird aufgegeben: „Die Autorität der Quelle mit all den erforderlichen sozialstrukturellen Absicherungen (Schicht, Reputation) wird entbehrlich, ja durch Technik annuliert und ersetzt durch Unbekanntheit der Quelle. Ebenso entfällt die Möglichkeit, die Absicht einer Mitteilung zu erkennen und daraus den Verdacht zu nähren (…), (der) zur Annahme bzw. Ablehnung der Kommunikation führen (kann)“ (ebd.).
(Zettel 1602, um die Zitation zu vervollständigen)
„Daher sind Blogs oder blogbeiträge eben nicht so richtig wissenschaftlich akzeptiert…“ sie sind nicht akzeptiert, weil sie durch eine Bürokratie nicht kontrollierbar sind. Html-Datensätze kann die Bürokratie nicht gegen nachträgliche Bearbeitung sperren, daher sind sie eigentlich auch nicht zitierfähig. Der Arbeitsaufwand einer Bürokratie zur zentralen Administration von Blogs, auf welche nur der Adminstrator (z.B. ein Bibliothekar) einen Schreibszugriff hat, dürfte enorm sein. Das größte Verbot der Wissenschaft kleidet sich in eine Paradoxie: alle dürfen mitmachen, aber nicht allen dürfen „selbst“ mit machen.
Open Access Journals wären auch keine Lösung, weil auch sie Texte nur digital archivieren. Es käme darauf an, Texte zur Vernetzung zur Verfügung zu stellen, und zu schauen, wie sich die Texterstellung sozial beobachten lässt. Die Tauglichkeit zur Vernetzung würde das Kriterium der Anschlussfähigkeit und damit auch das Kriterium der Verfizierbarkeit erfüllen. Ähnlich wie bei Wikipedia nur mit dem Unterschied, dass diese edit wars überflüssig sind. Jeder schreibt seine eigene Wikipedia und überlässt es einem sich selbst organisierendem sozialen System Prominenzen zu ermitteln, statt durch Bürokratie wissenschaftliche Wahrheit zu exekutieren, die bei steigender Komplexität nur durch organisierte Schummelei noch möglich ist.
Vielleicht steigt die Akzeptanz von vernetzten Internetdokumenten dann, wenn sich heraus stellt, dass die gegenwärtig betriebene Politik der Stimulierung von wissenschaftlicher Idotie durch Belohnung von Quantifizierbarkeiten größer ist als die Trollkommunikation des Internets. Ich würde es so formulieren: die gegenwärtige Politik treibt die Wissenschaft zur Einsichtnahme in den transzendentalen Vermeidungsirrtum, der besagt, dass man Blödsinnn nicht vermeiden muss, nicht vermeiden kann, nicht zu vermeiden braucht. Man kann ihn erst überwinden, wenn man ihn zulässt, indem er durch Vernetzung von Texten aussortiert wird.
„Die Tauglichkeit zur Vernetzung würde das Kriterium der Anschlussfähigkeit und damit auch das Kriterium der Verfizierbarkeit erfüllen.“
Da wäre ich erstmal skeptisch, auch wenn es sich sehr plausibel anhört. Es klingt erst einmal wie das Prinzip Google-Pagerank: Je mehr Verweise auf eine Seite, desto höher die Relevanz. Ob dadurch Blödsinn wirklich aussortiert ist (Stichwort: SEO), muss man abwarten, ich wage dies zumindest vorerst zu bezweifeln. Denn die Luhmann’sche Befürchtung (siehe meinen Nachtrag oben) beruht auch darauf, dass durch den Computer deutlich mehr (unkontrollierbare und unüberprüfbare) Sinnüberschüsse entstehen (siehe auch Baecker, z.B. „Niklas Luhmann in the society of the computer“). Kann Vernetzung dann das neue Qualitätskritierum sein? Oder ist es in solchen Fällen nicht gerade funktional, auf bürokratische Abstempelei zu setzen, um das Tempo der Kommunikation einzudämmen (Bürokratie als Komplexitätsreduktion). Damit wäre das, was du als dysfunktional bezeichnest, für das System wiederum hoch funktional.
Famos!
Errata:
Ersetze „keiner Publikationen“ durch „deiner Blogartikel“ bzw. generell „Publikationen“ durch „Blogartikel“ und freue dich über die trennscharfe Formulierung des Programms dieses von mir ausserordentlich geschätzen Weblogs.
„Damit wäre das, was du als dysfunktional bezeichnest, für das System wiederum hoch funktional.“ Ich bezeichne das nicht als dysfunktional. Diese Praxis macht deutlich, dass Massenuniversität und elitäre Auswahlverfahren nicht zu einander passen. Aber es funktioniert, solang es funktioniert, aufgrund der Selbstdeterminierung, welche sich dadurch bemerkbar macht, dass kein einzelner etwas daran ändern kann, aber alle wollen es. Es geht noch nicht anders, das heißt es geht immer noch so weiter. In der Wissenschaft findet man das wieder, was man auch an Kapitalmärkten beobachten kann: die Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. Privatisiert wird in der Wissenschaft die Zugangsregelung zu öffentlichen Ressourcen, welche nicht öffentlich verhandelt werden kann, da die Verhandlung von wissenschaftlichen Fragen keine Eindeutigkeit und damit keine Entscheidung zulässt. Sollen Entscheidungen über Beförderung oder Zugang zu Mitteln/Stellen getroffen werden, so muss das Verfahren intransparent funktionieren, was erst geht, wenn der größte Teil von Einspruchsmöglichkeiten exkludiert wurde. Gerade die Guttenberg-Affäre macht deutlich, wie gut die Schummelei funktioniert, denn geschummelt hat ja nicht nur der Kandidat, sondern auch der Professor der ein „summa cum laude“ für Scharlatanerie vergeben hat. Oder handelt es sich bei der Arbeit nicht um Scharlatanerie? Wer könnte das mit Gewissheit sagen? Also wird der Kandidat als Betrüger stigmatisiert womit in der Wissenschaft selbst verheimlicht werden kann, dass der zuständige Professor eine herausragende Arbeit nicht von Scharlatanerie unterscheiden kann. Das heißt: auch der Professor ist ein Scharlatan, aber eine solche „Wahrheit“ ist in der Wissenschaft nicht durchsetzbar, weil nur diejenigen „Wahrheit“ durchsetzen dürfen, die sich durch ein intransparentes Verfahren schon als diejeningen heraus gestellt haben, die keine Schummelei betreiben. (Wenn ein Schummler darüber bestimmen darf wer ein Schummler ist, dann ist der Schummler immer nur ein anderer, oder nicht?)
Bei Vernetzung geht es nicht um die Auflistung nach Aufmerksamkeit, sondern um Verlinkung und Zurückverfolgbarkeit von Texten. Transparenz entsteht dadurch, dass geschummelt werden darf, dass also Texte manipuliert werden dürfen. Und die Frage ist dann nicht, wer dafür bestraft wird, sondern wer eine intelligente Lösung liefert, die vorher noch nicht gesehen wurde, wer also durch Abweichung Reflexivität steigern kann. Alles andere wird dann der Aufmerksamkeit entzogen, und nicht nicht etwa gelöscht ode gar verboten. Ich versuche das gerade bei http://www.luhmann-online.de indem ich Notizen verbreite und darauf achte, ob das jemand weiter verwendet. Es interessiert keinen, was, wie ich vermute, daran liegt, dass ein Interesse daran (Forschung und Neugier) nicht belohnt wird.
„Ein unmanipuliertes Schreiben, Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert. Ein revolutionärer Entwurf muß nicht die Manipulateure zum Verschwinden bringen; er hat im Gegenteil einen jeden zum Manipulateur zu machen.“ – Enzensberger, Kursbuch 20/1970: 166.
http://de.wikipedia.org/wiki/Baukasten_zu_einer_Theorie_der_Medien
Versteh ich nicht ganz. Willst du mir Selbstwiderspruch vorwerfen oder willst du einen Mangel an Selbstwiderspruch deutlichen machen?
Weder noch! Ich wollte nur unterstreichen, daß dein differentia-Blog ganz ähnlich verfährt. Beim Fuchs drüben geraten Information und Mitteilung noch in Konflikt. Hier dagegen werden die Spielregeln in blinkender Neonschrift bekannt gegeben anstatt sie hinter, mit und durch akademischen Bluff zu verschleiern. All das garantiert nicht, daß die Leser die Hinweise als Hinweise lesen, aber das gilt ja immer.
Gut, vielleicht hättest du in deinem ursprünglichen Blogbeitrag stärker auf dieses Thema fokussieren und keinen „Themen-Rundumschlag“ machen sollen, denn so, vermute ich, zielen meine Anmerkungen zum Teil an dem, was du mitteilen wolltest, vorbei? Aber/also: Communication as usual…
„zielen meine Anmerkungen zum Teil an dem, was du mitteilen wolltest“ – das ist eine hübsche Formulierung! Ich schreib auch nicht gern über das, was ich mitteilen möchte 🙂
„All das garantiert nicht, daß die Leser die Hinweise als Hinweise lesen“
Siehe dazu den Kommentar von Daniel:
https://differentia.wordpress.com/2012/01/30/verbot-und-erfahrung-argumentation-und-scholastik-systemtheorie-peterfuchs/#comment-2671
Nachtrag – Beobachte mal diesen Beobachter:
http://quote.fm/differentia.wordpress.com/10591
@ Kusanowsky 14:35
Okay. Das ist bekannt. Und?
@ Kusanowsky 14:37
Interessant – ein Zitatekasten? Das ist mir neu, aber worauf willst du hinaus?
Es wird: „Gelingt dies im unwahrscheinlichen Fall dennoch, so ist Wissenschaft das, was zitiert …, nicht was gelesen … wurde“ zitiert. Zum Glück handelt es sich bei diesem Zitatszitat nicht um Wissenschaft, sondern nur um das Zitieren eines Zitats. (Egal)
Jaja, ihr Metascherzbolde!
Aber
im Ernst: Was kann euch davor schützen,
„wissenschaftlich“
zitiert zu werden?
Das führt zu der Frage, wie man in der Internetkommunikation Inklusion vermeiden kann. Das Thema hatten wir neulich hier:
http://professorbunsen.wordpress.com/2011/12/14/die-nachste-gesellschaft-und-ein-komplexer-regalzufall/#comment-49
Zur Zeit gilt wohl noch, dass man sich der Inklusion dadurch widersetzen kann, indem man dieses Spiel weiter treibt, indem man also nicht wissenschaftliche Texte beobachtet, die die Anweisung dokumentieren „beobachte den Beobachter“, sondern indem man Beobachter beobachtet, die diese Dokumente beobachten. Und vielleicht kann es erst dann eine wissenschaftliche Systemtheorie geben, wenn sie alle ontologische Erwartungen vernichtet hat. Gegenwärtig brauchen Systemtheoretiker noch eine ontisch stabile Umwelt, damit sie zwischen richtig und falsch unterscheiden können. Erst wenn diese Strukturen nicht mehr verlässlich funktionieren, könnte man Theorie operativ organisieren. In der Wissenschaft geht es zur Zeit noch nicht, weil ihre Operativität nur in ihrer internen Systemumwelt beobachtet werden kann; und ihre externe Umwelt ist keine Wissenschaft. Dort müsste sich die Systemtheorie wohl erst attraktiv machen und sie müsste dort attraktiver werden als in ihrer Wissenschaftsumwelt.
Wie das geht wäre zu erforschen, was noch keiner so recht anfangen kann, weil man noch nicht dafür belohnt wird. Man müsste dann eben ohne Belohnung anfangen, und sich dann entziehen, sobald die Attraktivität virulent wird.
Verstehe. Habe mich damals auch schon bei diesem Zettels-Dingsbums angemeldet. Finde es aber leider zu umständlich. Belohnungen? Vielleicht sollte man ein Spiel draus machen.
[…] Differentia denkt Klaus Kusanowsky über „die beinahe besinnungslose Verlängerung von […]
„P.S. Wer den letzten Satz zitiert, bekommt eine kenntnisreiche Fußnote in meinem nächsten Artikel. Oder jedenfalls einen Eintrag in meinem Zettelkasten. Irgendein Publikationszwang ergibt sich bestimmt.“
Die funktionalistische Wissenschaftssoziologie hat den Stellenwert von Publikation und Zitation schon vor längerer Zeit erfasst. Robert K. Merton hatte in diesem Zusammenhang z.B. darüber nachgedacht, wie Wissenschaft als soziales System stabil bleiben kann. (1) Die Wissenschaft werde durch einen Komplex von Normen und Werten zusammengehalten. Der Norm- und Wertkomplex sei zwar nirgendwo eindeutig kodifiziert, er werde aber von den einzelnen Wissenschaftlern internalisiert und durch einen moralischen Konsens erfassbar. Der Ethos der Wissenschaft, ihr Grundwert, sei die Steigerung gesicherten Wissens. Aus dem Grundwert leitet Merton vier „institutionelle Imperative“ ab: 1. Universalismus (Unabhängigkeit des Wissens von persönlichen Kriterien) 2. Kommunismus (allgemeines Eigentum an wissenschaftlichen Gütern) 3. Uneigennützigkeit (keinerlei persönliche Motive) und 4. organisierter Skeptizismus (unvoreingenommene Prüfung des Wissens anhand von empirischen und logischen Kriterien). Später wurden noch Rationalität (kritisches Herangehen an Wissen) und emotionale Neutralität (Vermeidung emotionalen Engagements) hinzugefügt.
Nach Norman W. Storer (2) ist ein soziales System eine Folge von Interaktionsmustern, die um den Austausch eines Gutes organisiert und von einer Menge Normen geleitet sind. Die Normen erleichtern die fortwährende Zirkulation des Gutes. Gut des Wissenschaftssystems ist die Beobachtung von Kreativität und Reaktion darauf. Das Wissenschaftssystem funktioniert deshalb, weil es das Gut, die Reaktion auf Kreativität, optimal zirkulieren lässt. Der Kommunismus ermutigt, überhaupt etwas anzubieten, d.h. zu publizieren, denn sonst kann das Gut ja nicht entstehen. Der organisierte Skeptizismus sorgt (u.a. über Zitationen) für eine Rückkopplung. Die Uneigennützigkeit hilft, dass der Wissenschaftler nur das Gut der Wissenschaft anstrebt und nicht noch weitere Güter. Die Normen bewirken auch, dass jeder Wissenschaftler bevorzugt an Problemen arbeitet, die auch andere interessieren, ansonsten bekäme er ja seine Reputation nicht. Dieses funktionalistische Modell der Wissenschaftssoziologie macht deutlich, dass das Gut der Wissenschaft die Reaktion auf Kreativität und damit die Reputation ist. Es will zeigen, wie die Wissenschaft systemimmanent sowohl Publikationen (als Dokumentation der Kreativität) als auch Zitationen (Reaktion darauf) hervorbringt, die das System stabil halten.
(1) Merton, R. K., Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur. – In: Wissenschaftssoziologie 1. Hrsg. v. P. Weingart. Frankfurt 1972, S. 45–59.
(2) Storer, N. W., Das soziale System der Wissenschaft. – In: Wissenschaftssoziologie 1. Hrsg.
v. P. Weingart. Frankfurt: Fischer Athenäum 1972, S. 60–81.
Besonders schön und unterhaltsam ist diese wissenschaftshistorisch Studie von Merton: Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit, Frankfurt a.M. 1980.
@zoteloer
Diese Studie ist sehr bekannt. Diese Studie zeigt aber sehr deutlich, auf welche Schwierigkeiten Merton selbst gestoßen ist. Ganz allgemein geht er in seinen Ausführungen zwar von einem positivistischen Wissenschaftsbegriff aus, der besagt, dass die Bedeutung von Begriffen identisch ist mit der Art ihrer empirischen Überprüfung und dass die Wissenschaft durch eine logischen Methode ausgezeichnet sei. Durch seine funktionalistische Position, die die Motive und Folgen von Handeln, im Gegensatz zu den kognitiven Aspekten von Handeln, hervorhebt, ist er aber gezwungen, die Wissenschaft letztlich auf nicht rationale Verpflichtungen zu gründen. Nach den Konzepten des Funktionalismus geben nicht bestimmte Ziele und Zwecke den Anstoß zum Handeln, sondern Gefühle und Werte. Aus diesem Grund versucht R. K. Merton deutlich zu machen, „… daß die Konformität des Wissenschaftlers mit den positivistischen Regeln wissenschaftlicher Untersuchung durch non-logische soziale Gefühle und nicht durch Vernunft garantiert wird“ (1). Demzufolge schenkt R. K. Merton zwar den normativen Verpflichtungen von Wissenschaftlern große Aufmerksamkeit, aber nicht ihren kognitiven Verpflichtungen, also den Inhalten des Wissenschaftsprozesses.
(1) King, M. D.: Vernunft, Tradition und die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft. In: Weingart, Peter, Hg.: Wissenschaftssoziologie II: Determinanten wissenschaftlicher Entwicklung. Frankfurt a. M. 1974, S. 47.