Das Ende der transzendentalen Subjektivität 3
von Kusanowsky
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Das Internet und die Digitalisierung als operative Basis aller Kommunikation stelle ich mir als eine Art soziales Prüfungsarrangement vor. Dieses Arrangement stellt fest, ob der Kandidat über LOS gehen darf, ob er eine Prämie als Vorschuss für die nächste Runde einziehen darf und ob er überhaupt etwas aus den vorgehenden Lektionen gelernt hat. Das heisst jedoch auch, dass dieses Prüfungsarrangement selbst eine Lektion ist, wobei die Differenz zwischen dem zu Erlernenden und dem schließlichen Lernerfolg durch den Ablauf der Lektionserteilung erst ermittelt wird. Es gibt also keinen Lehrer, keine Chef und auch keinen Polizisten, der Gebote und Verbote durchsetzen könnte. Es werden gleichwohl sehr viele Vorschläge darüber gemacht, aber auch der Polizist hat keinen Polizisten, der ihm die Vorschriften machen könnte.
Diese Situtation könnte an das Unterscheidungsarrangement der modernen Gesellschaft erinnern, welche ein Außerhalb der Welt, die durch sie entsteht, nicht zulässt. Sie hat dabei den alten Zivilisationsmythos nicht eigentlich vergessen, sondern die Unterscheidung von Gott und Welt in die Welt hineinverlegt. Sie hat ihn intern recylt und durch durch dieses Recycling gezähmt, zivilisiert und seine Semantik auf „harmlos“, bzw. „größtenteils harmlos“ (Douglas Adams) neu voreingestellt.
Und man könnte in diesem Zusammenhang auf all die Alpträume verweisen, welche die moderne Gesellschaft durchlaufen hat, beginnend mit dem 30 jährigen und endend mit dem Kalten Krieg, um eine Ahnung davon zu bekommen, was Gesellschaft alles zustande bringen kann. In diesem Kontext spielen dann aber nicht nur die Traumatisierungen eine Rolle, sondern auch der Mythos der modernen Zivilisation, dessen Hartnäckig erst aufgrund der Abarbeitung solcher traumatischen Erfahrungen seine Stabilität erprobte. Und wenn man nun weiter kommen will, dann muss nicht nur das Trauma abgearbeitet sein, sondern auch der Mythos. Die Probleme müssten entsprechend zweimal verstanden werden. Das erste Mal, indem man sie verstehen lernt und entsprechend klüger wird; und das zweite Mal, wenn man versteht, dass man auf diese Weise nicht noch klüger wird.
So bleibt zunächst als Prüfungsvorbereitung, diesen modernen Zivilsationsmythos zu beerdigen, was vielleicht jetzt erst, wenn es Internet gebräuchlich ist, möglich wird. Denn die Methode seiner Entschärfung geht nicht durch Gewalt und Krieg, denn jeder Krieg sorgt nur für seine Rehabilitation. Der moderne Zivilisationsstolz muss auf andere Weise beerdigt werden; nämlich wie mir scheint durch Sublimation, durch das Angebot eines Tauschgeschäftes: gibt auf, was dir heilig ist, wenn du im Gegenzug etwas bekommst, das viel attraktiver ist als diese blasse Heiligkeit einer Illusion. Die Schwierigkeit ist jedoch, dass dieses Angebot nur akzeptabel ist, wenn ein Gegenangebot schon akzeptiert wurde: ich bin erst bereit, aufzugeben was mir nicht mehr heilig ist, wenn ich schon etwas Attraktiveres erhalten habe, dessen illusorischer Gehalt sehr viel größer ist. Die Zusammenfindung eines solchen Bedingungsgefüges ist sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Und damit es dazu kommen kann, müssen nicht nur sehr, sehr viele individuelle Kränkungen verheilen. Vielmehr müssen auch soziale Systeme Verfahrensweisen hervorbringen, mit denen auf absehbare Kränkungen reagiert wird. Eine solche Möglichkeit zeigt die Internetkommunikation, indem sie beispielsweise Shitstorms inszeniert.
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[…] Hindernisse mehr entgegengebracht werden, was sich übrigens im Brauchtum der sogenannten “Shitstorms” zeigt. Nunmehr kann jeder nach Herzenslust herumkritisieren, weil es keine […]
Manchmal regen mich solche Texte auf, weil ich mir dumm vorkomme, wo ich doch zu glauben meine, gerade dumm nicht zu sein, aber dann merke ich tröstlich, dass mich der Text beim unbefangenen Durchlesen keineswegs aufgeregt, sondern viel mehr angeregt hat:
Ich meinte undeutlich gespürt zu haben, es könnte gemeint sein, dieses noch halbfertige, unvollendete Internet als eine cheflose, normenlose, aufsichtslose und auch sanktionslose Einrichtung sei eben deshalb noch so arg unvollkommen, (weil immer noch Verletzungen produzierend), weil es uns allen als Bewährungsauflage in Humanismus ohne Arroganz auferlegt ist (oder scheint), diese Maschine in wahrer solidarischer Sysiphosarbeit schrittweise und (voller Hoffnung) in kleinen realen Portionen zu verbessern bis hin zur (nicht zu erwartenden) Vollendung.
Wäre solch ein für alles offenes Internet mit seinen gedanklich unzähligen und auch auf endliche Weise ungezählten Knoten im ideellen Sinne gebessert, es könnte dann sein wie eine Vielzweckeinrichtung aus einem anrufbaren (Gottes)Orakel, einem Therapieforum und einem schweigenden Zenmeister, der uns ermutigend anlächelt als wollte er sagen, wie man es zu einem spielenden Kinde sagt: mache nur ruhig weiter, denn Schaden kann dabei ja nicht entstehen, schliesslich hast du ja keine Vorgaben, niemand wird dir bei deinem schreibenden Tun auf die Finger klopfen und die Möglichkeit eines Scheiterns ist schon deshalb ausgeschlossen, weil genau dort, wo du irrst oder zu irren meinst, ein anderer für dich einspringen wird, um deine unvollkommenen Sätze und Gedanken auf geschwisterliche Art und Weise zu korrigieren, zu verbessern, ja bis hin zu einer – zeitlich begrenzten – irdisch möglichen Vollendung.
Wenn es gelänge, diese Annahme (denn Einsicht, gar Erkenntnis müssen wir es ja nicht gleich nennen) vielen nahe zu bringen, dann könnte die unüberschaubare Komplexität des Netzes namens Internet ihren Schrecken verlieren, niemand brauchte seine Unvollkommenheit im Werden zu kritisieren oder zu bedauern, jeder wäre zur positiven Mitarbeit eingeladen, ja aufgefordert, wie man heiter zu einem guten Spiel sich aufgefordert fühlen kann, und alle hätten eine gemeinsame Aufgabe, die gewiss gruppenbildend und schliesslich insgesamt gemeinschaftsfördernd wirken würde. Es wäre, als würden alle mit vollkommen zwanglos wirkenden Zwang, der ein Nichtzwingen wäre seinem Wesen nach, sich dessen sicher und gewiss sein, hier wären sie willkommen, niemand würde je abgewiesen, wer immer er auch sei und auf welche Weise auch er sich hier am gemeinsamen Werk und Wirken beteiligte. Das Internet könnte sich auf diese Weise entwickeln zu einer vertrauensbildenden, vertrauenswürdigen mächtigen Maschine der Machtlosigkeit, die niemanden mehr bedroht durch Kritik oder gar mit Exklusion oder Töten.
Hier breche ich ab, weil ich spüre, es wäre solches Gesagte wie ein erlegtes Wild erst einmal zeitlich abzuhängen, damit das Wilde im Wild nun zur Ruhe kommen möge, damit es auch alle in Ruhe und ohne Furcht betrachten könnten, um zu prüfen, ob man davon tatsächlich zehren und es gebrauchen könne.
Rudi K. Sander, als dieterbohrer alias @rudolfanders
Deine Beschreibung ist zwar sehr blümlich und nicht ganz identisch mit dem, was ich meine – aber wenn interessiert das schon? Jedenfalls zeigt mir dein Kommentar, dass es sich lohnen könnte auf den von mir eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.
Immer wieder wird mir vorgeworfen, ich sollte verständlicher schreiben. Nur allzu gern möchte ich diesen Vorwurf mit dem Gegenvorwurf begegnen, der Leser solle doch verständlicher lesen. Und wie man an deinem Kommentar bemerken kann: es geht doch. Nicht nur das verständliche Schreiben, sondern auch das verständliche Lesen. Dass dabei Differenzen übrig bleiben, bzw. dadurch erst entstehen, ist ja gar nicht das Problem eines Menschen. Jedenfalls scheint es, lieber Rudi, dass du kurz davor bist, das – was ich unter einer Assoziologie verstehe – zu verstehen, wenn auch nicht so wie ich meine. Jedoch: wie ich das verstehe, kann ich nicht aufschreiben, weil ich ja nicht weiß, was andere lesen, wenn ich schreibe was ich schreibe. Was ja auch heißt, dass andere nicht wissen, was sie gelesen haben, sie kömnnen ja nur schreiben, was sie schreiben; und wenn ich das dann lese … naja usw.
Aus diesem Grunde können wir es uns leisten, eine kritische Indifferenz gegenüber dem Geschriebenen und Gelesenen in Kauf zu nehmen. Die kritische Diszplin hatte das immer vermeiden müssen, wobei dieses Vermeidungsverhalten als zivilisatorische Selbstsanktion ihre größten Erfolge zu dem Zeitpunkt feiern konnte als die Diszplin ohne Notwendigkeit entstand. Daher diese vielen Genies im 17. und 18. Jahrhundert – der Freiheitsspielraum, der durch die Kritik entstand war größer als die Notwendigkeit zur Kritik.
Das Internet ermöglicht eine Erweiterung, indem wir nun ohne Notwendigkeit auf die kritische Diszplin verzichten lernen können – ohne, dass sie sozial in Vergessenheit geraten könnte, weil die Effekte dieser Diszplin strukturell längst sedimentiert sind und interferierend jederzeit aktualisiert werden, gleichviel ob durch Menschen oder Maschinen.
Das heißt: wir können schon anfangen – ohne dies gewiss zu müssen – uns der Fantasie und der Faszination hinzugeben um auf diese Weise neue Freiheitsspielräume zu entdecken. Dass auch das nicht ohne Schmerzen vor sich geht, ist wohl klar. Aber das ist kein Grund, dies nicht zu erproben.
Nachtrag
Johannes Rohbeck tritt in Technik – Kultur – Geschichte an, um die Geschichtsphilosophie zu retten, und bietet dabei (mitunter etwas sperrig zu lesende) Einblicke in die Geschichte des Fortschritts, der Globalisierung, der Technikphilosophie von 1750 bis 2000. Herkunft: http://www.thorstena.de/?p=4981
Manchmal finde ich das Web anstrengend (nicht das Internet, aber das ist ja etwas anderes), wenn mir Menschen etwas per Video (bewegte Bilder in einem festen Zeitraster) ver- bzw. übermitteln wollen, denn meist mache ich darum einen Bogen, weil es mich zu viel Zeit kostet. Etwas Geschriebenes kann man mit dem eigenen Lesetempo durcheilen, den Blick mal hier hin und mal dort hin wenden, so wie man sich durch die eigene (Schnell-) Lesetechnik halt verführt fühlt. Videos lassen das nur in sehr beschränktem Maße zu, obwohl man es auch damit immer wieder versucht, aber das Internet (und hier meine ich die technische Seite) ist halt immer noch unzulänglich langsam zum eiligen Vor- und Zurücklaufen im Videos (selbst bei allen Goodwill zu den Caches und Buffers im Programm des Browsers). Aber ich denke, man muss sich darauf einstellen, dass die Zukunft im Web den Videos gehört und dass es immer weniger Texte geben wird. Das wird anstrengend und vielleicht wird es Automaten geben, die die wesentlichen Botschaften aus den Videos extrahieren und textuell aufbereiten, damit man überhaupt die Zeit findet, sich zu informieren bzw. Gedanken auszutauschen.
Manche Texte hier sind wie Videos und ich würde mich auch darüber freuen, wenn es den Automaten für eine informelle Aufbereitung geben würde *gg*. Die gute alte Tradition der kurzen, knappen Zusammenfassung am Anfang eines Textes wäre schon ein schöner Anfang und würde oft hilfreich sein, bei der Beurteilung, ob und wie man seine Zeit (sinnlos oder sinnvoll) verschwendet.
Verweis auf: „ach so, das sind worte…ich dachte, das sind ornamentalarabeske kistschschnörkel…mensch, jetzt muss ich die auch noch lesen…ich dachte angucken reicht…“